4192/AB XXIII. GP
Eingelangt am 26.06.2008
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BM für Justiz
Anfragebeantwortung

DIE BUNDESMINISTERIN
FÜR
JUSTIZ
BMJ-Pr7000/0091-Pr 1/2008
An die
Frau Präsidentin des Nationalrates
W i e n
zur Zahl 4264/J-NR/2008
Der Abgeordnete zum Nationalrat Mag. Johann Maier und GenossInnen haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Finanzielle Interessen der Gemeinschaft - Betrugsbekämpfung“ gerichtet.
Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:
Zu 1 bis 39, 41 bis 42, 44 bis 47, 51 bis 53 und 55 bis 61:
Diese Fragen fallen nicht in meinen Vollziehungsbereich.
Ich darf auf die Beantwortung der Parallelanfragen zur Zahl 4262/J-NR/2008 durch den Bundesminister für Finanzen und zur Zahl 4263/J-NR/2008 durch den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft hinweisen.
Zu 40:
Der Tatbestand des Betruges ist in §§ 146 ff StGB definiert. Der Grundtatbestand ist erfüllt, wenn jemand mit dem Vorsatz, durch das Verhalten des Getäuschten sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern, jemanden durch Täuschung über Tatsachen zu einen Handlung, Duldung oder Unterlassung verleitet, die diesen oder einen anderen am Vermögen schädigt. Es ist daher jedermann geschützt und der Tatbestand kommt auch zur Anwendung, wenn der Gemeinschaft Schaden zugefügt wird.
Der Begriff des Betruges im Sinne des Art. 1 des Übereinkommens über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaft vom 26.7.1995 geht weit über den geläufigen strafrechtlichen Betrugsbegriff (nicht nur des österreichischen Strafrechts) hinaus: Der Begriff umfasst „ausgabeseitige“ und „einnahmeseitige“ Handlungen. Es wird jeweils zwischen drei verschiedenen Tathandlungen unterschieden. Alle Tathandlungen müssen ein Element des Verstoßes gegen verwaltungsrechtliche (sekundärrechtliche) Pflichten enthalten und nur vorsätzlich begangen werden können. Eine Übereinstimmung mit innenstaatlichen Betrugsbegriffen muss nicht bestehen. Die ausgabeseitigen Handlungen sind im österreichischen Strafrecht weitestgehend durch den Straftatbestand des Betruges (§ 146 StGB) erfasst, die übrigen Bereiche durch den mit dem Strafrechtsänderungsgesetz 1998 eingeführten Tatbestand des Förderungsmissbrauches (§ 153b StGB) und durch § 7 des Ausfuhrerstattungsgesetzes (AEG). Die „einnahmeseitigen Handlungen“ sind zur Gänze in den Tatbeständen des § 35 Abs. 1 bis 3 FinStrG erfasst.
Eine Definition des Begriffes „Unregelmäßigkeiten“ findet sich im österreichischen Strafrecht nicht. Die gemeinschaftsrechtliche Legaldefinition findet sich in Art. 1 Abs. 2 der VO 2988/95. Voraussetzung ist ein Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht. Die Handlung des Wirtschaftsteilnehmers kann vorsätzlich oder fahrlässig sein, erfasst sind aber auch Handlungen, die nur den o bjektiven Tatbestand erfüllen, bei denen also das Element der subjektiven Vorwerfbarkeit fehlt.
Zu 43:
Nach den mir vorliegenden Informationen wurden in dem von der Anfrage erfassten Zeitraum vier Strafverfahren gegen insgesamt sieben Personen geführt. Es erging ein Schuldspruch, wobei der Angeklagte zu einer bedingten Freiheitsstrafe verurteilt wurde. In Ansehung von fünf Personen wurde das Verfahren eingestellt. Ein Verfahren wurde abgebrochen.
Zu 48 und 49:
Nach den mir zur Verfügung stehenden Informationen haben OLAF bzw. die zuständigen Behörden im Jahr 2004 vier Sachverhaltsdarstellungen an die Anklagebehör-de gerichtet; eine weitere Sachverhaltsdarstellung stammt aus dem Jahr 2006. Die-se Sachverhaltsdarstellungen betrafen jedenfalls nicht den Sektor „EAGFL“; eine Sachverhaltsdarstellung aus dem Jahr 2004 und jene aus dem Jahr 2006 betrafen den Sektor „strukturelle Maßnahmen“.
Zu 50:
Art. 280 EGV verpflichtet die Gemeinschaft und die einzelnen Mitgliedstaaten, Be-trügereien und sonstige gegen die finanziellen Interessen der Gemeinschaft gerich-tete Handlungen zu bekämpfen. Der Begriff der finanziellen Interessen der Gemeinschaft im Sinn von Art. 280 EGV umfasst die Einnahmen und Ausgaben im Gesamthaushaltsplan sowie jene Einnahmen und Ausgaben, die in den Haushalt von Einrichtungen, Ämtern sowie Agenturen fallen, die durch den EGV oder auf seiner Grundlage geschaffen wurden. Angriffsziele von Betrügereien und sonstigen gegen die finanziellen Interessen der Gemeinschaft gerichteten Handlungen können damit sowohl Einnahmen als auch Ausgaben, die im Rahmen der EU größtenteils in Subventionen bestehen, sein. Von den Einnahmen der Gemeinschaft sind die Agrarabgaben, die Zölle und die Mehrwertsteuerabgaben als betrugsanfällig relevant.
Der Begriff der „Unregelmäßigkeit“ wird in Art. 1 Abs. 2 der VO 2988/95 definiert und umfasst neben dem strafrechtlichen Betrug alle Verstöße gegen Gemeinschaftsbestimmungen als Folge einer Handlung oder Unterlassung eines Wirtschaftsteilnehmer, die einen Schaden für den Gesamthaushaltsplan der Gemeinschaft oder die Haushalte, die von den Gemeinschaften verwaltet werden, bewirkt haben oder ha-ben würde, sei es durch die Verminderung oder den Ausfall von Eigenmitteleinnahmen, die für die Gemeinschaft erhoben werden, sei es durch eine ungerechtfertige Ausgabe.
Nach Art. 4 der VO 2988/95 bewirkt jede Unregelmäßigkeit den Entzug des rechtswidrig erlangten Vorteils. Bei Unregelmäßigkeiten, die vorsätzlich begangen oder durch Fahrlässigkeit verursacht wurden, können zu den in Art. 4 der VO 2988/95 bezeichneten Maßnahmen die in Art. 5 vorgesehenen verwaltungsrechtlichen Sanktionen der Gemeinschaft hinzutreten. Die Möglichkeit, wegen derselben Tat ein Strafverfahren durchzuführen, bleibt davon unberührt.
Der im Zusammenhang mit dem Schutz der finanziellen Interessen der Gemein-schaft in Art. 280 EGV verwendete Begriff „Betrügereien“ geht insoweit über den Begriff der Unregelmäßigkeit hinaus, als auch Umgehungs- und Scheingeschäfte erfasst werden, bei denen formal kein Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht vorliegt, der Zweck der Regelung aber in der Absicht unterlaufen wird, sich durch die willkürliche Schaffung der Voraussetzungen einen Vorteil zu verschaffen. In diesen Fällen sind nur verwaltungsrechtliche Maßnahmen nach Art. 4 der VO 2988/95 zulässig.
Das StGB sieht den Begriff der „Unregelmäßigkeit“ nicht vor. Der in § 146 StGB de-finierte Betrugsbegriff deckt sich nicht mit dem strafrechtlichen Betrugsbegriff nach Art. 1 des Übereinkommens über den Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft vom 26.7.1995. Das Übereinkommen wird daher in Österreich nicht nur durch den Betrug nach § 146 StGB, sondern auch durch das Delikt des Förde-rungsmissbrauches nach § 153b StGB, durch § 7 AEG und durch § 35 Abs. 1 – 3 FinStrG umgesetzt.
Eine im strafrechtlichen Sinn betrügerische Verwendung von EU-Mitteln kann daher vorliegen, wenn der Straftatbestand des Betruges erfüllt ist oder wenn durch Handlungen zum Nachteil der finanziellen Interessen der Gemeinschaft das Delikt des Förderungsmissbrauches nach § 153b StGB bzw. die Finanzvergehen nach § 7 AEG und § 35 Abs. 1 – 3 FinStrG verwirklicht werden.
Demgegenüber liegt eine Unregelmäßigkeit bei jedwedem Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht vor, der einen Schaden für die finanziellen Interessen der Gemeinschaft bewirkt hat oder bewirkt haben würde.
Zu 54:
Nach Art. 280 Abs. 4 Satz 1 EGV ist eine Gemeinschaftskompetenz zur Verhütung und Bekämpfung von Betrügereien, die gegen die finanziellen Interessen der Gemeinschaft gerichtet sind, gegeben. Nach Art. 280 Abs. 4 Satz 2 EGV bleiben die Anwendung des Strafrechts der Mitgliedstaaten und ihre Strafrechtspflege von diesen Maßnahmen unberührt.
In Bezug auf Betrügereien zum Nachteil der finanziellen Interessen der Gemein-schaft sind die Mitgliedstaaten durch das Gleichbehandlungsgebot nach Art. 280 Abs. 2 EGV verpflichtet, dem Schutz der eigenen Finanzen vergleichbare Tatbe-stände und Strafdrohungen für gleichartige Verstöße gegen Bestimmungen zum Schutz der Gemeinschaftsfinanzen vorzusehen.
In Österreich ist diese strafrechtliche Gleichstellung dadurch erfolgt, dass das Finanzstrafrecht auch auf Abgaben anwendbar ist, die unmittelbar wirksamen Rechtsvorschriften der EU vorgesehen sind (§ 2 Abs. 1 lit. a FinStrG).
Im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Justiz sind daher derzeit keine strafrechtlichen Umsetzungsmaßnahmen erforderlich, um die finanziellen Interessen der Gemeinschaft zu schützen.
. Juni 2008
(Dr. Maria Berger)