529/AB XXIII. GP

Eingelangt am 15.05.2007
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BM für Justiz

Anfragebeantwortung

DIE  BUNDESMINISTERIN
           FÜR  JUSTIZ

BMJ-Pr7000/0030-Pr 1/2007

 

An die

                                      Frau Präsidentin des Nationalrates

                                                                                                                           W i e n

 

zur Zahl 523/J-NR/2007

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Gernot Darmann, Kolleginnen und Kollegen haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Haftentlastungspaket als Sicherheitsrisiko“ gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Zu 1 und 2:

Das von mir präsentierte Haftentlastungspaket bietet eine Reihe von Möglichkeiten, den Strafvollzug insgesamt zu entlasten. Wie viele Hafttage konkret durch dieses Maßnahmenpaket eingespart werden können bzw. eine Zuordnung der zu erwartenden Einsparungen kann derzeit noch nicht vorgenommen werden. Ich erwarte mir aber durch das Haftentlastungspaket jedenfalls eine nachhaltige Reduktion des Belages in den Haftanstalten unter gleichzeitiger Verbesserung der Haftbedingungen.

Zu 3:

Ja. Es sind derzeit rund 580 Haftplätze vorgesehen. Die Fertigstellung ist für Ende 2009, Anfang 2010 geplant.

Zu 4 und 5:

Durch Entfall der Generalprävention – der ausschließlich für das Verfahren bei der bedingten Entlassung geplant ist – soll der prozentuelle Anteil der bedingten Entlassungen, gemessen an allen Entlassungen angehoben werden, wobei gegenwärtig – im Hinblick auf die unabhängige Rechtsprechung – eine Quantifizierung nicht vorgenommen werden kann. Das Erfordernis der Generalprävention wurde bereits durch das Strafrechtsänderungsgesetz 1987 erheblich zurückgedrängt, und die rechtstheoretischen Bedenken wurden bisher durch keinerlei praktische Bedürfnisse aufgehoben, sodass generalpräventive  Erwägungen hinkünftig zur Gänze entfallen können. Im Übrigen ist Österreich mittlerweile das einzige Land in Europa in dem generalpräventiven Überlegungen bei der Entscheidung über die bedingte Entlassung eine Rolle spielen.

Zu 6:

Eine bedingte Entlassung aus der Strafhaft ist unabhängig von der Nationalität des Verurteilten zu beurteilen. Sie erfolgt nach geltender Rechtslage dann, wenn sowohl spezial- als auch generalpräventive Gründe dem nicht entgegen stehen. Ein Strafgefangener wird nur bei günstiger Prognose entlassen, dh. wenn anzunehmen ist, dass es nicht der Vollstreckung des Strafrestes bedarf, um den Rechtsbrecher von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten. Die gesetzlichen Bestimmungen, die schwerere Strafe bei organisierter und berufsmäßiger Kriminalität vorsehen, bleiben jedenfalls unverändert.

Zu 7:

Eine differenzierte Behandlung einzelner Tätergruppen erfolgt bereits dahingehend, weil ein organisiertes bzw. gewerbsmäßiges Vorgehen den Strafrahmen entsprechend erhöht. In diesem Zusammenhang kann von einer milden Behandlung solcher Täter nicht gesprochen werden.  

Zu 8:

Die geplante Erweiterung der Voraussetzungen des § 37 Abs. 1 StGB dient dem Ersatz der kriminalpolitisch als schädlich angesehenen kurzfristigen Freiheitsstrafe. Eine geringfügige Anhebung soll im Bereich der kurzen Freiheitsstrafen eine Entlastung bewirken. Die geplante Anhebung von sechs Monate auf neun Monate in § 37 Abs. 1 StGB erfolgt unter gleichzeitiger Anhebung der anstelle der Freiheitsstrafe zu verhängenden Geldstrafe von 360 auf 540 Tagessätzen. Für den Fall, dass ein Verurteilter eine höhere  Geldstrafe nicht bezahlt, kommt eine entsprechend höhere Ersatzfreiheitsstrafe (zwei Tagessätze entsprechen einen Hafttag) zum Tragen. Auch wird einem Täter bei nachfolgender Delinquenz eine Umwandlung von einer Freiheitsstrafe in eine Geldstrafe wohl versagt bleiben, sodass eine Besserstellung des Täters – gegenüber dem geltenden Recht – nicht erkennbar ist. Die allgemeinen spezial- und generalpräventiven Voraussetzungen für die Anwendung von § 37 StGB bleiben unverändert.

Zu 9:

Bedenken, die geplante Maßnahme im Bereich der vorzeitigen bedingten Entlassung bei nicht aufenthaltsverfestigter Drittstaatsangehöriger, verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, teile ich nicht. Bei diesen Personen müssen – so wie bei Inländern – auch die Erfordernisse der bedingten Entlassung (keine spezialpräventiven Gründe dürfen dagegen stehen) vorliegen. Eine Begünstigung nicht aufenthaltsverfestigter Drittstaatsangehöriger ist nicht geplant. Vielmehr soll durch die Sicherstellung, dass solche Häftlinge Österreich verlassen, eine bedingte Entlassung dieser Häftlingsgruppe ermöglicht werden. Insoferne kommt es zu einer Gleichstellung mit Inländern.

Zu 10 und 11:

Eine bedingte Entlassung mit gleichzeitiger Verhängung eines Aufenthaltsverbots und Abschiebung ins Herkunftsland soll nur dann erfolgen, wenn bereits ein Teil der Freiheitsstrafe im Inland verbüßt worden ist und keine spezialpräventiven Gründe gegen eine bedingte Entlassung sprechen. Auch muss der Strafgefangene der Abschiebung zustimmen. Es kann daher von einem Export der Kriminalität ins Ausland nicht gesprochen werden, weil eine bedingte Entlassung erst dann zu erfolgen hat, wenn eine günstige spezialpräventive Prognose vorliegt. Wird ein Ausländer bedingt entlassen und erklärt sich dieser bereit, freiwillig ins Herkunftsland zurück zu reisen, so ist die weitere Vorgangsweise gleich wie bei sonstigen Ausländern, die abgeschoben werden. Dies wird durch die Fremdenpolizei selbstverständlich überwacht und durchgeführt werden.

Zu 12:

Die geplanten Maßnahmen sollen nicht in Konflikt mit dem Refoulementverbot des § 50 FPG geraten, sodass sich für Strafgefangene, die diesem Verbot unterliegen, durch die geplante Reform keine Änderungen ergeben.

Zu 13 und 14:

Grundvoraussetzung für diese geplante Maßnahme ist, dass der Strafgefangene seine wahre Identität und Staatsangehörigkeit preisgibt; infolge dessen kann sich der Herkunftsstaat nicht weigern, den eigenen Staatsbürger aufzunehmen. Gleichzeitig mit der Abschiebung wird der Strafgefangene zur Verhaftung im EU-Inland ausgeschrieben, sodass bei Betretung im EU-Inland der Rest der Freiheitsstrafe vollzogen wird.

Zu 15:

Durch die Möglichkeit der vorzeitigen Abschiebung nicht aufenthaltsverfestigter Drittstaatsangehöriger ist insgesamt von einer Kostenreduktion im Bereich des Strafvollzuges auszugehen. Eine Kostensteigerung für das Bundesministerium für Inneres ist nicht zu erwarten, weil die Ausschreibung zur Verhaftung keinen erhöhten Aufwand mit sich bringen wird. Ich sehe durch diese vorzeitige Entlassung positive Effekte für den Strafvollzug verwirklicht. Einerseits wird der Strafgefangene zur Kooperation angeleitet und gibt seine wahre Identität preis und andererseits können auch die Haftbedingungen insgesamt durch die vorzeitige Entlassung verbessert werden, weil der Strafvollzug bei nicht aufenthaltsverfestigten Drittstaatsangehörigen bislang auf einen reinen Verwahrungsvollzug hinausläuft.

Zu 16:

Rechtsakte der Justizzusammenarbeit in der EU können vom Rat nach dem geltenden EU-Recht nur einstimmig beschlossen werden. Die Vorgangsweise, einem Staat, der mit einem Rechtsakt (aus welchen Gründen immer) besondere Schwierigkeiten hat, eine Übergangsfrist von einigen Jahren zuzugestehen, ist schon öfter gewählt (und auch von Österreich bereits in Anspruch genommen) worden.

Es handelt sich um einen politischen Kompromiss, der vom Vorsitz (Deutschland) vorgeschlagen wurde und der es Polen ermöglicht hat, seine ursprünglich noch weiter gehenden Forderungen im Sinn der Erzielung eines Konsenses hintanstellen zu können.

Hätte ich dem Kompromissvorschlag des Vorsitzes nicht zugestimmt, wäre der Rechtsakt überhaupt nicht zustande gekommen.

Zu 17:

Zum Stichtag 1. April 2007 befinden sich 177 Insassen mit polnischer Staatsbürgerschaft in den österreichischen Justizanstalten.

Zu 18:

Eine Anfrage bei den polnischen Behörden hat keine Antwort innerhalb der parlamentarischen Beantwortungsfrist erbracht.

Zu 19:

Eine Prognose, wie groß der Entlastungseffekt für die österreichischen Justizanstalten durch den Rahmenbeschluss sein wird, kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt seriöser Weise nicht abgegeben werden. Da Strafgefangene unterschiedlicher Nationalitäten in den österreichischen Gefängnissen einsitzen, tritt ein maßgeblicher Entlastungseffekt aber auch ohne die sofortige Einbeziehung Polens ein.

Zu 20:

Derzeitige wesentliche Rechtsgrundlagen für die Überstellung verurteilter Personen in den Heimatstaat sind das:

-        Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen vom 21.3.1983, BGBl. Nr. 524/1986;

-        Zusatzprotokoll zu diesem Übereinkommen vom 18.12.1997, BGBl. III Nr. 26/2001.

Dem Europäischen Überstellungsübereinkommen, das eine Überstellung von Strafgefangenen nur mit deren Zustimmung erlaubt, gehören neben allen 46 Mitgliedstaaten des Europarates (mit Ausnahme der Russischen Föderation und Monaco) auch eine Reihe außereuropäischer Staaten (Chile, Israel, Japan, Kanada, USA, etc.) an.

Eine Überstellung ohne Zustimmung des Strafgefangenen ist nur auf Grundlage des Zusatzprotokolls vom 18. Dezember 1997 zum Europäischen Überstellungsübereinkommen, BGBl. III Nr. 26/2001, dem derzeit lediglich etwas mehr als die Hälfte der Mitgliedstaaten des Europarates, aber keine Drittstaaten angehören, möglich.

Nachteile der erwähnten Instrumente:

-        keine Verpflichtung des Heimatstaats zur Übernahme verurteilter Personen;

-        keine Fristen für die Entscheidung über die Übernahme der Vollstreckung und für die Überstellung des Verurteilten in den Vollstreckungsstaat;

-        Möglichkeit der Vertragsparteien, zwischen der Fortsetzung der Vollstreckung der Entscheidung und deren Umwandlung im Zuge eines sogenannten Anpassungsverfahrens zu wählen, wobei letztere häufig zu einer Herabsetzung der im Urteilsstaat verhängten Freiheitsstrafe führt.

Durch verstärkte bilaterale Kooperation mit Staaten, deren Angehörige in den österreichischen Justizanstalten stark vertreten sind, und deren Justizsystem eine Überstellung im Hinblick auf die Verpflichtungen unter der EMRK als unproblematisch erscheinen lässt (Rumänien, Slowakei, Tschechien, etc.), konnte 2006 die bislang höchste Zahl an Strafgefangenen in das Ausland überstellt werden. Im Jahr 2006 hat das Bundesministerium für Justiz in ca. 150 Fällen ausländische Staaten um die Übernahme der über ihre Staatsangehörigen durch österreichische Gerichte verhängten Freiheitsstrafen ersucht. Tatsächlich konnten 2006 fast 100 Personen zum weiteren Strafvollzug ins Ausland überstellt werden (gegenüber 80 im Jahr 2005 und 56 im Jahr 2004).

Ersuchen um Übernahme der Strafvollstreckung kommen nicht in Betracht, wenn zu besorgen ist, dass der Vollzug im Heimatstaat nicht Artikel 3 EMRK entsprechen würde oder der Verurteilte wegen seiner Abstammung, Rasse, Religion, politischen Gesinnung, etc. Verfolgung oder Nachteile zu erwarten hätte oder der Verurteilte durch den Vollzug im Heimatstaat erheblich schlechter gestellt wäre (vgl. § 76 Abs. 3 Z 2 und 3 ARHG). Aus diesem Grund werden Ersuchen an einige Staaten, deren Staatsangehörige in den österreichischen Strafvollzugsanstalten stark vertreten sind, nicht vorbereitet (Nigeria, Algerien, Gambia, etc.). Aber auch im Hinblick auf Europarats-Mitgliedstaaten wie Georgien, Moldau, aber auch Serbien (Kosovo), die dem Zusatzprotokoll aus 1997 zum Europäischen Überstellungsübereinkommen angehören, erscheint eine Überstellung gegen den Willen der Betroffenen problematisch.

Aufgrund der durchschnittlichen Dauer der Überstellungsverfahren wird nur hinsichtlich jener Strafgefangenen, die einen Strafrest von mehr als einem Jahr zu verbüßen haben, ein entsprechendes Ersuchen an ihren Heimatstaat gerichtet. Neben der teilweise extrem langen Dauer der ausländischen Verfahren zur Übernahme österreichischer Strafurteile (Bosnien und Herzegowina, Serbien, Montenegro, Italien, etc.) scheitern Überstellungen im Verhältnis zu manchen Staaten aber auch an den offenbar mangelnden finanziellen Ressourcen dieser Staaten zur Übernahme weiterer Strafgefangener.

Zu 21:

Das Bundesministerium für Justiz ist durch eine Intensivierung der bilateralen Kontakte bemüht, die Probleme, die vor allem auf Grund der langen Dauer der Verfahren im Vollstreckungsstaat und bei der praktischen Durchführung der Übergabe auftreten, im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten der Einwirkung auf die zuständigen Behörden in diesen Staaten zu lösen.

Zu 22 bis 24:

Gemeinnützige Leistungen werden derzeit nur im Rahmen der diversionellen Erledigungen und aktuell im Rahmen eines Modellprojektes "Gemeinnützige Arbeit als Alternative zur Ersatzfreiheitsstrafe" geleistet. Hiebei werden die Einrichtungen, in denen die Arbeit erbracht wird, nicht vom Täter selbst ausgewählt. Die Auswahl geeigneter Einrichtungen zur Erbringung der gemeinnützigen Leistungen wird von Sozialarbeitern des Vereines Neustart - als Vertragspartner der Justiz - durchgeführt. Um diese treffen zu können, ist eine Auseinandersetzung mit der (kriminellen) Vorgeschichte, dem Ausbildungsstand, den Fähigkeiten und der aktuellen Arbeitssituation, etc., der Betroffenen notwendig. Der konkrete Unterstützungsbedarf wird dabei in einem Einzelgespräch abgeklärt. Aufgabe des Vereines Neustart ist es zudem, den Erstkontakt zwischen den Verurteilten und den ausgewählten Einrichtungen herzustellen. Bisher wurde die gemeinnützige Arbeit in Senioren- und Pflegeheimen, Notschlafstellen, bei freiwilligen Feuerwehren, Gemeindeämtern, Krankentransporten, in Jugendzentren, Landeskrankenhäusern, Friedhöfen, Natur- und Bergwacht und in Forstämtern und Pfarren erbracht. In diesen Bereichen werden die Klienten überwiegend für Hilfstätigkeiten wie z.B. Reinigungs-, Garten- und Lagerarbeiten sowie zur Mitarbeit bei der Essensausgabe eingesetzt.

Zu 25 und 26:

Grundsätzlich ist einmal mehr zu bemerken, dass ich das von mir vorgestellte Haftentlastungspaket als einen Beitrag zu mehr Sicherheit für die Gesellschaft verstehe. Unter diesem Gesichtspunkt werden auch Überlegungen für eine Amnestie 2008 angestellt, deren Auswirkungen noch exakter Prüfung bedürfen. Dabei werden auch die Erfahrungen mit dem Amnestiegesetz 1995 einbezogen, wobei durch § 3 des Amnestiegesetzes 1995 keine „Strafverkürzung“, sondern die bedingte Entlassung unter Setzung einer Probezeit von einem Jahr ermöglicht wurde. Dabei waren Freiheitsstrafen in einem Ausmaß von über 10 Jahren generell ausgenommen und ein Strafrest von höchstens sechs Monaten konnte bedingt nachgesehen werden.

Richtig ist, dass gesetzestechnische Verbesserungen gegenüber der Amnestie 1995 möglich erscheinen und angestrebt werden. Das zeigt aber wieder die Richtigkeit meines Ansatzes bei der Reform der bedingten Entlassung, eine bessere Vorbereitung auf das Leben in Freiheit durch mehr Betreuung und Alternativen zum Vollzug zu erreichen. Eine Regelung der Amnestie wird sich insoweit in das Gesamtkonzept der Reform des Strafvollzugs einzugliedern haben, wobei der Resozialisierungsgedanke im Vordergrund zu stehen hat. 

. Mai 2007

 

(Dr. Maria Berger)