914/AB XXIII. GP

Eingelangt am 30.07.2007
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

BM für Justiz

Anfragebeantwortung

DIE  BUNDESMINISTERIN
           FÜR  JUSTIZ

BMJ-Pr7000/0063-Pr 1/2007

 

An die

                                      Frau Präsidentin des Nationalrates

                                                                                                                           W i e n

 

zur Zahl 947/J-NR/2007

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Jarolim und GenossInnen haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „die bessere Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität in Österreich, insbesondere des Anlagebetruges und die Verbesserung des Anlegerschutzes“ gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Zu 1:

Mit In-Kraft-Treten des Strafprozessreformgesetzes, BGBl. I Nr. 19/2004, am 1. Jänner 2008 wird eine Verbesserung der Position geschädigter Anleger in einem Strafverfahren insofern einhergehen, als das Institut der Privatbeteiligung (§ 67 StPRG) gestärkt und Verfahrensrechte dieser Prozessbeteiligten erweitert werden, sodass vermehrt die Möglichkeit bestehen wird, bereits nach rechtskräftigem Abschluss des Strafverfahrens über einen vollstreckbaren Titel über die jeweils gebührende Entschädigung zu verfügen.

Gemäß § 67 StPRG ist jedes Opfer einer Straftat berechtigt, im Strafverfahren als Privatbeteiligter Ersatz des durch die Straftat erlittenen Schadens oder eine Entschädigung für die Beeinträchtigung seiner strafrechtlich geschützten Interessen zu begehren, so lange es sich dabei um einen privatrechtlichen Anspruch handelt, der seiner Art nach auch im Zivilrechtsweg geltend gemacht werden könnte,.

Durch strafrechtlich relevantes Verhalten geschädigten Anlegern steht es somit frei, sich mit einer Erklärung, in der der erhobene Anspruch schlüssig begründet wird (sofern dieser nicht ohnehin auf Grund vorliegender Informationen evident ist), dem Bezug habenden Strafverfahren anzuschließen, wobei das Leistungsbegehren bis zum Schluss des Beweisverfahrens auch der Höhe nach beziffert werden muss. Bei Vorliegen der Zulässigkeitsvoraussetzungen stehen Privatbeteiligten sodann umfangreiche Verfahrensrechte zur Verfügung: So sind sie bereits während des Ermittlungsverfahrens im selben Umfang wie der Beschuldigte berechtigt, Beweisanträge zu stellen, und zwar auch rein zu den Beweisthemen „Tatbegehung“ und „Schuld“ des Beschuldigten. Weiters steht es ihnen frei, die Anklage aufrecht zu erhalten, wenn die Staatsanwaltschaft von der Anklage zurücktritt. Ebenso steht ihnen das Recht auf Beschwerde gegen einen Beschluss des Gerichts zu, mit dem das Strafverfahren  auf Antrag des Beschuldigten eingestellt wird. Privatbeteiligte sind jedenfalls zur Hauptverhandlung zu laden und haben dort das Recht, nach dem Schlussantrag der Staatsanwaltschaft ihre Ansprüche auszuführen und zu begründen. Privatbeteiligte sind außerdem berechtigt, Berufung gegen schuldig sprechende Urteile zu erheben, mit denen sie ganz oder teilweise auf den Zivilrechtsweg verwiesen werden. Schließlich haben sie Anspruch auf Verfahrenshilfe, soweit sie selbst nicht in der Lage sind, die Kosten eines Rechtsbeistandes ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhaltes zu tragen, und die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich ist, um ihre Rechte zu wahren und einen nachfolgenden Zivilprozess zu vermeiden. Als Opfer einer Straftat stehen Privatbeteiligten selbstverständlich die – ebenfalls durch das Strafprozessreformgesetz erweiterten – „gewöhnlichen“ Opferrechte zu.

Mit § 69 Abs. 2 StPRG wird erstmals die Möglichkeit geschaffen, dass Privatbeteiligte und Beschuldigte im Rahmen des gerichtlichen Hauptverfahrens einen zivilrechtlichen Vergleich abschließen können. Dabei können die unmittelbaren Eindrücke aus dem strafgerichtlichen Beweisverfahren berücksichtigt und zusätzliche Termine vor einem Zivilgericht vermieden werden. Um das – gerade auch in Verfahren wegen Anlegerbetruges – essenzielle Recht der Privatbeteiligten auf Entschädigung weiter zu stärken, ist beabsichtigt, die Verpflichtung der Strafgerichte zur Entscheidung auch über zivilrechtliche Ansprüche durch legistische Maßnahmen dahingehend zu erweitern, dass eine Verweisung des Privatbeteiligten auf den Zivilrechtsweg nicht bereits schon dann, „wenn die Ergebnisse des Strafverfahrens weder an sich noch nach Durchführung einfacher zusätzlicher Erhebungen ausreichen, um auf Grund ihrer über die Ersatzansprüche verlässlich urteilen zu können,“ möglich sein soll (derzeitige Rechtslage), sondern, dass nur dann nicht mit Urteil über die privatrechtlichen Ansprüche des Privatbeteiligten entschieden werden darf, wenn die Ergebnisse des Strafverfahrens keine ausreichende Grundlage für eine auch nur teilweise Beurteilung des geltend gemachten Anspruchs bieten, es sei denn, dass die erforderlichen Entscheidungsgrundlagen durch keine die Entscheidung in der Schuld- und Straffrage erheblich verzögernde Beweisaufnahme ermittelt werden könnten.

Schon jetzt ist es nach § 373a StPO möglich, dass der Bund dem Privatbeteiligten, dem rechtskräftig eine Entschädigung wegen Tötung, Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung oder wegen einer Schädigung am Vermögen (somit auch geschädigte Anleger) zuerkannt worden ist, einen Vorschuss auf die Entschädigungssumme gewährt. Die Zuerkennung einer Entschädigung im Strafurteil steht dabei der Erlangung eines anderen im Inland vollstreckbaren Exekutionstitels gegen den Verurteilten wegen der den Gegenstand der Verurteilung bildenden strafbaren Handlung durch den Verletzten gleich. Die formelle Gewährung eines derartigen Vorschusses ist ein Akt der unabhängigen Rechtsprechung und erfolgt durch förmlichen Beschluss des vorsitzenden Richters. Sollte es zum Abschluss eines Strafverfahrens überdies zu einer Abschöpfung der Bereicherung nach § 20 StGB in Bezug auf noch vorhandene Vermögenswerte, die bei den Verurteilten sichergestellt werden konnten, kommen, so haben Opfer das Recht zu verlangen, dass ihre Ansprüche aus dem vom Bund vereinnahmten Vermögenswert befriedigt werden.

Aus straflegistischer Sicht kann somit festgehalten werden, dass geschädigten Anlegern, die sich einem Strafverfahren als Privatbeteiligte anschließen, umfassende Verfahrensrechte eingeräumt sind und das Recht auf Entscheidung über privatrechtliche Ansprüche bereits mit Abschluss des Strafverfahrens durch entsprechende gesetzliche Rahmenbedingungen noch zusätzlich erweitert wird.

Dennoch darf nicht außer Acht gelassen werden, dass das Strafverfahren nach wie vor primär der Aufklärung von Straftaten und der Verfolgung verdächtiger Personen dient und gerade in Verfahren, bei denen sich ein oder mehrere Angeklagte in Untersuchungshaft befinden, schon aus grundrechtlichen Erwägungen keine erheblichen Verzögerungen zur Klärung privatrechtlicher Ansprüche hingenommen werden können.

Aus zivilprozessualer Sicht handelt es sich bei Verfahren auf Grund von Anlagebetrugsfällen meist um Schadenersatzprozesse. Für die betroffenen Anleger sind in diesem Fall in erster Linie die Aspekte des Zugangs zum Gerichtsverfahren und der Verfahrensdauer bedeutsam. Der Zugang zum Gericht steht freilich grundsätzlich jeder Person, also auch jedem betroffenen Anleger, offen, jedoch sind es oft wirtschaftliche Barrieren, die in der Praxis einer Verfahrensführung entgegenstehen. Gerade Verfahren im Zusammenhang mit Anlegerschäden oder Wirtschaftskriminalität erfordern regelmäßig ein aufwändiges Beweisverfahren, insbesondere die Beiziehung von Sachverständigen, und sind deshalb dementsprechend kostspielig. Jedoch ist es auf legistischem Wege nicht möglich, den Aufwand, den die Beschaffung der für die Entscheidungsfindung erforderlichen Tatsachenbasis nach sich zieht, zu vermindern. Da jedoch in derartigen Fällen im Regelfall eine Vielzahl von Personen betroffen sind, können die Kosten des Verfahrens für den Einzelnen nur dadurch vermindert werden, dass möglichst viele Personen als Verfahrensparteien in das Verfahren eintreten. Da sich das österreichische Zivilprozessrecht jedoch primär am Konzept der individuellen Rechtsverfolgung orientiert, werden die derzeitigen Instrumentarien den Anforderungen, die solche Massenverfahren an die Justiz stellen, nicht ausreichend gerecht. Vor diesem Hintergrund hat das Bundesministerium für Justiz einen Gesetzesentwurf (welcher sich derzeit und noch bis zum 30.7.2007 zur Begutachtung befindet) erarbeitet, der ein solches gebündeltes Vorgehen von Betroffenen vor Gericht in Form einer sogenannten Gruppenklage ermöglicht. Erachtet das Gericht das Gruppenverfahren für zulässig, so wird für die Streitpunkte, die den Gruppenklägern gemeinsam sind, ein einheitliches Beweisverfahren durchgeführt. Die Entscheidung in diesem bindet alle zum Entscheidungszeitpunkt beteiligten Gruppenkläger bzw. kommt ihnen allen zu Gute. Der Vorteil dieser neuen Verfahrensform liegt vor allem in der einheitlichen Durchführung des Beweisverfahren und der darauf basierenden einheitlichen Entscheidungsfindung. Somit bringt das Konzept des Gruppenverfahrens eine wesentliche Kostenersparnis gegenüber der ansonsten erforderlichen Vielzahl von Einzelverfahren, in denen dieselben Beweisthemen in jedem Verfahren aufs Neue zu klären wären. Der Zugang des Einzelnen zu Gericht wird dadurch maßgeblich erleichtert. Darüber hinaus trägt die Verfahrensform des Gruppenverfahrens auch den aus rechtstaatlicher Sicht so bedeutsamen Aspekten der Rechtseinheit und Rechtssicherheit Rechnung, da eine für alle am Gruppenverfahren beteiligten Ansprüche und Personen einheitliche Entscheidung ergeht.

Die Charakteristik des Gruppenverfahrens ist auch geeignet, den in der Anfrage angesprochenen Schutz von Anlegern zu verbessern und (einheitliche) Entscheidungen innerhalb von vertretbaren Zeiträumen sicherzustellen.

Zu 2:

Die Erhebung genauer Schadensbeträge in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren bildet gerade in Fällen von Vermögensdelikten einen wesentlichen Bestandteil der Arbeit der ermittelnden Behörden. Konkrete Feststellungen über das Bestehen oder Nichtbestehen von Schadensersatzansprüchen kann aber letztlich nur ein Gericht treffen, sodass in den Fällen, in denen aus zu oben genannten Gründen eine entsprechende Entscheidung des Strafgerichts nicht getroffen werden kann, der Weg zum Zivilgericht offen steht, das dann über die erhobenen Ansprüche zu urteilen hat. Diesem steht es selbstverständlich frei, Ergebnisse des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens, wie auch des Beweisverfahrens im Rahmen der Hauptverhandlung als Grundlage für seine Entscheidung zu verwenden. Im Zivilverfahren kann nämlich nach § 281a ZPO dann, wenn über streitige Tatsachen bereits in einem gerichtlichen Verfahren – etwa im vorangegangenen Strafverfahren – ein Beweis aufgenommen wurde, das Protokoll hierüber oder ein schriftliches Sachverständigengutachten als Beweismittel verwendet und von einer neuerlichen Beweisaufnahme Abstand genommen werden. Voraussetzung ist, dass entweder die Parteien an diesem vorangegangenen gerichtlichen Verfahren beteiligt waren und keine der Parteien ausdrücklich das Gegenteil beantragt hat, oder zwar die Parteien nicht ident sind, sie aber ausdrücklich zustimmen.

Zu 3:

Mit Ausnahme der bereits beschriebenen Möglichkeit der Gewährung eines Vorschusses und des Instruments der Abschöpfung der Bereicherung bietet das Strafrecht weder in formeller noch materieller Hinsicht Ansatzpunkte dafür, geschädigten Anlegern auch in masselosen Konkursen zu einer rascheren Entschädigung bzw. zumindest zur bereits getroffenen Feststellung ihrer Ansprüche zu gelangen.

Für den personellen Sektor in der strafjustiziellen Behandlung von Fällen der Wirtschaftskriminalität kann festgehalten werden, dass sowohl auf Seiten der Staatsanwaltschaft wie auch auf Seiten der Gerichte die fachspezifische Ausbildung der mit diesen Causen betrauten Justizorganen forciert und mit Hilfe der gesetzlich zur Verfügung stehenden besonderen Ermittlungsmaßnahmen und der Spezialeinheiten bei der Kriminalpolizei (z.B. Sonderabteilung „Abschöpfung der Bereicherung“ beim Bundeskriminalamt) eine wirksame strafrechtliche Verfolgung von Wirtschaftskriminellen gewährleistet scheint.

Das Regierungsprogramm für die 23. Gesetzgebungsperiode sieht im Insolvenzrecht Maßnahmen zur Missbrauchsbekämpfung vor. Insbesondere die Zurückdrängung der Konkursabweisungen mangels Masse kann zur Missbrauchsbekämpfung beitragen, weil durch die Konkurseröffnung der Masseverwalter und das Konkursgericht Einblick in das Unternehmen gewinnen können und so allfällige Malversationen nicht länger verborgen bleiben. Daher werden im Rahmen einer Arbeitsgruppe im Zuge der Reform des Insolvenzrechts auch Maßnahmen erörtert, um die Zahl der Konkursabweisungen mangels Masse zu reduzieren.

Zu 4:

§ 191 ZPO regelt die Möglichkeit der Unterbrechung eines Zivilprozesses bis zur Erledigung eines Strafverfahrens, wenn die Ermittlung und Aburteilung der den Gegenstand des Strafverfahrens bildenden strafbaren Handlung für die Entscheidung des Zivilrechtsstreites voraussichtlich von maßgebendem Einfluss ist. Diese Entscheidung ist anfechtbar.

Dem Bundesministerium für Justiz ist kein einziger Fall zur Kenntnis gelangt, in dem die Unterbrechungsmöglichkeit nach § 191 ZPO in missbräuchlicher Weise Anwendung gefunden hätte. 


Zu 5.:

Das Strafverfahren gegen die Hauptverdächtigen ist rechtskräftig beendet. Nach den mir vorliegenden Berichten der Staatsanwaltschaften ist derzeit noch ein Strafverfahren (gerichtliche Vorerhebungen) gegen zwei Verdächtige anhängig. Ob dieses Verfahren in weitere Anklagen münden wird, bleibt abzuwarten.

 

 

. Juli 2007

 

(Dr. Maria Berger)