4777/J XXIII. GP

Eingelangt am 10.07.2008
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ANFRAGE

 

 

der Abgeordneten Weinzinger, Freundinnen und Freunde

 

an die Bundesministerin für Justiz

 

betreffend betreffend der auf Voreingenommenheit der Strafverfolgungsbehörden beruhenden Ermittlungsmängel als Grund für die geringe Verurteilungsquote bei Sexualdelikten

 

 

Die Frau Bundesministerin für Justiz erklärt in einem Interview mit der Tageszeitung „Der Standard“ vom 7.5.2008 den Umstand, dass nur jede vierte Anzeige eines sexuellen Gewaltdelikts mit einer Verurteilung endet vor allem damit, dass Anzeigen entweder zu Unrecht erfolgen oder es Beweisprobleme gibt.

 

Genau diese Beweisproblematik macht es erforderlich, besondere Sorgfalt im Beweisermittlungsverfahren walten zu lassen. Hier wäre es Aufgabe der Staatsanwaltschaft, im Sinne ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Erforschung der Wahrheit, unvoreingenommen allen Indizien nachzugehen und nicht bloß die häufig auf Ausbildungsdefizite und Voreingenommenheit basierenden Ermittlungsergebnisse der Kriminalpolizei zur Grundlage ihrer Entscheidung zu machen.

 

Tatsächlich gehen Kriminalbeamte nämlich in einem abwegig hohen Ausmaß vom Vortäuschen einer Straftat und falscher Verdächtigung aus. Ihrem „Bauchgefühl“ entsprechend handelt es sich bei zwei Drittel der aus Beweisgründen eingestellten Anzeigen um Falschanzeigen von Frauen, obwohl Falschanzeigen gemäß der Studie „Vergewaltigung und sexuelle Nötigung in Bayern“ (2005) in diesem Bereich eine absolute Ausnahme darstellen. Diese überwiegend völlig unbegründete Voreingenommenheit der Kriminalpolizei bleibt in der Praxis nicht ohne Auswirkungen auf die Qualität des Ermittlungsverfahrens: Beweise werden nicht sichergestellt, Angaben des Tatverdächtigen nicht überprüft, Zeugeneinvernahmen nicht für notwendig befunden und überhaupt wird oft ein Engagement entfaltet, das der Schwere der Delikte nicht angemessen ist.

 

Exemplarisches Beispiel dafür ist die Vergewaltigungsanzeige einer Frau im Zusammenhang mit der unbewussten Verabreichung von KO-Tropfen (LG Strafsachen Wien, 234 Ur 198/06 v). Die Voreingenommenheit der Kriminalpolizei, daraus resultierende haarsträubende Ermittlungsmängel, vom BMI gegenüber der Volksanwaltschaft zugegebene Ausbildungsdefizite und eine bei Berücksichtigung psychotroper Substanzen auch von der Volksanwaltschaft kürzlich als „eindeutig unangemessene Vorgangsweise“ kritisierte Behandlung der Frau durch die Sicherheitsbehörde waren für den Staatsanwalt kein Grund, eigenständige Ermittlungsaktivitäten zu entfalten oder die „Ermittlungsarbeit“ der Polizei kritisch zu hinterfragen. Allein der Umstand, dass ein nicht einmal theoretisch möglicher Beweis nicht erbracht werden konnte, waren Anlass genug, das Strafverfahren gegen den einer schweren Sexualstraftat Verdächtigen ohne weitere Erhebungen einzustellen. Zusätzlich wurden die Einwendungen des Opfers ignoriert und hat der Staatsanwalt durch seine damit aktenwidrige Begründung eine weitere Traumatisierung der Frau in Kauf genommen. Dieser Umgang mit Opfern sexualisierter Gewalt erklärt nicht nur die geringe Verurteilungsrate und die unbestritten hohe Dunkelziffer, sondern wirft überhaupt die Frage auf, welcher Stellenwert der Aufklärung dieser Delikte seitens der Justiz tatsächlich eingeräumt wird.

 

 

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

 

 

ANFRAGE:

 

 

1.      Allein an der Uniklinik Innsbruck wurden in den ersten vier Monaten des Jahres 2007 in zumindest 12 Fällen Frauen behandelt, die Opfer sexueller Gewalt im Zusammenhang mit KO-Tropfen wurden („Der Standard“ vom 24.5.2007). In wievielen Fällen wurde in den Jahren 2006 und 2007 in Wien wegen des Verdachtes einer sexuellen Straftat im Zusammenhang mit der unbewussten Verabreichung von KO-Tropfen Anzeige erstattet? In wievielen Fällen davon wurde das Verfahren trotz identifiziertem Tatverdächtigen aus Beweisgründen eingestellt? In wievielen Fällen kam es zu einer Verurteilung?

 

2.      Bei diesen Tätern ist anzunehmen, dass sie die zur Tatbegehung erforderlichen  Substanzen irgendwo aufbewahren, weshalb der Nachschau in den Räumlichkeiten der Tatverdächtigen zwecks Beweissicherung besondere Bedeutung zukommt. In wieviel Prozent der Fälle mit identifiziertem Tatverdächtigen hat tatsächlich eine Hausdurchsuchung zwecks Sicherung allfälliger Beweise (zB psychotrope Substanzen) stattgefunden?

 

3.      Gerade in Fällen sexueller Gewalt nach Verabreichung bewusstseinsbeeinträchtigender Substanzen gibt es anfänglich oft nicht mehr Beweise als die Aussage des strafrechtlich unbescholtenen Opfers. Ist die Darstellung psychovegetativer Auffälligkeiten im Rahmen einer solche Anzeige angesichts der oben dargestellten geringen Anzahl von Falschanzeigen bei Sexualdelikten grundsätzlich ausreichend, um von einem begründeten Verdacht sprechen zu können, der die Beantragung einer Hausdurchsuchung zwecks Auffindung von Beweismaterial (zB KO-Tropfen) rechtfertigt?  

 

4.      Im gegenständlichen Fall hat unter anderem eine Zeugin die Aussage eines Mannes zu Protokoll gegeben, wonach er vom Tatverdächtigen am Tatabend eine Droge erhalten und diese konsumiert habe. Eine andere Zeugin hat selbst eine mehrstündige Amnesie niederschriftlich bestätigt. Zwei weitere Zeugen haben das Verhalten des Opfers als „merkwürdig“ und „zeitlich- und örtlich desorientiert“ beschrieben. Weshalb hat sich die Staatsanwaltschaft trotz dieser Verdachtslage nicht veranlasst gesehen, eine Hausdurchsuchung zumindest in den Tatorträumlichkeit zu veranlassen? Ist es Aufgabe der Staatsanwaltschaft, sich über die Notwendigkeit eines solchen Schrittes eine eigene Meinung zu bilden und bei Versäumnissen der Kriminalpolizei die notwendigen Beweissicherungsschritte zu veranlassen, insbesondere vor dem Hintergrund der vom BMI gegenüber der Volksanwaltschaft zugegebenen Ausbildungsmängel?

 

5.      Im gegenständlichen Fall wurden die bei einer freiwilligen Nachschau am Tatort vorgefundenen Tropfen von der Kriminalpolizei nicht einmal sichergestellt. Wie ist ein solch extrem fahrlässiger Umgang mit Beweismitteln im Dienste der Strafjustiz zu erklären und weshalb hat nicht einmal der Staatsanwalt, der durch entsprechende Berichte davon in Kenntnis war, für die Beschlagnahme und Untersuchung dieser potenziellen Beweismittel gesorgt?

 

6.      Weshalb wird bei Verdacht von KO-Tropfen keine generelle Untersuchung des Harns der Opfer in Auftrag gegeben, obwohl derartige Substanzen im Harn länger (je nach Substanz sogar mehrere Tage) nachweisbar sind? Wie ist es zu erklären, dass im gegenständlichen Fall trotz der bereits am nächsten Tag genommenen Harnprobe eine Untersuchung des Harns überhaupt unterblieben ist und auch nicht vom Staatsanwalt beantragt wurde? Wird zumindest das Blut in allen Verdachtsfällen generell untersucht?

 

7.      Welche Untersuchungsinstitute werden von der Staatsanwaltschaft Wien bzw vom Landesgericht für Strafsachen Wien als Sachverständige mit der Untersuchung auf KO-Tropfen (insbesondere GHB) beauftragt? Weshalb wurde im gegenständlichen Fall das Forschungszentrum Seibersdorf gewählt und welche Erfahrung hat dieses mit solchen Untersuchungen im Zusammenhang mit Sexualdelikten?

 

8.      Ist es österreichweiter Standard, dass wie im gegenständlichen Fall die Untersuchung des Blutes auf GHB mit einer Erfassungsgrenze von 200ng pro ml Blut durchgeführt wird und welche Erfassungsgrenzen wären technisch möglich? Ist es richtig, dass bereits bei einer Konzentration von 150ng pro ml Blut Tiefschlaf und Koma eintritt und die Halbwerstzeit ca eine Stunde beträgt?

 

9.      Ist es daher richtig, dass es bei einer derart hoch angesetzten Erfassungsgrenze de facto ausgeschlossen ist, jemals einen positiven Nachweis im Blut zu erbringen, da die Blutabnahme unmittelbar nach Verabreichung der Droge und Einsetzen des Tiefschlafes erfolgt sein müsste, um eine messbare Konzentration von über 200ng GHB pro ml Blut aufzuweisen? Wenn ja, weshalb wurde keine niedrigere Erfassungsgrenze vorgeschrieben und ist es gerechtfertigt, die Einstellung eines Strafverfahrens mit dem solcherart nicht erbringbaren Substanznachweis im Blut zu begründen, ohne auch andere Beweise und Indizien entsprechend zu würdigen? In wievielen Sexualdeliktsfällen konnte in den beiden letzten Jahren tatsächlich der Nachweis erbracht werden?

 

10.    Mit welchen wissenschaftlichen Erkenntnissen insbesondere zu den Symptomen, Wirkungen und Nachweisgrenzen von GHB hat sich der Staatsanwalt im gegenständlichen Fall vertraut gemacht? Falls er sich mit keiner einschlägigen Literatur beschäftigt hat, erachten Sie vor dem Hintergrund, dass kein psychologischer Sachverständiger beigezogen wurde und angesichts der Schwere des Delikts seine laienhafte Beurteilung und sein Engagement bei Erforschung der Wahrheit als angemessen?

 

11.    Ist es tatsächlich rechtsstaatlich vertretbar, einem negativen Analyseergebnis eine solch ausschließliche Bedeutung für die Frage der Anklageerhebung beizumessen, insbesondere wenn aus der Unzahl in Frage kommender Substanzen nur auf die drei gängigsten getestet wird und aufgrund der kurzen Halbwertszeit in Verbindung mit der hohen Erfassungsgrenze ein positiver Nachweis de facto gar nicht möglich ist? Wenn nein, welche Konsequenzen für künftige Verdachtsfälle werden Sie daraus ziehen?

 

12.    Wie ist es zu erklären, dass etwa in Salzburg im Jahr 2006 in zwei unterschiedlichen Fällen sogar eine Verurteilung der Täter erfolgte, obwohl eine Blutuntersuchung ebenfalls ohne positives Ergebnis geblieben ist („Die Presse“, 25.11.2006)? Wurden in diesen beiden Salzburger Fällen Beweise erhoben (insbesondere psychologische Gutachten erstellt), auf die im gegenständlichen Fall verzichtet wurde? Wenn ja, warum wurde im konkreten Fall kein Wert darauf gelegt und was ist die übliche Praxis bei Verdacht bewusstseinsbeeinträchtigender Substanzen?

 

13.    Wie ist zu erklären, dass im gegenständlichen Fall keinerlei sonstige Indizien (zB Nachtathandlungen des Opfers, Zeugen, Motiv, Glaubwürdigkeitsaspekte, Persönlichkeit von Täter und Opfer, allenfalls einschlägige Vormerkung des Tatverdächtigen, psychovegetative Auffälligkeiten des Opfers) vom Staatsanwalt berücksichtigt wurden und diesen nicht einmal ansatzweise nachgegangen wurde? Weshalb wurde etwa ein mögliches Motiv für eine Falschanzeige nicht einmal im Ansatz geprüft, oder wird in Partnerschaft lebenden Frauen generell ein Motiv für eine Falschanzeige unterstellt?  

 

14.    Weshalb wurde trotz ausdrücklicher Anregung der Geschädigten kein psychologischer Sachverständiger (insbesondere auf dem Gebiet der Wirkung von KO-Tropfen) beigezogen, um eine sachverständige Beurteilung der sogar vom Tatverdächtigen und von Zeugen bestätigten Symptome der Geschädigten vorzunehmen? Rechtfertigt es ein schweres Sexualdelikt nicht, für die Glaubwürdigkeitsbeurteilung ein solches Gutachten als Basis der Entscheidungsfindung in Auftrag zu geben, zumal der Staatsanwalt doch „alle zur Erforschung der Wahrheit dienlichen Mittel“ benutzen hätte sollen?  

 

15.    Ist es üblich, dass nach der Einvernahme eines Tatverdächtigen keine einzige weitere Ermittlungshandlung (zB Überprüfung der vom Tatverdächtigen gemachten Angaben, Aufklärung von Widersprüchen) vorgenommen wird, auch wenn seine Angaben im offenkundig Widerspruch zu anderen Zeugenaussagen oder im Akt befindlichen Wohnsitzangeben stehen? Wenn nein, weshalb hat es der Staatsanwalt im gegenständlichen Fall unterlassen, auch nur eine einzige Aussage des Tatverdächtigen in Zweifel zu ziehen und weitere Ermittlungsaktivitäten der Kriminalpolizei zur Erforschung der Glaubwürdigkeit des Tatverdächtigen beantragt?

 

16.    Wenn der begründete Verdacht geäussert wird, ein Tatverdächtiger habe die Tatorträumlichkeiten bloß zum Zwecke des sexuellen Missbrauchs angemietet: wie ist zu erklären, dass keine einzige (!) Erhebung zu den Umständen der Anmietung bzw zum Umfeld des Tatverdächtigen veranlasst wird? Kann ausgeschlossen werden, dass das Unterlassen dieser Ermittlungsschritte in der Absicht erfolgte, möglichst keine Verdachtsmomente gegen den Tatverdächtigen zum Vorschein zu bringen, um eine rasche Einstellung des Verfahrens herbeizuführen? 

 

17.    Hat es in diesem Zusammenhang eine nicht im Gerichtsakt dokumentierte Kontaktaufnahme zwischen dem zuständigen Kommissariat Zentrum Ost und dem zuständigen Staatsanwalt gegeben? Wenn ja, was war der Inhalt dieses Kontaktes?

 

18.    Welche Relevanz für die Beurteilung des Tatverdächtigen und die Einstellung eines Strafverfahrens hat das Wissen des Staatsanwaltes darüber, ob ein Tatverdächtiger bereits in den polizeilichen Datenbanken (EDE, KPA bzw DNA Datenbank) einschlägig vorgemerkt ist? Wären zB im gegenständlichen Fall bei einer derartigen Vormerkung weitere Ermittlungsschritte in Auftrag gegeben worden oder spielen Vormerkungen aufgrund früherer Verdachtsfälle, die auf eine allfällige Wiederholungsgefahr hindeuten können, keine Rolle für die staatsanwaltschaftliche Beurteilung? Wenn die Relevanz bejaht wird, weshalb wurden die entsprechenden EKIS Ergebnisse (KPA, EDE) nicht angefordert?

 

19.    Wird die Staatsanwaltschaft bzw das Gericht von der im Dienste der Strafjustiz tätigen Kriminalpolizei (zB durch entsprechenden Vermerk im Gerichtsakt) informiert, wenn ein wegen eines schweren Sexualdelikts Tatverdächtiger bereits wegen eines einschlägigen Delikts im „Kriminalpolizeilichen Aktenindex“ bzw in der „Erkennungsdienstlichen Evidenz“ (DNA Profil) vorgemerkt ist? Wenn nein, weshalb unterbleibt diese für die Beurteilung des Tatverdachtes durch den Staatsanwalt wesentliche Information? Wenn ja, wie erfolgt diese Information und ist mangels Hinweises im Akt mit Sicherheit davon auszugehen, dass im gegenständlichen Fall keine derartige Vormerkung bestanden hat?

 

20.    Wird die Staatsanwaltschaft bzw das Gericht von der Kriminalpolizei über die Vornahme einer erkennungsdienstlichen Behandlung eines Tatverdächtigen (insbesondere über die Abnahme eines Mundhöhlenabstriches) in dokumentierter Form informiert bzw müsste sich dazu irgendein Anhaltspunkt im Gerichtsakt befinden? Wenn ja, bedeutet das Fehlen einer solchen Information, dass keine erkennungsdienstliche Behandlung vorgenommen wurde? Wenn nein, woher kann der Staatsanwalt bzw das Gericht wissen, ob ein existierender Mundhöhlenabstrich erst anlässlich des aktuell zu entscheidenden Sachverhaltes abgenommen wurde oder ob dem in der DNA Datenbank gespeicherten DNA Profil eines Tatverdächtigen ein Mundhöhlenabstrich aufgrund eines bereits früheren einschlägigen Tatverdachtes zugrunde liegt?

 

21.    Welche Schlussfolgerung hat der Staatsanwalt im gegenständlichen Fall aus dem Wissen gezogen, dass das DNA Profil des Tatverdächtigen in der zentralen DNA Datenbank gespeichert war, obwohl sich aus dem Gerichtsakt keinerlei Hinweis auf eine aktuelle erkennungsdienstliche Behandlung (Mundhöhlenabstrich) ergeben hat? Ist es in einem solchen Fall üblich, nähere Informationen über das Zustandekommen und die Hintergründe einer allenfalls bestehenden DNA Vormerkung bei der Kriminalpolizei einzufordern? Wenn ja, weshalb ist dies im gegenständlichen Fall unterblieben?

 

22.    Im gegenständlichen Fall wurde in der Verfahrenseinstellung auch darauf hingewiesen, dass „sich die Geschädigte nicht einmal selbst sicher sei, ob der Sexualkontakt freiwillig erfolgt“ sei oder nicht. Wie ist es zu erklären, dass der Staatsanwalt ausgerechnet auf diesen Satz der ersten Niederschrift Bezug nimmt, trotz des Wissens, dass die Geschädigte unverzüglich nach Aushändigung einer Kopie der Niederschrift in ausführlichen Einwendungen nicht nur auf die katastrophalen Umstände des Zustandekommens dieser Niederschrift hingewiesen, sondern deutlich klargestellt hat, eine derartige Erklärung nie abgegeben zu haben?

 

23.    Lässt diese somit aktenwidrige Begründung des Staatsanwaltes des Schluss zu, dass er die Einwendungen des Opfers nicht gelesen bzw diese bewusst ignoriert und damit eine weitere Verletzung und Traumatisierung des Opfers in Kauf genommen hat? Wäre er im Sinne seiner Verpflichtung zur Wahrheitsfindung und angesichts der inzwischen auch von der Volksanwaltschaft bestätigten Mangelhaftigkeiten bei der Einvernahme nicht von amtswegen verpflichtet gewesen, in einem persönlichen Gespräch mit dem Opfer eine Aufklärung dieses Widerspruches zu versuchen? Wenn ja, weshalb hat er ohne Kontaktaufnahme die Einwendungen der Geschädigten ignoriert?

 

24.    Wie ist es zu erklären, dass sich der Staatsanwalt bei der Verfahrenseinstellung auf einen „möglichen freien Willen“ der Geschädigten stützt, obwohl er nicht zuletzt aufgrund der auch von Zeugen bestätigten psychovegetativen Auffälligkeiten wusste, dass der Verdacht der Anwendung psychotroper Substanzen besteht? War dem Staatsanwalt bewusst, dass die Wirkung derartiger Substanzen gerade darin besteht, den freien Willen auszuschalten und somit ein solcher schon objektiv gar nicht möglich gewesen wäre? Wie beurteilen Sie daher die vom Staatsanwalt angeführten Gründe der Verfahrenseinstellung?

 

25.    Ist angesichts des Umstandes, dass keine Hausdurchsuchung beantragt und die Sicherstellung potenzieller Beweise verabsäumt wurde, wichtige Zeugeneinvernahmen und Nachforschungen im Umkreis des Tatortes unterlassen wurden, keine einzige Angabe des Tatverdächtigen überprüft wurde, kein psychologischer Sachverständiger beigezogen wurde und keinerlei Auseinandersetzung mit Glaubwürdigkeits- bzw Motivaspekten stattgefunden hat, die Behauptung gerechtfertigt, dass der Staatsanwalt nicht alles zur Erforschung der Wahrheit dienliche unternommen hat? Wenn ja, welche Konsequenzen werden daraus gezogen? 

 

26.    Wie beurteilen Sie angesichts dieser „Ermittlungstätigkeit“ und vor dem Hintergrund, dass die Verfahrenseinstellung einerseits aktenwidrig begründet und andererseits auf die Nichterbringung eines de facto unmöglichen Beweises gestützt wurde, die strafrechtliche Behandlung dieses Falles? Kann ausgeschlossen werden, dass der Staatsanwalt damit bloß dem offensichtlichen Wunsch der Kriminalpolizei, eine Anklageerhebung zu vermeiden, Folge leisten bzw aufgrund seiner Auslastung durch den Fall Kampusch weitere Arbeit vermeiden wollte?

 

27.    Wie ist es zu erklären, dass der Staatsanwalt, auf ein persönliches Schreiben der Geschädigten, dass ihm kurz nach Bekanntwerden der Einstellungsgründe im Frühjahr 2007 zugegangen ist und in dem ihm auch vom Hervorkommen neuer Beweise berichtet wurde, nicht reagiert und keinen Anlass gesehen hat, möglichen Wiederaufnahmegründen von Amts wegen nachzugehen?

 

28.    Im November 2007 hat das „Büro für besondere Ermittlungen“ der Bundespolizeidirektion Wien Anzeige wegen Verdacht des Amtsmissbrauchs gegen jene Kriminalbeamtin eingebracht, die im Kommissariats Wien Nord für die erste Niederschrift im Mai 2006 verantwortlich war. Es bestand der Verdacht, dass diese den oben erwähnten, für die Verfahrenseinstellung wesentlichen Satz „möglicher Freiwilligkeit“ nachträglich in die Niederschrift eingefügt hat. Auch dieses Verfahren wurde von der Staatsanwaltschaft ohne Beauftragung irgendeines Ermittlungsschrittes eingestellt. Wie ist es zu erklären, dass sich die Staatsanwaltschaft mit der polizeilichen Einvernahme der beschuldigten Beamtin begnügt, die im wesentlichen bloß in der Frage bestand, ob sie das ihr vorgeworfene Delikt begangen habe?

 

29.    Wäre es angesichts der offensichtlich einseitigen polizeilichen Erhebungen nicht Aufgabe des Staatsanwaltes gewesen, selbst die Einvernahme durchzuführen, eine Stellungnahme der Beamtin auch zu den zahlreichen inzwischen selbst von der Volksanwaltschaft festgestellten Mangelhaftigkeiten beim Zustandekommen der inkriminierten Niederschrift einzufordern und auch Erhebungen zur Erlangung objektiver Beweise in Auftrag zu geben (zB forensische Untersuchung der zweifelhaften Seite, Einholung eines sprachwissenschaftlichen Sachverständigengutachtens betreffend der auffälligen Textbrüche)?

 

30.    Glauben Sie, dass ein derart sorgloser Umgang der Staatsanwaltschaft mit Anzeigen geeignet ist, das Vertrauen der Bevölkerung in die Strafjustiz zu rechtfertigen? Werden Sie aufgrund der offensichtlichen Mangelhaftigkeit und Einseitigkeit des strafrechtlichen Vorverfahrens in den beiden genannten Fällen eine neuerliche Überprüfung veranlassen?