1607/J XXIII. GP

Eingelangt am 09.10.2007
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

des Abgeordneten Strache

und Kollegen

an die Bundesministerin für Justiz

betreffend rechtsstaatliche Gefahren der Auslieferung von Österreichern an das Ausland

infolge eines Europäischen Haftbefehls

Der durch das Bundesgesetz über die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen geschaffene Europäische Haftbefehl" hat insbesondere durch die sehr rasch vorangeschrittene EU-Ost-Erweiterung eine Anwendungserweiterung erfahren, die eine Reihe praxisrelevanter Aspekte in ein potenzielles Spannungsverhältnis mit dem Rechtsstaatsprinzip treten lässt.

Kernstück des Europäischen Haftbefehls ist eine Liste von 32 sehr unterschiedlichen Deliktstatbeständen, bei denen vom Vollstreckungsstaat des Haftbefehls also auch von Österreich - die beiderseitige Strafbarkeit nicht geprüft werden darf. Wenn die ausstellende ausländische Justizbehörde den Sachverhalt als eine solche Tat beurteilt und diese nach dem Recht des Ausstellungsstaats des Haftbefehls mit einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren bedroht ist, berechtigt daher auch das Fehlen der beiderseitigen gerichtlichen Strafbarkeit nicht zur Ablehnung der Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls (vgl. Hollaender, Auslieferungsbeschwerde, Neuer Wissenschaftlicher Verlag 2004, Seite 204, und die dort zitierten Gesetzesmaterialien).

Im Anwendungsbereich des Europäischen Haftbefehls ist auch die Auslieferung österreichischer Staatsbürger an Mitgliedstaaten nach Maßgabe des § 5 Absatz 2 bis 5 des Bundesgesetzes über die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen zulässig. Die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls gegen einen österreichischen Staatsbürger ist somit auch in Österreich in bestimmten Fällen zulässig. Gegen die Auslieferung eigener Staatsbürger durch einen Staat an das Ausland wurden in der internationalen Rechtslehre (zuletzt etwa vom deutschen Staatsrechtler Prof. Schachtschneider) wiederholt rechtsstaatliche Bedenken laut.

 

Da diese Bedenken nicht nur rechtstheoretischer Natur sind, sondern auch ganz konkret praxisrelevant sein können, stellen die gefertigten Abgeordneten folgende

Anfrage:

1.) Welche Rechtsmittel stehen einem Österreicher gegen einen ihn betreffenden Europäischen Haftbefehl in Österreich zur Verfügung?

2.) Ist ein ausländischer Mitgliedstaat, der einen Europäischen Haftbefehl gegen einen Österreicher ausstellt, verpflichtet, der österreichischen Justiz in jedem Fall, für den eine Auslieferung begehrt wird, vorab stichhältige Beweise für die Anschuldigung eines Österreichers vorzulegen?

3.) Bei Bejahung der vorstehenden Frage: Wie überprüft die österreichische Justiz die vom Ausland vorgelegten Beweise?

4.) Wenn beispielsweise ein Österreicher mit Bulgarien Handelsgeschäfte abwickelt und ein bulgarisches Gericht einen Europäischen Haftbefehl ausstellt, in dem es behauptet, der Österreicher habe in Bulgarien jemanden betrogen, kann er dann bereits ausgeliefert werden?

5.) Wird in diesem Zusammenhang die tatsächliche Sachverhaltsgrundlage der vom ausländischen Gericht aufgestellten Behauptung nachgeprüft?

6.) Wenn ja, wie?

7.) Werden amtswegig Beweise in Österreich aufgenommen, bevor der Betroffene an das Ausland ausgeliefert wird?

8.) Was ist, wenn im genannten Beispielsfall der Betrugsvorwurf gar nicht stimmt und etwa bloß von den bulgarischen Handelspartnern fälschlich erhoben wurde, um den Österreicher zu ungerechtfertigten Zahlungen aus einer vertraglichen Beziehung zu veranlassen?

9.) Wie wird dies in Österreich nachgeprüft?

10.) Können Sie verbindlich ausschließen, daß die auch innerhalb der EU vielbeklagte Korruption in der Ost-Justiz zur Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls und zur damit verbundenen Auslieferung eines Österreichers an das Ausland führt?

11.) Wenn beispielsweise eine österreichische Familie in Bulgarien Urlaub gemacht und einen Autounfall gehabt hat und dann dem wieder nach Österreich zurückgekehrten Familienvater im Zuge einer Erpressung seitens der in den Unfall verwickelten Bulgaren Geld abverlangt wird, er dieses nicht zahlt und ihm dann im Zusammenspiel von kriminellen Kräften, Polizei und Justiz in Bulgarien vorgeworfen wird, er hätte dort jemanden absichtlich getötet, könnte Österreich ihn dann nach Bulgarien ausliefern?

12.) Könnte er sich gegen solcherart unberechtigte Vorwürfe wehren und die Auslieferung verhindern?

13.) Wenn ja, wie?

14.) Welche Antragsrechte kommen ihm in Österreich diesfalls zu?

15.) Wie wird im Fall einer erfolgten Auslieferung die Verfahrensführung im Ausland überwacht?

16.) Wie wird nachgeprüft, ob der Ausgelieferte im Ausland ein faires Verfahren bekommt?

17.) Halten Sie ein im Ausland geführtes Strafverfahren für konkret und vollständig überwachbar durch Österreich?

18.) Welche österreichischen Organe nehmen eine solche Überprüfung vor?


19.) Hat bei Verfahrensmängeln im ausländischen Strafverfahren jemals nach einer vollzogenen Auslieferung tatsächlich eine Rücküberstellung nach Österreich stattgefunden?

20.) Wie beugt Österreich solchen Verfahrensmängeln im Ausland vor?

21.) Erachten Sie die Auslieferung von Österreichern an das Ausland für einen Fortschritt gegenüber dem früher uneingeschränkt geltenden Grundsatz, dass Österreicher niemals aus Österreich an das Ausland ausgeliefert werden?

22.) Halten Sie die daraus resultierende potenzielle Gefahr für österreichische Staatsbürger für rechtsstaatlich unbedenklich?

23.) Wie ist das Verhältnis zwischen der Immunität österreichischer Abgeordneter und dem Europäischen Haftbefehl?