3747/J XXIII. GP
Eingelangt am
06.03.2008
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
Anfrage
der Abgeordneten Mag. Johann Maier
und GenossInnen
an den Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit
betreffend „Immobilientreuhänder/Makler und Datenschutz - Automatisierte
Einzelentscheidungen (Scoringverfahren)“
Automatisierte
Einzelentscheidungen (Scoringverfahren) die von Unternehmen gegenüber
Kunden
angewandt werden, verstoßen nicht nur gegen das österreichische
Datenschutzgesetz,
sondern
stellen eine neue Form einer sozialen Diskriminierung dar. KonsumentInnen
werden
dabei zum Spielball eines undurchschaubaren Bewertungssystems.
„Scorewerte“ sollen
Anbietern über das „individuelle Risiko“ Auskunft geben. So
werden beispielsweise
Kreditwürdigkeit
und Zinskonditionen aufgrund pauschaler Kriterien wie Wohnadresse, Alter,
Familienstand und
Beruf errechnet. Konsumenten werden damit segmentiert und bewertet.
Anwendungsfelder von
Scoringverfahren sind beispielsweise bei den
Telekommunikationsunternehmen, der Kredit- und Versicherungswirtschaft und den
Immobilienmakler (z.B. Mietvertragsabschlüsse) sowie auch beim
Versandhandel. Dabei wird
nicht nur errechnet, ob ein Vertrag überhaupt abgeschlossen wird, sondern
auch zu welchem
Preis und zu welchen Bedingungen. Die deutsche Verbraucherzentrale
Bundesverband (vzbv)
gab aufgrund dieser offensichtlichen sozialen Diskriminierung ein Gutachten zur
Aussagekraft
und Anwendung neuer Scoringverfahren in der Kreditwirtschaft in Auftrag.
Fazit der deutschen VZBV-Studie
• Scoring-Verfahren werden zumeist intransparent eingesetzt:
•
In knapp 50
Prozent der Fälle wurden Verbraucher nicht über den Einsatz von
Scoring-Verfahren informiert.
•
In
über 60 Prozent der Fälle wurde ihnen kein Angebot gemacht, die
verwendeten
Daten zu kontrollieren.
• In 90 Prozent der Fälle wurde ihnen der Score nicht mitgeteilt.
•
Gesetze
werden missachtet: Eine automatisierte, den Verbraucher
benachteiligende Einzelentscheidung ist gesetzlich verboten (§ 6a
Bundesdatenschutzgesetz). Dennoch verlassen
sich Kreditsachbearbeiter in
knapp 80 Prozent der Fälle ausschließlich auf das automatisch
generierte
Kreditangebot, individuelle Prüfung Fehlanzeige.
•
Die Datensammelwut ist enorm und oft ist es nicht ersichtlich, warum
die Daten
erhoben
werden. Beispiele: Staatsangehörigkeit, Wohndauer, Arbeitgeber,
berufliche Stellung, Umzugshäufigkeit.
•
Die
Scoring-Ergebnisse sind nicht nachvollziehbar und verschleiern Konditionen:
Ein und dieselbe Testperson wurde mal als
kleines, mal als großes Risiko
eingestuft. In einem Fall hätte sie für ein
Kreditangebot 7,99 Prozent Zinsen
zahlen
müssen, dann wieder 13,49 Prozent. Bei solchen
Einschätzungsabweichungen fällt es
schwer, beim Scoring an ein solides
mathematisches
Verfahren zu glauben. Die Gründe für die Einteilung bleiben für
die Kunden im Dunkeln.
•
Die
überprüften Banken hätten damit geworben, dass der Kreditzins
bei ihnen ab
3,9 Prozent oder im höchstens Fall ab 4,5 Prozent betrage. Doch in keiner
der 82
Stichproben sei diese Kondition
tatsächlich auch angeboten worden. Nach dem
Scoring lagen die Zinsen plötzlich zwischen sieben und 15 Prozent.
Studien
über die Anwendungsbereiche von Scoringverfahren in Österreich - wie
in Deutschland -
liegen
nicht vor bzw. sind nicht bekannt. Diese Schlussfolgerungen gelten aber auch
für
andere
Branchen bzw. Unternehmen.
Der deutsche
Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar hat vorher bereits im Rahmen einer
Prüfung von 26
deutschen Telekommunikationsunternehmen festgestellt, dass wichtige Vorgaben
des deutschen Bundesdatenschutzgesetzes beim
Umgang mit (potentiellen) Kunden bei der
Vertragsanbahnung nur unzureichend eingehalten werden.
Viele der
geprüften Unternehmen lehnen Vertragsanträge automatisiert - allein
auf Basis von
Scorewerten - ab,
speichern die Daten viel zu lange und missachten die gesetzlichen
Auskunftsansprüche der Betroffenen. Sollte die beanstandete Praxis nicht
geändert werden,
müssten aus Sicht des deutschen Bundesdatenschutzbeauftragten
aufsichtsrechtliche Maßnahmen
eingeleitet werden, um die Wahrung des
Datenschutzes von Internet- und Telefonkunden in
Deutschland durchzusetzen.
Für
Österreich - d.h. für die in Österreich niedergelassenen
Telekommunikationsunternehmen -
ergeben sich konsumentenpolitisch
ähnliche Fragen, obwohl die Rechtslage im DSG 2000
eindeutig ist: Danach ist es rechtlich unzulässig, dass
Telekommunikationsunternehmen
Kundenverträge allein auf Basis von Scorewerten abschließen,
nachdem bei Auskunfteien etc.
Bonitätsauskünfte über potentielle Kunden eingeholt wurden.
Scoringverfahren könnten individuelle Einzelfallentscheidungen in keiner
Weise ersetzen.
Mit
dieser Diskussion zusammen hängt die Verarbeitung von Bonitätsdaten
in so genannter
„Warnlisten“
oder „Schwarzen Listen“, die von Unternehmen oder ganzen Branchen
in Anspruch
genommen werden. Inkassobüros,
Auskunfteien, Detektivunternehmen verdienen mit diesen
personenbezogenen Daten viel Geld, es gibt
einen zunehmenden lukrativen Handel mit
KonsumentInnendaten.
Oft nehmen
Unternehmen aber nur Einsicht in Datenbanken Dritter (z.B.
Wirtschaftsauskunfteien), wobei dann eine
Bonitätsbewertung von Kunden vorgenommen wird.
Damit werden Datenschutzbestimmungen
sowie Auskunfts- und Löschungsrechte von
Betroffenen umgangen.
Die unterzeichneten
Abgeordneten richten daher an den Bundesminister für Wirtschaft und
Arbeit nachstehende
Anfrage:
1. Von welche Immobilientreuhänder in Österreich werden Scoringverfahren praktiziert?
2.
Werden dabei
automatisierte Einzelentscheidungen getroffen (Basis-Scorewert) oder wird
bei jedem Antrag im Einzelfall auch durch
Sachbearbeiter (mit-)entschieden?
3.
Wie werden vom
Einsatz von Scoringverfahren betroffene KonsumentInnen
(AntragstellerInnen) informiert?
Werden Ihnen dabei
die konkreten Gründe für eine Antragsablehnung mitgeteilt?
Oder bekommen sie nur eine Standardablehnung?
4. Wie lange
dürfen aus Sicht des Ressorts Immobilientreuhänder die von
Auskunfteien etc.
übermittelten Daten und errechneten
Scorewerte von KonsumentInnen speichern und
verarbeiten?
Wann müssen diese gelöscht werden?
5.
Dürfen diese personenbezogenen Daten über die
Kreditwürdigkeit und errechnete
Scorewerte über
KonsumentInnen durch Immobilientreuhänder an Dritte weitergegeben
werden?
6.
Sehen Sie einen über § 49 DSG hinausgehenden gesetzlichen
Handlungsbedarf zur
Regelung von
automatisierten Bonitätsprüfungen von KonsumentInnen mit Hilfe von
Scoringverfahren?
7. Sehen Sie eine objektive Aussagekraft von Scoringverfahren?
Ist die Prognosefähigkeit von
Scoringverfahren aus Sicht des Ressorts wissenschaftlich
bewiesen?
8.
Sind Sie der
Auffassung, dass der Einsatz von Scoringverfahren auf Ausfallrisiken
begrenzt und branchenspezifisch geregelt werden muss?
9.
Sind Sie der
Auffassung, dass bei der Beurteilung des Ausfallrisikos nur
bonitätsrelevante
personenbezogene Daten berücksichtigt
werden dürfen?
10.
Sind Sie der
Auffassung, dass Scoringverfahren von einer neutralen Stelle offiziell
zugelassen und regelmäßig auf
ihre Plausibilität hin geprüft werden müssen?
Wie soll die Transparenz von Scoringverfahren lückenlos hergestellt
werden?
11.
Sind Sie der
Auffassung, dass Anbieter KonsumentInnen obligatorisch über den Einsatz
von Scoringverfahren, die verwendeten Daten
und deren Gewichtung informieren
müssen?
12.
Ist es
zulässig „Bonitätsdaten“ von KonsumentInnen - positive
wie negative - die u.a. von
Auskunfteien ermittelt und zu Verfügung
gestellt werden, in so genannten „Warnlisten“
zu verarbeiten und als Entscheidungsgrundlage zu verwenden?
Wenn ja, unter welchen Voraussetzungen?
13. Sehen Sie einen gesetzlichen
Handlungsbedarf, wenn Bonitätsbewertungen aufgrund der
Einsicht in Datenbanken Dritter vorgenommen
werden und Auskunfts- und
Löschungsrechte von Betroffenen damit ausgeschlossen werden?
Wenn nein, warum nicht?
14. Sehen Sie die Notwendigkeit diesbezüglich die Ausübungsregeln zu ändern?