1220/J XXIII. GP
Eingelangt am 06.07.2007
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ANFRAGE
der Abgeordneten Glawischnig-Piesczek, Lunacek, Hradecsni, Freundinnen und Freunde
an den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft
betreffend Beteiligung Österreichs am umstrittenen Riesenstaudammprojekt Ilisu
Die Türkei plant mit öffentlicher österreichischer, deutscher und Schweizer Unterstützung den Tigrisfluss auf einer Länge von 130 Kilometern aufzustauen. Es handelt sich dabei um ein sogenanntes Riesenstaudammprojekt mit dramatischen kulturellen, sozialen und ökologischen Konsequenzen. Durch den Stausee würden mehr als 200 antike Stätten zerstört, darunter auch die berühmte, seit 11.000 Jahren durchgehend besiedelte Stadt Hasankeyf, die Anfang Juni 2007 in die Liste der 100 weltweit am meisten bedrohten Kulturstätten aufgenommen wurde.
Das Tigris-Tal ist eines der wichtigsten Täler der Menschheitsgeschichte und gilt als Teil Mesopotamiens mit als Wiege der westlichen Zivilisation. 55.000 Menschen verlieren ihre Lebensgrundlagen, NGO´s sprechen sogar von bis zu 78.000 Betroffenen. Amnesty International hat festgehalten, dass, sollte das Projekt auf Basis der vorliegenden Umsiedelungspläne der türkischen Behörden durchgeführt werden, sich die involvierten europäischen Regierungen und Unternehmen wissentlich an Menschenrechtsverletzungen beteiligen.
Nach Prüfung durch die Oesterreichische Kontrollbank (OEKB) und Befassung des im Ausfuhrförderungsgesetz (AFG) geregelten Beirates wurde laut Angaben der OEKB am 26.3.2007 eine Exportgarantie für Lieferungen von Turbinen und elektromechanischer Ausrüstung für das türkische Wasserkraftwerk im Volumen von knapp 285 Millionen Euro wirksam. Die zuvor gegebene „Promesse“ wurde in eine Garantie umgewandelt. Das bedeutet, der Bundesminister für Finanzen hat mit seiner Unterschrift Grünes Licht für die Exportgarantie gegeben und die OEKB mit der weiteren Umsetzung (Detailverhandlungen über Auflagen und Ausfertigung der Garantie) beauftragt hat. Derzeit laufen nach Angaben der OEKB noch Verhandlungen der drei Exportkreditagenturen mit den türkischen Kraftwerks-Errichtern über die vertraglichen Details, die Garantie ist seitens der OEKB noch nicht ausgefertigt. Werden die Vertragsverhandlungen positiv abgeschlossen, übernehmen Österreichs Steuerzahler über eine öffentliche Haftung das Risiko für die Beteiligung österreichischer Unternehmen am Projekt Ilisu. Die Schweizer Regierung hat den Weg für Kredithaftungen in Höhe von 225 Mio. Franken (138,8 Mio. Euro) frei gemacht, die Deutsche Regierung (Euler-Hermes) haftet für weitere ca. 100 Mio. Euro[1]. Die Gesamtkosten des Staudamms werden auf ca. zwei Mrd. Euro geschätzt. Die von den Projektbetreibern und Kontrollbanken aus Österreich, Deutschland und der Schweiz erarbeiteten Auflagen in den Bereichen Umwelt, Menschenrechte / Umsiedelungen, Kulturerbe entsprechen entgegen den Behauptungen der Projektbetreiber nicht den Weltbankstandards. Die im Umwelt- und Menschenrechtsbereich noch strengeren EU-Standards werden glatt verfehlt. Gemäß Weltbankstandards hätten eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP), ein Umsiedelungsplan und ein Kulturgüterplan vorliegen müssen, bevor es zu einer Entscheidung zur Übernahme der Haftung kommt. Nach den jetzigen Kriterien ist eine UVP gar nicht mehr erforderlich und der Umsiedelungsplan sowie der Kulturgüterplan sollen während des Baus erstellt werden. Die Kriterien sind so schwach gewählt, dass sie kaum Handhabe ermöglichen, das Projekt auf internationalen Standard zu bringen. So sollen zum Beispiel erst in den nächsten 4-5 Jahren Studien zu den Fischpopulationen im Gebiet gemacht werden. In dieser Zeit ist der Bau des Staudammes aber bereits weit fortgeschritten. In Europa wäre diese Vorgangsweise undenkbar und widerrechtlich.
Der durch den Dammbau entstehende Stausee soll eine Fläche von ca. 320 km² umfassen. Das entspricht der 17fachen Fläche des Wörthersees. Laut Angaben der Projektbetreiber soll der Stausee eine Länge von 130km haben. Berücksichtigt man allerdings auch die Zuflüsse in den Tigris, die ebenfalls eingestaut werden und die Auswirkungen flußab des Staudammes, so würden durch das Ilisu-Projekt mehr als 400 km Flüsse zerstört. Die geplante Kapazität des Kraftwerks wird mit 1200 MW angegeben. Der Ilisu-Damm soll zwei bis drei Prozent des türkischen Strombedarfs erzeugen.
Eine von Eva Glawischnig geleitete Parlamentarierdelegation[2] hat sich auf einer mehrtägigen Reise in Südostanatolien ein Bild vom geplanten türkischen Staudammprojekt Ilisu gemacht. Nach Gesprächen mit ExpertInnen, NGO-VertreterInnen, lokalen und regionalen Behörden, GegnerInnen und Befürwortern des Projekts haben sich die Bedenken gegen die geplante österreichische Beteiligung am Projekt erhärtet.
Menschenrechtsverletzungen
Gespräche mit DorfbewohnerInnen in der Region haben gezeigt, dass die Menschen bis heute nicht ausreichend über den geplanten Damm, die Überflutung ihrer Dörfer durch den Stausee, die Entschädigungen und ihre Zukunft informiert worden sind.
Obwohl gegenüber dem ursprünglichen Plan aus 1999 gewisse Verbesserungen erkennbar sind, verstößt der Umsiedelungsplan nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen was den auf Enteignungen anwendbaren gesetzlichen Rahmen etwa hinsichtlich Entschädigungen betrifft, wegen dem Mangel an effektiven und fairen Beschwerdeverfahren für die Betroffenen sowie auf Grund unzureichender Information und Einbeziehung der lokalen Bevölkerung gegen internationale Menschenrechtsstandards und Weltbankstandards. Die relevanten internationalen Verträge - insbesondere die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), wurden aber von der Türkei ratifiziert und sind für diese somit völkerrechtlich verbindlich.
Zahlreiche bereits verwirklichte Staudammprojekte in der Region, die ebenfalls oft mit Beteiligung österreichischer Unternehmen errichtet wurden, zeigen, dass die vor dem Bau gegebenen Versprechungen nicht eingehalten wurden. So haben zahlreiche Menschen in der Region des Birecik-Damms (Fertigstellung: 2001; beteiligte österreichische Firmen: Verbundplan und Strabag) am Euphrat bis heute keine Entschädigungszahlungen erhalten. Die Menschen in Birecik sind heute ärmer als vor dem Dammbau.
Die vom Österreichisch-Deutsch-Schweizer Firmenkonsortium bzw. den Kontrollbanken der drei Länder angegeben 11.000 Menschen, die umgesiedelt werden müssen, entsprechen nicht den Tatsachen. Weitere 40.000 Menschen werden in der vom Firmenkonsortium veröffentlichten Statistik als „teilweise betroffen“ klassifiziert, weil sie z.B. „nur“ ihr Land, nicht aber ihr Haus durch die Überflutung verlieren. Dass diesen Menschen damit ihre Lebensgrundlage genommen wird, wird von den Baufirmen, den Kontrollbanken und den Regierungen ignoriert.
Über 80 % der Bevölkerung, der Bürgermeister von Diyarbakir und die Gemeinderäte der Region haben sich gegen den Damm ausgesprochen. Nach einer Fragebogenaktion behauptet das Bau-Konsortium, dass über 80 % der Bevölkerung für das Projekt seien. Jedoch wurde im Erhebungsbogen die konkrete Frage nach Zustimmung oder Ablehnung des Damms gar nicht gestellt, die Erhebung wurde äußerst tendenziös durchgeführt. Eine Befragung im Auftrag der Initiative „Keep Hasankeyf alive“ kam zu anderen Resultaten: weit über 80 % der Bevölkerung ist gegen das Staudammprojekt.
Der Bürgermeister der in der Region gelegenen Stadt Diyarbakir, Osman Baydemir, rechnet mit bis zu 40.000 „Damm-Flüchtlingen“, durch welche sich die ohnehin bereits sehr angespannte soziale Lage in seiner Stadt massiv verschärfen würde. Durch Vertreibungen und Dammprojekte wuchs die Stadt in den vergangenen zehn Jahren von 200.000 auf mehr als 1 Million EinwohnerInnen an. Die soziale Situation in Diyarbakir ist bereits heute extrem angespannt. Die Arbeitslosenrate beträgt 70%, 40% der Menschen leben unter der Armutsgrenze. Die von der Stadtverwaltung organisierten Sozialprojekte (Gesundheitsvorsorge, Bildung, soziale Integration, Frauenhäuser etc.) sind am Kapazitätslimit. Es fehlen finanzielle und personelle Ressourcen. Die befürchteten 30.000 bis 40.000 zusätzlichen Landflüchtlinge würden die sozial triste Lage in Diyarbakir dramatisch verschärfen. In anderen – ebenfalls rasant wachsenden – Städten in der Region wie etwa Batman oder Mardin ist die Situation nicht anders.
Von den versprochenen aber nicht garantierten Entschädigungszahlungen würden vor allem einige wenige Großgrundbesitzer mit Wohnsitz in Ankara profitieren. Die lokale Bevölkerung besteht vorwiegend aus landlosen TagelöhnerInnen (Tageslohn: zwei bis drei Euro) bzw. Menschen mit Landbesitz von weniger als fünf Hektar.
Vernichtung kulturellen Erbes von Menschheitsrang
Die Region des geplanten Ilisu-Staudamms in Südostanatolien gehört zu den wichtigsten archäologischen Regionen der Welt. Viele frühgeschichtliche und historische Stätten im Tigris-Tal und einige seiner Zuflüsse würden durch den Stausee geflutet werden. Obwohl es sich bei der 11.000 Jahre alten Stadt Hasankeyf und seinen mehr als 200 antiken Stätten zweifelsohne um ein schützenswertes Kulturerbe internationalen Ranges handelt und die UNESCO-Definition des „kulturellen Erbes“ auf Hasankeyf zutrifft, hat die Türkei bis heute der UNESCO nicht vorgeschlagen, Hasankeyf in die Liste des Weltkulturerbes aufzunehmen.
Am 6. Juni 2007 hat der „World Monuments Watch“ seine aktuelle im Zweijahresrythmus veröffentliche Liste der 100 am meisten bedrohten Kulturstätten herausgegeben. Die Stadt Hasankeyf wurde auf die Liste aufgenommen.
Die mehr als 6.000 aus dem Fels gehauenen Höhlenwohnungen in Hasankeyf sind weltweit einzigartig. Wer sich selbst vor Ort ein Bild von Hasankeyf und seinen kulturellen Schätzen gemacht hat, dem wird rasch klar, dass die vom Ilisu-Firmenkonsortium angeführte „Umsiedelung“ einiger Kulturmonumente in einen „Archäologiepark“ keine „Rettung“ dieses Weltkulturerbes bedeutet, sondern zweifelsfrei deren Zerstörung.
Umweltdesaster: Zerstörung unberührter Flusslandschaften
Der Tigris und seine Zuflüsse bilden – im Gegensatz zum bereits fast vollständig eingestauten Euphrat - ein noch weitgehend unberührtes, intaktes und ökologisch extrem artenreiches und wertvolles Fluss-Ökosystem. Viele Tier- und Pflanzenarten sind in der Region endemisch, das heißt sie kommen nirgends sonst auf der Welt vor. Bis heute sind noch nicht alle Tier und Pflanzenarten untersucht und beschrieben. Auf sie werde zunehmend Druck von den türkischen Behörden ausgeübt, ihre wissenschaftlichen Untersuchungen einzustellen, da ohnehin der Stausee komme, berichten Wissenschaftler aus der Region.
International renommierte Hydrologen und Umweltschutzorganisationen weisen dem von den Unternehmen vorgelegten Ilisu-Umweltgutachten schwere Mängel nach. Zu den gravierenden ökologischen Auswirkungen zählen u.a. :
- Verschlechterung der Wasserqualität für Bevölkerung
- Vernichtung von Flussauen und Habitaten für seltene Tier- und Pflanzenarten
- Sedimentierung und Eutrophierung
- Fischsterben, Vernichtung bedrohter Vogelpopulationen
- Wasserhaushalt / Geringe Restwassermengen: Wasserschwankungen sind ökologisch wichtig. V.a. die Frühjahrshochwässer sind für den Fischreichtum von großer Bedeutung und davon wiederum profitieren die Menschen. Genau diese Frühjahrshochwässer sollen aber durch Ilisu abgefangen werden. Die Mindestwassermenge liegt deutlich unter den historisch gemessenen Mindestmengen des fließenden Tigris: Nur noch 60m3/s sollen im Sommer fließen dürfen; gemessener Niedrigststand war bisher 70m3/s.
Wasserrechte: Unzureichende Einbindung des Irak und Syriens
In einem Brief an EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner hat der irakische Außenminister Hoshiyar Zebari die EU aufgefordert, bei der türkischen Regierung gegen den Bau des Ilisu-Staudamms zu intervenieren, da die Türkei mit dem Irak und Syrien keine Konsultationen über die nach dem Dammbau erheblich verringerte Restwassermenge im Tigris-Fluss geführt habe. „Das wird desaströse Auswirkungen auf alle Lebensbereiche im Irak haben“, heißt es in dem Brief des Ministers. Konkret sei mit Rückgängen in der landwirtschaftlichen Produktion zu rechnen, ebenso mit der Ausweitung von Wüsten. Der irakische Außenminister appelliert an Ferrero Waldner, alle Anstrengungen zu unternehmen, um zu verhindern, dass Europäische Institutionen und Firmen das Ilisu-Projekt unterstützen, solange es nicht ein Übereinkommen mit Syrien und dem Irak über das Wassermanagement gibt. Der irakische Minister für Wasserresourcen Latif Rashid hat sich in einem Brief an eine deutsche Nichtregierungsorganisation ähnlich geäußert, wie Der Standard vom 30. Oktober 2006 berichtet hat. Die Türkei gewinnt durch den Staudammbau jedenfalls deutlich an Kontrolle über das Wasser des Tigris-Fluss. Es ist daher nicht auszuschließen, dass die Türkei dies als Machtinstrument einsetzt. Dadurch droht der Ilisu-Staudamm die ohnedies krisengeschüttelte Region noch weiter zu destabilisieren. Die Weltbank hat das außenpolitische Konfliktpotential des gesamten Südostanatolien-Projekts (22 Staudämme, einer davon Ilisu) erkannt und deswegen bereits 1984 eine Finanzierung der Dammprojekte abgelehnt.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende
ANFRAGE:
1. Halten Sie es angesichts der massiven Kritik von ExpertInnen, Menschenrechtsorganisationen, NGOs, lokalen BehördenvertreterInnen und der deutlichen Mehrheit der betroffenen Bevölkerung für verantwortungsvoll und vertretbar, dass die Republik Österreich dieses umstrittene Projekt mit Steuergeldern via Oesterreichische Kontrollbank versichert? Falls ja, warum?
2. Sind Sie der Ansicht, dass die Beteiligung Österreichs am Ilisu-Staudamm überdacht werden sollte? Falls nein, warum nicht? Falls ja, was werden Sie diesbezüglich unternehmen?
3. Haben Sie sich jemals vor Ort selbst ein Bild von der vom geplanten Ilisu-Staudamm betroffenen Region gemacht und dort mit Betroffenen, GegnerInnen und BefürworterInnen gesprochen? Wenn ja, wann und mit welchem Ergebnis?
4. Schwedische, britische und italienische Firmen haben sich bereits vor Jahren aus ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Gründen aus dem Ilisu-Projekt zurückgezogen. Selbst die Weltbank hat schon im Jahr 1984 eine Beteiligung am gesamten Südostanatolienprojekt abgelehnt. Sind Sie der Meinung, dass eine staatliche Unterstützung des Ilisu-Projekts dem Ruf Österreichs als angebliches Umweltmusterland zuträglich ist?
5. Welche Berichte, Untersuchungen und Belege liegen Ihnen vor, die zweifelsfrei nachweisen, dass das geplante Ilisu-Projekt keine Menschenrechtsverletzungen verursacht und in vollem Einklang mit der Europäischen Menschenrechtskonvention steht? (Bitte um Auflistung)
6. Ist Ihnen die Kritik von Amnesty International, wonach der aktuell gültige Umsiedelungsplan des türkischen Staates für das Ilisu-Projekt aus 2005 als klarer Verstoß gegen die Menschenrechte eingestuft wird, bekannt? Falls ja, wie beurteilen Sie diese Kritik und welche Konsequenzen wurden das Projektdesign betreffend daraus gezogen?
7. Ist Ihnen die Tatsache bekannt, dass im Gebiet des GAP-Projekts (Südostanatolien-Projekt des türkischen Staates, dass den Bau von insgesamt 22 Dämmen vorsieht, einer davon ist der geplante Ilisu-Damm) 70 % der landwirtschaftlich bebaubaren Fläche in Staatseigentum, 25% in Besitz von Großgrundbesitzern, nur 5% in Besitz einer Vielzahl von Kleinbauern ist und eine große Anzahl von Menschen in der Region landlos ist und sich als Tagelöhner verdingen müssen? Sehen Sie darin die vom türkischen Staat versprochenen Entschädigungen nicht auch als problematisch?
8. Ist Ihnen die Tatsache bekannt, dass beim so genannten Südostanatolienprojekt (GAP-Projekt) bereits 80% der geplanten Dammprojekte realisiert worden sind, jedoch bis heute nur 14% der ursprünglich geplanten Bewässerungsanlagen (zur Erschließung neuer landwirtschaftlicher Flächen als Ersatz für die in den überfluteten Flusstälern gelegenen Anbaufeldern) realisiert wurden? Halten Sie diese Praxis nicht für problematisch, da damit ja offensichtlich wird, dass eines der zentralen Versprechen für die Bevölkerung, nämlich durch Bewässerungsprojekte neues Land (als Ersatz für die bisher bewirtschafteten, aber im Zuge der Inbetriebnahme der Dämme überfluteten Flächen) zu bekommen, nicht eingehalten wird?
9. Steht die geplante Flutung der 11.000 Jahre alten Stadt Hasankeyf, der von Experten de facto ein Status als UNESCO-Kulturerbe zugeschrieben wird vor kurzem in die Liste der 100 am meisten bedrohten Kulturgüter der Welt aufgenommen wurde, sowie der Flutung weiterer zahlreicher, größtenteils in ihrer Bedeutung unerforschter archäologisch bedeutender Monumente Ihrer Ansicht nach im Einklang mit den türkischen Gesetzen zum Erhalt archäologischer Güter?
10. Ist es Ihrer Ansicht nach vertretbar, die 11.000 Jahre alte Stadt Hasankeyf, deren historische Bedeutung sogar mit Ephesus gleichgesetzt wird, den Fluten zu übergeben für ein Staudammprojekt mit einer erwarteten Lebensdauer von 60 bis 80 Jahren?
11. Würden Sie es akzeptieren, dass die Altstadt von Salzburg, UNESCO-Weltkulturerbe, einem Stausee weichen muss bzw. einzelne Stücke der Stadt dafür in ein Kulturmuseum transferiert würden? Falls nein, wieso unterstützen Sie dann die Flutung von Hasankeyf mittels österreichischem Steuergeld?
12. Wie stehen Sie zur Forderung des EU-Parlaments aus dem Jahr 2004, wonach die türkische Regierung Hasankeyf für Wert befinden sollte in die UNESCO-Liste des Weltkulturerbes aufgenommen zu werden? Werden Sie sich dafür einsetzen, dass die Stadt Hasankeyf in die UNESCO-Liste des Weltkulturerbes aufgenommen wird? Falls ja, was werden Sie tun? Falls nein, warum nicht?
Die EU hat in ihren Fortschrittsberichten zum Beitrittswerber Türkei mehrfach Kritik an den menschenrechtlichen, sozialen und umweltpolitischen Rahmenbedingungen des Ilisu-Damm-Baus geübt. Die EU-Kommission fordert darüber hinaus in einem Bericht aus 2004 die Türkei auf, dass „alle neuen Investitionen mit dem umweltpolitischen Acpuis in Einklang stehen sollten.“
13. Entsprechen die von den Exportkreditbanken aufgestellten Auflagen dem umweltpolitischen Acpuis der Europäischen Union?
14. Wurde für das Ilisu-Projekt eine Umweltverträglichkeitsprüfung nach EU-Standards mit Bürgerbeteiligung und Alternativenprüfung durchgeführt? Wenn ja, mit welchem Ergebnis; wenn nein warum nicht?
15. Stehen die Planungen zum Ilisu-Staudamm, auf deren Grundlage Sie Grünes Licht für eine Exportgarantie für das Projekt gegebenen haben im Einklang mit den einschlägigen EU-Richtlinien über die Umweltverträglichkeitsprüfung bestimmter Pläne und Programme bzw. über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme (RL 97/11/EG und RL 2003/35/EG)? Falls ja, aus welchen konkreten Dokumenten und Prüfberichten ist die Einhaltung dieser EU-Umweltstandards ablesbar?
16. Steht das Projekt im Einklang mit europäischem Naturschutzrecht (Natura 2000 Richtlinien)? Falls ja, aus welchen konkreten Dokumenten und Prüfberichten ist die Einhaltung dieser EU-Umweltstandards ablesbar (Bitte um konkrete Auflistung); falls nein, warum nicht und welche Konsequenzen werden Sie daraus ziehen?
17. Steht das Projekt im Einklang mit europäischem Wasserrecht (Wasserrahmenrichtlinie)? Falls ja, aus welchen konkreten Dokumenten und Prüfberichten ist die Einhaltung dieser EU-Umweltstandards ablesbar (Bitte um konkrete Auflistung); falls nein, warum nicht und welche Konsequenzen werden Sie daraus ziehen?
18. Sind Sie der Meinung, dass die öffentliche österreichische Unterstützung von Bauprojekten im Ausland denselben Kriterien und Auflagen entsprechen sollte, die auch bei Bauprojekten in Österreich bzw. der EU verpflichtend sind? Falls nein, warum nicht?
19. Wie stehen Sie zu dem Vorschlag, dass österreichische Außenhandelsfördergesetz dahingehend zu novellieren, dass bei allen von der oesterreichischen Kontrollbank versicherten Projekten im Ausland lückenlos österreichische bzw. EU-Standards hinsichtlich Umwelt-, Menschenrechts-, Sozial und Kultur- und Transparenzstandards gelten müssen? Würden Sie eine solche Novelle unterstützen? Falls nein, warum nicht?
20. Entspricht das Ilisu-Projekt den Weltbankstandards für Staudammprojekte? Falls ja, aus welchen konkreten Dokumenten und Prüfberichten ist deren Einhaltung ablesbar; falls nein, warum nicht und welche Konsequenzen werden Sie daraus ziehen?
21. Entspricht das Ilisu-Projekt den OECD-Standards?
Die rechtzeitige Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP), wie dies gemäß internationalen Standards üblich ist, hat den allgemein anerkannten Sinn, ein Projekt gegebenenfalls so anpassen zu können, dass Umweltstandards eingehalten werden. Wenn nun beim Ilisu-Projekt keine UVP durchgeführt wird, sondern lediglich in der Bauphase einige Umweltstudien durchgeführt werden, ist es offensichtlich, dass allfällige Studienergebnisse nicht mehr in den Planungen berücksichtigt werden können.
22. Sind Sie der Meinung, dass die OEKB den Kredit frühzeitig fällig stellen sollte, wenn die Umweltstudien in der Bauphase negative Umweltauswirkungen des Projekts belegen?
In den Projektauflagen (TORs) des Firmenkonsortiums wird u.a. angegeben, dass die von den türkischen Behörden angegebenen Umweltauswirkungen zu oberflächlich dargestellt sind und dass keine aktuellen Daten aus Felduntersuchungen vorliegen. Gleichzeitig wird angegeben, dass zwar eine gewisse Anzahl lokal und global seltener Tierarten vom Projekt beeinträchtigt werden, aber keine dieser Arten auf Grund des Ilisu-Projekts aussterben wird (ToR E-13).
23. Wenn das Konsortium selbst zugibt, dass keine ausreichenden Daten aus Felduntersuchungen vorliegen, auf welcher seriösen Basis kann dann Ihrer Ansicht nach andererseits geschlossen werden, dass keine der bedrohten Tierarten aussterben werden?
24. Eine Studie der renommierten Organisation von Bird Life Schweiz aus 2006 hat konstatiert, dass die vorhandenen „Important Bird Areas“ keine Rechnung getragen wurde und die Bestandsaufnahme der Biodiversität als mangelhaft zu bezeichnen ist. Wie ist dies mit geltenden Weltbank- und OECD-Standards vereinbar?
Die Weltstaudammkommission (WCD) wurde 1998 als unabhängiges Expertengremium von Weltbank und der World Conservation Union (IUCN) eingesetzt. Die WCD hat Richtlinien für den Bau von Riesenstaudämmen errichtet. Bei der Evaluierung zahlreicher Dammprojekte kam die Kommission zu erschütternden Ergebnissen. Staudämme würden häufig nicht die erwartete technische und wirtschaftliche Leistung erbringen, gravierende ökologische Folgen nach sich ziehen und sozial negative Auswirkungen nicht berücksichtigen. So wurden weltweit ca. 40 bis 80 Millionen Menschen nach dem Bau von Staudämmen vertrieben oder umgesiedelt, von denen viele keine Entschädigungen erhielten. Viele weitere Millionen Menschen mussten eine schwere Beeinträchtigung ihrer Lebensgrundlagen hinnehmen. Die Kriterien der WCD sehen daher unter anderem eine effektive Mitwirkung aller Beteiligten, die umfassende Prüfung von Alternativvarianten und den Erhalt von Existenzgrundlagen vor.
25. Entspricht das Ilisu-Projekt den Empfehlungen der internationalen Weltstaudammkommission?
Der Birecik-Staudamm (Fertigstellung: 2001; beteiligte Firmen: Verbundplan und Strabag) am Euphrat ist eines von vielen Beispielen, die zeigen, unter welchen Bedingungen und mit welchen Auswirkungen Staudammprojekte in der Türkei realisiert werden. Die türkischen Behörden haben die Umsiedelung von 30.000 Menschen damals im Hinblick auf die Beteiligung der betroffenen Bevölkerung und die Verbesserung ihrer Lebensbedingungen als vorbildlich gelobt. Berichte der Bevölkerung an internationale Beobachter sprechen eine andere Sprache: 18 Dörfer im Baustellengebiet wurden von Soldaten gewaltsam geräumt; mehr als tausend BewohnerInnen eines Dorfes mussten vor den steigenden Fluten flüchten und ihr Hab und Gut zurücklassen, weil sie nicht vorgewarnt wurden; die Gräber ihrer Ahnen wurden geflutet statt verlegt; viele Betroffene haben bis heute keine Entschädigung erhalten. Ähnliche Berichte liegen von fast allen fertig gestellten Staudammprojekten in Südostanatolien und auch aus anderen Regionen der Türkei vor.
26. Sind Ihnen diese Berichte bekannt? Falls ja, welche Konsequenzen leiten Sie daraus für das geplante Ilisu-Projekt ab?
27. Ist Ihnen bekannt, dass beim völlig veralteten Stromübertragungsnetz in der Region des geplanten Ilisu-Damms Netzverluste von 20% auftreten, während der internationale Durchschnitt bei Netzverlusten nur 8% beträgt? Sind Sie nicht auch der Meinung, dass eine Investition in die Erneuerung des Übertragungsnetzes eine sinnvollere Investition wäre als in den geplanten Ilisu Damm? Hätten hierbei nicht österreichische Firmen mitwirken können? Sind Ihnen diesbezügliche Gespräche Österreichs mit der Türkei bekannt?
In der Türkei gibt es enorme, bisher ungenutzte Potenziale im Bereich erneuerbare Energien. Allein für die Windkraft wird das Potenzial auf 50.000 MW geschätzt. Zum Vergleich: Das Ilisu-Wasserkraftwerk hätte eine Leistung von 1.200 MW. Das in der Türkei im Jahr 2005 beschlossene Gesetz zur Förderung erneuerbarer Energien wird von Energieexperten und NGOs zwar als Schritt in die Richtung bezeichnet, sei jedoch nicht ausreichend geeignet, um die hohen Potenziale im Bereich Wind- und Sonnenenergie effizient und rasch zu nutzen.
28. Sind Sie nicht auch der Meinung, dass eine Kooperation des Staates Österreich mit der Türkei auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien ökologisch, sozial und wirtschaftlich vernünftiger wäre, als sich an einem umstrittenen Riesenstaudammprojekt zu beteiligen? Sind Ihnen Gespräche von österreichischen Regierungsvertretern mit der Türkei bekannt, um das große österreichische Know-how österreichischer Unternehmen im Bereich Ökoenergien anzubieten? Haben Sie selbst solche Gespräche geführt?
Stauseen produzieren durch faulende Pflanzen und Kohlenstoffzufuhr aus dem Einzugsgebiet (Eutrophierung) Treibhausgase.
29. Ist Ihnen bekannt, dass Riesenstaudammprojekte nicht wie von den Errichtern behauptet als „saubere Energiegewinnungprojekte“ zu bewerten sind, sondern erhebliche negative Auswirkungen auf das Klima haben?
[1] Beteiligte Unternehmen: Andritz / VA-Tech Hydro (Österreich), Alstom (Schweiz), Züblin (Deutschland), Nurol (Türkei), Cengiz (Türkei), Celikler (Türkei), emelsu (Türkei).
Auftraggeber: DSI, türkisches Wasseramt
[2] An der Reise nahmen auch der FPÖ-Abgeordnete Karlheinz Klement und die Grün-Abgeordnete Bettina Hradecsni teil. VertreterInnen von SPÖ und ÖVP haben trotz langfristiger und mehrfacher Einladung nicht an der Reise teilgenommen.