4079/AB XXIII. GP
Eingelangt am 11.06.2008
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind
möglich.
BM für Justiz
Anfragebeantwortung

DIE
BUNDESMINISTERIN
FÜR
JUSTIZ
BMJ-Pr7000/0080-Pr 1/2008
An die
Frau Präsidentin des Nationalrates
W i e n
zur Zahl 4192/J-NR/2008
Die Abgeordneten zum Nationalrat Heinz-Christian Strache und weitere Abgeordnete haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Generalprokuratur beim Obersten Gerichtshof“ gerichtet.
Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:
Zu 1 und 2:
Die Strafprozessordnung idF des Strafprozessreformgesetzes sieht in § 47 Vorschriften für die Befangenheit von Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft vor, die auch auf die Generalprokuratur anwendbar sind (§ 22 StPO iVm § 2 Abs. 1 StAG). Demnach hat sich jedes Organ der Kriminalpolizei und der Staatsanwaltschaft der Ausübung seines Amtes zu enthalten und seine Vertretung zu veranlassen, wenn entweder bestimmte taxativ aufgezählte Umstände oder aber andere Gründe vorliegen, die geeignet sind, seine volle Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit in Zweifel zu ziehen. Entgegen der diesen Fragen zugrunde liegenden Rechtsansicht wird durch § 47 StPO keine Möglichkeit zur Anzeige potenzieller Befangenheit im Sinne einer jedenfalls beachtlichen Ablehnung des nach der Geschäftsverteilung zuständigen Staatsanwaltes eröffnet.
In Entsprechung dieser Bestimmung trägt der Generalprokurator als Behördenleiter dafür Sorge, dass in Befangenheitsfällen der Akt einem anderen Generalanwalt zur Erledigung zugeteilt wird. Den Parteien kann daher aus der fehlenden Kenntnis des zuständigen Generalanwaltes kein Nachteil erwachsen.
§ 44 Abs. 3 StPO, der allen Beteiligten des Verfahrens ermöglicht, einen Antrag auf Ablehnung eines Richters wegen Ausschließung einzubringen, ist auf Organe der Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft nicht anzuwenden.
Es ist daher für die Prozessparteien nicht erforderlich, zu einem bestimmten Zeitpunkt zu erfahren, welche Generalanwältin/welcher Generalanwalt für ihre Sache als Bearbeiter zuständig ist, wobei noch anzumerken ist, dass die Generalprokuratur ausdrücklich nicht als Anklagebehörde einzuschreiten, sondern die Interessen des Staates in der Rechtspflege zu wahren hat.
Zu 3:
Anders als die Staatsanwaltschaften, die nach dem System der StPO die Aufklärung einer Tat und die Verfolgung eines bestimmten Beschuldigten zu leiten haben, dabei aber nicht nur Rechtschutzanliegen der Betroffenen zu bearbeiten haben (Beweisanträge, Anträge auf Einstellung, Einsprüche wegen Rechtsverletzung, Anträge auf Fortführung des Verfahrens), sondern auch für die Zusammenarbeit mit der Kriminalpolizei zuständig sind, entfaltet die Generalprokuratur grundsätzlich eine objektive Prüfung der einem Verfahren zu Grunde liegenden Rechtsfragen, ohne jedoch Einfluss auf die Art, Umfang und Richtung der Verfolgung nehmen zu können. Während also Staatsanwaltschaften für die Beteiligten des Verfahrens und die Kriminalpolizei dem System der festen Zuständigkeitsverteilung entsprechend jederzeit erreichbar sein müssen, trifft dies für die Generalprokuratur nicht zu. Wegen ihrer einzigartigen und im System der Strafrechtspflege abgehobenen Stellung geht es also darum, die unbeeinflusste Vorbereitung der Entscheidung zu sichern (Ausarbeitung von Stellungnahmen im Rechtsmittelverfahren vor dem Obersten Gerichtshof und von Nichtigkeitsbeschwerden zur Wahrung des Gesetzes). Ihre Glaubwürdigkeit leitet sich nicht zuletzt daraus ab, dass sie keinen Interventionen dritter Seite unterliegt und nicht von einem bestimmten Interesse, denn der richtigen Anwendung des formellen und materiellen Rechts geleitet ist. Würde der Name der/des zuständigen Generalanwältin/Generalanwaltes öffentlich, so wäre Einflussnahme dritter Seite Tür und Tor geöffnet, was nicht im Interesse einer objektiven und ausschließlich an der richtigen Auslegung und Anwendung des materiellen und formellen Rechts orientierten Entscheidungsfindung gelegen sein kann.
Dem entspricht auch § 20 OGHG, nach dem der Name des Berichterstatters nicht bekannt gegeben werden darf. Nach den mir vorliegenden Informationen wird dies auch bei den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechtes in gleicher Weise gehandhabt. Generalanwälte sind den Berichterstattern gleichgestellt, weil auch ihnen keine (Allein-)Entscheidungsbefugnis zukommt. Vielmehr erstellt der Bearbeiter des Aktes einen Entscheidungsvorschlag, der in Gw-Sachen von einem Gruppenleiter und ausnahmslos vom Generalprokurator revidiert wird. Für die Partei kann daher lediglich der Generalprokurator selbst von Interesse sein, weil ausschließlich dieser entscheidungsbefugt ist.
Zu 4 und 7:
Auf Grund der monokratischen Struktur der Generalprokuratur und der Letztverantwortlichkeit des Leiters der Generalprokuratur für jede Erledigung bestehen keine Bedenken im Hinblick auf die Transparenz der Abläufe. § 49 Abs. 2 DV-StAG bestimmt vergleichbar mit § 20 OGHG, dass die Geschäftsstelle der Generalprokuratur Parteien nur über das Einlangen oder das Aktenzeichen eines Geschäftsstückes Auskunft erteilen darf - sohin nicht über den jeweiligen Sachbearbeiter - und beschränkt damit die Auskunftspflicht im Bereich der nicht im öffentlichen Interesse liegenden behördeninternen Aktenzuweisung.
Zu 5:
Nein.
Zu 6:
Entfällt im Hinblick auf die Beantwortung zur Frage 5.
Zu 8:
Gemäß § 180 Abs. 1 Richter- und Staatsanwaltschaftsdienstgesetz (RStDG) ist beim Bundesministerium für Justiz, bei der Generalprokuratur und bei den Oberstaatsanwaltschaften je eine Kommission (die sogenannte Personalkommission) einzurichten, die die eingelangten Bewerbungsgesuche zu prüfen und sich – soweit erforderlich, im Rahmen einer persönlichen Aussprache mit dem Bewerber – einen Eindruck von der Gesamtpersönlichkeit des Bewerbers zu verschaffen hat. Die Personalkommission beim Bundesministerium für Justiz ist unter anderem für die Erstattung des Vorschlags für die Besetzung der Planstelle des Leiters der Generalprokuratur (§ 181 Abs. 1 RStDG), die Personalkommission bei der Generalprokuratur zur Erstattung der Vorschläge für die Besetzung der übrigen Planstellen bei der Generalprokuratur zuständig (§ 181 Abs. 3 RStDG).
Gemäß § 182 Abs. 1 RStDG besteht jede Personalkommission aus vier Mitgliedern, die allesamt die Erfordernisse für die Ernennung zum Staatsanwalt erfüllen müssen.
Gemäß § 180 Abs. 2 RStDG hat die Personalkommission nach Durchführung der erforderlichen Erhebungen und unter Berücksichtigung von deren Ergebnissen der Bundesministerin für Justiz einen Vorschlag unter sinngemäßer Anwendung des § 33 RStDG zu erstatten. § 33 Abs. 1 RStDG bestimmt, dass jeder Besetzungsvorschlag, wenn genügend geeignete Bewerber auftreten, mindestens drei Personen, wenn aber mehr als eine Planstelle zu besetzen ist, mindestens doppelt so viele Personen zu umfassen hat, als Richter bzw. Staatsanwälte (hier Generalanwälte) zu ernennen sind. Gemäß Abs. 2 dieser Bestimmung hat die Aufnahme in den Besetzungsvorschlag und die Reihung im Besetzungsvorschlag in erster Linie ausgehend von den Kriterien des § 54 Abs. 1 RStDG (fachliche Kenntnisse; Fähigkeiten und Auffassung; Fleiß, Ausdauer, Gewissenhaftigkeit, Verlässlichkeit, Entschlusskraft und Zielstrebigkeit; Kommunikationsfähigkeit und Eignung für den Parteienverkehr; Ausdrucksfähigkeit schriftlich und mündlich und – soweit erforderlich – Kenntnis von Fremdsprachen; Verhalten im Dienst; bei Leitungsfunktionen die Eignung hiefür) nach Maßgabe der einzelnen Bewerber für die ausgeschriebene Planstelle zu erfolgen. Nur bei gleicher Eignung entscheidet die für die Vorrückung in höhere Bezüge maßgebliche Dienstzeit.
Die Ernennung von Generalanwälten obliegt gemäß Art. 65 Abs. 2 lit. a Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) mangels entsprechender Delegierung gemäß Art. 66 Abs. 1 B-VG dem Bundespräsidenten auf Vorschlag der Bundesregierung. Dem entsprechend schlägt die Bundesministerin für Justiz ausgehend von dem Besetzungsvorschlag der Personalkommission, an den die Bundesministerin für Justiz nicht gebunden ist, nach Einholung der Zustimmung durch die Bundesregierung dem Bundespräsidenten für jede ausgeschriebene Planstelle einer Generalanwältin bzw. eines Generalanwaltes jeweils eine Bewerberin bzw. einen Bewerber zur Ernennung vor. Die Ernennung erfolgt mit Entschließung des Bundespräsidenten und bedarf zu ihrer Gültigkeit gemäß Art. 67 Abs. 2 B-VG der Gegenzeichnung durch die Bundesministerin für Justiz.
Zu 9:
Sowohl bei Anregungen aus dem Bereich der Staatsanwaltschaften, Oberstaatsanwaltschaften bzw. Gerichte als auch bei jenen von Verteidigern, Angeklagten, Verurteilten und Opfern werden in der Regel die Akten bzw. (zumindest) die betreffenden Entscheidungen beigeschafft und diese auf ihre Gesetzmäßigkeit überprüft.
Zu 10:
Sofern eine Gesetzesverletzung vorliegt, wird im Sinne des § 292 letzter Satz StPO eine Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes erhoben.
Zu 11:
Im Bereich der Justiz ist eine Veröffentlichung der Entscheidungen im Rechtsinformationssystem des Bundes (RIS) für Erkenntnisse des Obersten Gerichtshofs verpflichtend, für die Entscheidungen anderer Gerichte nach deren Ermessen vorgesehen. Hingegen finden andere Erledigungen, unabhängig von deren fachlichem Niveau, keinen Eingang in das RIS. Im Hinblick darauf, dass die Erledigungen von Gw-Akten, wenn sie nicht zur Erhebung einer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes führen, keine Außenwirkung entfalten und auch nicht der Akteneinsicht zugänglich sind, halte ich eine Veröffentlichung dieser Erledigungen auch nicht für sinnvoll.
Zu 12:
Die Übertragung des ministeriellen Weisungsrechts an die Generalprokuratur wurde schon in der Vergangenheit diskutiert, ein politischer Konsens für einen Schritt in diese Richtung wurde jedoch nicht gefunden. Ich halte eine derartige Verlagerung der Weisungsspitze aus heutiger Sicht auch nicht für erforderlich, zumal einerseits die praktische Bedeutung von Weisungen weit überschätzt wird und andererseits die jüngste Novelle des Staatsanwaltschaftsgesetzes die Transparenz in den wenigen Fällen, in denen Weisungen erteilt werden, dadurch erheblich ausgebaut hat, dass Weisungen nunmehr grundsätzlich schriftlich zu erfolgen haben und in den Ermittlungsakt aufzunehmen sind. Zusätzlich wurde eine Berichtspflicht über von der Justizministerin erteilte Weisungen an den Nationalrat verankert.
Würde der Generalprokuratur das Weisungsrecht übertragen, so ginge ihre Stellung als objektive Rechtswahrerin verloren. Damit wäre auch das Instrument der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zu überdenken, weil es sich gegen Entscheidungen richten könnte, die durch eine Weisung oder Genehmigung der Generalprokuratur beeinflusst waren.
Zu 13 und 14:
Nach den mir vorliegenden Informationen tangierten die bislang an die Generalprokuratur herangetragenen Fragen Probleme aus dem Bereich der Übergangsbestimmungen des § 516 Abs. 1 und 2 StPO, Zuständigkeitserwägungen sowie den inhaltlichen Kompetenzbereich des Oberlandesgerichtes bei Entscheidungen über Fortführungsanträge nach § 196 StPO.
Zu 15 und19:
Die Angehörigen der Generalprokuratur sowie die Mitglieder des Obersten Gerichtshofs beteiligen sich an zahlreichen Schulungsveranstaltungen innerhalb und außerhalb der Justiz. Ich habe auch keine Einwände, wenn die Angehörigen der Generalprokuratur als Privatpersonen im Zuge zulässiger Nebenbeschäftigungen Schulungsveranstaltungen leiten und Vorträge halten.
Ein Informationsdienst, bei dem die Generalprokuratur als Institution, quasi in eigener Sache die Rechtsunterworfenen schult, scheint mir mit ihrer Aufgabe jedoch nicht vereinbar. Darüber hinaus bleibt zu bedenken, dass die Eingaben an den Obersten Gerichtshof in Strafsachen von Strafverteidigern, also in aller Regel Rechtsanwälten, einzubringen sind, bei denen ausreichende Rechtskenntnisse bzw. die Bereitschaft, sich diese anzueignen, vorausgesetzt werden können.
Zu 16 und 17:
Tatsächlich verzeichnet die Generalprokuratur derzeit einen erhöhten Geschäftsanfall insbesondere in den Bereichen der Stellungnahmen zu strafgerichtlichen Rechtsmittelverfahren und der Wahrungsbeschwerden. Ich werde die weitere Entwicklung gemeinsam mit dem Generalprokurator aufmerksam beobachten und erforderlichenfalls in den bevorstehenden Budget- und Stellenplanverhandlungen auf Abhilfe dringen. Neben der Zuweisung von weiteren Planstellen für Stellvertreter des Generalprokurators und der Zuteilung von Staatsanwälten ist als personalseitige Abhilfemaßnahme auch der angesprochene Einsatz wissenschaftlicher Hilfskräfte zu überlegen.
Zu 18:
Entsprechend ihrer in § 10 Abs. 4 StAG festgelegten Verpflichtung hat die Generalprokuratur ihren Wahrnehmungsbericht gegenüber dem Bundesministerium für Justiz zu erstatten. Dieser Bericht ist auf den justizinternen Bereich beschränkt, seine allgemeine Veröffentlichung ist gesetzlich nicht vorgesehen. Ich stelle dem Hohen Haus auf Wunsch gerne diesen Bericht zur Verfügung.
Zu 20:
Für eine institutionalisierte Kooperation mit dem Österreichischen Grundrechtskonvent besteht vor dem Hintergrund des gesetzlichen Aufgabenbereiches der Generalprokuratur, in allen Strafverfahren des Obersten Gerichtshofes mitzuwirken (§ 22 StPO) und eine umfangreiche Prüfungskompetenz von Urteilen, Beschlüssen und Vorgängen aller Strafgerichte Österreichs im Hinblick auf eine Verletzung oder unrichtige Anwendung des Gesetzes wahrzunehmen (§ 23 StPO), sowie ihrer personellen Kapazitäten, kein Raum. Davon unberührt bleibt die Bereitschaft der Generalprokuratur zur Mitwirkung an einschlägigen justizinternen Fortbildungsveranstaltungen.
. Juni 2008
(Dr. Maria Berger)