531/AB XXIII. GP

Eingelangt am 15.05.2007
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BM für Justiz

 

Anfragebeantwortung

 

 

 

DIE  BUNDESMINISTERIN
           FÜR  JUSTIZ

BMJ-Pr7000/0032-Pr 1/2007

 

 

An die

                                      Frau Präsidentin des Nationalrates

                                                                                                                           W i e n

 

zur Zahl 534/J-NR/2007

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Johann Maier und GenossInnen haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Vollziehung des Produktpirateriegesetzes im Jahr 2006 – Entwicklung der Produkt- und Markenpiraterie“ gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Zu 1, 2 und 4:

Die Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums obliegt in erster Linie den durch eine Rechtsverletzung beeinträchtigten Rechteinhabern, die sich hiebei nicht nur der Instrumentarien des zivilgerichtlichen Verfahrens bzw. des strafrechtlichen Privatanklageverfahrens bedienen können, sondern auch mit der zollbehördlichen Beschlagnahme rechtsverletzender Waren nach dem Produktpirateriegesetz sehr wirksame Mittel zur Durchsetzung ihrer Rechte haben.

Soweit die Anfrage auf eine „Feststellung“ von Verletzungen der geistigen Eigentumsrechtes „durch das BMJ“ Bezug nimmt, gehe ich davon aus, dass damit statistische Auswertungen der gerichtlichen Verfahren zur Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte gewünscht werden. Eine Kompetenz zur „Feststellung“ von Rechtsverletzungen im Einzelfall kommt dem BMJ jedenfalls nicht zu.

Was die zivilgerichtlichen Verfahren anlangt, so werden diese in der Verfahrensautomation Justiz nicht nach der angefragten Kategorisierung „Verletzung von Rechten geistigen Eigentums“, sondern vielmehr alle Zivilverfahren vor den Gerichtshöfen erster Instanz

 

-          nach dem Urheberrechtsgesetz (UrhG),

-          dem Gesetz gegen Unlauteren Wettbewerb (UWG),

-          dem Patentgesetz (PatG) sowie

-          dem Muster- und Markenschutzgesetz (MSchG bzw. MarkSchG)

im Fallcode 41 („Gewerblicher Rechtschutz“) gemeinsam erfasst. Die fallbezogene Auswertung ist als Beilage A angeschlossen.

Zu 3:

Das Produktpirateriegesetz 2004, BGBl. I 2004/56, regelt in Ausführung der EG-Produktpiraterie-Verordnung Nr. 1383/2003 die zollbehördliche Beschlagnahme von Waren, die Rechte des geistigen Eigentums verletzen. Dabei wird die Grenzbeschlagnahme als eine Art Provisorialmaßnahme ausgestaltet, die grundsätzlich einer „Rechtfertigung“ durch ein Verfahren bedarf, das auf die „Feststellung“ der Rechtsverletzung gerichtet ist. Bei diesen Verfahren handelt es sich um die gerichtlichen Verfahren zur Durchsetzung der betroffenen Rechte. Das Produktpirateriegesetz betraut daher die Bundesministerin für Justiz nur mit der Mitvollziehung des auf die gerichtliche Feststellung der Rechtsverletzungen verweisenden § 5, im Übrigen aber den Bundesminister für Finanzen mit seiner Vollziehung.

Daten über die Grenzbeschlagnahme nach dem Produktpirateriegesetz werden daher in den jährlichen Berichten des Bundesministers für Finanzen über die Vollziehung des Produktpirateriegesetzes, zuletzt im Produktpirateriebericht 2006, III-40 der Beilagen XXIII. GP, wiedergegeben.

Zu 5:

Für den Bereich der strafgerichtlichen Verfahren schließe ich die Beilagen B und C an, die die Auswertungen aus der Verfahrensautomation Justiz zur „Produktpiraterie 2006 enthalten. Den Tabellen können die nach Gerichten aufgeschlüsselten Anfalls- und Erledigungszahlen des Jahres 2006 entnommen werden – geordnet nach

-          dem Urheberrechtsgesetz (UrhG),

-          dem Gesetz gegen Unlauteren Wettbewerb (UWG),

-          dem Patentgesetz (PatG) sowie

-          dem Muster- und Markenschutzgesetz (MSchG bzw. MarkSchG).

 

Zu 6:

Das BMJ verfügt über keine eigenen Erhebungsergebnisse, die als Grundlage für die Schätzung der volkswirtschaftlichen Schäden dienen können, die aufgrund von Produkt- und Markenfälschungen entstehen. Die Problemlage wurde aber in letzter Zeit durch die Europäische Kommission in ihrem „Bericht über eine Antwort des Zolls auf jüngste Entwicklungen bei der Nachahmung von Waren und der Produktpiraterie (KOM(2005) 479)“ ausführlich dargestellt.

Zu 7 und 8:

Über die Strafbarkeit des nicht gewerblichen Kaufs bzw. Besitzes nachgeahmter Waren zum eigenen Gebrauch durch Konsumenten in den übrigen Mitgliedstaaten der EU verfügt das BMJ nur hinsichtlich Italiens über Informationen. Nach derzeitigem Wissenstand ist der Erwerb gefälschter Artikel in diesem Land gesetzlich verboten. Der Strafrahmen dafür reicht bis zu 10.000 Euro. Wie hoch die Strafe im Einzelfall ausfällt, liegt im Ermessen der Behörden.

Zu 9 und 10:

Von EUROJUST – der mit Beschluss des Rates der EU vom 28. Februar 2002 errichteten Behörde zur Verstärkung der Bekämpfung der schweren Kriminalität – wurden im Jahr 2006 keine spezifischen Maßnahmen und Aktionen gegen Produktpiraterie ergriffen. Auch für das Jahr 2007 ist die Ergreifung solcher spezifischer Maßnahmen nicht geplant. Im Rahmen der konkreten Fallarbeit wurde EUROJUST jedoch bereits mit Fällen von Produktpiraterie konfrontiert, die Bezüge zu Frankreich, den Niederlanden und Bulgarien aufwiesen

Zu 11 und 12:

Mit Urteil vom 13.9.2005 (Rs C-176/03) hat der EuGH den Rahmenbeschluss Umweltstrafrecht (2003/80/JI) für nichtig erklärt. Am 2.5.2006 unterbreitete die Europäische Kommission im Hinblick darauf einen Geänderten Vorschlag für eine Richtlinie über strafrechtliche Maßnahmen zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums [KOM(2006)168 = 8866/06 DROIPEN 31 PI 27], wodurch die Richtlinie  2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums um strafrechtliche Bestimmungen ergänzt werden soll. Im geänderten Richtlinienvorschlag überstellte die Kommission den gesamten Inhalt des ursprünglichen RB-Vorschlages – mit Ausnahme der Regelungen betreffend „Zuständigkeit und Koordinierung der Strafverfolgung“ – in die Richtlinie, brachte den solcherart erweiterten Richtlinienvorschlag als Geänderten Richtlinienvorschlag neu ein und zog den Rahmenbeschluss-Vorschlag zurück. Inhaltlich ergaben sich dadurch praktisch keine Änderungen. Damit wird nach Auffassung der Kommission im Lichte des EuGH-Urteils zum Rahmenbeschluss Umweltstrafrecht eine Abgrenzung zwischen erster und dritter Säule im Bereich des Strafrechts vorgenommen.

Zu 13:

Österreich ist nicht grundsätzlich gegen eine Harmonisierung strafrechtlicher Maßnahmen in diesem Rechtsbereich; es vertritt jedoch die Auffassung, dass zunächst der Evaluationsprozess der Richtlinie 2004/48/EG für Maßnahmen im zivilen und verwaltungsrechtlichen Bereich abgewartet werden sollte, um abzuklären, ob tatsächlich ein Bedarf für weitere strafrechtliche Maßnahmen im erwähnten Bereich besteht.

Darüber hinaus erscheint es zweckmäßig, vor einer Fortsetzung der inhaltlichen Diskussion des Richtlinienvorschlages auch die Entscheidung des EuGH in der Rs C-440/05 (RB Meeresverschmutzung) abzuwarten, weil dadurch die Klärung wesentlicher Fragen betreffend die Gemeinschaftszuständigkeit im Bereich des Strafrechts erwartet werden kann.

Art. 1 des Richtlinienvorschlages (Gegenstand und Anwendungsbereich) legt die strafrechtlichen Maßnahmen fest, die zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums erforderlich sind. Diese Maßnahmen sollen für jene Rechte des geistigen Eigentums gelten, die im Gemeinschaftsrecht und/oder im innerstaatlichen Recht der Mitgliedstaaten vorgesehen sind.

Die Kommission hat in der Erklärung 2005/295/EG zu Art. 2 der RL 2004/48/EG die geistigen Eigentumsrechte aufgelistet, die nach ihrer Auffassung jedenfalls vom Anwendungsbereich des Vorschlages erfasst sein sollen. Es handelt sich dabei um

-         Urheberrechte,

-         dem Urheberrecht verwandte Schutzrechte,

-         Schutzrechte sui generis der Hersteller von Datenbanken,

-         Schutzrechte der Schöpfer von Topographien von Halbleitererzeugnissen,

-         Markenrechte,

-         Schutzrechte an Geschmacksmustern,

-         Patentrechte einschließlich der aus ergänzenden Schutzzertifikaten abgeleiteten Rechte,

-         geografische Herkunftsangaben,

-         Gebrauchsmusterrechte,

-         Sortenschutzrechte,

-         Handelsnamen, soweit es sich dabei nach dem Recht des betreffenden Mitgliedstaats um ausschließliche Rechte handelt.

Der Anwendungsbereich des Richtlinienvorschlages (Art. 1 Abs. 2) erscheint im Hinblick auf die „Rechte des geistigen Eigentums im innerstaatlichen Recht“ zu unbestimmt; eine Beschränkung auf den gemeinschaftsrechtlich harmonisierten Bereich wäre demnach wünschenswert. Bei einer Fortsetzung der inhaltlichen Diskussion sollte daher nur von den gemeinschaftsrechtlich harmonisierten Rechten geistigen Eigentums ausgegangen werden.

Die Gemeinschaft hätte zwar an sich die Kompetenz, sämtliche Rechte zum Schutz des geistigen Eigentums zivilrechtlich zu harmonisieren; fraglich ist jedoch, ob die Gemeinschaft im zivilrechtlich (zwar harmonisierbaren, aber noch) nicht harmonisierten Bereich strafrechtliche Regelungen vorsehen kann und soll. Die Kommission hat es bisher verabsäumt, klar darzulegen, welche Rechte bereits im Gemeinschaftsrecht harmonisiert sind. Von dieser Frage ist jedoch die rechtspolitische Frage zu trennen, welche Verletzungen einzelner Rechte geistigen Eigentums strafwürdig sind.

Die dem österreichischen Immaterialgüterrecht bisher fremden Sanktionen sind insoweit abzulehnen, als diese verpflichtend und auch gegen natürliche Personen vorgesehen sind. Die Sanktionierungspflicht sollte auf den vom Rat entwickelten vier Niveaus von Mindesthöchststrafen aufbauen. Die Mindesthöchstgrenzen betreffend juristische Personen sind nicht zu beanstanden, jedoch wäre eine Bandbreite vorzusehen (Vorbild Rahmenbeschluss Meeresverschmutzung). Für natürliche Personen ist die Mindesthöchstgrenze von 100.000 bzw. 300.000 Euro abzulehnen. Gemeinsame Ermittlungsgruppen (Art. 7) sollten – wie die Zuständigkeit und Koordinierung der Strafverfolgung – ausschließlich horizontal geregelt werden. Art. 8 geht davon aus, dass die Verfolgung der gegenständlichen Delikte von Amts wegen erfolgt. Demgegenüber vertritt Österreich die Ansicht, dass die in Österreich vorgesehene Ausgestaltung der strafrechtlichen Bestimmungen zum Schutze des geistigen Eigentums als Privatanklagedelikte  beibehalten werden sollte. Um den anderen Delegationen diese Haltung verständlich zu machen, hat Österreich einen Alternativvorschlag zur inhaltlich identen Vorgängerbestimmung des RB-Vorschlages (dort Art. 6) erarbeitet, welcher dem Generalsekretariat des Rates übermittelt worden ist.

Die österreichische Position hat sich seit der AB 4331/XXII. GP nicht geändert.

Zu 14:

Über den Kommissionsvorschlag wird derzeit einerseits in der Ratsarbeitsgruppe „Materielles Strafrecht“ beraten; daneben befasst sich das Europäische Parlament mit dem Vorschlag. Im Rahmen des Rates haben einige Mitgliedstaaten bezweifelt, ob für die vorgeschlagenen strafrechtlichen Maßnahmen eine Zuständigkeit der Gemeinschaft besteht. Vielen Mitgliedstaaten erscheinen die Vorschläge auch zu weitgehend, insbesondere dahin, ob tatsächlich alle existierenden Rechte des geistigen Eigentums erfasst werden sollen und ob detaillierte Bestimmungen über die Strafhöhe angebracht sind. Aus österreichischer Sicht sollten die Tatbestände, wie erwähnt, weiterhin Privatanklagedelikte bleiben.

Der Rat der Justizminister im Oktober 2006 hat beschlossen, die Frage der Rechtsgrundlage zurückzustellen und zunächst die inhaltlichen Probleme zu lösen. Weiters wurde entschieden, dass die Vereinheitlichung strafrechtlicher Bestimmungen nicht alle Rechte geistigen Eigentums betreffen soll, sondern nur jene, die im Gemeinschaftsrecht bereits harmonisiert sind.

 

. Mai 2007

 

(Dr. Maria Berger)


        Beilage A