492/AB XXIII. GP

Eingelangt am 07.05.2007
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BM für Justiz

Anfragebeantwortung

DIE  BUNDESMINISTERIN
           FÜR  JUSTIZ

BMJ-Pr7000/0025-Pr 1/2007

 

An die

                                      Frau Präsidentin des Nationalrates

                                                                                                                           W i e n

 

zur Zahl 467/J-NR/2007

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Werner Neubauer, Dr. Peter Fichtenbauer und Kollegen haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Missstände in der Justizverwaltung rund um die Libro-Causa“ gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Zu 1 bis  4:

Der Präsident des Landesgerichtes Wiener Neustadt hat nach den mir vorliegenden Berichten sämtlichen schriftlichen Anträgen der Prozessbeteiligten auf Einsichtnahme im Verfahren 46 Hv 9/05d des Landesgerichtes Wiener Neustadt („Libro-Causa“) in die im Präsidium des Landesgerichtes Wiener Neustadt aufliegende Schöffendienstliste umgehend entsprochen.

Schriftliche Anträge von Prozessbeteiligten, die an den Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien gerichtet waren, wurden an den Präsidenten des Landesgerichtes Wiener Neustadt mit dem Ersuchen um Entsprechung weitergeleitet. Auch diesen Anträgen hat der Präsident des Landesgerichtes umgehend entsprochen.

Sämtliche schriftliche Anträge von Prozessbeteiligten auf Einsicht in die Schöffendienstliste des Landesgerichtes Wiener Neustadt wurden erst unmittelbar vor Ende der bis 1. Februar 2007 laufenden Rechtsmittelfrist gestellt; der Präsident des Landesgerichtes hat diese Anträge noch vor dem Ende der Rechtsmittelfrist positiv erledigt.

Auch aus dem Schreiben von Mag. M. L. vom 27. September 2006 ergaben sich keine konkreten Anhaltspunkte für eine im Rahmen der Dienstaufsicht des Bundesministeriums für Justiz wahrzunehmende Verweigerung der Einsichtnahme in die Schöffenliste durch den Präsidenten des Landesgerichtes Wiener Neustadt. Dem Herrn Präsidenten wurde  vom Bundesministerium für Justiz – unter Beachtung der richterlichen Unabhängigkeit – aufgetragen, das Beschwerdevorbringen, primär die lange Dauer der Protokoll- und Urteilsausfertigung, zu prüfen, dem Einschreiter zu antworten und darüber zu berichten. In weiterer Folge legte der Präsident des Landesgerichtes Wiener Neustadt sein Antwortschreiben an Mag. M. L. vor, aus dem hervorging, dass das Urteil und die Verhandlungsprotokolle mittlerweile abgefertigt worden waren. Ein Anlass für darüber hinausgehende dienstaufsichtsbehördliche Maßnahmen bestand daher nicht.

Zu 5 bis 7:

Die vorsitzende Richterin im Verfahren 46 Hv 9/05d des Landesgerichtes Wiener Neustadt verfügte die Ladung der Schöffen laut Dienstliste; tatsächlich wurden von der zuständigen Leiterin der Geschäftsabteilung nur die Schöffen Nr. 136, 137, 138 und 140 geladen. Es kann heute nicht mehr nachvollzogen werden, ob die Ladung des Schöffen Nr. 139 aus einem Versehen der Leiterin der Geschäftsabteilung oder einer – allenfalls zuvor telefonisch mitgeteilten – Bekanntgabe einer Verhinderung dieses Schöffen unterblieben ist.

Zu 8 bis 11:

Die Vorsitzende des Verfahrens 46 Hv 9/05d des Landesgerichtes Wiener Neustadt wurde mit der Behauptung ihrer Befangenheit abgelehnt. Der Präsident des Landesgerichtes Wiener Neustadt wies diesen Antrag mit Beschluss vom 22. Jänner 2007 ab. Es handelte sich dabei nicht um eine Justizverwaltungsentscheidung, sondern um die Entscheidung eines nach Art. 87 Abs. 1 B-VG unabhängigen Richters.

Zu 12:

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Republik Österreich weder im Zusammenhang mit dem Verfahren gegen Verantwortliche des Unternehmens LIBRO noch in einem allfälligen Beschwerdeverfahren BNr 5711/07 nach Artikel 49 Absatz 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes, BGBl III Nr. 13/2000 idF III Nr. 19/2007 befasst. Es ist daher nicht bekannt, ob ein formelles Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer allfälligen Beschwerde eingeleitet worden ist.

Zu 13 und 14:

Nach § 72 Abs. 1 StPO kann – unter anderem der Staatsanwalt – über die Verpflichtung der betroffenen Gerichtspersonen zur Ausschließungsanzeige hinaus – Mitglieder des Gerichtshofs oder Protokollführer ablehnen, wenn er Gründe anzugeben und darzutun vermag, die geeignet sind, die volle Unbefangenheit des Abzulehnenden in Zweifel zu setzen. Nach § 29 Abs. 1 StAG kann das Bundesministerium für Justiz der zuständigen Oberstaatsanwaltschaft diesbezüglich grundsätzlich eine Weisung erteilen.

Das Bundesministerium für Justiz kann darüber hinaus gemäß § 33 Abs. 2 StPO auch bei der Generalprokuratur anregen, gegen Urteile der Strafgerichte, die auf einer Verletzung oder unrichtigen Anwendung des Gesetzes beruhen, sowie gegen jeden gesetzwidrigen Beschluss oder Vorgang eines Strafgerichts, von denen es Kenntnis erlangt, eine Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zu erheben.

Nach den mir vorliegenden Informationen haben die im Verfahren 46 Hv 9/05d des Landesgerichtes Wiener Neustadt Angeklagten A. M. R. und Rechtsanwalt Mag. M. L. gegen das Urteil des genannten Gerichtes vom 12. Mai 2006 (in Ansehung der Schuldsprüche) fristgerecht Nichtigkeitsbeschwerde an den Obersten Gerichtshof eingebracht, wobei auch die in der Anfrage angesprochenen Themen releviert wurden.

Der Mitangeklagte, Rechtsanwalt Dr. G. E., gegen den derzeit das Verfahren zu 46 Hv 48/06s des Landesgerichtes Wiener Neustadt im Hauptverhandlungsstadium anhängig ist, hat in einer von seinem Verteidiger verfassten und an die Generalprokuratur gerichteten Anregung einer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes ebenso die seiner Ansicht nach vorliegende Befangenheit der Verhandlungsrichter moniert.

Schon im Hinblick auf die Befassung des Obersten Gerichtshof sowie der Generalprokuratur durch die Genannten sehe ich derzeit keine Veranlassung für eine - zusätzliche - Befassung der Generalprokuratur (auch) durch das Bundesministerium für Justiz.

Zu 15:

Es trifft zu, dass der für die Prüfung des Vorhabensberichtes der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt zuständige Sachbearbeiter bei der Oberstaatsanwaltschaft Wien, OStA HR Dr. Helmut Seystock, in einem ersten, nicht approbierten – und somit auch der zuständigen Fachabteilung im Bundesministerium für Justiz nicht zur Kenntnis gebrachten – Bericht vom 13. Oktober 2004 zunächst beabsichtigte, die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt zur Abgabe einer Erklärung gegenüber dem Untersuchungsrichter des Landesgerichtes Wiener Neustadt anzuweisen, dass kein Grund zur weiteren gerichtlichen Verfolgung von Rechtsanwalt Dr. G. E. sowie in nennenswerten Teilbereichen auch hinsichtlich A. M. R. und Rechtsanwalt Mag. M. L. gefunden wurde (§ 109 Abs 1 StPO).

Die Bekanntgabe des Inhalts dieses nicht approbierten Berichtes der Oberstaatsanwaltschaft Wien „in seinem vollen Wortlaut“ steht mir nicht zu, würde sie doch § 35 des Staatsanwaltschaftsgesetzes umgehen, der die Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Einsicht in Behelfe und Unterlagen der staatsanwaltschaftlichen Behörden regelt. Soweit diese Bestimmung auf das Einsichtsrecht einer gesetzgebenden Körperschaft Bezug nimmt, ist auf Artikel 53 Abs 3 B-VG und § 33 Abs 3 Geschäftsordnungsgesetz 1975 (GOG-NR) in Verbindung mit § 25 der Verfahrensordnung für parlamentarische Untersuchungsausschüsse zu verweisen, wonach ein solches Einsichtsrecht (nur) für parlamentarische Untersuchungsausschüsse vorgesehen ist. Ich bitte daher um Verständnis, dass ich von der wörtlichen Wiedergabe des Berichts Abstand nehmen muss und in der Folge nur auf dessen grundsätzlichen Inhalt und seine rechtliche Erwägungen eingehen kann:

Der Oberstaatsanwaltschaft Wien lag ein Bericht der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt vor, in dem sie die Einbringung einer Anklageschrift gegen sechs Personen in Aussicht nahm. Im Entwurf dieser Anklageschrift lastete die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt dem Angeklagten A. M. R. insbesondere an,

1.) als Schuldner mehrerer Gläubiger deren Befriedigung vor allem durch Vermögensverschiebungen in der Größenordnung von ca. 4,6 Millionen Euro an eine Treuhandgesellschaft und durch das Verschweigen dieser Transaktion gegenüber Gläubigerbanken sowie durch weitere Malversationen geschmälert zu haben und

2.) nach Eintritt seiner Zahlungsunfähigkeit zwei Gläubigerbanken durch Zahlungen in einer Größenordnung von ca. 790.000 Euro begünstigt zu haben.

Fünf Mitangeklagten warf die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt Beitragshandlungen hiezu vor.

Der zuständige Sachbearbeiter OStA HR Dr. Seystock erachtete die von der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt erhobenen Vorwürfe als für die Erzielung von Schuldsprüchen nicht hinreichend tragfähig und hielt hiezu in seiner Stellungnahme zum Punkt 1.) des Anklageentwurfes im Wesentlichen sinngemäß fest, eine Schädigung einzelner Gläubiger - deren Forderungen teilweise noch gar nicht feststünden - sei bis dato nicht erweislich. Zumindest die Großgläubiger des Hauptbeschuldigten hätten vermutlich auch bei konkursmäßiger Verwertung des gesamten Vermögens des Gemeinschuldners keine höheren Befriedigungsquoten erhalten können als durch den von ihnen angestrebten „stillen Ausgleich“. In diesem Zusammenhang nahm OStA HR Dr. Helmut Seystock auch auf nachträgliche, unmittelbar bei der Oberstaatsanwaltschaft Wien eingebrachte Rechtfertigungen zweier – letztlich nicht angeklagter – Beschuldigten Bezug, die der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt (noch) nicht zur Kenntnis gelangt waren.

Zum zweiten von der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt erhobenen Vorwurf hielt OStA HR Dr. Helmut Seystock fest, es sei einerseits fraglich, ob der Beschuldigte im Zeitpunkt der getätigten Zahlungen überhaupt zahlungsunfähig war, andererseits sei durch diese Zahlungen nur eine quotenmäßige Befriedigung der Gläubigerbanken angestrebt worden, womit aber das von § 158 StGB geschützte Rechtsgut – nämlich die Gleichbehandlung aller Gläubiger – nicht verletzt worden sei. Überdies seien die inkriminierten Zahlungen nicht vom Gemeinschuldner, sondern für diesen von dritter Seite geleistet worden.

Der Leiter der Oberstaatsanwaltschaft Wien schloss sich diesen Ausführungen hinsichtlich der fiktiven Schadensberechnung und der ebenso fiktiven Ermittlung allfälliger Konkursquoten nicht an. Insbesondere die Tatsache, dass es – wie von der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt im Anklageentwurf ausgeführt – Ziel des Hauptangeklagten gewesen sei, sich einen Millionenbetrag zu erhalten, lasse Zweifel an der Richtigkeit der angestellten Berechnungen aufkommen.

OStA HR Dr. Seystock stimmte dieser Argumentation im Zuge einer behördeninternen Besprechung zu und schlug vor, die letztlich auch vom Bundesministerium für Justiz genehmigte und beim Landesgericht Wiener Neustadt eingebrachte Anklageschrift zu konzipieren.

Zu 17 und 18:

Die ursprünglich von OStA HR Dr. Seystock angestellten Überlegungen fanden im weiteren Verfahren teilweise Berücksichtigung. Die von der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt in Aussicht genommene Anklage wurde hinsichtlich eines Anklagefaktums und in Ansehung dreier Mitbeschuldigter von der Oberstaatsanwaltschaft Wien – in Übereinstimmung mit der Ansicht des Bundesministeriums für Justiz – nicht genehmigt.

. Mai 2007

 

(Dr. Maria Berger)