467/J XXIII. GP

Eingelangt am 07.03.2007
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Anfrage

der Abgeordneten Neubauer, Dr. Fichtenbauer und Kollegen

an die Bundesministerin für Justiz

betreffend Missstände in der Justizverwaltung rund um die Libro-Causa

Mehrere zivil- und strafrechtliche Verfahren rund um die in der Öffentlichkeit vielbeachtete Libro-Causa wurden bzw. werden beim Landesgericht Wiener Neustadt geführt.

In Bezug auf die strafrechtlichen Verfahren mehren sich in letzter Zeit diverse Beschwerden hinsichtlich der Justizverwaltung des betreffenden Gerichtes und muss sich die Republik Ös- terreich nunmehr gar beim Europäischen Menschengerichtshof in Straßburg deswegen ver- antworten (vgl. Dossier 5711/07, Cour Européenne des Droits de l'Homme, Conseil de l'Europe).

Auch in den Medien wurde von Anfang an heftige Kritik an Objektivitätsmängeln in diesem Verfahren laut (Format 48/04 vom 26.11.2004, Seite 46: „Causa André Rettberg: Staatsan- wälte uneinig - Laut einem internen Papier der Oberstaatsanwaltschaft ist Rettberg unschul- dig. Trotzdem droht im die Anklage"; „News" Nr. 4/06 vom 26.01.2006, Seite 69: „Knallef- fekt im Justizfall Libro: Hauptgläubiger lässt Klage gegen Ex-Libro-Boss fallen. Prozess vorm Platzen. Der Vergleich mit dem einzig verbliebenen Hauptgläubiger, der Bank Austria Creditanstalt, ist erfüllt. Damit gibt es jetzt keinen möglichen Geschädigten mehr. Alle laut Anklage angeblich Geschädigten haben keinerlei Forderungen. Dass es dennoch zu einem Prozess kommt, halten zahlreiche Justizexperten für einen Fehler. Sogar in der Oberstaats- anwaltschaft Wien gab es bereits Stimmen, die Causa besser ohne Anklageerhebung zu den Akten zu legen. Allerdings waren die beiden Wirtschaftsanwälte Rettbergs 2004 für fünf Wo- chen in Untersuchungshaft genommen worden. Als Anwälte sind die beiden bis heute suspen- diert. Allein um sich eine Blamage zu ersparen, so meinen Beobachter, werde die Justiz sehr bestrebt sein, dass es zu einer Verurteilung kommt." und „Format" Nr. 10/06 vom 10.03.2006, Seite 34: „Richterin Birgit Borns muss derzeit nicht nur den Gerichtsakt lesen, sie erwartet auch gehöriger Druck seitens der Justiz. ").

Da die Wahrung der Objektivität im Rahmen der Justizverwaltung aber gerade bei solchen Großverfahren aus rechtsstaatlichen Gründen besonders wesentlich ist, richten die unterzeich- neten Abgeordneten daher an die Bundesministerin für Justiz nachstehende

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage

1) Ist es zutreffend, dass der Präsident des Landesgerichtes Wiener Neustadt als Justizver- waltungsorgan wiederholt diversen Prozessbeteiligten die ihnen zustehende Einsichtnah- me in die Schöffendienstliste seines Gerichtes verweigerte bzw. diese erst zu Ende der Rechtsmittelfrist aufgrund des Einschreitens des Oberlandesgerichtspräsidenten als Auf- sichtsorgan herausgab?


a)      Wenn ja, kam es dadurch zu einer Beeinträchtigung von Rechtsmittelausführungen?

b)      Wenn ja, auf welche gesetzliche Grundlage stützte sich der Präsident des Landesge- richtes Wiener Neustadt?

2)   Ist es zutreffend, dass das Bundesministerium für Justiz mit einem Schreiben aus 9/2006 seitens unmittelbar Betroffener (Korrespondenz Löb-BMJ) über diesen Missstand infor- miert wurde?

a)  Wenn ja, welche Maßnahmen wurden daraufhin unternommen?

3)   Ist es zutreffend, dass derselbe Gerichtshofspräsident die Einsichtnahme in die Schöffen- dienstliste auch gegenüber weiteren Prozessbeteiligten bis zuletzt verweigerte?

a)      Wenn ja, wann hat das Bundesministerium für Justiz erstmals davon erfahren?

b)      Wenn ja, von wem?

c)      Wenn ja, welche disziplinären Maßnahmen wurden gesetzt?

 

4)      Welche weiteren Untersuchungsmaßnahmen im Rahmen der Justizverwaltung sind an- hängig bzw. welche gedenken Sie zur restlosen Aufklärung der Fakten in diesem Zusam- menhang zu veranlassen?

5)             Wurden alle Schöffen im 2. Quartal 2005/2006, Abteilung 42, 46, am Landesgericht Wie- ner Neustadt exakt nach der Reihenfolge der Schöffendienstliste berufen?

 

a)      Wenn nein, welche wurden nicht berufen?

b)      Wenn nein, aus welchen Gründen wurden einzelne Schöffen nicht gemäß der Schöf- fendienstliste berufen?

 

6)      Wurde Schöffe Nummer 139 aus der genannten Liste ordnungsgemäß berufen?

7)             Wurde Schöffe Nummer 139 aus der genannten Liste beim genannten Gericht im Straf- verfahren gegen Rettberg u.a. als Schöffe eingesetzt?

a)  Wenn nein, warum nicht?

8)             Ist es zutreffend, dass oben genannter Gerichtshofspräsident in einer Justizverwaltungs- entscheidung die Befangenheit der Richterin Mag. Borns im Verfahren gegen Rechtsan- walt Dr. Eckert verneinte?

9)      Würde eine Befangenheit der Richterin eine Ablehnung selbiger rechtfertigen?

10)      Wurde ein Ablehnungsantrag betreffend Befangenheit der Richterin gestellt?

 

a)      Wenn ja, wurde dem Ablehnungsantrag entsprochen?

b)     Wenn nicht entsprochen wurde, mit welcher Begründung?


11) Können Sie ausschließen, dass angesichts dieser Häufung von Absonderlichkeiten in der Justizverwaltung beim Landesgericht Wiener Neustadt eine Befangenheit gegenüber den Betroffenen oder einem von ihnen vorliegen könnte?

a)       Sind dem BMJ bezüglich derartiger Befangenheitskonstellationen Fachartikel oder Rechtsgutachten aus dem Bereich der Rechtsforschung und Rechtslehre bekannt?

b)      Wenn ja, welche und mit welchem Inhalt?

 

12)    Ist es zutreffend, dass diese Befangenheitsfrage des Landesgerichts Wiener Neustadt be- reits zur Anhängigkeit eines Verfahrens gegen Österreich beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg geführt hat?

13)    Können Sie grundsätzlich zur Vermeidung einer Menschenrechtswidrigkeit die staatsan- waltschaftlichen Behörden zur Ausstellung eines Ablehnungsantrages gegen befangene Richter veranlassen?

a)  Wenn ja, werden Sie dies gegenständlich tun?

14) Können Sie grundsätzlich der Generalprokuratur den Auftrag geben, eine Nichtigkeitsbe- schwerde an den Obersten Gerichtshof zu richten?

a) Wenn ja, werden Sie dies zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit im gegenständlichen Verfahrenskomplex hinsichtlich der Befangenheitsfrage und/oder der Schöffenmiss- stände tun, um solcherart eine objektive und letztgültige Entscheidung durch den Obersten Gerichtshof über diese Aspekte ohne weitere zeitliche Verzögerung zu er- möglichen?

15) Ist es zutreffend, dass im Vorfeld der strafrechtlichen Aufarbeitung des Libro-Verfahrens von Oberstaatsanwalt Helmuth Seystock (Oberstaatsanwalt in der Oberstaatsanwaltschaft Wien) eine fachliche Analyse zum Vorhabensbericht der Staatsanwaltschaft gefertigt wur- de?

a)      Wenn ja, was besagte die vorgenannte Analyse in ihrem vollen Wortlaut?

b)      Wenn ja, welche rechtlichen Erwägungen lagen der ersten ursprünglichen Fassung von Oberstaatsanwalt Seystock zugrunde?

 

17)          Wenn ja, wurde jenen Erwägungen im Bereich der staatsanwaltschaftlichen Behörden letztlich Rechnung getragen?

18)          Wenn nein welche Kosten sind dem österreichischen Steuerzahler bisher dadurch er- wachsen, dass der ursprünglichen rechtlichen Analyse von Oberstaatsanwalt Seystock nicht Folge geleistet wurde?