3742/J XXIII. GP
Eingelangt am
06.03.2008
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
Anfrage
der Abgeordneten Mag. Johann Maier
und GenossInnen
an den Bundeskanzler
betreffend „Scoringverfahren - Automatisierte Einzelentscheidungen – Datenschutz“
Automatisierte
Einzelentscheidungen (Scoringverfahren) die von Unternehmen gegenüber
Kunden angewandt werden, verstoßen
nicht nur gegen das österreichische Datenschutzgesetz,
sondern stellen eine neue Form einer
sozialen Diskriminierung dar. KonsumentInnen werden
dabei zum Spielball eines undurchschaubaren Bewertungssystems.
„Scorewerte“ sollen
Anbietern über das „individuelle Risiko“ Auskunft geben. So
werden beispielsweise
Kreditwürdigkeit und Zinskonditionen
aufgrund pauschaler Kriterien wie Wohnadresse, Alter,
Familienstand und Beruf errechnet. Konsumenten werden damit segmentiert
und bewertet.
Anwendungsfelder von
Scoringverfahren sind beispielsweise bei den
Telekommunikationsunternehmen, der Kredit- und Versicherungswirtschaft und den
Immobilienmakler (z.B.
Mietvertragsabschlüsse) sowie auch beim Versandhandel. Dabei wird
nicht nur errechnet, ob ein Vertrag überhaupt abgeschlossen wird,
sondern auch zu welchem
Preis und zu welchen Bedingungen. Die deutsche Verbraucherzentrale
Bundesverband (vzbv)
gab aufgrund dieser offensichtlichen
sozialen Diskriminierung ein Gutachten zur Aussagekraft
und Anwendung neuer Scoringverfahren in der Kreditwirtschaft in Auftrag.
Fazit der deutschen VZBV-Studie
• Scoring-Verfahren werden zumeist intransparent eingesetzt:
•
In knapp 50 Prozent der Fälle wurden Verbraucher nicht über
den Einsatz von
Scoring-Verfahren
informiert.
•
In über 60 Prozent der Fälle wurde ihnen kein Angebot
gemacht, die verwendeten
Daten zu
kontrollieren.
• In 90 Prozent der Fälle wurde ihnen der Score nicht mitgeteilt.
•
Gesetze
werden missachtet: Eine automatisierte, den Verbraucher
benachteiligende Einzelentscheidung ist gesetzlich verboten (§ 6a
Bundesdatenschutzgesetz). Dennoch verlassen
sich Kreditsachbearbeiter in
knapp 80 Prozent der Fälle ausschließlich auf das automatisch
generierte
Kreditangebot, individuelle Prüfung Fehlanzeige.
•
Die Datensammelwut ist enorm und oft ist es nicht ersichtlich, warum
die Daten
erhoben
werden. Beispiele: Staatsangehörigkeit, Wohndauer, Arbeitgeber,
berufliche Stellung, Umzugshäufigkeit.
•
Die Scoring-Ergebnisse sind nicht nachvollziehbar und verschleiern
Konditionen:
Ein und
dieselbe Testperson wurde mal als kleines, mal als großes Risiko
eingestuft. In einem Fall hätte sie für ein Kreditangehot 7,99 Prozent
Zinsen
zahlen müssen, dann wieder 13,49 Prozent. Bei solchen
Einschätzungsabweichungen fallt es schwer, beim Scoring an ein solides
mathematisches Verfahren zu glauben. Die Gründe für die Einteilung
bleiben für
die Kunden im Dunkeln.
•
Die
überprüften Banken hätten damit geworben, dass der Kreditzins
bei ihnen ab
3,9 Prozent oder im höchstens Fall ab
4,5 Prozent betrage. Doch in keiner der 82
Stichproben sei diese Kondition
tatsächlich auch angeboten worden. Nach dem
Scoring lagen die Zinsen plötzlich zwischen sieben und 15 Prozent.
Studien
über die Anwendungsbereiche von Scoringverfahren in Österreich - wie
in Deutschland -
liegen
nicht vor bzw. sind nicht bekannt. Diese Schlussfolgerungen gelten aber auch
für
andere
Branchen bzw. Unternehmen.
Der deutsche
Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar hat vorher bereits im Rahmen einer
Prüfung von 26
deutschen Telekommunikationsunternehmen festgestellt, dass wichtige Vorgaben
des deutschen Bundesdatenschutzgesetzes beim
Umgang mit (potentiellen) Kunden bei der
Vertragsanbahnung nur unzureichend eingehalten werden.
Viele
der geprüften Unternehmen lehnen Vertragsanträge automatisiert -
allein auf Basis von
Scorewerten - ab,
speichern die Daten viel zu lange und missachten die gesetzlichen
Auskunftsansprüche der Betroffenen. Sollte die beanstandete Praxis nicht
geändert werden,
müssten aus Sicht des deutschen Bundesdatenschutzbeauftragten
aufsichtsrechtliche Maßnahmen
eingeleitet werden, um die Wahrung des
Datenschutzes von Internet- und Telefonkunden in
Deutschland durchzusetzen.
Für
Österreich - d.h. für die in Österreich niedergelassenen
Telekommunikationsunternehmen -
ergeben sich konsumentenpolitisch ähnliche Fragen, obwohl die Rechtslage
im DSG 2000
eindeutig ist: Danach ist es rechtlich unzulässig, dass
Telekommunikationsunternehmen
Kundenverträge allein auf Basis von Scorewerten abschließen, nachdem
bei Auskunfteien etc.
Bonitätsauskünfte über potentielle Kunden eingeholt wurden.
Scoringverfahren könnten individuelle Einzelfallentscheidungen in keiner
Weise ersetzen.
Mit
dieser Diskussion zusammen hängt die Verarbeitung von Bonitätsdaten
in so genannter
„Warnlisten“
oder „Schwarzen Listen“, die von Unternehmen oder ganzen Branchen
in Anspruch
genommen werden. Inkassobüros,
Auskunfteien, Detektivunternehmen verdienen mit diesen
personenbezogenen Daten viel Geld, es gibt
einen zunehmenden lukrativen Handel mit
KonsumentInnendaten.
Oft nehmen
Unternehmen aber nur Einsicht in Datenbanken Dritter (z.B.
Wirtschaftsauskunfteien), wobei dann eine
Bonitätsbewertung von Kunden vorgenommen wird.
Damit werden Datenschutzbestimmungen sowie Auskünfte- und
Löschungsrechte von
Betroffenen umgangen.
Die unterzeichneten Abgeordneten richten daher an den Bundeskanzler nachstehende
Anfrage:
1. Unter welchen Bedingungen dürfen in Österreich Scoringverfahren verwendet werden?
2.
Müssen
betroffene KonsumentInnen vom Einsatz von Scoringverfahren informiert
werden?
Müssen Ihnen
dabei die konkreten Gründe für eine Antragsablehnung mitgeteilt
werden?
Oder genügt eine Standardablehnung?
3. Wie lange
dürfen aus Sicht des Ressorts Unternehmen die von Auskunfteien etc.
übermittelten Daten und errechneten Scorewerte von KonsumentInnen
speichern und
verarbeiten?
Wann müssen diese gelöscht werden?
4.
Dürfen diese personenbezogenen Daten über die
Kreditwürdigkeit und errechnete
Scorewerte über
KonsumentInnen durch Unternehmen an Dritte weitergegeben werden?
5.
Sehen Sie einen über § 49 DSG hinausgehenden gesetzlichen
Handlungsbedarf zur
Regelung von
automatisierten Bonitätsprüfungen von KonsumentInnen mit Hilfe von
Scoringverfahren?
6. Sehen Sie eine objektive Aussagekraft von Scoringverfahren?
Ist die
Prognosefähigkeit von Scoringverfahren aus Sicht des Ressorts
wissenschaftlich
bewiesen?
7. Sind
Sie der Auffassung, dass der Einsatz von Scoringverfahren auf Ausfallrisiken
begrenzt und branchenspezifisch geregelt werden muss?
8. Sind
Sie der Auffassung, dass bei der Beurteilung des Ausfallrisikos nur
bonitätsrelevante
personenbezogene Daten berücksichtigt werden dürfen?
9.
Sind Sie der
Auffassung, dass Scoringverfahren von einer neutralen Stelle offiziell
zugelassen und regelmäßig auf
ihre Plausibilität hin geprüft werden müssen?
Wie soll die Transparenz von Scoringverfahren lückenlos hergestellt
werden?
10.
Sind Sie der
Auffassung, dass Anbieter KonsumentInnen obligatorisch über den Einsatz
von Scoringverfahren, die verwendeten Daten
und deren Gewichtung informieren
müssen?
11.
Ist es
zulässig „Bonitätsdaten“ von KonsumentInnen - positive
wie negative - die u.a. von
Auskunfteien ermittelt und zu Verfügung
gestellt werden, in so genannten „Warnlisten“
zu verarbeiten und als Entscheidungsgrundlage zu verwenden?
Wenn ja, unter welchen Voraussetzungen?
12. Sehen Sie einen gesetzlichen
Handlungsbedarf, wenn Bonitätsbewertungen aufgrund der
Einsicht in Datenbanken Dritter vorgenommen werden und Auskunfts- und
Löschungsrechte von Betroffenen damit ausgeschlossen werden?
Wenn nein, warum nicht?