4858/J XXIII. GP

Eingelangt am 15.07.2008
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ANFRAGE

 

 

des Abgeordneten Pilz, Freundinnen und Freunde

 

an die Bundesministerin für Gesundheit, Familie und Jugend

 

betreffend Erbgesundheit, Rassenpflege und Idioten

 

 

 

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

 

 

ANFRAGE:

 

Egal, ob man bei einer Suche im Rechtsinformationssystem des Bundeskanzleramtes „Rassenpflege“, „nationalsozialistischen“ oder „Idioten“ eingibt, stößt man auf die „Dienstordnung – besonderer Teil“ – die Dritte Durchführungsverordnung zum Gesetz über die Vereinheitlichung des Gesundheitswesens (Dienstordnung für die Gesundheitsämter - Besonderer Teil)[1]. Dort heißt es:

 

„§ 58 (Schulgesundheitspflege)

 

[…] (3) Das Gesundheitsamt hat auf die gesundheitliche Erziehung der Schüler und eine ihrem Alter entsprechende Belehrung über die Grundgedanken der Erbgesundheits- und Rassenpflege hinzuwirken. Nach Möglichkeit sind auch Vorträge der Schulärzte vor Lehrern, ferner für Schüler der oberen Klassen und für Eltern vorzusehen und anzuregen. […]

 

§ 59 (Bekämpfung des Geburtenrückganges, Mütterberatung, Säuglings- und Kleinkinderfürsorge)

 

(1) Das Gesundheitsamt hat den Willen zum Kinde in der erbgesunden Bevölkerung zu stärken; ungesetzliche Schwangerschaftsunterbrechungen hat es sofort zur Anzeige zu bringen.

(2) Den Ursachen der Säuglingssterblichkeit hat es nachzugehen und an ihrer Beseitigung mitzuwirken.

(3) Deshalb hat es vor allem die Bevölkerung über die Bedeutung der natürlichen Ernährung der Säuglinge und des Selbststillens der Mütter aufzuklären. Es muß jede Gelegenheit wahrnehmen, um durch mündliche Belehrung in Einzelfällen, schriftliche Aufklärung in der Presse und durch Verteilung von Merkblättern hierzu beizutragen. Wenn mangels Möglichkeit der natürlichen Ernährung die Ernährung durch Kuhmilch in Frage kommt, so sind die Mütter über die beste Art der Zubereitung und Darreichung eingehend zu beraten. Bei der Überwachung der Milchgewinnung und des Verkehrs mit Milch muß das Gesundheitsamt maßgebend beteiligt bleiben (vgl. § 32 dieser Dienstordnung). Die Errichtung von Säuglingsfürsorgestellen, in denen Schwangere und Mütter unentgeltlich ärztlich beraten und die Säuglinge regelmäßig untersucht werden, hat der Amtsarzt überall dort anzustreben, wo sie notwendig sind.

(4) Auf die Heranziehung der Hebammen und ihre enge Zusammenarbeit mit den Gesundheitspflegerinnen und den Gemeindeschwestern ist besonderer Wert zu legen. Mit dem Hilfswerk "Mutter und Kind" der RGB. ist enge Verbindung zu halten. […]

 

§ 65 (Alkohol- und Rauschgiftbekämpfung)

 

(1) Bei der Aufnahme von Geisteskranken, Psychopathen, Epileptikern und Idioten in Anstalten hat das Gesundheitsamt mitzuwirken und gegebenenfalls sich gutachtlich zu äußern.

(2) Die Pflegestellen der in fremden Familien untergebrachten Geisteskranken, Epileptikern und Idioten sind gemäß den in den einzelnen Bezirken bestehenden Vorschriften zu beaufsichtigen. Bei Mißständen ist gegebenenfalls eine andere Unterbringung in die Wege zu leiten.

 

§ 66 (Ärztliche Mitwirkung bei Maßnahmen zur Förderung der Körperpflege und Leibesübungen)

 

(1) Das Gesundheitsamt hat alle der körperlichen Ertüchtigung und Wehrhaftmachung des Volkes dienenden Bestrebungen des nationalsozialistischen Staates tatkräftig zu fördern. Es hat bei seiner ärztlichen Mitwirkung darauf zu achten, daß Gesundheitsschädigungen vermieden werden.

(2) Zu diesem Zwecke hat es mit allen Körperpflege und Leibesübungen treibenden Verbänden, insbesondere den Jugendorganisationen der nationalsozialistischen Bewegung, enge Fühlung zu halten und sie in einschlägigen ärztlichen Fragen unentgeltlich zu beraten. Die auf sportlichem Gebiet tätigen oder für Sportfragen besonders interessierten praktischen Ärzte sind planmäßig zur Mitarbeit heranzuziehen. […]

 


§ 67 (Rettungs- und Krankenbeförderungswesen)

 

Die Gesundheitsämter haben im Benehmen mit den örtlichen Organisationen der nationalsozialistischen Bewegung, des Roten Kreuzes, der Landkrankenpflege u. a. an der Durchführung des öffentlichen Sanitätsdienstes, der Ersten Hilfe und der Krankenbeförderung mitzuwirken.“

 

Diese Bestimmungen wurden mit dem Ersten Bundesrechtsbereinigungsgesetz (BGBl. I 191/1999) ausdrücklich im österreichischen Rechtsbestand beibehalten.

 

Die österreichische Bundesregierung hat es auch 63 Jahre nach Beendigung der nationalsozialistischen Diktatur nicht geschafft, diesbezüglich klarstellende Kundmachungen nach § 1 Abs 2 Rechts-Überleitungsgesetz, StGBl 6/1945 zu erlassen.

 

Während aufgrund von Anfragen der Grünen aus dem Jahr 2000 mittlerweile im Gesetz über die Vereinheitlichung des Gesundheitswesens, sowie in den dazu erlassenen Ersten und Zweiten Durchführungsverordnungen nationalsozialistische Terminologie im Rechtsinformationssystem teilweise als „gegenstandslos“ bezeichnet wurde, findet sich solche nach wie vor in der Dritten Durchführungsverordnung im RIS angeführt.

 

Die Dienstordnung ist die letzte Verordnung im Rechtsbestand der Republik Österreich, in der die nationalsozialistische Terminologie erhalten geblieben ist. Da diese Verordnung nach wie vor in Kraft ist, stellen die unterfertigten Abgeordneten an die Bundesministerin für Gesundheit folgende

 

ANFRAGE

 

 

  1. Wessen Tätigkeit ist heute durch die Durchführungsverordnung geregelt?

 

  1. Sind die Gesundheitsämter im Rahmen ihrer Tätigkeiten verpflichtet, sich an diese Verordnung zu halten?

 

  1. Warum ist diese Verordnung nach wie vor in Kraft?

 

  1. Warum sind Sie bis heute nicht in der Lage, die Verordnung den Grundwerten einer demokratischen  und antifaschistischen Republik anzupassen?

 

 

 

 



[1]           dRGBl. I S 531/1934 idF: GBlÖ Nr.   686/1938; MBl. I S 327/1935

http://www.ris2.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?QueryID=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10010219