4587/J XXIII. GP
Eingelangt am 06.06.2008
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
Anfrage
der Abgeordneten Dr. Jarolim, Keck und
GenossInnen
an den Bundesminister für Inneres
betreffend die Inhaftierung von Tierschutzaktivisten
Am 21. Mai 2008 kam es in ganz Österreich zu einem offenbar akkordierten Einsatz von Spezialeinheiten der Polizei gegen Funktionäre von Tierschutzvereinen. Nach Schilderungen der Betroffenen wurden mehrere Türen eingeschlagen und die Wohnungen von bewaffneten Beamten, vermutlich der Cobra, gestürmt, die die Schlafenden zum Teil mit vorgehaltener Waffe festgenommen haben sollen. Einer der Betroffenen, DDr. Martin Balluch, beschreibt die Aktion folgendermaßen:
„Am Mittwoch in der Früh, noch im Dunkeln, schlug eine Gruppe schwarz maskierter Männer meine Wohnungstür ein, hielt mir im Bett die Pistole an den Kopf und zwang mich nackt aufzustehen. Mein Bruder im Nebenzimmer wurde mit erhobenen Händen an die Wand gestellt und bekam die Pistole ins Genick. Anschließend durchwühlte die Polizei meine Wohnung, stellte alles auf den Kopf und verließ sie erst nach 6 Stunden mit meinen Computern, mit Büchern, Schriften und Videokassetten. Ich sitze seitdem in einer Zelle." (Statement vom 27.5.08 lt. www.vgt.at)
Der Vorwurf, auf den sich diese Aktion stützt, ist, dass die betroffenen Personen u.a. beschuldigt werden, an einer kriminellen Organisation nach § 278a StGB beteiligt gewesen zu sein. Diese Bestimmung legt folgendes fest:
Kriminelle Organisation
§ 278a. Wer eine auf längere Zeit angelegte unternehmensähnliche Verbindung einer größeren Zahl von Personen gründet oder sich an einer solchen Verbindung als Mitglied beteiligt (§ 278 Abs. 3),
1. die, wenn auch nicht ausschließlich, auf die wiederkehrende und geplante Begehung schwerwiegender strafbarer Handlungen, die das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die
Freiheit oder das Vermögen bedrohen, oder schwerwiegender strafbarer Handlungen im Bereich der sexuellen Ausbeutung von Menschen, der Schlepperei oder des unerlaubten Verkehrs mit Kampfmitteln, Kernmaterial und radioaktiven Stoffen, gefährlichen Abfallen, Falschgeld oder Suchtmitteln ausgerichtet ist,
2. die dadurch eine Bereicherung in großem Umfang oder erheblichen Einfluß auf Politik oder Wirtschaft anstrebt und
3. die andere zu korrumpieren oder einzuschüchtern oder sich auf besondere Weise gegen Strafverfolgungsmaßnahmen abzuschirmen sucht, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zubestrafen. §278 Abs. 4 gilt entsprechend.
Die verhafteten Personen befinden sich zum Zeitpunkt der Abfassung dieser Anfrage nach wie vor in U-Haft. Als Haftgründe wurden Tatbegehungsgefahr und Verdunkelungsgefahr angegeben, allerdings auch hier ohne nähere öffentliche Begründung. Worin die Gefahr der Verdunkelung liegen soll, wenn bei der geschilderten Polizeiaktion sämtliche Computer und Datenträger beschlagnahmt worden sind, ist nicht nachvollziehbar. Genauso ist es schwer verständlich, wie die betroffenen Personen Straftaten begehen sollten, nachdem sie nunmehr wissen, dass sie unter massiver Observation stehen und darüber hinaus durch das behördliche Vorgehen am 21.5.08 doch wohl hinlänglich eingeschüchtert worden sein dürften.
Interessant ist in diesem Zusammenhang obendrein, dass eine eigene „ SOKO Pelztiere" eingerichtet worden ist, die die Aktivitäten von Tierschutzaktivisten bereits seit mehreren Jahren beobachtet, und zwar nach Medienberichten durch Abhören von Telefongesprächen, Observieren von Personen sowie Mitlesen des Mailverkehrs(!). Während hinsichtlich der ersten beiden Maßnahmen Zweifel ob deren Verhältnismäßigkeit geäußert werden können, stellt sich für das Mitlesen des Mailverkehrs überhaupt die Frage der Rechtsgrundlage.
Amnesty International Österreich hat am 4. Juni 2008 nachstehend wiedergegebene „Stellungnahme zur Festnahme von zehn Tierschützern am 21. Mai 2008" abgegeben:
„(1) Amnesty International kann naturgemäß keine Aussagen dazu treffen, ob die Beschuldigten die ihnen vorgeworfenen strafrechtlichen Delikte (Sachbeschädigung, Nötigung, gefährlichen Drohung) begangen haben oder nicht, und erinnert an die menschenrechtlich (Art. 6 Abs. 2 EMRK) und gesetzlich (§ 8 StPO) verankerte
Unschuldsvermutung.
(2) Amnesty International hält vorab fest, dass Staaten die menschenrechtliche Verpflichtung haben, die körperliche Integrität von Menschen und ihr Eigentum zu schützen, und dass Meinungsäußerungsfreiheit ihre Grenze jedenfalls dort hat, wo Rechte anderer Personen verletzt werden. Gesetze zum Schutz von körperlicher Integrität und Eigentum gelten daher selbstverständlich auch für engagierte Mitglieder der Zivilgesellschaft, unabhängig davon, für welches Anliegen sie sich einsetzen. Politisches und gesellschaftliches Engagement, für welches Anliegen auch immer, ist als Ausdruck der Meinungsäußerungsfreiheit - menschenrechtskonform - nur dann besonders geschützt, wenn es gewaltfrei und unter Wahrung der Menschenrechte anderer stattfindet. Ein solches Engagement rechtfertigt nicht Sachbeschädigungen oder Drohungen gegenüber anderen Personen. Strafrechtliche Ermittlungen oder Maßnahmen gegen Mitglieder der Zivilgesellschaft sind daher nicht per se menschenrechtlich problematisch.
(3) Amnesty International hält jedoch fest, dass sich im gegenständlichen Fall die Bedenken manifestieren, die unsere Organisation in einer Stellungnahme zum Strafrechtsänderungs- gesetz 2002 zu den Delikten der §§ 278 ff. StGB betreffend kriminelle Vereinigung bzw. Organisation abgegeben hat:
Während Amnesty International die Notwendigkeit anerkennt, das Strafgesetzbuch entsprechend der UNKonvention gegen transnationale organisierte Kriminalität anzupassen, erfolgte dies uE in einer unverhältnismäßig weit gehenden Weise, die über die Vorgaben dieser UN-Konvention hinausgeht. Amnesty International hielt schon in Bezug auf den Begutachtungsentwurf zu § 278 StGB fest, dass Delikte wie Widerstand gegen die Staatsgewalt oder schwere Sachbeschädigung zwar ohne Zweifel in einer demokratischen
Gesellschaft kein sozialadäquates Verhalten darstellen und in jedem Fall strafgesetzlich verboten sein sollen. Inadäquat erscheint es jedoch, beispielsweise aus der Verabredung mehrerer Demonstranten, Widerstand leisten zu wollen, eine Gruppe organisierten Verbrechens konstruieren zu wollen. Schon in ihrer Stellungnahme zum Strafrechtsänderungsgesetz 2002 hat Amnesty International davor gewarnt, dass der neue Deliktskatalog zu organisierter Kriminalität und terroristischen Straftaten überschießend
formuliert ist. Amnesty International hat darauf hingewiesen, dass dem Wortlaut nach beispielsweise auch bekannte Umweltorganisationen wie Greenpeace den Tatbestand etwa durch das Besetzen eines Atomkraftwerks erfüllen würden, und in weiterer Folge SpenderInnen von Umweltorganisationen wegen Terrorismusfinanzierung strafrechtlich belangt werden könnten. Amnesty International weist darauf hin, dass der Terminus "organisierte Kriminalität" durch eine Bereicherungsabsicht geprägt ist und schwerstwiegende Verbrechen bezeichnet, für die die Absicht der Gewinnmaximierung charakteristisch ist (Rauschgifthandel und -Schmuggel, Waffenhandel und -Schmuggel,
Diebstahl und Handel von Kunstgegenständen, Zuhälterei, Prostitution, Menschenhandel, illegales Glücks- und Falschspiel, Schutzgelderpressung, illegale Entsorgung von Sonderabfall, illegalen Technologietransfer, Geldwäsche, Terrorismus; siehe auch Art. 5 (1) UN-Konvention gegen transnationale organisierte Kriminalität).
Amnesty International gibt zu bedenken, dass eine solche Bereicherungsabsicht im vorliegenden Fall fehlt und - nach uns vorliegenden Informationen - auch von Seiten der Staatsanwaltschaft nicht vorgebracht wird. Amnesty International ist daher irritiert darüber, dass die angeblich vorliegende, konkrete Beweislage nicht in entsprechende Strafverfahren wegen Sachbeschädigung, Nötigung bzw. gefährliche Drohung mündet, sondern das, aus unserer Perspektive problematisch unbestimmte Gesamtdelikt der Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation verfolgt zu werden scheint.
(4) In Bezug auf die
durchgeführten Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmen verweist Amnesty International auf das menschenrechtliche
Gebot der Verhältnismäßigkeit, das auch in der
österreichischen Strafprozessordnung seinen Niederschlag findet. Da die
vorliegenden Schilderungen Zweifel an der
Verhältnismäßigkeit bei der polizeilichen Durchführung der
Hausdurchsuchungen und Festnahmen aufkommen lassen, befürwortet
Amnesty International dringend eine
unabhängige und unparteiliche Untersuchung dieser Maßnahmen und
begrüßt ausdrücklich, dass von den RechtsvertreterInnen der
Beschuldigten entsprechende
Beschwerdemechanismen in Anspruch
genommen werden. Besonderes Augenmerk ist im Lichte des Art. 4 Abs. 7 PersFrG aus Sicht von Amnesty
International dabei auf die Schilderungen
der Betroffenen zu legen, wonach ihnen die Kontaktaufnahme mit einem Rechtsbeistand verwehrt worden sei. Amnesty
International weist weiters darauf hin, dass der
(unserer Organisation vorliegende) Hausdurchsuchungsbefehl die gesuchten
Beweismittel nicht
präzise bezeichnet, sondern mit der Formulierung "elektronische
Speichermedien sowie relevante Unterlagen
und Gegenstände" sehr allgemein gehalten ist. Amnesty International hat
auch in anderem Zusammenhang die Verwendung von vorgefassten Textbausteinen
zur Begründung von Grundrechtseingriffen beobachtet und befürchtet, dass diese Zweifel an einer sorgfältigen Berücksichtigung menschenrechtlicher Schranken im Einzelfall aufkommen lässt.
(5) Amnesty International ist über die vorliegenden Schilderungen besorgt, nach denen der Umfang und die Art der Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmen geeignet ist, die rechtmäßige Arbeit legaler zivilgesellschaftlicher Vereine zu beeinträchtigen. Während von Seiten der zuständigen Staatsanwaltschaft betont wird, die strafrechtlichen Vorwürfe richteten sich nicht gegen Vereine, fanden den uns übermittelten Schilderungen nach Beschlagnahmen in Vereinsbüros in einer Weise statt, die diesen die für ihre weitere
Arbeit benötigten Betriebsmittel (z. B. SpenderInnendatenbanken) entziehen. Amnesty International betont in diesem Zusammenhang, dass strafrechtliche Ermittlungen gegen
Einzelpersonen nicht mit deren allfälliger Mitgliedschaft in zivilgesellschaftlichen Einrichtungen oder Vereinen vermengt werden dürfen und alles unternommen werden muss, um den äußeren Anschein zu vermeiden, dass seitens der Behörden die Beeinträchtigung der Arbeit dieser legalen Vereine zumindest in Kauf genommen wurde.
(6) Amnesty International ist besorgt über Informationen von Seiten der RechtsvertreterInnen, wonach die Akteneinsicht in einem Umfang beschränkt wurde, sodass selbst zum dringenden Tatverdacht und Haftgrund keine konkreten Informationen vorliegen und den Rechtsbeiständen damit die zur Verteidigung und Hinterfragung der Untersuchungshaft notwendigen Informationen vorenthalten werden. Amnesty International weist darauf hin, dass gemäß Artikel 5 Abs. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention jeder Festgenommene unverzüglich über die Gründe seiner Festnahme und über die gegen ihn erhobenen Beschuldigungen unterrichtet werden muss. Gemäß § 51 Abs. 2 letzter Satz StPO ist eine Beschränkung der Akteneinsicht solcher Aktenstücke ab Verhängung der Untersuchungshaft unzulässig, die der Beschuldigte benötigt, um Tatverdacht und Haftgründe im Wege einer Beschwerde bekämpfen zu können. "
Die unterzeichneten Abgeordneten teilen in den wesentlichen Grundzügen die Einschätzung von Amnesty International Österreich. Dies bedeutet insbesondere, dass sich auch die unterzeichneten Abgeordneten jeder Aussage enthalten, ob die Beschuldigten die ihnen vorgeworfenen strafrechtlichen Delikte (Sachbeschädigung, Nötigung, gefährliche Drohung) begangen haben oder nicht.
Es muss aber verhindert werden, dass es zu einer pauschalen Kriminalisierung des Tierschutzes kommt, dass es menschenrechtswidriges Vorgehen gegen einzelne Tierschützer gibt und dass das Prinzip der Verhältnismäßigkeit nicht eingehalten wird.
Es ist allgemein bekannt, dass sich die österreichischen Tierschutzorganisationen zur Durchsetzung tierschutzrelevanter Anliegen im Rahmen der Gesetze halten und sich von Gewalt distanzieren sowie die Aufklärung von Straftaten unterstützen.
In diesem Sinn soll gegenüber den zehn inhaftierten Personen unter Einhaltung des Grundsatzes der Unschuldsvermutung in einem streng rechtsstaatlichen Verfahren geklärt werden, ob die vorgworfenen strafrechtlichen Delikte tatsächlich begangen wurden oder nicht.
Die unterzeichneten Abgeordneten stellen an den Bundesminister für Inneres nachstehende
Anfrage:
1) War es aus Ihrer Sicht notwendig, eine Spezialeinheit bei den gegenständlichen Aktionen zum Einsatz zu bringen?
2) Auf Grund welcher Annahmen wurde eine derartige Aktion für nötig erachtet?
3) Haben irgendwelche Funde bei den Durchsuchungen das Eindringen in die Wohnungen der Betroffenen durch Einschlagen von Türen und das Vorhalten von Schusswaffen gerechtferitig?
4) Wer hat die Durchführung der Maßnahme in dieser Art und Weise angewiesen? Wer war hierfür letztverantwortlich?
5) Teilen Sie die Auffassung, dass § 278a StGB in seiner derzeitigen Formulierung zu „überschiessenden" Gesetzesanwendungen führen kann?
6) Auf Grund welcher Auslegung von § 278a StGB gelangten die Behörden zur Annahme, dieser Tatbestand könnte erfüllt sein?
7) Wurde diese Rechtsauffassung in der Anzeige der Sicherheitsbehörden geäußert oder wurde diese Subsumtion erst durch die Staatsanwaltschaft getroffen?
8) In einem Bericht des „Falter" heißt es, der Mailverkehr der Betroffenen sei mitgelesen worden. Stimmt das, und wenn ja, mit welchen technischen Mitteln und auf Grund welcher Rechtsgrundlage wurde dies bewerkstelligt?
9) Aus welchen Gründen wurde eine eigene „SOKO Pelztier" eingerichtet?
10) Teilen Sie die Sorge von Amnesty International, wonach Umfang und Art der Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmungen geeignet seien, die rechtmäßige Arbeit legaler zivilgesellschaftlicher Vereine zu beeinträchtigen?