4641/AB XXIII. GP

Eingelangt am 28.08.2008
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BM für Justiz

Anfragebeantwortung

 

 

 

DIE  BUNDESMINISTERIN
           FÜR  JUSTIZ

BMJ-Pr7000/0155-Pr 1/2008

 

An die

                                      Frau Präsidentin des Nationalrates

                                                                                                                           W i e n

 

zur Zahl 4780/J-NR/2008

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Brigid Weinzinger, Freundinnen und Freunde haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Opferschutzeinrichtungen für Betroffene von Zwangsehe“ gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Zu 1 und 2:

In meinem Zuständigkeitsbereich ist darauf hinzuweisen, dass durch das Strafrechtsänderungsgesetz 2006, BGBl. I Nr. 56/2006, der  privilegierende Tatbestand der Ehenötigung nach § 193 StGB abgeschafft und gleichzeitig § 106 Abs. 1 Z 3 StGB um die Tathandlung der Nötigung zur Eheschließung ergänzt wurde. Dadurch wurde die bisher bestehende mehrfache Begünstigung des nötigenden Ehepartners beseitigt und dieser sowie andere an der Nötigung mitwirkende Dritte einer klaren einheitlichen Sanktion unterstellt. Die Erfassung aller an der Tat beteiligten Personen nach § 106 Abs. 1 Z 3 StGB erleichtert die strafgerichtliche Verfolgung des präsumtiven Ehepartners, weil keine Privatanklage mehr erforderlich ist. Darüber hinaus wurde durch die Aufnahme der Nötigung zur Eheschließung in die Bestimmung des § 106 Abs. 1 Z 3 StGB - welcher auch die Strafbarkeit der Nötigung zur Prostitution oder zur Mitwirkung an einer pornographischen Darbietung normiert -  die gesetzgeberische Wertung des Deliktes als besonders schwerer Eingriff in die Entscheidungsfreiheit des Opfers betont.

Zu 3:

Das Bundesministerium für Justiz finanziert die Prozessbegleitung im Wege von rund 50 Opferhilfeeinrichtungen, bei denen zum Teil Opfern muttersprachliche Betreuung angeboten wird. Wo eine solche nicht möglich ist, können fremdsprachliche Opfer im Rahmen der Prozessbegleitung ÜbersetzerInnen in Anspruch nehmen, deren Kosten vom BMJ getragen werden.

Zu 4 und 5:

Um RichterInnen, StaatsanwältInnen und RichteramtsanwärterInnen für kulturell bedingte Phänomene oder Problemlagen zu sensibilisieren, werden seit längerem verstärkt Veranstaltungen zu interkulturellen Themen (darunter beispielsweise auch „Justiz und Islam“) angeboten.

Der Themenkomplex „Grund- und Menschenrechte“ bildet einen Schwerpunkt der Aus- und Fortbildung. RichteramtsanwärterInnen haben im Rahmen der Ausbildung ein zweieinhalbtägiges Grundrechtsmodul zu absolvieren. Im Rahmen des aktuellen Weiterbildungsprogramms 2008/2009 widmen sich 15 Veranstaltungen dieser Materie. Veranstaltungen, die sich ausschließlich mit dem Thema „Zwangsheirat“ beschäftigen wurden bislang nicht durchgeführt.

Zu 6:

Um Opfern unbürokratisch, rasch und wirkungsvoll Unterstützung zu bieten, führt das Bundesministerium für Justiz seit 1. Juli 2007 in Kooperation mit dem Verein Weißer Ring die Gratis-Hotline 0800 112 112. Dieser „Notruf für Opfer“ wird an 365 Tagen von kompetenten Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter betreut. Dadurch werden eine professionelle Beratung durch geschulte ExpertInnen sowie absolute


Anonymität garantiert. Betroffenen soll eine erste kostenlose Beratung und Information geboten werden, an welche im Rahmen der Opferhilfe tätigen Stellen sie sich wenden können.

Dieser Opfernotruf wendet sich in fachkundiger Weise an alle Opfer von Straftaten, somit auch an jene Opfer, die zur Eheschließung (§ 106 Abs. 1 Z 3 StGB) genötigt wurden. Daneben gibt es diverse andere Helplines, die von Organisationen wie etwa der Interventionsstelle oder den Bundesländern betrieben werden.

Zu 7:

Im Jahr 2008 stehen für den Bereich der Opferhilfe insgesamt 4,5 Millionen Euro zur Verfügung. Der Betrag wird voraussichtlich auch zur Gänze aufgebraucht werden. Diese Budgetmittel werden im Wesentlichen für die Prozessbegleitung und für den Betrieb des Opfer-Notrufes verwendet. Daten darüber, wie viel davon Opfern von Zwangsheirat zu Gute kommt, liegen mir nicht vor.

Zu 8:

Bis zum Inkrafttreten des StRÄG 2006 war die Ehenötigung nach § 193 StGB als Privatanklagedelikt ausgestaltet. Ein Verfolgungsrecht kam der Staatsanwaltschaft daher nicht zu.

Wie viele Strafanträge wegen Ehenötigung nach § 106 Abs. 1 Z 3 StGB seit dem 1.7.2006 eingebracht wurden, lässt sich auch durch eine Auswertung aus der Verfahrensautomation Justiz nicht beantworten, weil § 106 Abs. 1 Z 3 StGB mehrere unterschiedliche Tatbilder in sich vereint.

Neben der Ehenötigung werden auch die Nötigung zur Prostitution, zur Mitwirkung an einer pornographischen Darstellung im Sinne des § 215a Abs. 3 StGB und die sonstigen Nötigungen zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung, die besonders wichtige Interessen der genötigten oder einer dritten Person verletzt, von § 106 Abs. 1 Z 3 StGB erfasst.

Diese unterschiedlichen Begehungsweisen werden in der Verfahrensautomation Justiz nur einheitlich erfasst, ein Herausrechnen der Fälle der Ehenötigungen aus allen anderen über die Deliktseintragung nach § 106 Abs. 1 Z 3 StGB erfassten Verfahren ist nicht möglich.

Zu 9:

In der gerichtlichen Kriminalstatistik werden seit 1976 in den Jahren 1983 bis 1986 jeweils eine Verurteilung, im Jahr 2000 drei Verurteilungen und 2006 wiederum eine Verurteilung nach § 193 StGB (Ehetäuschung und Ehenötigung) ausgewiesen.

Eine Aufgliederung dieser Verurteilungszahlen auf die Fälle der Ehetäuschung und jene der Ehenötigung ist nicht möglich.

Auch für den Zeitraum ab 1.7.2006 können die Verurteilungszahlen wegen Ehenötigung nach § 106 Abs. 1 Z 3 StGB nicht ermittelt werden, weil alle Verurteilungen wegen schwerer Nötigung in der gerichtlichen Kriminalstatistik nur gemeinsam erfasst werden.

. August 2008

 

(Dr. Maria Berger)