4588/AB XXIII. GP

Eingelangt am 13.08.2008
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BM für Justiz

Anfragebeantwortung

 

 

 

 

DIE  BUNDESMINISTERIN
           FÜR  JUSTIZ

BMJ-Pr7000/0141-Pr 1/2008

 

An die

                                      Frau Präsidentin des Nationalrates

                                                                                                                           W i e n

 

zur Zahl 4636/J-NR/2008

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Brigid Weinzinger, Freundinnen und Freunde haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „gerichtliche Ermittlungen gegen Tierschützer“ gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Zu I. 1 bis 5:

Am 27. November 2006 langte bei der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt eine Anzeige des Landesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung ein. Diese war zwar gegen unbekannte Täter gerichtet, inhaltlich konnte jedoch auch auf eine konkrete Einzelperson als Beschuldigter geschlossen werden. In einem Nachhangstück derselben Sicherheitsbehörde vom 28. Februar 2007 wurde ein weiterer Tatverdächtiger bekanntgegeben. Gegen diese Person langte am 19. März 2007 bei der Staatsanwaltschaft Wien eine Anzeige der Bundespolizeidirektion Wien (Polizeikommissariat Donaustadt) wegen §§ 83 Abs. 1; 15, 269 Abs. 1 StGB ein. Diese Anzeige wurde gem. § 56 Abs. 1 StPO aF an die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt abgetreten und in das dort anhängige Strafverfahren einbezogen.

Am 4. Mai 2007 erstattete das Landeskriminalamt Wien bei der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt eine Anzeige gegen letzteren Beschuldigten sowie gegen weitere namentlich nicht bekannte Personen wegen §§ 15, 105 Abs. 1, 106 Abs. 1 Z 1; 125, 126 Abs. 2; 278 StGB. Die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt gründete sich auf die bestehende subjektive Konnexität sowie auf den Umstand, dass ein Tatort im Sprengel dieser Anklagebehörde lag. Im Laufe der weiteren Erhebungen übermittelte das Landeskriminalamt Wien zahlreiche Nachträge zur ursprünglichen Anzeige, aus denen sich bislang ein Tatverdacht gegen zumindest 25 Personen ergab.

Die Subsumtion des angezeigten Sachverhaltes unter §§ 278a, 125 f; 107; 105 f StGB ergab sich auf Grund der sich kontinuierlich verdichtenden Beweislage, über die der zuständige Sachbearbeiter der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt im Rahmen regelmäßiger Dienstbesprechungen mit Vertretern der ermittelnden Sicherheitsbehörden laufend informiert wurde. Im Rahmen einer solchen Besprechung wurden die ermittelnden Beamten auf die für eine Subsumtion unter § 278a StGB sprechenden Umstände gesondert aufmerksam gemacht.

Zu I. 6:

Ja. Die vom nach der Geschäftsverteilung zuständigen Sachbearbeiter der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt beantragten Überwachungen einer Telekommunikation wurden von dem gesetzlich und nach der Geschäftsverteilung des Landesgerichtes Wiener Neustadt zuständigen Untersuchungsrichter bzw. den nach der Geschäftsverteilung zuständigen Mitgliedern der Ratskammer des Landesgerichtes Wiener Neustadt angeordnet bzw. nach Inkrafttreten des Strafprozessreformgesetzes vom nach der jeweiligen Geschäftsverteilung zuständigen Sachbearbeiter der Staatsanwaltschaft angeordnet und vom geschäftsverteilungsmäßig zuständigen Einzelrichter bewilligt. Nach den mir vorliegenden Informationen handelt es sich um folgende Entscheidungen:

a)     Beschluss vom 8. Mai 2007 auf Überwachung gemäß § 149a Abs. 1 Z 1 lit. a und b StPO für die Zeiträume 4. April 2007, 01.00 Uhr bis 03.00 Uhr, 1. Dezember 2006, 01.45 Uhr bis 02.45 Uhr, 10. Dezember 2006, 01.45 Uhr bis 02.45 Uhr, 10. Jänner 2007, 01.00 Uhr bis 03.00 Uhr, 20. Dezember 2006, 17.00 Uhr bis 17.45 Uhr und 10. Dezember 2006, 02.00 Uhr bis 02.45 Uhr (Bekanntgabe von Standort- und Rufdaten sowie von Stammdaten);

b)     Beschluss vom 19. Juni 2007 auf Überwachung gemäß § 149a Abs. 1 Z 1 lit. b StPO betreffend den Anschluss eines Beschuldigten für den Zeitraum vom 15. Dezember 2006, 00.00 Uhr bis 19. Juni 2007, 17.00 Uhr, sowie betreffend den Festnetzanschluss eines Opfers für den Zeitraum 27. September 2006, 13.10 Uhr bis 13.20 Uhr (jeweils Bekanntgabe von Rufdaten);

c)      Beschluss vom 20. Juni 2007 auf Überwachung gemäß § 149a Abs. 1 Z 1 lit. a, b und c StPO für die Zeit ab 15. Dezember 2006, 00.00 Uhr (Bekanntgabe von Standort- und Rufdaten) sowie ab 20. Juni 2007, 12.00 Uhr bis 11. Jänner 2008, 24.00 Uhr und mit einem nachfolgenden Beschluss für die Zeit ab dem 12. Jänner 2008, 00.00 Uhr (Bekanntgabe von Standort- und Rufdaten sowie Ermittlung des Inhalts von Nachrichten) für die Zeiträume 20. Juni 2007, 12.00 Uhr bis 15. Juli 2007, 24.00 Uhr, 20. Juli 2007, 12.00 Uhr bis 17. August 2007, 12.00 Uhr, 18. August 2007, 00.00 Uhr bis 15. September 2007, 24.00 Uhr, 17. September 2007, 09.00 Uhr bis 14. November 2007, 00.00 Uhr und vom 15. November 2007, 00.00 Uhr bis 22. Mai 2008, 12.00 Uhr;

d)     Beschluss vom 13. Juli 2007 gem. § 149a Abs. 1 Z 1 lit. a und c StPO betreffend einen weiteren Beschuldigten für die Zeiträume 15. Dezember 2006, 00.00 Uhr bis 19. Juni 2007, 17.00 Uhr, 16. Juli 2007, 00.00 Uhr bis 12. August 2007, 24.00 Uhr (Bekanntgabe von Standortdaten), sowie 16. Juli 2007, 12.00 Uhr bis 13. August 2007, 12.00 Uhr (Ermittlung des Inhalts von Nachrichten); hinsichtlich dieses Beschuldigten erfolgte durch Gerichtsbeschluss gemäß § 149a Abs. 1 Z 1 lit. a, b und c StPO eine weitere Überwachung der Telekommunikation betreffend die Zeiträume 12. Jänner 2008, 00.00 Uhr sowie nach Anordnung der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt mit gerichtlicher Bewilligung für die Zeiträume vom 13. August 2007, 00.00 Uhr bis 10. September 2007, 12.00 Uhr (ein Mobiltelefonanschluss) bzw. 24.00 Uhr (ein anderer Mobiltelefonanschluss), vom 17. September 2007, 09.00 Uhr bis 14. November 2007, 00.00 Uhr sowie vom 15. November 2007, 00.00 Uhr bis 22. Mai 2008, 12.00 Uhr (jeweils Bekanntgabe von Standort- und Rufdaten sowie Ermittlung des Inhalts von Nachrichten);

e)     Beschluss vom 29. August 2007 gemäß § 149a Abs. 1 Z 1 lit. a, b und c StPO betreffend die Anschlüsse zweier weiterer Beschuldigter für den Zeitraum 28. Februar 2007, 00.00 Uhr bis 30. September 2007, 24.00 Uhr (Bekanntgabe von Standort- und Rufdaten) sowie vom 29. August 2007, 12.00 Uhr bis 29. September 2007, 24.00 Uhr (Ermittlung des Inhalts von Nachrichten), wobei die Überwachung der Telekommunikation in weiterer Folge bis 22. Mai 2008, 12.00 Uhr verlängert wurde;

f)        Beschluss vom 21. November 2007 gemäß § 149a Abs. 1 Z 1 lit. a, b und c StPO hinsichtlich weiterer sechs Beschuldigter für die Zeiträume 20. Mai 2007, 00.00 Uhr bis 20. Dezember 2007, 24.00 Uhr (Bekanntgabe von Standort- und Rufdaten), 21. November 2007, 12.00 Uhr bis 20. Dezember 2007, 24.00 Uhr (Ermittlung des Inhalts von Nachrichten), wobei Verlängerungen bei zwei Beschuldigten bis 18. Jänner 2008, 24.00 Uhr, bei zwei weiteren Beschuldigten bis 11. April 2008, 24.00 Uhr und hinsichtlich der beiden übrigen Beschuldigten bis 22. Mai 2008, 12.00 Uhr erfolgten (Bekanntgabe von Standort- und Rufdaten sowie Ermittlung des Inhalts von Nachrichten);

g)     Anordnung der Überwachung von Nachrichten durch die Staatsanwaltschaft mit gerichtlicher Bewilligung vom 20. März 2008 hinsichtlich zweier weiterer Beschuldigter für den Zeitraum 21. März 2008, 00.00 Uhr bis 18. April 2008, 24.00 Uhr, wobei eine dieser Überwachungsmaßnahmen bereits am 28. März 2008 beendet wurde.

Mit der Durchführung der angeordneten Ermittlungsmaßnahmen wurde jeweils das Landeskriminalamt Wien beauftragt.  

Zu I. 7 und 8:

Der nach der Geschäftsverteilung zuständige Sachbearbeiter der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt ordnete am 28. März und am 7. Mai 2008 auf Grund gerichtlicher Bewilligung des nach der Geschäftsverteilung des Landesgerichtes Wiener Neustadt zuständigen Richters gemäß §§ 134 Z 2 und 3, 135 Abs. 2 Z 3 und Abs. 3 Z 3 lit. a StPO die Überwachung einer Internet-Domain für den Zeitraum 29. März 2008, 00.00 Uhr bis 5. Juni 2008, 24.00 Uhr, an. Diese Überwachung richtete sich gegen sämtliche Beschuldigte, die ein Internetforum an dieser Domain benützten. Mit der Durchführung wurde das Landeskriminalamt Wien in Zusammenarbeit mit dem Bundeskriminalamt (Bereich Datensicherung) betraut. Nach dem mir vorliegenden Bericht der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt sind diese Details über die technische Umsetzung dieser Überwachungsmaßnahme nicht bekannt.

Zu II. 9 bis 20:

Die Festnahme- und Durchsuchungsanordnungen richteten sich an das Landeskriminalamt Wien, das auch die einzelnen Zugriffe koordinierte. Die Durchführung erfolgte durch Beamte verschiedenster Polizeidienststellen. Die Auswahl dieser Einheiten liegt im organisatorischen Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Inneres, weshalb mir nicht bekannt ist, nach welchen Kriterien bei der Auswahl der Einheiten vorgegangen wurde.

Im Rahmen einer Dienstbesprechung wurde festgelegt, dass bei Vollziehung der Durchsuchungsanordnungen wegen Gefahr im Verzug gem. § 121 Abs. 1 zweiter Satz StPO nicht auf ein allfälliges (freiwilliges) Öffnen der Türen zu warten ist. Dies um ein Vernichten von Beweisen durch die Beschuldigten, etwa durch Löschen von Daten bzw. die Vernichtung von Unterlagen, zu verhindern. Aus diesem Grund wurde auch keine Gelegenheit gegeben, die gesuchten Gegenstände freiwillig herauszugeben.

Insgesamt wurden 15 Wohnungen gewaltsam geöffnet. Die ermittelnden Polizeibeamten wurden von der Anklagebehörde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sämtlichen von Anordnungen betroffenen Personen Gelegenheit zu geben ist, eine Vertrauensperson und/oder einen Rechtsbeistand zu verständigen. Der nach der Geschäftsverteilung der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt zuständige Sachbearbeiter hat an zwei Hausdurchsuchungen in Wien persönlich in der Form teilgenommen, dass er den Vollzug der Maßnahmen in einem Einsatzwagen der Polizei im Wege einer Bildübertragung mitverfolgte. Über Beschädigungen, die im Rahmen der Durchsuchungen von einschreitenden Beamten verursacht wurden, ist – abgesehen von den gewaltsam geöffneten Türen – nichts bekannt. Ob allenfalls im Eigentum unbeteiligter Personen stehende Gegenstände sichergestellt bzw. beschlagnahmt wurden, wird im Rahmen der laufenden Auswertung durch die Kriminalpolizei geprüft.

Nach den mir vorliegenden Informationen wurden alle Festgenommenen über die Gründe für ihre Festnahme belehrt und ihnen Ausfertigungen der Festnahmeanordnungen ausgefolgt. Die Sicherheitsbehörde nimmt diese Aufgaben im Dienste der Strafrechtspflege wahr (§ 18 StPO). Die Justizorgane gehen davon aus, dass die von Gerichten und Staatsanwaltschaften erlassenen Anordnungen von den Sicherheitsbehörden gesetzeskonform und unter Beachtung aller grundrechtlichen Vorgaben vollzogen werden. Kommt es zur Verletzung subjektiver Rechte steht dem Betroffenen der Einspruch wegen Rechtsverletzung gemäß § 106 Abs. 1 StPO zu. Von dieser Möglichkeit wurde Gebrauch gemacht, weshalb die behaupteten Rechtsverletzungen nun Gegenstand gerichtlicher Prüfung sind. Ich ersuche um Verständnis, dass ich hier der Entscheidung der unabhängigen Rechtsprechung nicht vorgreifen kann.

Zu III. 21:

Zehn Beschuldigten wurden DNA-Abriebe abgenommen, wobei diese Abnahme in sieben Fällen freiwillig erfolgte. Bei jenen Personen, die die Gestattung eines solchen Abriebs verweigerten, ordnete die Staatsanwaltschaft eine „Ersatzvornahme“ durch Abrieb im Bereich des Nackens oder Stirne an. Diese Vorgangsweise steht im Einklang mit der einschlägigen Kommentarliteratur zum neuen Vorverfahren (vgl. Pilnacek/Pleischl, Das neue Vorverfahren (2005) Rz 529).

Zu IV. 22 bis 27:

Die Beschränkung der Akteneinsicht gründete sich auf die Bestimmung des § 51 Abs. 2 letzter Satz StPO. Mehrere Beschuldigte haben dagegen wegen behaupteter Verletzung subjektiver Rechte Einspruch wegen Rechtsverletzung gemäß § 106 Abs. 1 StPO erhoben. Nach den mir vorliegenden Informationen standen den Verteidigern der Beschuldigten sämtliche zur Beurteilung des dringenden Tatverdachts und der Haftgründe erforderlichen Informationen zur Verfügung. Ich ersuche um Verständnis, dass ich der gerichtlichen Prüfungs- und Entscheidungstätigkeit nicht vorgreifen kann.

Die Staatsanwaltschaft führt derzeit gegen 26 Beschuldigte ein Ermittlungsverfahren. Der Abschluss der Ermittlungen ist derzeit nicht prognostizierbar. Den Beschuldigten wird mit Ausnahme einer gemäß § 145 Abs. 2 StPO getrennt aufbewahrten Mappe und des Antrags- und Bewilligungsbogens uneingeschränkt Akteneinsicht gewährt. Die in Untersuchungshaft befindlichen Beschuldigten sind über den jeweils bestehenden dringenden Tatverdacht in Kenntnis.

Bis wann die Auswertung der bei den Hausdurchsuchungen sichergestellten Beweismittel abgeschlossen sein wird, kann derzeit nicht prognostiziert werden. Dauer und Ende der Untersuchungshaft richten sich nach dem Fortbestehen der jeweiligen gesetzlichen Voraussetzungen bzw. deren Entfall. Auch wurde die Haftfrage bereits an das Oberlandesgericht Wien als zuständiges Rechtsmittelgericht herangetragen. Ich ersuche um Verständnis, dass ich weder die ergangenen Entscheidungen kommentieren noch zukünftigen gerichtlichen Entscheidungen vorgreifen kann.

. August 2008

 

(Dr. Maria Berger)