3823/J XXIII. GP

Eingelangt am 11.03.2008
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

des Abgeordneten Dr. Robert Aspöck

und weiterer Abgeordneter

an den Bundeskanzler

betreffend Europäischen Haftbefehl

Der Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages RA Dr. Gerhard BENN-IBLER hat in der Fachzeitschrift "Anwalt aktuell" Nr. 1 /2008 (Seite 14) die Grundrechtskonformität des "Europäischen Haftbefehls" und der durch diesen bewirkten innerstaatlich nur unzureichend kontrollierbaren Auslieferungsmöglichkeiten mit folgenden Worten in Zweifel gezogen:

„Höchst problematisch ist, dass weder materielles Strafrecht noch Strafverfahren der Staaten vom Anerkennungsgrundsatz ausgehen, was einerseits bedeutet, dass eine Auslieferung gegen das derzeitige Prinzip der beiderseitigen Strafbarkeit erfolgen kann und die Wahrung der Grundrechte den jeweiligen nationalen Verfahrensordnungen überlassen bleibt und die einzelnen Rechtsschutzsysteme nicht hinreichend kompatibel sind. Damit bleiben die Verteidigungsrechte dem nationalen Recht jenes Staates verhaftet, an den ausgeliefert wird, sodass es durchaus möglich ist, dass der Staatsbürger eines Staates, in dem die Verteidigungsrechte besser ausgestattet sind, an einen Staat ausgeliefert wird, in dem das Rechtsschutzsystem einen niedrigeren Standard aufweist und ihm damit auch weniger Verteidigungsrechte zustehen. Um zu verhindern, dass die Auslieferung im Rahmen eines Europäischen Haftbefehls dazu führt, dass der Verhaftete in ein Land mit geringerem Rechtsschutz ausgeliefert wird, wäre es daher notwendig, entweder den Vorschlag für einen Rahmenbeschluss über bestimmte Verfahrensrechte im Strafverfahren weiterzuführen oder zumindest eine Angleichung in den Verfahrensrechten auf hohem Niveau so zu finden, dass jedenfalls die Grundrechte des Einzelnen im Verfahren, wie faires Verfahren, rechtliches Gehör, Anspruch auf Verteidigung, Rechtsmittel und ähnliches, angeglichen werden."

Mit dieser seiner Warnung bestätigte der Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages die bereits zuvor vom Grundrechtsexperten Prof. Dr. Adrian Eugen HOLLAENDER auf der Rechtsseite "Staatsbürger" der "Salzburger Nachrichten" vom 20. November 2007 thematisierten Gefahren des Europäischen Haftbefehls, die der Genannte mit folgenden Worten auf den Punkt brachte:

,,Noch weitaus bedenklicher ist der durch das Bundesgesetz über die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen in Österreich eingeführte "Europäische Haftbefehl", soweit dieser die (zuvor aus gutem Grund verfassungsrechtlich ausnahmslos untersagte) Auslieferung österreichischer Staatsbürger an andere EU-Mitgliedstaaten ermöglicht. Dieser "Europäische Haftbefehl" hat insbesondere durch die sehr rasch vorangeschrittene EU- Osterweiterung eine Anwendungsausdehnung erfahren, die eine Reihe praxisrelevanter Aspekte in ein potenzielles Spannungsverhältnis mit dem Rechtsstaatsprinzip treten lässt. Kernstück des Europäischen Haftbefehls ist eine Liste von 32 sehr unterschiedlichen Deliktstatbeständen, bei denen vom Vollstreckungsstaat des Haftbefehls - also auch von Österreich - die beiderseitige Strafbarkeit nicht geprüft werden darf. Wenn die ausstellende ausländische Justizbehörde den Sachverhalt als eine solche Katalogtat beurteilt und diese nach dem Recht des Ausstellungsstaats des Haftbefehls mit einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren bedroht ist, berechtigt daher auch das Fehlen der beiderseitigen gerichtlichen Strafbarkeit nicht zur Ablehnung der Vollstreckung des Haftbefehls (vgl. Hollaender, Auslieferungsbeschwerde, Neuer Wissenschaftlicher Verlag 2004, Seite 204, und die dort zitierten Gesetzesmaterialien). Da aber nicht auszuschließen ist, dass die auch innerhalb der EU vielbeklagte Korruption gerade in der Ost-Justiz zur Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls und zur damit verbundenen Auslieferung von Österreichern an das Ausland führen könnte, ist dies gewiss kein rechtsstaatlicher Fortschritt gegenüber dem früher uneingeschränkt geltenden Grundsatz, dass Österreicher niemals von Österreich an das Ausland ausgeliefert werden dürfen. "

In diesem Zusammenhang richten die unterfertigenden Abgeordneten an den Bundeskanzler folgende

ANFRAGE:

1.        Sind Ihnen die darin aufgezeigten Probleme für den Grundrechtsschutz in Österreich bekannt, die sich aus dem "Europäischen Haftbefehl" für österreichische Staatsbürger ergeben können?

2.        Erhöhen die von zwei unabhängigen Experten in der Sache übereinstimmend festgestellten rechtsstaatlichen   Defizite   des   "Europäische   Haftbefehls"   Ihr   Vertrauen   in   den Grundrechtsschutz durch die EU?

3.        Was haben Sie unternommen, um diesen (potenziellen) Gefahren entgegenzuwirken?

4.        Was werden Sie in dieser Richtung zur Wahrung des Grundrechtsschutzes unternehmen?