4600/J XXIII. GP

Eingelangt am 09.06.2008
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ANFRAGE

 

des Abgeordneten Pirklhuber, Freundinnen und Freunde

 

an den Bundeskanzler

 

betreffend Infragestellung der "Bio"sprit-Strategie der österreichischen Bundesregierung

 

 

Die derzeit von den USA und der EU verfolgte Strategie der Produktion biogener Treibstoffe der „ersten Generation“ basiert auf Rohstoffen, die in direkter Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion stehen (Weizen, Mais, Soja, Raps, etc). Die Staats- und Regierungschefs der EU einigten sich auf ein verbindliches Mindestziel in Höhe von zehn Prozent für den Anteil von Pflanzentreibstoffen am gesamten verkehrsbedingten Benzin- und Dieselverbrauch in der EU bis 2020.

 

Angesichts aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse und der weltweit dramatischen Nahrungsmittelkrise beginnt diese Front auf EU-Ebene jedoch zu bröckeln.  „Es kann nicht vernünftig sein, aus Pflanzen, die der Ernährung von Menschen und Tieren dienen sollen, Treibstoff für Autos zu machen“, äußerte sich auch der Industriekommissar der EU Günter Verheugen in einem Interview mit Bild am Sonntag. Inzwischen stellte auch Umweltkommissar Stavros Dimas die Beimischungsziele in Frage und auch einige Mitgliedstaaten wie Deutschland und Luxemburg schwenken um.

 

Wissenschaftliche Ergebnisse zeigen, dass der einfache Ersatz fossiler Rohstoffe durch nachwachsende Rohstoffe wirtschaftlich fragwürdig, sozial gefährlich und ökologisch wenig sinnvoll ist. Eine wissenschaftliche Neubewertung von N2O in Treibhausgasbilanzen ergab, dass die Verwendung von flüssigen Agrotreibstoffen für das Klima sogar schädlicher als die Nutzung entsprechender fossiler Brennstoffe sein kann, da bei üblicher landwirtschaftlicher Praxis allein durch die Freisetzung von Lachgas (N2O) aus landwirtschaftlichen Böden die Einsparungen an CO2 zunichte gemacht werden (Studie unter Leitung des Nobelpreisträgers Paul Crutzen).

 

Die Österreichische Bundesregierung bleibt dennoch bei dem Ziel, den Anteil von Agrosprit an Treibstoffen im Oktober von derzeit 4,3 Prozent auf 5,75 Prozent und schon im Jahr 2010 auf zehn Prozent anzuheben. Österreich ist damit das einzige Land der EU, das schon im Jahr 2010 mit zehn Prozent jenes Ziel erreichen will, das in der EU inzwischen selbst für das Jahr 2020 umstritten ist. Dies, obwohl zur Erreichung der über-ambitionierten Ziele des österreichischen Biomasse-Aktionsplans bis zu 90% der erforderlichen Biomasse importiert werden müsste (WIFO, 2008).

 

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

 

 

ANFRAGE:

 

 

1.      Wird Österreich angesichts der harten Debatten auf EU-Ebene über die Sinnhaftigkeit der Biosprit-Strategie sein überzogenes Ziel für die Beimischung von Agrotreibstoffen revidieren? Wenn nein, warum nicht?

 

2.      Werden Sie angesichts der Ansage des EU-Industriekommissars Verheugen und der aktuellen Nahrungsmittelkrise eine Korrektur der angepeilten Beimischungsziele auf EU-Ebene unterstützen? Wenn nein, warum nicht? Wenn ja, welche Initiativen werden Sie setzen?

 

3.      Welche Menge an Agrosprit wird voraussichtlich benötigt, um die österreichischen Beimischungsziele von 5,75% (2008), 10% (2010) und 20% (2020) zu erreichen?

 

4.      Welche Menge an Agrosprit bzw. welcher Anteil an den geplanten Beimischungszielen kann aus österreichischen Agrarrohstoffen hergestellt werden?

 

5.      Welche Menge an Agrosprit und Agrarrohstoffen wird derzeit importiert? Aus welchen Ländern kommen die Importe? Importiert Österreich auch Agrosprit aus Ländern mit Hungerproblemen bzw. wie wird sichergestellt, dass dies nicht passiert?

 

6.      Welche Menge an Agrosprit und Agrarrohstoffen müssen voraussichtlich zur Erreichung der Beimischungsziele bis 2010 und 2020 (laut Biomasseaktionsplan) importiert werden?

 

7.      Welche Vermeidungsleistung in Bezug auf die Treibhausgase (gemessen in CO2-Äquivalenten) kann durch die Agrosprit-Beimischungsziele der Bundesregierung erreicht werden?

 

8.      Welche Kosten je vermiedener Tonne CO2 werden durch die Produktion von Agro-Diesel und Ethanol verursacht?

 

9.      Durch welche konkreten Maßnahmen verhindern Sie, dass die Erzeugung von Agrosprit in Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion steht?

 

10.    Haben Sie eine ökologische und ökonomische Evaluierung über den Nutzen von Agrotreibstoffen der ersten Generation durchführen lassen? Wenn nein, warum nicht? Wenn ja, wann, von wem und sind die Ergebnisse öffentlich zugänglich?