4639/J XXIII. GP
Eingelangt am 19.06.2008
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ANFRAGE
der Abgeordneten Steinhauser und Grünewald, Freundinnen und Freunde
an die Bundesministerin für Justiz
betreffend Gerichtsmedizin Wien
Die Gerichtsmedizin übernimmt in unserem Rechtssystem besonders in Fällen von Gewaltdelikten, insbesondere bei tödlichem Ausgang, die Rolle einer unabhängigen medizinisch-fachlichen Instanz, die Zusammenhänge zwischen medizinischen Sachverhalten und rechtlichen Fragestellungen herstellt, und somit eine wesentliche Säule unseres Rechtsstaates darstellt. Gerichtsmedizin ist vor allem aber auch eine vielfältige wissenschaftliche Disziplin, deren Forschungen für viele gesellschaftliche und andere medizinische Bereiche von maßgeblicher Bedeutung sind.
Laut einem Rundschreiben des
Rektors der Medizinischen Universität Wien (MUW), vom 11.12.2007 an alle
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der MUW, wurde am
1. Jänner 2008 der Obduktionsbetrieb am Institut für Gerichtliche
Medizin vor allem aus wirtschaftlichen Gründen eingestellt. Da die
Existenz der Gerichtsmedizin im medizinisch-universitären Kontext in Wien
in höchstem Maße bedroht und dadurch eine deutliche
Beeinträchtigung der Rechtssicherheit, der Facharztausbildung
und der Qualität der Todesursachenstatistik zu befürchten ist,
stellen die unterfertigten Abgeordneten daher folgende
ANFRAGE:
1. Wie hat sich die Zahl der justiziell angeordneten Obduktionen im Zeitraum von Jänner bis Juni 2008, gegliedert nach Monaten, verglichen mit dem selben Zeitraum in den Jahren 2007, 2006 und 2005 in Wien entwickelt?
2. Wie hat sich die Zahl jener sanitätsbehördlicher Obduktionen, bei welchen sich eine Verdachtslage auf unnatürlichen Todesfall ergeben hat, im Zeitraum von Jänner bis Juni 2008, gegliedert nach Monaten, verglichen mit dem selben Zeitraum in den Jahren 2007, 2006 und 2005 in Wien entwickelt?
3. Ist es aus Sicht des BMJ wünschenswert, dass in Wien der Obduktionsbetrieb am Institut für Gerichtliche Medizin der MUW wieder aufgenommen wird?
4. Welche Auswirkungen auf die Rechtssicherheit in Wien hat die mit 1.1.2008 in Kraft getretene Einstellung des Obduktionsbetriebes an der Wiener Gerichtsmedizin und was bedeutet das mittel- und langfristig?
5. Ist es durch die Schließung der Obduktionsräumlichkeiten am Institut für Gerichtliche Medizin der MUW zu einer Kostensteigerung für die Justiz in Wien für Obduktionen im Gerichtsauftrag gekommen?
Wenn ja, in welcher Höhe pro Jahr?
6. Welche organisatorischen Auswirkungen hat die mit 1.1.2008 in Kraft getretene Schließung des Obduktionsbetriebes an der Wiener Gerichtsmedizin nach drei Monaten gehabt und was bedeutet das mittel- und langfristig für die Organisation der Obduktionen im Auftrag der Staatsanwaltschaft in Wien?
7. In einer Novelle des Gebührenanspruchsgesetzes 1975 (Berufsrechtsänderungsgesetz 2008 – BRÄG 2008) wurde per 1. 1. 2008 eine Pauschale für die Nutzung von externen Untersuchungsräumlichkeiten für Obduktionen im Gerichtsauftrag in Höhe von 130.- bzw 180.- Euro festgelegt. Welche betriebswirtschaftlichen Grundlagen wurden zur Festsetzung dieser Tarife herangezogen?
8. Wurden die Rektoren der
a) MUW,
b) Medizinischen Universität Graz,
c) Medizinischen Universität Innsbruck,
d) Universität Salzburg und
e) Universität Linz
bezüglich der Höhe dieser Pauschale vor Erarbeitung des Gesetzesentwurfes um eine Stellungnahme ersucht?
Wenn nein, warum nicht?
9. Ist das Reichs-Gesetz-Blatt 1855/26 die gesetzliche Grundlage für die Obduktion im Gerichtsauftrag („gerichtliche Totenbeschau“)“?
10. Trifft es zu, dass laut § 9 des Reichs-Gesetz-Blattes 1855/26 der Gemeindevorsteher für die sichere Verwahrung derjenigen Leichen verantwortlich ist, für die eine gerichtliche Totenschau notwendig werden dürfte?
11. Trifft es zu, dass laut § 9 des Reichs-Gesetz-Blattes 1855/26 der Gemeindevorsteher für einen tauglichen Ort zur Durchführung der gerichtlichen Totenschau, also für Obduktionen im Gerichtsauftrag zu sorgen hat?
12. Welche Qualitätsstandards muss, aus heutiger Sicht der Justiz, dieser taugliche Ort zur Durchführung der gerichtlichen Totenschau aufweisen?
13. Gibt es von Seiten der Justiz Vorgaben zu den Qualitätsstandards dieser Räumlichkeiten und deren technischer Ausrüstung?
14. Entsprechen die von der Stadt Wien bzw. dem Krankenanstaltenverbund für Obduktionen im Gerichtsauftrag zur Verfügung gestellten Obduktionsräumlichkeiten und deren technische Ausrüstung diesen Qualitätsstandards?
15. Können Röntgenuntersuchungen bei Obduktionen im Gerichtsauftrag in diesen zur Verfügung gestellten Obduktionsräumlichkeiten durchgeführt werden?
16. Wo werden biologische Asservate, die zur Beweissicherung im Rahmen von Obduktionen im Gerichtsauftrag in Wien gewonnen werden, aufbewahrt?
17. Werden die durch die Aufbewahrung verursachten Kosten von den Gerichten getragen?
18. Wurden 2006 (2007) die Kosten für die Benützung von Obduktions- und Kühlräumlichkeiten für Obduktionen im Gerichtsauftrag durch Sachverständige am Institut für Gerichtliche Medizin der
a) MUW,
b) Medizinischen Universität Graz,
c) Medizinischen Universität Innsbruck,
d) Universität Salzburg und
e) Universität Linz
von den beauftragenden Gerichten übernommen?
Wenn ja, in welcher Höhe und wie wurden diese verrechnet (u.a. direkt mit dem Betreiber/Besitzer der Räumlichkeiten, über die Sachverständigen)?
19. Nach einem Erkenntnis des OGH vom 4.2.1992 (14 Os 82/91), hat die Justiz die Kosten für den Transport derjenigen Leichen zu tragen, für die eine gerichtliche Todtenschau notwendig werden dürften. Wie wurden 2006 und 2007 bzw werden seit 1. Jänner 2008 diese Transportkosten im
a) Oberlandesgerichtssprengel Wien,
b) Oberlandesgerichtssprengel Graz,
c) Oberlandesgerichtssprengel Innsbruck und
d) Oberlandesgerichtssprengel Linz
von den Gerichten bzw den Staatsanwaltschaften abgerechnet?
20. Warum werden diese Kosten im Sinne der §§ 8 und 9 des Reichs-Gesetz- Blattes 1855/26 nicht direkt, wie die Kosten für den Transport, mit dem Betreiber/Besitzer der Räumlichkeiten verrechnet?
21. In der Strafprozessordnung ist in § 126 (vormals § 119) normiert, dass, im Falle einer Bestellung eines Angehörigen des wissenschaftlichen Personals einer Universitätseinheit als Sachverständiger, eine Ausfertigung des Auftrags auch dem Leiter der Einheit zuzustellen ist. Wurde 2006 und 2007 bzw wird seit 1. Jänner 2008 dieser gesetzliche Auftrag im
a) Oberlandesgerichtssprengel Wien,
b) Oberlandesgerichtssprengel Graz,
c) Oberlandesgerichtssprengel Innsbruck und
d) Oberlandesgerichtssprengel Linz
von den Gerichten bzw den Staatsanwaltschaften in vollem Umfang, also alle Universitätseinrichtungen in Österreich betreffend, umgesetzt?
Wenn nein, warum nicht?
22. Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit die Eintragung in die Liste der Sachverständigen für den Fachbereich Gerichtsmedizin möglich ist?
23. Ist der “Nachwuchs“ an Sachverständigen für Gerichtsmedizin am Institut für Gerichtliche Medizin der
a) MUW,
b) Medizinischen Universität Graz,
c) Medizinischen Universität Innsbruck,
d) Universität Salzburg und
e) Universität Linz
derzeit und vor allem in Zukunft gewährleistet?
24. Ist die primär universitäre Einbettung des Institutes für Gerichtliche Medizin an der
a) MUW,
b) Medizinischen Universität Graz,
c) Medizinischen Universität Innsbruck,
d) Universität Salzburg und
e) Universität Linz
aus Sicht des BMJ gewünscht bzw für die wissenschaftliche Weiterentwicklung des Faches und somit für die Rechtssprechung unabdingbar?
25. Wo sonst in Wien, wenn nicht im Rahmen einer universitären Einbettung als Institut der Medizinischen Universität Wien ist die Unabhängigkeit der Sachverständigen für Gerichtsmedizin und damit ein wesentlicher Faktor unseres Rechtsstaats gewährleistet?
26. Trifft es zu, dass es zur Wahrung der Unabhängigkeit und der Sicherstellung der Verantwortlichkeit von gerichtlichen Sachverständigen erforderlich ist, dass gerichtliche Sachverständige im Strafverfahren persönlich beauftragt werden müssen?
27. Wenn nein, wann werden gerichtliche Sachverständige in Österreich im Strafverfahren nicht persönlich beauftragt?
28. In welcher Form sind die Institute für Gerichtsmedizin in der EU institutionell verankert? Gibt es dazu eine Position der EU?