992/AB XXIII. GP

Eingelangt am 10.08.2007
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BM für Justiz

Anfragebeantwortung

DIE  BUNDESMINISTERIN
           FÜR  JUSTIZ

BMJ-Pr7000/0066-Pr 1/2007

 

An die

                                      Frau Präsidentin des Nationalrates

                                                                                                                           W i e n

 

zur Zahl 959/J-NR/2007

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Dr. Maria Fekter, Kolleginnen und Kollegen haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Korrekturen von Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes“ gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Zu dem in der Anfrage angesprochenen Artikel in der Kronen Zeitung vom 3. Juni 2007 möchte ich eingangs anmerken, dass sich der Oberste Gerichtshof (OGH) in seiner in dieser Sache ergangenen Entscheidung mit der Frage der Pflegebedürftigkeit einer Person ab einem bestimmten Alter gar nicht beschäftigt hat; diese war nicht Gegenstand seiner Entscheidung. Auch zur Frage des zumutbaren Umfanges der „interfamiliären Beistandspflicht“ traf der OGH keine Aussage.

Zu 1:

Eine Überprüfung der Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs durch eine weitere (innerstaatliche) Instanz verbietet die geltende österreichische Bundesverfassung. Nach Art 92 Abs. 1 B-VG ist der Oberste Gerichtshof oberste Instanz in Zivil- und Strafsachen. Damit ist nicht nur eine Bestandsgarantie des Obersten Gerichtshofs festgelegt, sondern auch die Unzulässigkeit, eine weitere Instanz in Zivil- und Strafsachen über dem Obersten Gerichtshof zu errichten, normiert. Dementsprechend definiert § 1 Abs. 1 OGHG den Obersten Gerichtshof als oberstes Organ der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Die Kontrolle der ordentlichen Gerichtsbarkeit durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts (Verwaltungsgerichtshof, Verfassungsgerichtshof) verhindert der in Art. 94 B-VG („Die Justiz ist von der Verwaltung in allen Instanzen getrennt.“) verankerte Grundsatz der Gewaltentrennung. Jedes der Höchstgerichte ist in seinem Bereich oberste Instanz, deren Entscheidungen von einem anderen Staatsorgan weder aufgehoben noch rechtsförmlich kontrolliert werden dürfen.

Zur Schaffung einer „vierten Instanz“ zur Kontrolle des Obersten Gerichtshofs müsste folglich eine umfassende Änderung der österreichischen Bundesverfassung erfolgen.

Zu 2:

Es ist aus rechtsstaatlichen Überlegungen unumgänglich, dass es eine Instanz gibt, die verbindlich und endgültig über den Zivilrechtsstreit zweier Parteien entscheidet. Diese Aufgabe kommt im Rahmen der ordentlichen Gerichtsbarkeit dem OGH zu. Die wesentliche Aufgabe des Obersten Gerichtshofs, der als oberstes Organ der ordentlichen Gerichtsbarkeit fungiert, liegt in seiner Leitfunktion. Er hat für eine einheitliche Rechtsprechung zu sorgen und Rechtssicherheit im Bereich der Gerichtsbarkeit zu gewährleisten. Damit wird die verfassungsgesetzlich geforderte Gleichbehandlung gleichartiger Fälle sichergestellt.

Ferner ist zu beachten, dass eine oder auch beide Parteien aus einer Entscheidung Rechte erlangen. Zum Recht auf Zugang zu einem Gericht gehört auch das Recht darauf, dass ein endgültiges Urteil ergeht, dieses beachtet und bei Bedarf zwangsweise vollstreckt wird. Damit verbunden ist das Recht, diese Entscheidung in angemessener Zeit zu erhalten.

Der in der Gerichtsorganisation und Zivilprozessordnung vorgesehene dreistufige Instanzenzug mit dem Obersten Gerichtshof als letzter, endgültig entscheidender Instanz entspricht daher der österreichischen Verfassung und den Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention. Weder das B-VG noch die EMRK garantieren in jedem Fall einen Anspruch auf eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs. Nach Artikel 6 EMRK besteht überhaupt kein Recht auf einen Instanzenzug, es reicht aus, wenn das Gericht in einem Verfahrensgang entscheidet.

Darüber hinaus hege ich Zweifel, ob die Implementierung einer weiteren „letzten“ Instanz es mit sich brächte, dass deren Entscheidung von der das Verfahren verlierenden Partei oder der „Öffentlichkeit“ immer als „richtig“ empfunden würde. Die Anrufbarkeit einer solchen weiteren Instanz durch die Parteien würde aber mit Sicherheit zu einer Verlängerung der Prozessdauer und Erhöhung der Verfahrenskosten führen. Diese Konsequenz wäre aus dem Gesichtspunkt des Zugangs zum Recht, welcher sowohl ein finanzierbares Verfahren als auch die Erlangung einer durchsetzbaren Entscheidung innerhalb angemessener Zeit verlangt, höchst bedenklich, sodass ein solcher Schritt insbesondere im Interesse der rechtsuchenden Bevölkerung als nicht zweckmäßig erscheint.

Zu 3:

Gemäß § 33 Abs. 2 StPO kann der Generalprokurator beim Obersten Gerichtshof von Amts wegen oder im Auftrag des Bundesministeriums für Justiz gegen Urteile der Strafgerichte, die auf einer Verletzung oder unrichtigen Anwendung des Gesetzes beruhen, sowie gegen jeden gesetzwidrigen Beschluss oder Vorgang eines Strafgerichtes, der zu seiner Kenntnis gelangt, eine Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes auch dann noch erheben, wenn der Angeklagte oder der Ankläger in der gesetzlichen Frist vom Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde keinen Gebrauch gemacht hat.

Nach herrschender Ansicht in Lehre und Rechtsprechung ist eine Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung der Gesetze gegen eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs nicht möglich. Eine weitere Prüfmöglichkeit einer bereits vorliegenden Entscheidung des Obersten Gerichtshofs wird deshalb verneint, weil in der selben Sache bereits entschieden worden ist und damit „res iudicata“ vorliegt. Dasselbe gilt für die Entscheidungen der Zivilgerichte.

Der Regelung der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes in der Strafprozessordnung liegt die Funktion des strafgerichtlichen Verfahrens zugrunde, nach der der Staatsanwalt als Ankläger dem Strafanspruch des Staates zum Durchbruch verhilft. Das Recht zu strafen (ius punendi) steht nur dem Staat zu, ebenso das Verfolgungsrecht zur Realisierung dieses Strafanspruchs.

Die wesentliche Aufgabe des Zivilprozesses besteht hingegen in der Wiederherstellung und Bewahrung des Rechtsfriedens. Der Rechtsfriede schützt einerseits die Privatrechtssphäre des einzelnen Bürgers und andererseits die Privatrechtsordnung der staatlichen Rechtsgemeinschaft als Ganzes. Wenn es dem Kläger auch zuerst um die Wiederherstellung seines gestörten Rechtsfriedens geht, schützt ein funktionierendes Prozesssystem durch seine Präventionsfunktion die gesamte Privatrechtsordnung, weil es den Rechtsfrieden wahrt.

Der Zivilprozess soll primär ermöglichen, über die widerstreitenden Interessen der Parteien in einem formalisierten System zu verhandeln und letztlich eine autoritative und effektiv durchsetzbare Entscheidung zu erlangen. Für den Zivilprozess charakteristisch ist, dass sich zwei Parteien gegenüberstehen, denen gleiche Rechte zukommen und die den Streitgegenstand bestimmen und über diesen verfügen können. Im Zivilprozess bestimmen die Parteien über den Prozess. Sie können über ihre privatrechtlichen Ansprüche in aller Regel privatautonom disponieren und über den Streitgegenstand frei verfügen.

Diese Dispositionsmaxime der Parteien beschränkt auch die Entscheidungsgewalt des Gerichtes. Das Gericht ist nicht befugt, einer Partei etwas zuzusprechen, was diese nicht beantragt hat; die Überprüfungsmöglichkeit der Rechtsmittelgerichte wird durch die Rechtsmittelanträge der Parteien begrenzt.

Weder Systematik noch Aufgabe und Zweck des Zivilprozesses bieten Raum für ein der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes vergleichbares Instrumentarium. Im Gegensatz zur Funktion des Strafprozesses, welcher dem Strafanspruch des Staates zum Durchbruch verhelfen soll und demnach von öffentlichen Interessen beherrscht ist, muss es im Zivilprozess den Parteien überlassen bleiben, ob sie eine erst- oder zweitinstanzliche Entscheidung bekämpfen oder dies etwa aus ökonomischen Überlegungen unterlassen oder allenfalls stattdessen eine außergerichtliche Vereinbarung treffen wollen. Einem unabhängigen Dritten zu erlauben, in den Zivilprozess zweier Parteien einzugreifen, steht allen diesen Grundsätzen diametral entgegen. Durch die Einschaltung eines Dritten, der einer der Parteien eines Zivilprozesses zu Hilfe kommen soll und dessen Antrag darauf abzielt, der anderen Partei erworbene Rechte abzuerkennen, würde auch der Grundsatz der Waffengleichheit im Zivilprozess massiv verletzt.

Zu 4 und 5:

Die Installierung einer die Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs prüfenden Instanz würde – wie ich bereits oben dargestellt habe - einen massiven Eingriff in die österreichische Bundesverfassung bedeuten und zu grundlegenden Änderungen dieser zwingen, welche jedoch zwangsläufig eine Erschwerung des Zugangs zum Recht und der effektiven Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche nach sich zöge. Ein entsprechender Gesetzesvorschlag ist von mir daher nicht geplant.

 

. August 2007

 

(Dr. Maria Berger)