4119/J XXIII. GP

Eingelangt am 18.04.2008
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ANFRAGE

 

 

der Abgeordneten Lunacek, Freundinnen und Freunde

 

an die Bundesministerin für europäische und internationale Angelegenheiten

 

 

betreffend Anrechenbarkeit des Tschad-Einsatzes als Teil der österreichischen EZA-Leistungen angesichts so gut wie nicht vorhandener Erhöhungen anderer EZA-Mittel

 

 

Am 25. September 2007 hat der UN-Sicherheitsrat im Zuge des Darfur-Konflikts und der dadurch entstandenen Flüchtlingswelle in die Nachbarländer des Sudans mit der Resolution 1778(2007) eine multidimensionale Präsenz im Ost-Tschad sowie im Nordosten der Zentralafrikanischen Republik beschlossen.

 

Am 15. Oktober 2007 beschloss der Rat der EU die Durchführung der EU-Überbrückungs­mission EUFOR Tchad/RCA  durch die Gemeinsame Aktion 2007/677/GASP.

 

Am 7. November 2007 entschied die Bundesregierung, ein Kontingent von insgesamt bis zu 240 Bundesheer-Angehörigen für EUFOR Tchad/RCA  vorerst für ein halbes Jahr (verlängerbar auf ein Jahr) in den Tschad zu entsenden. Die EUFOR TCHAD/RCA soll den Schutz der in den Tschad und die Zentralafrikanische Republik geflüchteten SudanesInnen aus Darfur gewährleisten und die Sicherheitslage im Operationsgebiet verbessern.

Nach etlichen Verzögerungen ist das österreichische Kontingent seit März 2008 in Abéché (Tschad) stationiert.

 

Laut der „DAC Statistical Reporting Directive” des OECD-Entwicklungsausschusses (OECD-DAC) vom 6. April 2007 können Ausgaben im Sicherheitsbereich unter gewissen Voraussetzungen in die offiziellen Entwicklungshilfeleistungen eines Landes (ODA – Official Development Assistance) eingerechnet werden.

 

Den österreichischen Tschad-Einsatz will die österreichische Bundesregierung auch anrechnen lassen. In einer APA-Meldung vom 15. April wird Staatssekretär Hans Winkler aus einem Interview im Mittagsjournal zitiert: „’Bei diesem Fall steht der humanitäre Einsatz im Vordergrund und daher ist dieser Einsatz zu einem großen Prozentsatz anrechenbar.’ (...) Lediglich langfristige Investitionen - wie etwa die unter dem Namen ‚Sandviper’ für den Wüsteneinsatz vollständig umgebauten Puch

G-Geländewagen - sind laut Winkler nicht anrechenbar.“

 

Laut DAC können auch Entschuldungen, Studienplatzkosten für Studierende aus Entwicklungsländern sowie Flüchtlingskosten in die ODA eingerechnet werden. Seit Jahren gibt diese  „kreative österreichische Praxis“ von Seiten der OECD (z.B. Peer Review 2004) immer wieder heftige kritisiert.

Im Jahr 2006 machten diese teilweise rein statistischen Kosten 59 % der gesamten österreichischen EZA-Leistungen aus. Für 2007 wird sich an diesem Trend noch nichts ändern (laut den am 4. April vom DAC veröffentlichten Zahlen machten Entschuldungen etwa 50 % der gesamten ODA-Leistungen aus), aber in den kommenden Jahren werden die Entschuldungen massiv zurück gehen. Das bedeutet, dass auch die österreichische ODA-Quote sinken und die Erreichung des EU-Ziels von 0,51 % bis 2010 bzw. 0,7 % bis 2015 ohne einem Ansteigen der Budgetmittel nicht möglich sein.

 

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

 

 

ANFRAGE:

 

1.      Laut Medienberichten plant das Außenministerium, die Ausgaben für den österreichischen Einsatz im Tschad als offizielle österreichische Entwicklungszusammenarbeit (ODA) anzurechnen. Wie lautet die diesbezügliche genaue Begründung der Anerkennung der Einrechenbarkeit seitens Ihres Ministeriums sowie seitens der OECD (mit genauem Verweis auf die jeweils anzuwendenden Kriterien des OECD-DAC)?
 

2.      Wird das Außenministerium trotz der heftigen Kritik der letzten Tage die Ausgaben für den Tschad-Einsatz dem OECD-Entwicklungsausschuss (OECD-DAC) als ODA melden? Wenn ja, welche Ausgaben können und werden im Detail als ODA gemeldet?

 

3.      Wie hoch werden die Kosten des Tschad-Einsatzes (inkl. Verlängerung, die bereits von Verteidigungsminister Darabos angekündigt wurde) geschätzt und wie viel davon wird voraussichtlich als ODA angerechnet werden?

4.      Halten Sie eine Anrechnung von Kosten für den Tschad-Einsatz mit den EZA-Zielen der Nachhaltigkeit und der Armutsbekämpfung, wie sie im aktuellen Dreijahresprogramm der Bundesregierung formuliert sind, vereinbar?

 

5.      Findet sich im aktuellen Dreijahresprogramm ein Passus, gemäß dem Militäreinsätze (aus humanitären Gründen) Teil der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit sind (bitte um genaue Angabe)?

 

6.      Ist die Anrechenbarkeit des Tschad-Einsatzes in die österreichische ODA Ihrer Meinung nach –auch angesichts der akuten weltweiten Nahrungsmittelkrise – ein adäquates Mittel, um das skandalöse Missverhältnis zwischen gestaltbarer bi- und multilateraler EZA auf der einen Seite und Entschuldungen, Studienplatz- und Flüchtlingskosten sowie Militärmissionen auf der anderen Seite (im Jahr 2006: 41 zu 59 Prozent) zurechtzurücken?

7.      Kann die Anrechnung des Tschad-Einsatzes den absehbaren Entfall von maßgeblichen Entschuldungsbeträgen, die in die ODA eingerechnet werden können, ausgleichen? Wenn nein, welche Maßnahmen sind geplant, um das EU-Ziel von 0,51 % bis 2010 zu erreichen?

 

8.      Teilen Sie das Argument von Herbert Scheibner (BZÖ), dass der Tschad-Einsatz als „Vorstufe der Entwicklungshilfe“ anzusehen sei? Und wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang die Aussage von UNHCR-Sprecher Roland Schönbauer, dass im Tschad abseits des Militäreinsatzes zu wenig tatsächlicher Entwicklungsarbeit stattfinde?

9.      Ist geplant, künftig entwicklungspolitische Projekte und Programme im Rahmen der ÖEZA im Tschad durchzuführen?