3528/J XXIII. GP
Eingelangt am 05.02.2008
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ANFRAGE
des Abgeordneten Pilz, Freundinnen und Freunde
an den Bundesminister für Inneres
betreffend Vorgehen von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes anlässlich einer antifaschistischen Demonstration in Graz am 22. November 2007
Unter der Adresse http://mayday.antifa.net/aussendung38.htm wird eine Aussendung über das Vorgehen von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes anlässlich einer Demonstration in Graz am 22. November 2007 veröffentlicht.
Mehr als 100 Menschen protestierten am 22. November in Graz mit einer Blockade gegen eine Veranstaltung von FPÖ und Vlaams Belang. Die Polizei nahm einige TeilnehmerInnen vorübergehend fest und verhaftete zwei AktivistInnen unter fragwürdigen Umständen. Während der zweitägigen Haft wurden die Grundrechte der Festgenommenen massiv verletzt, beide werden nun wegen "Widerstands gegen die Staatsgewalt" und "schwerer Körperverletzung" angeklagt.
Demo am 22.11.: "Wir sind friedlich – was seid ihr?"
Zur Veranstaltung hatte die Grazer FPÖ Andreas Mölzer, Filip Dewinter vom belgischen Vlaams Belang als Nachfolger des aufgelösten Vlaams Blok und die deutschen RechtsextremistInnen von "pro Köln" eingeladen: als Schritt zur Bildung einer "Internationale der Nationalen", wie es in der Ankündigung hieß. Nach öffentlichen Protesten wurde das Treffen vom "Heimatsaal" des Joanneums in den "Gothensaal" der Sängerschaft Gothia verlegt, wo sich die DemonstrantInnen kurz vor Beginn der Veranstaltung mit Sprechchören wie "Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda" einfanden. Mit Transparenten und Menschenketten wurden die Eingänge kurzerhand blockiert, so dass Gerhard Kurzmann und Susanne Winter vorerst vor verschlossenen Türen standen. Schließlich drängte Einsatzpolizei die DemonstrantInnen unter Einsatz von Schlagstöcken zurück, um einen Korridor für das rechtsextreme Publikum zu schaffen. Trotz ständiger Übergriffe durch die Polizei und Verletzungen blieben die DemonstrantInnen dabei, gewaltfrei zu blockieren.
Verhaftung - Isolation - Grundrechte verweigert
Als PolizistInnen erneut gegen die Demonstration vorgingen, wurden zwei TeilnehmerInnen gezielt herausgegriffen und zu Boden geworfen. Beide waren der Polizei seit Jahren als politische AktivistInnen, auch in Verbindung mit Mayday, bekannt. Bei der Festnahme legte die Polizei völlig überzogene Härte an den Tag, als z.B. eine Festgenommene die Beamten aufforderte, kurz zu warten, um ihren Schuh wieder anzuziehen, fuhr ein Beamter sie an: "Den Schuh brauchst du nicht mehr!"
Was danach folgte, war eine systematische Missachtung der grundlegendsten Rechte. Laut Gesetz muss die Polizei den Betroffenen nämlich den Festnahmegrund sofort mitteilen und ihnen Telefonate mit Rechtsbeständen und Vertrauenspersonen ermöglichen. Doch schon in den Wachzimmern verweigerten die Beamten ausdrücklich geforderten Vertrauenspersonen den Zugang. Trotz ständiger Nachfragen wurde den beiden der Grund für die Festnahme nicht genannt. FreundInnen, die sich nach ihrem Aufenthaltsort erkundigten oder sich als Vertrauenspersonen anboten, erhielten entweder gar keine oder falsche Auskünfte. Auch nachdem die DemonstrantInnen ins Polizeianhaltezentrum gebracht worden waren, sagte ihnen die Polizei den Grund der Verhaftung nicht. Erst im Laufe des nächsten Tages, 16 Stunden (!) nach der Festnahme, wurde ihnen der Vorwurf "Widerstand gegen die Staatsgewalt" und "schwere Körperverletzung" genannt. Ebenso verweigerte ihnen die Polizei ab dem Zeitpunkt der Haft die Verständigung eines Rechtsbeistandes sowie Telefonate mit Vertrauenspersonen. O-Ton: "Für diese Leute gibt es keine Telefonate." Lediglich in einem Fall war ein kurzes Gespräch mit der Familie möglich, allerdings war es dabei der Aktivistin nur erlaubt zu sagen, wo sie sich aufhielt und dass sie nicht verletzt war. Das Gespräch mit der Anwältin wurde ihr erst nach 14 Stunden (!) gestattet.
Dafür wollte die Polizei eine ED-Behandlung einschließlich einer DNA-Analyse vornehmen: Beide reagierten darauf mit passivem Widerstand. Während so die Abnahme der Fingerabdrücke nicht möglich war, setzten die BeamtInnen die DNA-Analyse mit Gewalt durch. Am Freitag Nachmittag beantragte der zuständige Staatsanwalt dann Haftbefehl wegen "Verdunkelungsgefahr", da die DemonstrantInnen die Aussage vor der Polizei verweigert hatten, und ließ sie in die Justizanstalt Jakomini überstellen.
Dort leisteten PolizeibeamtInnen noch einen letzten Beitrag, um die Umstände der Haft so unangenehm wie möglich zu gestalten, indem sie der Justizwache erzählten, an welchen politischen Aktionen sich zumindest eine Aktivistin beteiligt hatte und wie sehr sie immer "Stimmung" gegen die Polizei betrieben habe… Samstag Mittag hob der Untersuchungsrichter die Haft schließlich auf, nachdem beide AktivistInnen eine Aussage gemacht hatten. Der Staatsanwalt hatte den Haftbefehl trotz der Aussagebereitschaft aufrechterhalten.
Noch mehr fragwürdige Umstände
Nicht nur die Weigerung der Polizei, den Haftgrund zu nennen und das Bemühen, die Verhafteten zu isolieren, lassen diese Polizeiaktion fragwürdig erscheinen, auch andere Umstände erscheinen merkwürdig: So wurden DemonstrantInnen, die sich im vorderen Teil beteiligten, zwar brutal behandelt, teilweise auch verletzt und herausgezogen, aber nicht festgenommen. Die verhaftete Aktivistin hingegen stieß erst am Ende des Polizeieinsatzes überhaupt zur Blockade, die insgesamt über 20 Minuten dauerte; nur kurz nachdem sie dort angekommen war, kreiste die Polizei sie und den zweiten Aktivisten gezielt ein. Das, was die Polizei ihnen vorwirft, nämlich ständig gegen die Polizeiketten angerannt zu sein und einen Polizisten am Daumen verletzt zu haben, können sie aufgrund der dichtgedrängten Menschenmenge dort gar nicht getan haben.
Seltsam ist auch, dass die Polizei aus der ganzen Menge an DemonstrantInnen außer den beiden noch einen weiteren jungen Burschen herausgriff, der "nussgroße Steine", Alulaschen und eine Steinschleuder bei sich hatte, eine doch bemerkenswerte "Treffsicherheit", da während der ganzen Demonstration nichts geworfen wurde, es flog nichts, nicht einmal ein Plastikbecher. Im Gegensatz zu den anderen AktivistInnen konnte der junge Mann am selben Abend wieder gehen: Die Fotos seiner Wurfgeschosse wurden allerdings der Strafanzeige gegen die beiden beigefügt, und nicht nur das: In einer Presseaussendung schickte die Polizei dieses Foto an sämtliche Grazer Medien und brachte es implizit in Zusammenhang mit den beiden Verhafteten, die den Besitzer der Gegenstände nicht einmal kannten.
So nicht!
Was immer am Abend des 22.11. genau passierte – es war ganz offenbar die Antwort der Grazer Polizei auf antifaschistischen Widerstand, der den Behörden zu lautstark, zu präsent geworden ist. Eine brutale und repressive Antwort, die uns zornig und betroffen macht!
Deshalb: Ein Danke an alle, die trotz der Falschinformationen der Polizei nicht aufgegeben haben, weiterhin versuchten, mit den beiden AktivistInnen Kontakt aufzunehmen und die auf eindrucksvolle Weise Solidarität zeigten, so dass die Taktik der Polizei, den einen das Gefühl zu geben, sie seien allein, und den anderen, die Verhafteten wollten nichts mit ihnen zu tun haben, nicht aufging.
Deshalb aber auch: Wir bitten weiterhin um Solidarität und Unterstützung! Zum einen ist die Anklage schwerwiegend. Zum anderen ist es umso wichtiger, zu zeigen, dass notwendiger Widerstand gegen Rassismus und Neofaschismus sich durch solche Methoden nicht unterdrücken lässt!
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende
ANFRAGE:
1.) Sind Ihnen die in dieser Aussendung geschilderten Vorkommnisse bekannt?
2.) Wer war der Einsatzleiter?
3.) In welcher Funktion war HR Dr. Gerhard Lecker mit dem Einsatz befasst?
4.) Nach der Festnahme nahm NRAbg. Peter Pilz mit Dr. Lecker telefonisch Kontakt auf und wies ihn explizit auf die Notwendigkeit, die Rechte der Festgenommenen zu beachten, hin. Warum hat Dr. Lecker die Missachtung der Rechte geduldet und gedeckt?
5.) Entsprach das Vorgehen der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes den einschlägigen rechtlichen Vorgaben, va. jenen des Sicherheitspolizeigesetzes und der Richtlinien-Verordnung?
6.) Ging von den beiden festgenommenen Personen irgendeine Form von Gewalt aus?
7.) Aus welchen Gründen wurden die beiden betroffenen Personen festgenommen?
8.) Wann wurde gegenüber den beiden betroffenen Personen die Festnahme ausgesprochen und in welchem Zeitraum wurden diese Personen an welchen Orten angehalten?
9.) Entspricht es den Tatsachen, dass von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gegenüber den festgenommenen Personen die Sätze „Diesen Schuh brauchst du nicht mehr“ bzw. „Für diese Leute gibt es keine Telefonate“ getätigt wurden?
10.) Entspricht es den Tatsachen, dass den festgenommenen Personen für die in dieser Aussendung genannten Zeiträume die Benachrichtigung eines Rechtsbeistandes bzw. von Vertrauenspersonen verweigert wurde?
11.) Wann wurde den festgenommenen Personen die Gründe für Ihre Festnahme mitgeteilt?
12.) Aus welchen Gründen wurde eine DNA-Untersuchung bei einer der betroffenen Personen zwangsweise durchgesetzt?
13.) Welche Ausbildungs- bzw. Nachschulungsmaßnahmen wurden bzw. werden noch von Ihnen gesetzt werden, um solche Vorkommnisse im Bereich der Grazer Polizei in Hinkunft hintanzuhalten?
14.) Welche sonstigen Schritte wurden bzw. werden von Ihnen als Konsequenz der beschriebenen Ereignisse gesetzt?
15.) Sind Sie bereit, die notwendigen disziplinarrechtlichen Schritte gegen Dr. Lecker und den Einsatzleiter einzuleiten?
16.) Haben Sie die Prüfung eines möglichen Verdachts des Amtsmissbrauchs bzw. sonstiger Delikte veranlasst?