4363/AB XXIII. GP

Eingelangt am 14.07.2008
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Bundeskanzler

Anfragebeantwortung

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Lichtenecker, Freundinnen und Freunde ha- ben am 28. Mai 2008 unter der Nr. 4441/J an mich eine schriftliche parlamentarische Anfrage betreffend Anerkennung der völkerrechtlichen Verbindlichkeit des Melker Abkommens gerichtet.

Diese Anfrage beantworte ich wie folgt:

Zu den Fragen 1 bis 4 sowie 9 bis 11:

Ø    Sehen Sie im Melker Abkommen einen völkerrechtlich verbindlichen Vertrag? Falls ja, inwieweit treten Sie für die völkerrechtliche Verbindlichkeit des Melker Abkommens gegenüber der tschechischen Regierung ein? Falls nein, warum nicht?

Ø    Wurden der tschechischen Seite seit Aufnahme der Arbeitstätigkeit der bilateralen Parlamentarierkommission völkerrechtliche Gutachten Österreichs zur Stellung- nahme übergeben? Wenn ja, welche Gutachten? Wenn nein, warum nicht?

Ø    Hat die tschechische Seite in schriftlicher Form zu den unter 2) angefragten Gut- achten Stellung genommen und wenn ja durch wen und mit welchem Inhalt?

Ø    Ist seit Aufnahme der bilateralen parlamentarischen Kommission die Erstellung eines einschlägigen völkerrechtlichen Gutachtens bei einem/r unabhängigen in- ternational anerkannte/n Völkerrechtsexpertin erwogen bzw. beauftragt worden? Wenn ja, wie lautet das Ergebnis?

Ø    Wurde die Regierung der Tschechischen Republik um die Übermittlung von völ- kerrechtlichen Gutachten ersucht, auf deren Basis die im Rahmen der Sitzung der bilateralen parlamentarischen Kommission Temelin" am 17. Dezember 2007 von Minister Cyril Svoboda vorgetragene Rechtsmeinung beruht? Wenn ja, bis wann wird die tschechische Regierung ein Rechtsgutachten auf den Tisch legen? Wenn nein, warum nicht?

Ø     So die unter 9) angefragte tschechische Expertise bereits der Bundesregierung vorliegt, wann wurde diese der österreichischen Parlamentarierdelegation über- mittelt? Wenn dies bislang nicht erfolgt ist, warum unterblieb dies?


Ø     So die unter 9) angefragte tschechische Expertise bereits der Bundesregierung vorliegt, wurde eine Beurteilung aus rechtlicher Sicht beauftragt? Wer hat wen hiermit beauftragt und seit wann liegt ein entsprechendes Ergebnis vor? So die entsprechende Beurteilung vorliegen sollte, wann wurde diese der österreichi- schen Parlamentarierdelegation zugeleitet und wenn nicht, warum nicht?

Das Abkommen zwischen Österreich und der Tschechischen Republik betreffend Schlussfolgerungen des Melker Prozesses und Follow-up, BGBl. III Nr. 266/2001, (im Folgenden Vereinbarung von Brüssel") stellt nach Ansicht Österreichs einen völker- rechtlich verbindlichen Vertrag dar.

Mit Beschluss der Bundesregierung vom 3. März 2007 wurden im Zusammenhang mit der Entschließung des Nationalrates vom 14. Dezember 2006 das Bundeskanz- leramt-Verfassungsdienst und das Völkerrechtsbüro des Bundesministeriums für europäische und internationale Angelegenheiten beauftragt, sämtliche völkerrechtli- chen Möglichkeiten im Hinblick auf eine allfällige Nichterfüllung der im Anhang I der Vereinbarung von Brüssel enthaltenen Ziele durch die Tschechische Republik zu prüfen und dabei auch die Meinung unabhängiger Experten zu berücksichtigen. Zu diesem Zweck fanden am 16. April und am 3. Mai 2007 Expertenkonsultationen statt, an welchen neben Vertretern des Verfassungsdienstes und des Völkerrechtsbüros Frau Dr. Lilly Sucharipa, Herr Univ. Prof. Dr. Stefan Griller, Herr Univ. Prof. Dr. Ger- hard Hafner, Herr Univ. Prof. Dr. Gerhard Loibl und Herr Univ. Prof. Dr. Manfred Rotter teilnahmen.

Die Stellungnahme des Verfassungsdienstes und des Völkerrechtsbüros wurde am 14. Mai 2007 der Bundesregierung vorgelegt und in weiterer Folge dem Nationalrat übermittelt. Darin wurde zur Rechtsnatur des erwähnten Abkommens festgehalten, dass sich dessen völkerrechtlich verbindlicher Charakter insbesondere aus 1) der Kompetenz der vertragsschließenden Personen, ihren Staat vertraglich zu binden, 2) dem in den Bestimmungen des Abkommens zum Ausdruck kommenden Bindungs- willen sowie 3) dem Kontext der Willenseinigung und der nachfolgenden Praxis er- gibt. Zur Frage der Geltendmachung der österreichischen Ansprüche auf völkerrecht- licher Grundlage wurde festgehalten, dass - sofern die technischen Fachexperten eine Nichterfüllung der Verpflichtungen aus dem Abkommen feststellen - Österreich

zwecks Vermeidung einer Verschweigung seinen sachlichen und rechtlichen Stand- punkt gegenüber der Tschechischen Republik klar und unmissverständlich geltend machen müsste.

Vor diesem Hintergrund erging am 4. Juni 2007 ein gemeinsames Schreiben von Herrn Bundesminister DI Josef Pröll und mir an den tschechischen Premierminister Topolanek, dem auch eine technische Expertise beigeschlossen war. Darin wurde die österreichische Rechtsauffassung, wonach die tschechische Seite ihre völker- rechtlichen Verpflichtungen aus der Vereinbarung von Brüssel nicht erfüllt hat, klar und unmissverständlich zum Ausdruck gebracht. Die Tschechische Republik wurde daher eingeladen, in Verhandlungen mit dem Ziel einzutreten, ihr vertragswidriges Verhalten zu beenden, Nichtwiederholung zuzusichern sowie den rechtmäßigen Zu- stand durch Erfüllung der eingegangenen Verpflichtungen herzustellen. Dieses Schreiben hatte rechtswahrenden Charakter, wodurch der Gefahr der Verschwei- gung des österreichischen Standpunktes vorgebeugt wurde.

Die tschechische Seite antwortete darauf am 16. Juni 2007 mit einem gemeinsamen Schreiben von Premierminister Topolanek und Außenminister Schwarzenberg. Darin wurde darauf verwiesen, dass die tschechische Seite wiederholt ihre Position darge- legt habe, dass die aus der Vereinbarung von Brüssel resultierenden Zielsetzungen als erfüllt zu betrachten sind.

In weiterer Folge bin ich mit Premierminister Topolanek übereingekommen, die recht- lichen und technischen Fragen im Zusammenhang mit der Vereinbarung von Brüssel im Rahmen der - am 27. Februar 2007 ins Leben gerufenen - gemeinsamen parla- mentarischen Kommission zu klären.

Im Rahmen der dritten Sitzung am 17. Dezember 2007 befasste sich die Kommission u.a. mit der Frage der völkerrechtlichen Verbindlichkeit der Vereinbarung von Brüssel. Dabei wurde vom Leiter des Völkerrechtsbüros des Bundesministeriums für europä- ische und internationale Angelegenheiten, Botschafter Dr. Trauttmansdorff, der von den österreichischen Kommissionsmitgliedern zu diesem Zweck als externer Experte geladen war, die österreichische Position - auf der Basis der bereits zitierten Stel- lungnahme des Verfassungsdienstes und des Völkerrechtsbüros vom 14. Mai 2007 -vorgetragen. Die Auffassung der Tschechischen Republik, wonach der rechtsverbind- liche Charakter der Vereinbarung von Brüssel bestritten wird, wurde im Rahmen die- ser Sitzung von Minister Svoboda erläutert.

Da den Ergebnissen der gemeinsamen parlamentarischen Kommission in keiner Weise vorgegriffen werden sollte, wurde von Seiten der österreichischen Bundesre- gierung bis zur offiziellen Beendigung der Arbeit der Kommission und zum Vorliegen des Endberichts der Kommission von weiteren Schritten im Hinblick auf die Durch- setzung der rechtlichen Position Österreichs Abstand genommen.

Zu Frage 5:

Ø     Fanden außerhalb der Beratungen der Parlamentarierinnen Treffen zwischen ös- terreichischen und tschechischen Regierungsvertreterinnen seit Juni 2007 statt, in denen das Thema AKW Temelin Behandlung gefunden hat? Wenn ja, wann, welche Regierungsmitglieder waren beteiligt und was waren die Ergebnisse? Wann wurde das Bundeskanzleramt von den entsprechenden Gesprächen infor- miert?

Im angefragten Zeitraum fand am 7.1. 2008 ein offizieller Besuch von Ministerpräsi- dent Topolanek in Wien statt, bei dem das Thema AKW Temelin ausführliche behan- delt wurde. Darüber hinaus kam es am Rande der in diese Periode fallenden Euro- päischen Räte zu informellen Gesprächen auf Regierungschef-Ebene, in denen der Stand der Beratungen der interparlamentarischen Kommission diskutiert wurde.

Da das Thema AKW Temelin im bilateralen Verhältnis Österreichs zur Tschechischen Republik einen besonderen Stellenwert einnimmt, wurden die glücklicherweise sehr zahlreichen, engen und regelmäßigen Kontakte der österreichischen Regierungsmit- glieder mit ihren tschechischen Kollegen regelmäßig zur Darlegung der österreichi- schen Position zu diesem Fragenkomplex genutzt.

Zu den Fragen 6 bis 8 und 12:

Ø     Seit Aufnahme der Arbeit der bilateralen Parlamentarierkommission fanden bilate- rale Treffen auf Expertinnenebene statt. Wann haben diese statt gefunden und zu welchem Thema?

Ø     Wurden die jeweiligen Parlamentarierdelegationen im Vorfeld von den Expertin- nen-Treffen bzw. von deren Ergebnissen im Nachhinein informiert? Wann ist je- weils eine Information erfolgt?


Ø      Welche weiteren Arbeitsschritte (Treffen und ihre Themenschwerpunkte, Exper- tinnentreffen etc.) sind unabhängig von der Arbeit der bilateralen Parlamentarier-delegation auf Beamtenebene zum Themenkreis Temelin bis Ende 2008 vorge- sehen?

Ø       Hat die Bundesregierung die Causa Temelin, insbesondere die Nichterfüllung des Melker bzw. Brüssler Abkommens, im Rahmen der diesjährigen Versammlung der Vertragsstaaten zur Konvention über nukleare Sicherheit der internationalen Staatengemeinschaft öffentlich thematisiert? Wenn ja, in welcher Form und mit welchen Unterlagen? Wenn nein, warum nicht?

Diese Fragen betreffen keinen Gegenstand der Vollziehung des Bundeskanzleramts. Ich verweise daher auf die Beantwortung der parlamentarischen Anfrage Nr. 4442/J durch die Bundesministerin für europäische und internationale Angelegenheiten so- wie der parlamentarischen Anfrage Nr. 4443/J durch den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft.