2487/J XXIII. GP

Eingelangt am 30.11.2007
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ANFRAGE

 

 

des Abgeordneten Zinggl, Freundinnen und Freunde

 

an die Bundesministerin für europäische und internationale Angelegenheiten

 

betreffend A Letter to the Stars

 

 

A Letter to the Stars ist eine Privatinitiative, die 2003 vom News-Mitarbeiter Andreas Kuba und von Josef Neumayr aus der Redaktion der Barbara-Karlich-Show gegründet wurde. Erster Sprecher des Unterstützungskomitees war Alfred Worm, nach dessen Tod übernahm Peter Rabl die Funktion. Das Projekt wird von potenten Sponsoren wie Bank Austria – Creditanstalt, Stadt Wien, Wiener Städtische, Siemens, ÖBB sowie vom National- und Zukunftsfonds der Republik Österreich unterstützt und hat demgemäß eine beachtliche Breitenwirksamkeit. Es ist davon auszugehen, dass kein anderes Projekt mit „Wiedergutmachungs“-Anspruch jemals so viele Personen erreicht hat wie A Letter to the Stars.

 

Dennoch wurde das Vorhaben von Beginn an – auch von wissenschaftlicher Seite – kritisiert, weil ihm kein brauchbares pädagogisches Konzept zugrunde liege, weil es LehrerInnen und Schülerinnen überfordere und weil es mehr ein PR-Projekt als eine Auseinandersetzung mit der Zeitgeschichte sei.

So gut wie alle österreichischen ZeithistorikerInnen werfen dem Projekt  „Shoah-Business“, den gedankenlosen Umgang mit Geschichte oder eine inhaltliche Abwälzung der Verantwortung an die LehrerInnen vor (vgl. Standard vom 29.11.2007). Kritik kommt aber auch von Institutionen im Bereich der Bildung und der psychosozialen Beratung und Betreuung von Holocaust-Opfern

 

Sie kritisieren deshalb auch das für das Gedenkjahr 2008 geplante Vorhaben. Im Rahmen des „Projektes 38–08“ sollen zum einen 250 Überlebende des Holocaust nach Österreich eingeladen werden und an Schulen Vorträge halten (das sogenannte Einladungsprojekt) und zum anderen soll eine gestalterische Auseinandersetzung mit insgesamt 80.000 von den Nationalsozialisten Ermordeten stattfinden (das sogenannte Denk.Mal-Projekt). Zur Bewerbung dieser Unternehmen bedient sich A Letter to the Stars alarmierender Rhetorik. So können am Einladungsprojekt Interessierte „aus einer Liste der Überlebenden jenen Menschen aussuchen“, den sie einladen möchten, und diesen Überlebenden dann gleich „reservieren“. Wollen SchülerInnen am Denk.Mal-Projekt mitarbeiten, „suchen [sie] sich aus der Liste der Opfer je einen Menschen aus, der zum Beispiel den gleichen Namen getragen, im gleichen Ort gelebt oder die gleiche Schule besucht hat. Und ‚reservieren‘ diesen Namen.“ (www.lettertothestars.at).

Das Beispiel zeigt, dass es den Veranstaltern an Sensibilität für die Materie mangelt und die viel beschworene Didaktik zum Lippenbekenntnis verkommt. Schüler und Schülerinnen dazu aufzufordern, Opfer aus Listen auszusuchen und zu „reservieren“, ist nicht zuletzt angesichts der Selektionspolitik der Nationalsozialisten in hohem Maße bedenklich und pädagogisch verantwortungslos.

 

Weitere Kritik von Involvierten und ExpertInnen:

 

Brigitte Bailer-Galanda, wissenschaftliche Leiterin des DÖW (Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes): „Wir unterstützen jedes seriöse Projekt, deshalb haben wir bei der ersten Aktion auch unsere Datenbank (zu 63.000 österreichischen ,jüdischen NS-Opfern; Anm.) zur Verfügung gestellt.“ Die für 2008 geplante Aktion hält Frau Bailer-Galanda allerdings für „verantwortungslos“: „Oral-History-Projekte sind für Zeitzeugen oft sehr emotionale Erlebnisse, da wird ein Schwall an Erinnerungen wach.“ Bei anderen Zeitzeugenprojekten seien vor allem politisch aktive Überlebende in die Klassen gegangen, sie wurden zudem von HistorikerInnen unterstützt und auf die Situation vorbereitet. Bailer befürchtet, dass bei den für 2008 geplanten Veranstaltungen Zeitzeugen wie Schüler mit ihren Emoti­onen allein gelassen werden. (Die Presse, 11.09.2007).

 

Eva Blimlinger, ehemalige Forschungskoordinatorin der Historikerkommission: „Abgesehen von der zweifelhaften datenschutzrechtlichen Praktik des Projekts ist das Ganze wohl eher eine PR-Aktion für die Organisatoren als tatsächliches Interesse an den Überlebenden.“ Sie pocht darauf, dass „geschultes Personal“ die Menschen begleiten müsse. (Standard, 28.11.2007)

 

Martin Krist, Geschichtelehrer an der AHS Gymnasiumstraße, Wien: „Man kann solche Lebensgeschichten nicht innerhalb weniger Wochen recherchieren. Von vielen Opfern ist in den Archiven außerdem wenig oder nichts zu finden, das wurde vielfach sowohl von Schüler- als auch von Lehrerseite als extrem frustrierend empfunden.“ Dem Projekt A Letter to the Stars  fehle die Nachhaltigkeit, betonte Krist, er vermisse ein ausgearbeitetes pädagogisches Konzept und viele LehrerInnen meinten, wenn sie sich an dem Projekt beteiligen, „haben sie dieses Thema abgehakt, und das auch noch auf eine gute Weise, weil es war ja etwas darüber in den Medien“. (APA, 21.11.2003)

 

Andrea Fraberger, Geschichtelehrerin an der Hauptschule St. Andrä/Wördern, NÖ, meint, A Letter to the Stars sei „von oben verordnet“ worden, Projekte müssten sich aber „von unten entwickeln“. Bevor noch die Lehrer involviert worden wären, habe es schon mediale Berichterstattung gegeben. Gestört habe Fraberger auch der „Eventcharakter“ der Veranstaltung am Heldenplatz. Viele Jugendliche hätten sich vor allem auf den Auftritt der Starmaniacs – „das Hauptprogramm“ – gefreut. (APA, 21.11.2003).

 

Waltraud Häupl, pensionierte Kunstlehrerin und Schwester eines in der NS-Zeit am Spiegelgrund zu Tode gekommenen Mädchens, hatte im Zug des Projekts als Zeitzeugin mit vielen SchülerInnen Kontakt: „Das war ein Chaos, die Kinder waren zum Teil hilflos, es war furchtbar für mich mit anzusehen, wie da 13-, 14-Jährige mit diesen furchtbaren Themen konfrontiert wurden, ohne vorher kindgemäß aufgeklärt zu werden.“ „Man hat die Kinder hineingeschubst wie in ein tiefes Wasser“, so Häupl weiter. Die Befassung mit dem Thema sei wichtig – „man muss es tun, aber nicht einfach so Luftballons in die Luft blasen“.

(APA, 21. 11. 2003).

 

Florian Wenninger, Obmann des Vereins Gedenkdienst: „Zudem dürften beide Initiatoren im Zuge ihrer journalistischen Arbeit ein gewisses Gespür dafür ent­wickelt haben, was hierzulande ‚reingeht‘ und, im Fall Zeitgeschichte vermutlich wichtiger, was nicht. Die Beschäftigung mit dem Naziregime ist, spät ge­nug, inzwischen gesellschaftlich weitgehend aner­kannt. Allerdings nur mit gewissen Auflagen: Der Judenmord war eine unschöne Sache, wiewohl das Werk weniger Verbrecher. Die Thematisierung von KZ-Gräuel ist dementsprechend in Ordnung, der Spaß aber schon beim kleinsten Versuch einer Kontextualisierung vorbei. Alles, was eine breite Ver­wick­lung der Großelterngeneration (und damit, etwa auf dem Umweg arisierter Vermögenswerte, auch der eigenen Generation) vermuten ließe, führt eben­so unweigerlich zu hitzigen Konfrontationen wie Auseinandersetzungen mit der Frage nach dem Woher und Wohin des Faschismus als solchem. Aus der Geschichte für die Zukunft zu lernen ist ein omnipräsenter Stehsatz, beliebt ob seiner Beliebigkeit.“ (Gedenkdienst, No. 4/2004).

 

Lagergemeinschaft Ravensbrück & FreundInnen: „Konsequent isoliert der Zugang von A Letter to the Stars daher auch die Deportation und Ermordung von der spezifischen Vorgeschichte und den Vorstufen der Vernichtung von Jüdinnen und Juden: dem Antisemitismus, ihrer Definition und Kennzeichnung, den gewalttätigen Übergriffen und Pogromen, den An- und Enteignungen ihres Eigentums und ihrer Wohnungen, den Schul- und Berufsverboten, den Vertreibungen, der Zerstörung ihrer Selbstverwaltung und ihrer religiösen Einrichtungen, der Ghettoisierung usw.(…) Durchgängig vermeiden die Veranstalter Hinweise auf TäterInnen, ProfiteurInnen, UnterstützerInnen und zustimmende ZuschauerInnen und blenden daher konsequent die „andere“ Seite der Geschichte aus, die Jüdinnen und Juden erst zu Opfern gemacht hat. Nehmen wir das Projekt nur für sich, könnte fast der Eindruck entstehen, die Deportationen seien vom Himmel gefallen.“ (Quelle: www.juedische.at, 20.11.2007).

 

Peter Schwarz,  Geschäftsführer des psychosozialen Zentrums ESRA, das medizinische, therapeutische und sozialarbeiterische Versorgung für Opfer der Shoa anbietet: „Wir haben den Veranstaltern vorgeschlagen, die Besuche über das Jahr aufzuteilen. Wir können unmöglich 250 Personen bei der Aufarbeitung helfen.“ (Die Presse, 11.09.2007).

 

Susanne Trauneck, Leiterin des Jewish Welcome Service (JWS), distanziert sich von dem Projekt, weil Daten verwendet werden, die das JWS nur zur einmaligen Nutzung im Jahre 2003 zur Verfügung gestellt habe. „Leon Zelman hätte ein solches Riesenprojekt nicht unterstützt. Es gibt kein pädagogisches Konzept und ist eine wahnsinnige psychische Belastung für die Überlebenden.“ (Die Presse, 11.09.2007).

Die Austria Presse Agentur berichtete dazu ausführlichst: „2003 hatte der in diesem Jahr verstorbene Leiter des JWS, Leon Zelman, A Letter to the Stars Zugang zur Datenbank ermöglicht, in der Namen und Aufenthaltsort jüdischer Holocaust-Überlebender österreichischer Herkunft gespeichert sind. „Seither verwenden sie die Daten immer wieder, für ein Projekt nach dem anderen“, so Trauneck. „Das geht ins ureigenste Gebiet des Jewish Welcome Service“. (...) Auch der Umgang mit der Person Zelmans stört Trauneck. So habe A Letter to the Stars versucht, den ehemaligen JWS-Leiter als „Testimonial“ ins Boot zu holen. Mit einer solchen „Marketing-Sprache“ will man beim JWS nichts zu tun haben. Auch habe man den Eindruck gewonnen, dass lediglich der Name Zelmans gebraucht werde. Allgemein geht man laut Trauneck in dieser Frage „mit einer ziemlichen Unverschämtheit und Unverfrorenheit vor. Unterbinden will das JWS das Projekt trotzdem nicht. Auch rechtliche Schritte werde es nicht geben, immerhin gehe es um eine gute Sache. "Sie sollen es machen, aber nicht mit unserer Unterstützung." (APA, 10.09.2007).

 

Die konstruktive Kritik und das Bemühen vieler Organisationen, im Sinne der Überlebenden vorzugehen und weniger im Sinne einer PR-Aktion, wird von den Betreibern des Projekts A Letter To The Stars offenbar nicht zur Kenntnis genommen.

 

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

 

 

ANFRAGE:

 

 

1.      Um welche Förderungen oder Zuwendungen wurde in Ihrem Ministerium seit 2001 vom Verein  Lernen aus der Zeitgeschichte für das Projekt A Letter To The Stars – Botschafter der Erinnerung angesucht? Bitte um eine Auflistung nach Jahren und angesuchten Beträgen.

 

2.      Um welche Förderungen oder Zuwendungen wurde in Ihrem Ministerium vom Verein Lernen aus der Zeitgeschichte bezüglich anderer Projekte des Vereins angesucht? Bitte um eine Auflistung nach Jahren und angesuchten Beträgen.

 

3.      Wann und in welcher Form hat Ihr Ministerium mit dem Verein Lernen aus der Zeitgeschichte oder mit dem Projekt A Letter To The Stars – Botschafter der Erinnerung zusammengearbeitet bzw. dieses infrastrukturmäßig oder finanziell unterstützt?

 

4.      Welche finanziellen Beträge wurden für welches konkrete Vorhaben bewilligt? Bitte um eine Auflistung nach Jahren.

 

5.      Wenn es gar keine Unterstützung gab, warum nicht?

 

6.      Welche Form der Zusammenarbeit ist mit dem Verein Lernen aus der Zeitgeschichte oder A Letter To The Stars – Botschafter der Erinnerung für die Jahre 2008/2009 geplant?

 

7.      Warum werden Sie A Letter To The Stars – Botschafter der Erinnerung in den Jahren 2008/2009 fördern?

 

8.      Mit Finanzmitteln in welcher Höhe werden Sie A Letter To The Stars – Botschafter der Erinnerung in den Jahren 2008/2009 fördern? Wir ersuchen um detaillierte Aufgliederung.

 

9.      Ist Ihnen bekannt, ob die Projekte von A Letter to the Stars – Botschafter der Erinnerung jemals Gegenstand einer wissenschaftlichen Evaluierung waren?

 

10.    Falls ja, sind Ihnen die Inhalte der Evaluierung bekannt und haben sie Ihre Förderentscheidung positiv oder negativ beeinflusst?

 

11.    Wurden für den Projektvorschlag „Projekt 38–08“ wissenschaftliche Gutachten zur Bewertung der Qualität des Vorhabens eingeholt?

 

12.    Falls nein, warum nicht?

 

13.    Falls ja, wer hat diese Begutachtung durchgeführt und welche Erkenntnisse hat der Gutachter/die Gutachterin gezogen?