4805/AB XXIII. GP

Eingelangt am 11.09.2008
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BM für Justiz

Anfragebeantwortung

 

 

 

DIE  BUNDESMINISTERIN FÜR  JUSTIZ

BMJ-Pr7000/0161-Pr 1/2008

 

An die

                                      Frau Präsidentin des Nationalrates

                                                                                                                           W i e n

 

zur Zahl 4838/J-NR/2008

 

Der Abgeordnete zum Nationalrat Mag. Dr. Martin Graf und weitere Abgeordnete haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Verhandlungspraxis der Geschäftsabteilung 7 des Landesgerichts Korneuburg“ gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Zu 1:

Aus der Verfahrensautomation Justiz ergibt sich vom 1. Jänner 2003 bis zum 29. Juli 2008 nachstehender Anfall an Sozialrechtssachen in der Geschäftsabteilung 7 des Landesgerichtes Korneuburg:

2003: 208
2004: 440
2005: 399
2006: 358
2007: 406
2008: 232 (bis 29. Juli 2008).

Zu 2 bis 7 und 9:

Wiewohl eine Richterin oder ein Richter, die/der die Uhrzeit für den Beginn einer Verhandlung festsetzt und der Gerichtskanzlei den Auftrag gibt, ein „voraussichtliches Ende“ in die Ladung zu schreiben, ebenso in Ausübung des richterlichen Amtes (Art. 87 Abs. 1 B-VG) handelt wie bei der Abwicklung der Verhandlung und bei der Entscheidung, welche Zeitspanne für ihre Dauer ausreicht, und dies daher keinen „Gegenstand der Vollziehung“ betrifft (Art. 52 Abs. 1 B‑VG; vgl. Mayer, B‑VG4 Art. 52 B‑VG II.1. a.E.), kann ich zum aufgeworfenen Thema folgende Informationen geben:

Es ist Aufgabe der Richterinnen und Richter, unter Beachtung des für die einzelne Tagsatzung vorgesehenen Prozessprogramms die voraussichtliche Dauer abzuschätzen. Für eine Tagsatzung kann nach dem Prozessprogramm im Einzelfall auch bloß die Abklärung vorgesehen sein, ob sich die beklagte Partei in den Streit einlässt oder ob sie Prozesseinreden erhebt; es steht einer Richterin oder einem Richter im Rahmen der Prozessleitung frei, ob angesichts des Prozessstandes nur Vergleichsmöglichkeiten ausgelotet oder die Notwendigkeit weiterer Sachverständigengutachten erhoben werden oder ob Teile oder das gesamte Beweisverfahren in dieser Tagsatzung durchgeführt werden sollen.

Darüber hinaus nehmen die Richterinnen und Richter aber auch auf die zur Verfügung stehenden Ressourcen (Zeit, Verhandlungssäle, Sachverständige, …) Bedacht. Daher kann insbesondere dann, wenn Erfahrungswerte über das Ausfallen eines bestimmten Prozentsatzes an Tagsatzungen oder über die vorzeitige Beendigung durch Nichterscheinen, über die Notwendigkeit der Vertagung oder über einen Vergleich bestehen, eine gedrängte oder überlappende Ausschreibung geboten sein, um Verhandlungslücken zu vermeiden. Dadurch gleichen sich über den Verhandlungstag Tagsatzungen, die kürzer als vorausgesehen dauern, und Tagsatzungen, die länger als vorausgesehen dauern, aus. Sollte – nach Auffassung einer Prozesspartei – die Dauer einer Tagsatzung im Einzelfall die erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Streitsache oder die Wahrung des rechtlichen Gehörs verhindern, so kann sie dies spätestens mit einem Rechtsmittel an die nächsthöhere Instanz geltend machen.

Die in der Ausschreibung einer Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung und damit auch in den an die Parteien, Zeugen, Sachverständigen und anderen Prozessbeteiligten ergehenden Ladungen angegebene Dauer ist ausdrücklich als "voraussichtlich" bezeichnet. Sie dient daher nur zur Orientierung und soll im Sinn einer kundenfreundlichen Justiz den Parteien und Parteienvertretern Dispositionen erleichtern. Dabei bemühen sich die Richterinnen und Richter, die Dauer der Tagsatzung durch entsprechende Verhandlungsführung diesen Orientierungswerten anzunähern.

Wie dem Bundesministerium für Justiz berichtet wurde, entspricht es in Sozialrechtssachen der Erfahrung der Richterinnen und Richter, dass im Durchschnitt die einzelnen Verhandlungen – vor allem mit Rücksicht auf jene Verhandlungen, die unbesucht bleiben – rund fünf bis zehn Minuten dauern, weil für etliche Verhandlungen weit weniger, für manche aber mehr Zeit in Anspruch genommen wird.

Dennoch stieß in der Vergangenheit die Praxis auf Kritik, in der Ladung eine voraussichtliche Dauer von nur zehn oder fünf Minuten anzugeben, weil diese Mitteilung im Vorfeld als Botschaft verstanden wurde, das Gericht erübrige jedenfalls nicht mehr Zeit für das Verfahren. Dass bei tatsächlichem Bedarf die Zeit auch zur Verfügung stand, weil die angegebene voraussichtliche Dauer nur auf der Erfahrung mit Durchschnittswerten beruhte, konnte – wie kritisiert wurde – den schon entstandenen Eindruck nicht beseitigen, dass die voraussichtlich angegebene Dauer eine Obergrenze sei.

Dieser Kritik Rechnung tragend ging das Gericht offenbar dazu über, einen längeren Zeitraum als voraussichtliche Dauer in die Ladungen aufzunehmen, die Beginnzeiten jedoch in kürzeren – den Erfahrungen entsprechenden – Abständen festzulegen. Damit wird einerseits nicht der Eindruck erweckt, das Gericht setze sich selbst und die Parteien unter Zeitdruck, andererseits organisiert das Gericht den Verhandlungstag so, dass die Ressourcen gut ausgelastet sind und an einem Tag ausreichend viele Verhandlungen stattfinden können, was die Verfahrensdauer insgesamt verkürzt, weil sonst in mehreren Verfahren die Verhandlungen an einen späteren Tag stattfinden müssten.

An der Übung, dass im konkreten Fall bei Bedarf die voraussichtliche Dauer nicht als starre Obergrenze angesehen wird, sondern dass jeweils ausreichend Zeit zur Verfügung gestellt wird, ändert das nichts; dem Bundesministerium für Justiz sind auch keine konkreten Beschwerden bekannt geworden, wonach in bestimmten Verfahren zu wenig Zeit zur Verfügung gestanden wäre.

So weit das Bundesministerium für Justiz die Lage überlickt, entspricht die dargestellte Praxis auch der Übung anderer Gerichtshöfe in Sozialrechtssachen.

Zu 8:

In den für die Abfassung von Verhandlungsprotokollen zur Verfügung gestellten Formularen ist neben dem tatsächlichen Beginn und dem tatsächlichen Ende der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung auch eine Rubrik für die Dauer der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vorgesehen. In dieser Rubrik wird lediglich die für die Berechnung der ersatzfähigen Vertretungskosten maßgebliche Dauer der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vermerkt. Es entspricht dabei langjähriger Gerichtsübung, die auf der Grundlage früherer Rechtsanwaltstarife entstanden ist, diese Dauer bereits in (angefangenen) halben Stunden anzugeben, auch wenn nach dem derzeit geltenden Rechtsanwaltstarifgesetz die (angefangenen) ganzen Stunden maßgeblich sind; diese lassen sich aber auch aus der Angabe in "Halben" problemlos ersehen. Die für die Parteien und Zeugen maßgeblichen Zeiten ihrer Anwesenheit bei Gericht werden hingegen - soweit dies notwendig ist - direkt auf deren Ladungsformularen vermerkt.

 

. September 2008

 

(Dr. Maria Berger)