613/AB XXIII. GP
Eingelangt am 29.05.2007
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BM für Justiz
Anfragebeantwortung

DIE
BUNDESMINISTERIN
FÜR
JUSTIZ
BMJ-Pr7000/0041-Pr 1/2007
An die
Frau Präsidentin des Nationalrates
W i e n
zur Zahl 625/J-NR/2007
Die Abgeordnete zum Nationalrat Dr. Dagmar Belakowitsch-Jenewein und weitere Abgeordnete haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Drogenhandel und -konsum in österreichischen Justizanstalten: Fall Justizanstalt Garsten“ gerichtet.
Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:
Österaker ist ein mittelgroßes Gefängnis in der Nähe von Stockholm, das nicht als Zwangstherapieeinrichtung für den schwedischen Strafvollzug dient, sondern in dem vielmehr seit mehreren Jahrzehnten mit Drogenabhängigen im Strafvollzug gearbeitet wird. Konzeptionell ist es in vielen Aspekten mit der Justizanstalt Wien Favoriten vergleichbar.
Der Leiter der Justizanstalt Favoriten konnte vor einigen Jahren Österaker mit einem Stipendium der Pompidou Gruppe besuchen und sich selbst einen Eindruck verschaffen. Dabei wurden einige Gemeinsamkeiten aber auch einige Unterschiede deutlich:
1. Da es im schwedischen Strafvollzug keine Substitutionstherapie gibt, erleiden alle eingelieferten Insassen in Schweden – nicht nur in Österaker – einen Entzug. Hier erscheint das österreichische Modell wesentlich tauglicher.
2. Ein sehr hoher Prozentsatz der Insassen – zum Zeitpunkt des oben erwähnten Besuches sogar die Mehrheit der Gefangenen – ist nicht opiat-, sondern amphetaminabhängig. Das ist eine schwedische Sondersituation, die fast auf kein anderes europäisches Land übertragen werden kann. Ein Vergleich mit der österreichischen Situation ist nur sehr beschränkt möglich.
Die in der Anfrage zitierten Longitudinalstudien beziehen sich auf Legalbewährung und sind daher - was den tatsächlichen Ausstieg aus der Drogenabhängigkeit angeht - nur bedingt aussagekräftig.
Die genannten Zahlen sind vergleichbar mit Langzeitstudien der Justizanstalt Favoriten, die in Zusammenarbeit mit der Universität Wien durchgeführt wurden und eine Legalbewährung von ca. 67% ergaben (40% Ausstieg, 27% Abschwächung). Die Studien geben allerdings die Situation vor der Einführung flächendeckender Substitutionsprogramme wieder.
Zu 1:
Sascha A. wurde von Justizwachebeamten nach Verständigung durch Mitinsassen am 31.10.2006 um 13.50 Uhr aufgefunden. Die Justizwachebeamten unternahmen sofort Wiederbelebungsversuche mittels Defibrillator. Um 14.10 traf der Anstaltsarzt ein, der um 14.15 Uhr den Tod des Häftlings feststellte. Im Sterbebuch der Marktgemeinde Garsten wurde der Todeszeitpunkt zwischen 10 und 13 Uhr eingegrenzt.
Zu 2 bis 6:
Nach dem Obduktionsbericht des Instituts für Gerichtsmedizin Linz vom 2. Februar 2007 ist als Todesursache ein Hirn- und Lungenödem auf Grund eines allmählichen Herz-/Kreislauf-/Atemversagens anzunehmen. Mit einem Drogenschnelltest konnten Benzodiazepine und Opiate (Morphin, vermutlich Substitol) im Urin des Verstorbenen gefunden werden. Die klinische Untersuchung ergab Hinweise auf eine Hepatitis C und B Infektion. Auch die Blutuntersuchung erbrachte Hinweise auf Benzodiazepine mit einer Konzentration im therapeutischen Bereich. Die Morphinkonzentration wurde nicht näher bestimmt, weil laut Gutachten nur „Spuren“ festzustellen waren. Nach dem Gutachten ist der Tod von Sascha A. „in Folge einer Mischwirkung von zentralnervös wirksamen Substanzen eingetreten.“
Der Konsum von Drogenersatzstoffen wurde von Mitinsassen bestätigt. Die Bezugsquelle konnte nicht ermittelt werden. Ein unmittelbares Fremdverschulden am Tod des Häftlings konnte aber ausgeschlossen werden.
Zu 7:
Ja. Von rund 700 jährlichen Drogentests weisen im Durchschnitt nicht mehr als 10 % positive Ergebnisse auf. Lediglich 10 von 410 Insassen werden mit Methadon substituiert. Im vergangenen Jahr wurde bei Razzien und Kontrollen mit Suchtgifthunden etwa 20 Mal Suchtgift gefunden (zumeist Haschisch, in geringen Mengen auch Opiate).
Aus unterschiedlichen medizinischen Indikationen werden täglich an etwa 30 - 40 Insassen Schmerz-, Beruhigungs- und Schlafmittel ausgegeben.
Zu 8:
Der Vorfall war Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens beim Landesgericht Steyr.
Zu 9 bis 11:
Es wurde eine zeitlich begrenzte Telefonüberwachung veranlasst. In der Folge sind mehrere Insassen und Fremdpersonen zu Haftstrafen wegen Suchtgiftbesitzes und Schmuggels verurteilt worden.
Zu 12:
Es wird ein Ordnungsstrafverfahren eingeleitet, das zum Entzug von Vergünstigungen, Geldbußen oder Hausarrest führen kann. Ergebnisse von Ordnungsstrafverfahren fließen in die Entscheidungen über die (Nicht-)Gewährung von Ausgängen und über die bedingte Entlassung ein.
Zu 13:
In den einzelnen Abteilungen wurden 2005 insgesamt 41 und 2006 insgesamt 93 Schwerpunktvisitierungen vorgenommen. Je nach Größe der Abteilung und Insassenpopulation erfolgen diese durchschnittlich ein- bis zweimal im Monat.
Zu 14:
Internationale Untersuchungen belegen eine Ausstiegsquote von 5% pro Jahr allein durch den Effekt des „Herauswachsens aus der Sucht“ (maturing out). Diese Quote kann durch Therapie und Beratungsangebote noch weiter verbessert werden.
Zu 15 bis 17
Harntests dürfen nach derzeitiger Rechtslage nur bei begründetem Verdacht eines Missbrauches durchgeführt werden. Zwingende Drogentests haben sich – von verfassungsrechtlichen Bedenken abgesehen – auch in der europäischen Vollzugspraxis als ineffektiv und kostenintensiv erwiesen. Die Zurückdrängung des Drogenkonsums in den Justizanstalten lässt sich mit anderen Maßnahmen wesentlich erfolgversprechender erreichen, wie etwa durch Behandlungsangebote, Beratung, Verknüpfen von Vollzugslockerungen mit Drogenfreiheit, Aufbrechen der Subkultur durch Stärkung der Entwicklungsmöglichkeiten der Insassen und entsprechende Betreuungsmodelle. Das derzeitige Konzept in den österreichischen Justizanstalten, das dieser Richtung folgt, gilt international als vorbildlich.
Zu 18 bis 20:
Auch die zwangsweise durchgeführte, „flächendeckende“ Testung aus rein ordnungstechnischen Gründen widerspricht der Verfassungslage und ist mit einem unverhältnismäßig hohen Kostenaufwand verbunden. Ein Harntest auf 6 Substanzen kostet bei der billigsten (noch dazu für Verwaltungs- und Strafverfahren nicht anerkannten) Streifentest-Methode 2,10 Euro. Das würde bei einer 14-tägigen Test-Frequenz bei ca. 9000 Häftlingen einen Gesamtaufwand von rund 500.000 Euro, bei einem Labortest gar einen Aufwand von rund 3 Mio. Euro jährlich verursachen.
Da in den österreichischen Justizanstalten ein ausgezeichnetes „Zugangs-Screening“ auf Drogenkonsum durchgeführt wird und Süchtige im ärztlichen und therapeutischen Dienst rasch verfügbare Ansprechpartner für Behandlung und Hilfe haben, würde das Ergebnis der Drogentestungen zu keinen zusätzlichen Erkenntnissen über die Drogenbelastung der Anstalten führen.
Zu 21:
Neben verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen auch medizinisch-therapeutische Bedenken gegen die Anwendung von Zwangsmaßnahmen. Die Erfahrung zeigt, dass eine Suchtbehandlung nur mit der freiwilligen Teilnahme des Betroffenen und einer intakten Vertrauensbasis zum Therapeuten nachhaltig erfolgreich sein kann. Zwang erzeugt hingegen innere Auflehnung gegen die Maßnahme, Scheinanpassung und letztlich Hintergehen der Maßnahmen.
Zu 22 und 23:
Das derzeitige Drogenkonzept in den österreichischen Justizanstalten steht im Wesentlichen auf 4 Säulen:
Zu 24:
Drogen- und alkoholabhängige Insassen werden anlässlich der Zugangsuntersuchung und im weiteren Verlauf des Vollzuges in den einzelnen Anstalten lückenlos erfasst und die Daten in den Krankengeschichten dokumentiert. Eine gesamtösterreichische (statistische) Erfassung ist erst nach Einführung des für 2008 geplanten EDV-gestützten „Ärzte- und Ordinationspaketes“ nach dem ICD-10-Schlüssel (Aufschlüsselung nach Krankheiten und Diagnosen) in sämtlichen Justizanstalten möglich. Bis dahin wäre eine Erhebung nur mit einem unzumutbar hohen Verwaltungsaufwand durchführbar, weil sämtliche Krankengeschichten der Häftlinge händisch erfasst und ausgewertet werden müssten.
Zu 25:
Die Kontrollen gegen das Einbringen von Drogen erfolgen nach modernen Standards (Suchtgifthunde, Maßnahmen gegen Bodypacking, Durchsuchungen, gezielte Drogenkontrollen bei Verdacht etc.) und sind – aufgrund der übersichtlicheren Situation – auch wesentlich effektiver als an den Flughäfen. So besitzt etwa die Justizanstalt Wien-Josefstadt eine für Europa einmalige „Bodypacker-Einheit“, in der die Insassen solange unter ständiger Kontrolle verbleiben, bis der Ausscheidungsprozess allfälliger verschluckter Substanzen verlässlich abgeschlossen ist.
Zu 26:
Ja. Der Einsatz präventiver Maßnahmen ist jedenfalls zu bevorzugen.
Zu 27:
Mir liegen keine Berichte vor, denen sich ein massiver Drogenschmuggel in den österreichischen Justizanstalten entnehmen ließe. Drogenmissbrauch und andere unerwünschte Entwicklungen in Justizanstalten werden durch die Überbelegung der Haftanstalten erleichtert. Es ist daher unter anderem wichtig, für drogenabhängige Straftäter Alternativen zur Haft auszubauen, wobei die Haftverschonung mit einer Verpflichtung zur Behandlung verknüpft werden muss (siehe insbesondere § 39 SMG). Der österreichische Weg gilt hier international als vorbildlich.
. Mai 2007
(Dr. Maria Berger)