4511/AB XXIII. GP

Eingelangt am 31.07.2008
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BM für Justiz

Anfragebeantwortung

 

 

 

 

 

DIE  BUNDESMINISTERIN
           FÜR  JUSTIZ

BMJ-Pr7000/0134-Pr 1/2008

 

An die

                                      Frau Präsidentin des Nationalrates

                                                                                                                           W i e n

 

zur Zahl 4589/J-NR/2008

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Johannes Jarolim und GenossInnen haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „die Inhaftierung von Tierschutzaktivisten“ gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Zu 1:

Grundsätzlich bin ich der Ansicht, dass bei kaum einer Strafbestimmung überschießende Gesetzesanwendungen, insbesondere im Verdachtsbereich, mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden können. Die rechtskonforme Anwendung und Auslegung der Strafgesetze ist Aufgabe und Pflicht der Gerichte und Staatsanwaltschaften.

Konkret zu § 278a StGB ist anzumerken, dass diese Bestimmung mit BGBl. Nr. 527/1993 in das StGB eingeführt wurde. Die Stammfassung dieser Bestimmung lautete wie folgt:

 

Kriminelle Organisation

 

§ 278a. (1) Wer eine Organisation gründet, deren Zweck oder Tätigkeit, wenn auch nicht ausschließlich, auf die fortgesetzte Begehung im § 278 Abs. 1 genannter oder nach § 12 des Suchtgiftgesetzes 1951 strafbarer Handlungen gerichtet ist, oder sich an einer solchen Organisation als Mitglied beteiligt, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen.

§ 278 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) Wer wissentlich Bestandteile des Vermögens einer kriminellen Organisation in deren Auftrag oder Interesse an sich bringt, verwahrt, anlegt, verwaltet, umwandelt, verwertet oder einem Dritten überträgt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren, wer die Tat in bezug auf einen 500 000 S übersteigenden Wert begeht, mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen. § 165a gilt entsprechend.

 

§ 278 Abs.1, auf den sich der Verweis bezog, lautete:

§ 278. (1) Wer sich mit zwei oder mehreren anderen mit dem Vorsatz verbindet, daß von einem oder mehreren Mitgliedern dieser Verbindung fortgesetzt Morde (§ 75) oder andere erhebliche Gewalttaten gegen Leib und Leben, erpresserische Entführungen (§ 102), Überlieferungen an eine ausländische Macht (§ 103), Sklavenhandel (§ 104), Raubüberfälle (§ 142), Erpressungen (§ 144), Geldwäscherei (§ 165), gemeingefährliche strafbare Handlungen nach den §§ 169, 171, 173, 176, 185 oder 186 oder Menschenhandel (§ 217), strafbare Handlungen gegen die Sicherheit des Verkehrs mit Geld, Wertpapieren und Wertzeichen (§§ 232 bis 239) oder nicht nur geringfügige Sachbeschädigungen, Diebstähle oder Betrügereien ausgeführt werden, ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen.

 

Die aktuelle Fassung dieser Strafbestimmung ist demgegenüber weitaus enger gefasst, sowohl hinsichtlich der zu Grunde liegenden Delikte, als auch hinsichtlich des erforderlichen Organisationsgrades. Sie erfordert weiters das kumulative Vorliegen der zusätzlichen Voraussetzungen nach Z 2 (Anstreben von Bereicherung in großem Umfang oder erheblichem Einfluss auf die Politik) und Z 3 (Ziel, andere zu korrumpieren oder einzuschüchtern oder sich gegen Strafverfolgungsmaßnahmen abzuschirmen). Die geltende Fassung steht im Einklang mit allen internationalen Vorgaben. Letztendlich wird die Judikatur der Gerichte zu § 278a StGB zeigen, wie sich der neue Straftatbestand in der Praxis bewährt. Überlegenswert wäre allenfalls eine Ergänzung des § 278a StGB iSd § 278c Absatz 3 StGB. Nach § 278c Absatz 3 StGB gilt eine Tat nicht als terroristische Straftat, wenn sie auf die Herstellung oder Wiederherstellung demokratischer und rechtsstaatlicher Verhältnisse oder die Ausübung oder Wahrung von Menschenrechten ausgerichtet ist. Ich denke, dass dieser Gedanke verallgemeinerungsfähig ist. Es geht darum, klarzustellen, dass Handlungen zum Schutz höherwertiger Rechtsgüter oder in Ausübung von Menschenrechten nicht zur Anwendung des Tatbestandes der kriminellen Organisation führen. Damit wäre auch ein Gleichklang mit dem Rechtfertigungsgrund des § 105 Abs 2 StGB erreicht, wonach eine Nötigung nicht rechtswidrig ist, wenn sie als Mittel zu dem angestrebten Zweck nicht den guten Sitten widerstreitet. Es wären damit Handlungen, wie etwa das Aufhalten eines Tiertransportes und der dadurch verursachte Schaden gerechtfertigt, wenn die Handlung begangen würde, um einen tierquälerischen Zustand zu beenden.

Zu 2:

Die Auslegung des § 278a StGB durch die zuständige Staatsanwaltschaft erfolgte anhand der in der Rechtswissenschaft allgemein anerkannten Auslegungsregeln unter Berücksichtigung der einschlägigen Judikatur.

Zu 3:

Die strafrechtliche Beurteilung eines angezeigten Sachverhaltes obliegt letztlich der Staatsanwaltschaft. Nach den mir vorliegenden Informationen ersuchte die Staatsanwaltschaft im Zuge von Dienstbesprechungen die ermittelnden Polizeibeamten, bei den Ermittlungen auch den Tatbestand des § 278a StGB zu beachten.

Zu 4 bis 6:

§ 51 StPO sieht vor, dass der Beschuldigte grundsätzlich das Recht hat, in die der Kriminalpolizei, der Staatsanwaltschaft und dem Gericht vorliegenden Ergebnisse des Ermittlungs- und des Hauptverfahrens Einsicht zu nehmen. Nach § 51 Abs. 2 darf die Akteneinsicht vor Beendigung des Ermittlungsverfahrens insoweit beschränkt werden, als besondere Umstände befürchten lassen, dass durch eine sofortige Kenntnisnahme von bestimmten Aktenstücken der Zweck der Ermittlungen gefährdet wäre. Befindet sich der Beschuldigte jedoch in Haft, so ist eine Beschränkung der Akteneinsicht hinsichtlich solcher Aktenstücke, die für die Beurteilung des Tatverdachts oder der Haftgründe von Bedeutung sein können, nach Verhängung der Untersuchungshaft unzulässig.

Nach den mir vorliegenden Informationen entsprach die Beschränkung der Akteneinsicht der Bestimmung des § 51 Abs. 2 letzter Satz StPO. Im Übrigen haben die Beschuldigten von dem ihnen zustehenden Recht, Einspruch wegen behaupteter Rechtsverletzung durch Staatsanwaltschaft oder Kriminalpolizei gemäß § 106 StPO zu erheben, Gebrauch gemacht. Die gerichtlichen Entscheidungen über diese Beschwerden sind abzuwarten.

§ 5 StPO normiert den Verfahrensgrundsatz der Gesetz- und Verhältnismäßigkeit. Demnach haben Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht bei Ausübung von Befugnissen und bei der Aufnahme von Beweisen nur soweit in Rechte von Personen einzugreifen, als dies gesetzlich ausdrücklich vorgesehen und zur Aufgabenerfüllung erforderlich ist. Rechtsgutbeeinträchtigungen müssen in einem angemessenen Verhältnis zum Gewicht der Straftat, zum Grad des Verdachts und zum angestrebten Erfolg stehen. Unter mehreren Maßnahmen ist diejenige zu wählen, die die Rechte der Betroffenen am wenigsten beeinträchtigt.

Nach den mir vorliegenden Informationen diente die Vollziehung der gerichtlich bewilligten Durchsuchungsanordnungen samt Sicherstellungen der Aufklärung des bestehenden Tatverdachtes unter Wahrung der gesetzlich gebotenen Verhältnismäßigkeit.

Zu 7:

Die Entscheidung über die Verhängung und Fortsetzung der Untersuchungshaft obliegt dem unabhängigen Gericht. Ich ersuche daher um Verständnis, dass ich von einer Beantwortung dieser Frage Abstand nehme. Im Übrigen verweise ich auf die Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien vom 11. Juli 2008, mit der Beschwerden von neun Beschuldigten gegen die Verhängung bzw. Fortsetzung der Untersuchungshaft keine Folge gegeben wurde.

. Juli 2008

(Dr. Maria Berger)