4768/AB XXIII. GP

Eingelangt am 09.09.2008
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BM für Justiz

Anfragebeantwortung

 

 

 

DIE  BUNDESMINISTERIN
           FÜR  JUSTIZ

BMJ-Pr7000/0154-Pr 1/2008

 

An die

                                      Frau Präsidentin des Nationalrates

                                                                                                                           W i e n

 

zur Zahl 4777/J-NR/2008

 

Die Abgeordnete zum Nationalrat Mag. Brigid Weinzinger, Freundinnen und Freunde haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „der auf Voreingenommenheit der Strafverfolgungsbehörden beruhenden Ermittlungsmängel als Grund für die geringe Verurteilungsquote bei Sexualdelikten“ gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:


Zu 1 und 2:

Statistische Daten, in wie vielen Fällen in den Jahren 2006 und 2007 in Wien wegen des Verdachts einer sexuellen Straftat im Zusammenhang mit der Verabreichung von so genannten „KO-Tropfen“ Anzeige erstattet und eine Hausdurchsuchung durchgeführt wurde, liegen mir nicht vor.

Zu 3:

Bei dem angesprochenen Zwangsmittel handelt es sich im Sinne der StPO um eine „Durchsuchung von Orten“, die grundsätzlich zulässig ist, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sich dort (an diesem Ort) eine Person verbirgt, die einer Straftat verdächtig ist, oder Gegenstände oder Spuren befinden, die sicherzustellen oder auszuwerten sind. Wenn es sich bei dem zu durchsuchenden Ort um eine Wohnung oder einen anderen Ort, der durch das Hausrecht geschützt ist bzw. darin befindliche Gegenstände handelt, bedarf die staatsanwaltschaftliche Anordnung dieser Zwangsmaßnahme einer gerichtlichen Bewilligung (§ 120 Abs. 1 StPO). Bei Gefahr im Verzug ist die Kriminalpolizei allerdings berechtigt, diese Durchsuchung vorläufig ohne Anordnung und Bewilligung vorzunehmen.

Ob im Einzelfall psychovegetative Auffälligkeiten des Opfers die Anordnung einer Hausdurch­suchung zur Auffindung von Beweismaterial (z.B. „KO-Tropfen“) rechtfertigen, wird etwa davon abhängen, ob diese Auffälligkeiten durch dritte Personen bestätigt oder durch eine Harnuntersuchung nachgewiesen werden können. Der zeitliche Abstand zwischen der vermuteten Verabreichung von „KO-Tropfen“ und der Anzeige­erstattung wird ebenso zu berücksichtigen sein wie eine allfällige Beeinträchtigung des Opfers durch erheblichen Alkohol- oder Suchtmittelkonsum.

Zu 4:

Gemäß § 98 Abs. 1 StPO haben Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren soweit wie möglich im Einvernehmen zu führen. Kann ein solches nicht erzielt werden, so hat die Staatsanwaltschaft die erforderlichen Anordnungen zu erteilen, die von der Kriminalpolizei zu befolgen sind (§ 99 Abs. 1). Letztlich ist somit die Staatsanwaltschaft Leiterin des Ermittlungsverfahrens und hat nach Prüfung der Sach- und Rechtslage unter Zugrundelegung der kriminalpolizeilichen Berichte und allenfalls selbst durchgeführter Ermittlungen die erforderlichen Anordnungen zu treffen, um den angezeigten Sachverhalt hinreichend zu klären. Die Anordnung von Zwangsmitteln fällt – sofern nicht Gefahr im Verzug vorliegt – alleine in ihre Zuständigkeit, bedarf jedoch je nach Schwere des Grundrechtseingriffs gegebenenfalls einer gerichtlichen Bewilligung.

Im konkreten Fall wurde der Beschuldigte auf Grund der aus dem Akt ersichtlichen umfangreichen Erhebungen der Kriminalpolizei ausgeforscht und noch am selben Tag nach Durchführung einer Wahlkonfrontation, bei der ihn das Opfer wieder erkannt hat, als Beschuldigter einvernommen. Im unmittelbaren Anschluss an die Vernehmung wurde in seinem Beisein eine freiwillige Nachschau an seinem Wohnort (dem Tatort) durchgeführt. Dabei wurden sämtliche vorgefundenen Medikamente dokumentiert. Der Sinn einer zusätzlichen Hausdurchsuchung lässt sich nicht erschließen, zumal sich dieser von der freiwilligen Nachschau lediglich durch die gerichtliche Anordnung der Zwangsmaßnahme unterscheidet.

Im Übrigen ersuche ich um Verständnis, dass ich keine Details zu einzelnen Beweisergebnissen oder dem Inhalt von Zeugenaussagen in einem konkreten Strafverfahren bekannt geben kann. Zusammenfassend ist jedoch festzuhalten, dass die der Anfrage zugrunde gelegten Annahmen keine Deckung im Akteninhalt finden, sondern eine subjektive Interpretation des Akteninhalts darstellen.

Anzumerken ist weiters, dass bei der Staatsanwaltschaft Wien die Bearbeitung von Sexualstrafsachen und Strafsachen wegen Gewalt im sozialen Nahraum eigenen Abteilungen zugewiesen ist, die von speziell ausgebildeten Staatsanwältinnen und Staatsanwälten geleitet werden. Für alle mit diesen Strafsachen befassten Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sowie Richterinnen und Richter wurden und werden ständig besondere Fortbildungsmaßnahmen angeboten.

Zu 5:

Bei der freiwilligen Nachschau wurden neben anderen Medikamenten in Tabletten­form lediglich „Chinesische Zahntropfen“ vorgefunden. Hinweise darauf, dass es sich dabei um „KO-Tropfen“ handelte, lagen offenkundig nicht vor. Sollte es sich – entgegen  allen  übrigen Beweisergebnissen – bei diesen Tropfen tatsächlich um „KO-Tropfen“ gehan­delt haben, so wäre eine spätere Hausdurchsuchung wohl ins Leere gegangen, zumal der entsprechende Polizeibericht über die freiwillige Nachschau erst eine Woche danach dem zuständigen Staatsanwalt vorgelegt wurde.

Zu 6:

Eine generelle Blutabnahme bei potentiellen Opfern von Sexualdelikten ist gesetzlich nicht vorgesehen und würde einen nicht zu vertretenden Grundrechtseingriff darstellen.

Zwar dürfen grundsätzlich Personsdurchsuchungen und körperliche Untersuchungen auch gegenüber Tatopfern durchgeführt werden. So kann der unbekleidete Körper eines Opfers zum Zweck der Besichtigung von Verletzungen (z. B. Bluterguss im Gesäßbereich) einer „Durchsuchung“ zugeführt werden (§ 119 Abs. 2 Z 3 StPO). Eine körperliche Untersuchung ist gem. § 123 Abs. 1 Z 1 StPO insbesondere dann zulässig, wenn anzunehmen ist, dass eine Person Spuren hinterlassen hat, die für die Aufklärung einer Straftat wesentlich sind (z.B. Spermaspuren im Vaginalbereich). Die Kriminalpolizei kann diese Befugnisse jedoch niemals gegen den Willen des Opfers ausüben. Bei der Personsdurchsuchung ergibt sich dieses Verbot ausdrücklich aus §§ 120 Abs. 1 letzter Satz, 121 Abs. 1 letzter Satz StPO; bei der körperlichen Untersuchung aus der Verweisungsbestimmung des § 123 Abs. 5 letzter Satz StPO. Es ist jedoch zulässig, dass die Kriminalpolizei Spuren eines Sexualdelikts, die von einem Arzt nach erfolgter (freiwilliger!) Untersuchung des Opfers übergeben werden, unter Berufung auf § 124 Abs. 2 StPO aus eigenem untersuchen lässt, solange kein bestimmter Beschuldigter bekannt ist, weil es sich dabei um biologische (Tatort)Spuren handelt.

Die konkrete Entscheidung, welche Untersuchungen durchgeführt werden bzw. ob ein Sachverständiger mit der Untersuchung von Harn- oder Blutproben betraut wird, liegt letztlich bei der zuständigen Staatsanwaltschaft.

Liegt die Zustimmung und Mitwirkungsbereitschaft des Opfers vor, so ergibt sich – aus den mir vorgelegten Berichten der Staatsanwaltschaften – folgende grundsätzliche Vorgangsweise in Verdachtsfällen der Verabreichung bewusstseins­beeinträchtigender Substanzen an das Opfer einer sexuellen Gewalttat: Im Falle der Anzeigeerstattung innerhalb weniger Tage nach der Tat wird eine gynäkologische Untersuchung vorgenommen, die auch eine Untersuchung von Blut und Harn zur Abklärung der Verdachtslage und die darauf abzielende Begutachtung durch einen Sachverständigen umfasst. Wenn in Anbetracht der seit der Tat verstrichenen Zeit Zweifel an der Nachweisbarkeit bewusstseinsbeeinträchtigender Substanzen be­stehen, wird mit dem gerichts­medizinischen Sachverständigen vorweg abzuklären versucht, ob der in Aussicht genommene Nach­weis noch möglich ist.

Im konkret angesprochenen Fall wurde mit dem Opfer im Krankenhaus das „Spurensicherungsset Sexualdelikte“ angefertigt und vom Gericht eine Untersuchung des Blutes des Opfers auf Vorhandensein von Spuren von „GHB“ bzw. anderer chemischer Substanzen, die „KO-Tropfen“ ähnlich sind, in Auftrag gegeben. Die Abgabe einer Harnprobe ist aus dem Akt nicht ersichtlich.

Zu 7:

Mit derartigen Untersuchungen wird regelmäßig das gerichtsmedizinische Departement der Universität Wien beauftragt. Zur massenspektrometrischen Untersuchung von Blutproben wird vom genannten Departement regelmäßig die ARC Seibersdorf Research GmbH beigezogen, weil diese Einrichtung über die nötigen Instrumente und über die notwendige Erfahrung verfügt. Für die Staatsanwaltschaft Wien besteht kein Grund zur Annahme, dass die beiden genannten Einrichtungen und die bei ihnen beschäftigten, gerichtlich beeideten Sachverständigen nicht die notwendige Erfahrung bei der Untersuchung von Sexual­delikten besitzen.

Zu 8 und 9:

Diese Fragen fallen – soweit sie sich auf medizinische Aspekte der Blutuntersuchung beziehen – nicht in meinen Vollziehungsbereich.

Der in § 14 StPO formulierte Grundsatz der freien Beweiswürdigung besagt, dass das Gericht die Frage, ob Tatsachen als erwiesen festzustellen sind, auf Grund der Beweise nach freier Überzeugung zu entscheiden hat; dies jedoch im Zweifel stets zu Gunsten des Angeklagten oder des sonst in seinen Rechten Betroffenen. Dieser Grundsatz ist insoweit auch für die Staatsanwaltschaft anzuwenden, als diese zwar selbstverständlich im Rahmen des Ermittlungsverfahrens auf eine möglichst vollständige Klärung des Sachverhalts – bei Grundrechtseingriffen stets unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes – hinzuwirken hat, jedoch schließlich nur dann Anklage einbringen darf, wenn auf Grund ausreichend geklärten Sachverhalts eine Verurteilung nahe liegt und kein Grund für die Einstellung des Verfahrens oder den Rücktritt von Verfolgung vorliegt.

Zu 10:

Die Strafprozessordnung sieht die Bestellung von Sachverständigen gerade für den Fall vor, dass für Ermittlungen besonderes Fachwissen erforderlich ist. Die im Akt befindlichen zahlreichen Unterlagen über „GHB“ wurden vom Staatsanwalt bei seiner Entscheidungsfindung ebenso berück­sichtigt, wie die Tatsache, dass nach dem Inhalt des gerichtsmedizinischen Sachver­ständigengutachtens im Blut des Opfers keine Spuren von „GHB“ oder anderer vergleichbarer Substanzen gefunden wurden.

Zu 11:

Bezogen auf die Beweislage des konkreten Einzelfalls ist die Frage jedenfalls mit ja zu beantworten. Eine Anklageerhebung wäre nach dem von mir eingeholten Bericht nach der vorliegenden Beweislage in rechtsstaatlicher Hinsicht nicht zu vertreten gewesen. Im Übrigen verweise ich auf meine Beantwortung der Fragen 8 und 9.

Zu 12 und 14:

Ein konkretes Eingehen auf die in der Frage erwähnten Salzburger Fälle ist mir nicht möglich, weil der Staatsanwaltschaft Salzburg mangels hinreichender Anhaltspunkte die angesprochenen Fälle nur mittels Durchsicht sämtlicher in den Jahren 2004 bis 2006 in den für Sexualstrafsachen zuständigen Referaten angefallenen Akten hätte erheben können. Dies war mit vertretbarem Arbeitsaufwand nicht zu bewerkstelligen.

Auch die Frage nach einer „üblichen Praxis bei Verdacht bewusstseins­beein­trächtigender Substanzen“ kann in dieser allgemein gehaltenen Form nicht be­ant­wortet werden, weil es weder nach dem Gesetz, noch nach kriminalistischem Erkenntnisstand eine „einheitlich geübte“ Praxis gibt. Der konkrete Ermittlungsansatz hängt vom jeweiligen Tatgeschehen und den Tatumständen ab. Die Beiziehung eines psychologischen Sachverständigen empfiehlt sich in Fällen, in denen ein der­artiges Gutachten andere Beweisergebnisse zu untermauern vermag.

Im konkreten Fall hätte die Beiziehung eines psychologischen Sachverständigen nach den Erfahrungswerten der Staatsanwaltschaft Wien zu Gunsten des Opfers bestenfalls ergeben, dass die vom Opfer angegebenen Symptome durch die Verab­reichung von „KO-Tropfen“ erklärt werden können. Da diese „Möglichkeit“ vor dem Hintergrund der übrigen Beweise einen Schuldspruch jedoch auch nicht annähernd wahrscheinlicher gemacht hätte, wurde ein solches Gutachten nicht eingeholt.

Zu 13:

Der zuständige Staatsanwalt berücksichtigte unter anderem genau jene Punkte bei seiner Entscheidung, die in der ersten Frage angeführt werden. So wurde auch das Motiv des Opfers für die Erstattung der Anzeige überprüft. In Partnerschaft lebenden Frauen wird ebenso wenig wie anderen Personen ein Motiv für eine „Falschanzeige“ unterstellt.

Zu 15:

Weitere Ermittlungshandlungen – neben der dreimaligen Vernehmung des Opfers, dreier Zeugen (zum Teil zweimal) und des Beschuldigten, weiters der Einholung eines chemischen sowie eines molekular­biologischen Gutachtens, einer freiwilligen Nachschau sowie der Durchsicht der vom Opfer und ihrem Ehemann beigebrachten ausführlichen Unterlagen – waren nach den mir vorliegenden Informationen nicht angezeigt.

Die der Frage zu Grunde gelegte Annahme, dass die Angaben des Tatverdächtigen in „offenkundigem Widerspruch zu anderen Zeugenaussagen oder im Akt befindlichen Wohnsitzangaben“ stehen, entspricht in dieser verallgemeinernden Form nicht der Aktenlage. Als einziger Widerspruch blieb die Frage, ob der Beschuldigte dem Opfer „KO-Tropfen“ verabreichte und/oder ob das Opfer mit dem Beschuldigten freiwilligen Sexualkontakt hatte. Hier stehen die diesbezügliche Vermutung des Opfers über die Verabreichung von „KO-Tropfen“ und seine Angaben, keinesfalls freiwillig mit dem Beschuldigten sexuellen Kontakt gehabt zu haben, der anderslautenden Verant­wortung des Beschuldigten gegenüber, wobei weitere, objektive Ermittlungsansätze nicht vorhanden waren.

Zu 16:

Die konkrete Ausgestaltung des Büros war wiederum nicht so beschaffen, dass der Schluss nahe gelegen wäre, es handle sich bloß um eine Tarnung einer ausschließlich zum Zwecke der Begehung von Sexual­straftaten bestimmten Räumlichkeit. Da auf Basis der vorliegenden Beweisergebnisse im Zweifel eine Tathandlung durch den Beschuldigten nicht erwiesen werden konnte, waren die näheren Umstände der Anmietung seines Büros ohne Relevanz. Die zweite Frage ist jedenfalls mit nein zu beantworten und unterstellt ein amtsmissbräuch­liches Verhalten des zuständigen Staatsanwaltes, für das es keinerlei Anhaltspunkt gibt.

Zu 17:

Nach dem mir vorliegenden Bericht ist diese Frage zu verneinen.

Zu 18:

Für die Beurteilung der Täterpersönlichkeit eines Beschuldigten wegen strafbarer Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung sind einschlägige Vormerkungen in den polizeilichen Datenbanken grundsätzlich von Relevanz. Der­artige Informationen sind den polizeilichen Anzeigen in aller Regel angeschlossen. Darüber hinaus werden von den Kanzleien der Staatsanwaltschaften im Zuge der Vorlage von Anzeigen an den jeweiligen Sachbearbeiter Registerauszüge ange­schlossen, aus denen allfällige frühere Anzeigen gegen den Beschuldigten ersichtlich sind. Zu beachten ist jedoch, dass das Wissen über polizeiinterne Vormerkungen eines Tatverdächtigen zwar ein gewisses Indiz für seine allfällige Täterschaft darstellt, jedoch eine endgültige Beurteilung der Verdachtslage bzw. der Tatfrage selbstverständlich nicht von diesen Umständen allein abhängig gemacht werden kann, zumal diese Vormerkungen nur bedingte Aussagekraft haben. So bleiben etwa auch klar widerlegte Anzeigen mitunter gespeichert.

Im konkreten Einzelfall lagen jedoch keine solchen Vormerkungen vor; dies bedeutet, dass der Beschuldigte noch nie erkennungsdienstlich oder durch Abnahme seiner DNA behandelt wurde.

Zu 19:

Staatsanwaltschaft und Gericht werden von der im Dienst der Strafjustiz tätigen Kriminal­polizei in aller Regel informiert, wenn wegen eines Sexualdelikts Tatver­dächtiger bereits wegen eines einschlägigen Delikts im „kriminalpolizeilichen Akten­index“ bzw. in der „erkennungsdienstlichen Evidenz“ vorgemerkt ist. Dies geschieht durch Anschluss eines Auszuges aus dem „kriminalpolizeilichen Aktenindex“ bzw. durch entsprechenden Hinweis in der Anzeige, dass der Tatverdächtige in der „erkennungsdienstlichen Evidenz“ bereits vorgemerkt ist. Liegen keine Vormer­kungen vor, so ist dies auf Grund eines entsprechenden Vermerks im Personalblatt des Beschuldigten ausdrücklich angeführt. Da Eintragungen im kriminal­polizeilichen Aktenindex zu löschen sind, wenn die zugrundeliegenden Eintragungen zu einer Einstellung des Verfahrens oder einem Freispruch durch das Gericht geführt haben, wird eine Abklärung allfälliger früherer Anzeigen gegen den Beschuldigten anhand des Verfahrensregisters der Staatsanwaltschaft vorge­nommen.

Zu 20:

Die Staatsanwalt­schaft bzw. das Gericht wird von der Kriminalpolizei über die Vornahme einer erkennungsdienstlichen Behandlung eines Tatverdächtigen, insbesondere über die Abnahme eines Mundhöhlenabstrichs, in dokumentierter Form informiert. In der Regel ist dies in der Anzeige schriftlich festgehalten. Das Fehlen einer solchen Information lässt in der Regel darauf schließen, dass keine erkennungsdienstliche Behandlung vorgenommen wurde.

Zu 21:

Diese Frage geht von Annahmen aus, die mit dem Akteninhalt im Widerspruch stehen. Im konkreten Fall wurden beim Beschuldigten am Tag seiner Ausforschung DNA-Spuren abgenommen und das sodann erstellte Profil später vom Departement für Gerichtliche Medizin der Universität Wien an die DNA-Datenbank übermittelt. Entgegen der Fragestellung gab es kein früheres DNA-Profil des Beschuldigten.

Zu 22:

Die in der Frage zitierte Begründung stellt nur einen Teil der Einstellungsbegründung dar. Auch in der an das Opfer gerichteten schriftlichen Erläuterung der Verfahrens­einstellung wurde an erster Stelle darauf hingewiesen, dass kein objektives Beweis­mittel dafür vorliegt, ob der Sexualverkehr freiwillig erfolgte oder durch Verwendung von „KO-Tropfen“.

Zu 23:

Aus der ausführlichen Einstellungsbegründung, die im Tagebuch festgehalten ist, ergibt sich, dass der zuständige Staatsanwalt seine Entscheidung nach ausführlichem Aktenstudium getroffen hat, weil die den Be­schuldigten belastenden und entlastenden Beweisergebnisse detailliert angeführt werden. Das Studium sämtlicher Vernehmungsprotokolle und der Ein­gaben des Opfers (und dessen Ehegatten) lässt gerade dann keinen Raum für eine weitere Vernehmung, wenn sich daraus keine weiteren Beweisergebnisse bzw. Ermittlungs­ansätze gewinnen lassen.

Zu 24:

Nach dem Akteninhalt lassen die Zeugenaussagen gerade keinen sicheren Schluss über das Vorliegen psychovegetativer Auffälligkeiten des Opfers zu (siehe auch meine Antwort zu Frage 15). Die (ohnehin notorische) Wirkung psychotroper Substanzen war indes nicht das für die Ermittlungen relevante Beweisthema, sondern vielmehr, ob dem Opfer überhaupt eine solche Substanz verabreicht wurde. Dies konnte – wie bereits dargestellt – mit der für eine Anklage­erhebung ausreichenden Sicherheit nicht nachgewiesen werden.

Zu 25:

Nein, die mir vorliegenden Unterlagen lassen diesen Schluss keineswegs zu.

Zu 26:

Die Einstellung des Verfahrens wurde weder aktenwidrig noch ausschließlich auf Grund des „nicht erbrachten Beweises“ (womit offenbar das negative Auswertungsergebnis der Blutuntersuchung gemeint sein dürfte) begründet. Es ist auch kein Grund ersichtlich, warum die Kriminalpolizei – wie in der Frage unterstellt – eine Anklageerhebung hätte vermeiden wollen. Alleine die umfangreichen Erhebungen, die schlussendlich zur Ausforschung des Beschuldigten führten, belegen das Bemühen der Kriminalpolizei, den Fall aufzuklären.

Zu 27:

Nach Verständigung des Opfers und seiner Rechtsanwältin von der Einstellung des Verfahrens und einer ausführlicheren schriftlichen Begründung an die genannte Rechtsanwältin langte rund ein dreiviertel Jahr später ein Schreiben des Opfers bei der Staatsanwaltschaft Wien ein, in dem dieses im Wesentlichen seine bisherigen Angaben wiederholte. Dem Schreiben war nicht zu entnehmen, welche neuen Beweise nunmehr vorliegen sollten. Mangels Gründe für die Wiederaufnahme des Verfahrens war das Schreiben ohne weitere prozedurale Veranlassungen zum Akt zu nehmen.

Grundsätzlich achtet das Bundesministerium für Justiz darauf, dass Eingaben an Justizdienststellen beantwortet werden.

Zu 28:

Zur Objektivierung des Verdachts, ob die – die erste Vernehmung des Opfers durch­führende – Polizeibeamtin den Satz „Das Ganze war vielleicht auch freiwillig.“ nach­träglich in die Niederschrift eingefügt habe, gibt es – abgesehen von der Ver­nehmung der diesbezüglich Beschuldigten – keine weiteren Möglichkeiten. Dass das Opfer in seinen späteren Vernehmungen und schriftlichen Eingaben bestritt, diesen Satz ge­sagt zu haben, war der Staatsanwaltschaft aber bereits bekannt und fand Berücksichtigung. Damit stand jedoch Aus­sage gegen Aussage, wobei ein plausibles Motiv der vernehmenden Beamtin für eine solche, noch dazu strafrechtlich sanktionierte Handlung nicht erkennbar war.

Zu 29:

Eine Vernehmung von Zeugen (Opfern) und Beschuldigten durch eine Staatsanwältin oder einen Staatsanwalt ist erst seit dem In-Kraft-Treten der Strafprozessreform mit 1. Jänner 2008 möglich. Vor diesem Zeitpunkt hatte die Staatsanwaltschaft zur Überprüfung bzw. Konkretisierung einer bereits bei der Kriminalpolizei durchgeführten Einvernahme die gerichtliche Vernehmung im Rahmen von Vorerhebungen zu beantragen.

Seit dem In-Kraft-Treten der Strafprozessreform mit 1. Jänner 2008 steht nämlich der Staatsanwaltschaft die fachliche Aufsicht über die Kriminalpolizei bei der Erfüllung ihrer Aufgaben im Bereich der Strafprozessordnung zu. Durch die in § 100 StPO festgelegten Berichtspflichten, die sowohl inhaltlich wie auch im Hinblick auf Frequenz und längstmögliche Dauer zwischen der Berichterstattung genau determiniert sind, ist es der Staatsanwaltschaft seit Beginn des heurigen Jahres grundsätzlich leichter möglich, kriminalpolizeiliches Handeln zu kontrollieren und zu beurteilen. Zur Nachvollziehbarkeit des Ermittlungsverfahrens muss die Kriminalpolizei ihre Tätigkeiten aktenmäßig festhalten, Zwangsmaßnahmen und andere Eingriffe begründen und der Staatsanwaltschaft schriftlich oder elektronisch Bericht erstatten, wobei der Grundsatz der Aktenvollständigkeit gilt, d.h. dass es der Kriminalpolizei verwehrt wäre, Aktenteile zurückzubehalten.

Zwar kann auch trotz dieser Bestimmungen ein allenfalls einseitiges oder tendenziöses Verhalten einzelner Organe der Kriminalpolizei nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Individuelles Fehlverhalten kann jedoch durch die verstärkte Kontrolle des Gerichts über die staatsanwaltschaftlichen und kriminalpolizeilichen Ermittlungen rascher aufgedeckt werden. Dennoch kann ein Verfahren, dass auf die Zusammenarbeit zwischen Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft aufgebaut ist, nicht von gegenseitigem Misstrauen geprägt sein. Trotz der erforderlichen kritischen Distanz zu den Ermittlungsergebnissen und der unbedingten Pflicht der Staatsanwaltschaft, die Berichte der Kriminalpolizei zu prüfen, muss grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass die Ermittlungen korrekt geführt wurden. Sollten sich jedoch auch nur geringste Anhaltspunkte oder gar eine Verdachtslage dahingehend ergeben, dass tendenziös oder gar amtsmissbräuchlich ermittelt bzw. Sachverhalte falsch dargestellt wurden, sind selbstverständlich ehest möglich entsprechende Ermittlungen zur Klärung des tatsächlichen Sachverhalts anzustellen und gegebenenfalls – neben der in die Zuständigkeit des Bundesministers für Inneres fallenden Dienstaufsicht – auch Strafverfahren gegen die einschreitenden BeamtInnen einzuleiten.

Seit dem In-Kraft-Treten der Strafprozessreform sind Opfer (§ 65) und andere Personen, die an der Strafverfolgung sonst ein rechtliches Interesse haben könnten, berechtigt, die Fortführung eines nach den §§ 190 bis 192 (ihrer Meinung nach zu früh oder zu Unrecht) beendeten Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft zu begehren, wenn die Voraussetzungen für eine Beendigung des Verfahrens nicht vorlagen oder neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht werden, die für sich allein oder im Zusammenhalt mit übrigen Verfahrensergebnissen geeignet erscheinen, die Bestrafung des Beschuldigten oder ein Vorgehen nach dem 11. Hauptstück zu begründen.

Zu 30:

Ein sorgloser Umgang der Staatsanwaltschaft bei der Bearbeitung der gegenständ­lichen Anzeige ist nicht festzustellen. Zu einer neuerlichen Überprüfung der dieser Anfrage zu Grunde liegenden Verfahren besteht daher aus Sicht der zuständigen Fachabteilung im Bundesministerium für Justiz kein Anlass.

. September 2008

 

(Dr. Maria Berger)