954/J XXIII. GP

Eingelangt am 12.06.2007
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ANFRAGE

 

 

des Abgeordneten Stoisits, Zinggl, Freundinnen und Freunde

 

an den Bundeskanzler

 

betreffend rechtsextreme Kommentare im Amtsblatt der Republik

 

 

 

Am 18. Jänner dieses Jahres veröffentlichte das Amtsblatt der Republik Österreich, die Wiener Zeitung, einen Kommentar von Dr. Herbert Schaller. In diesem Kommen­tar setzte sich Schaller mit der Kritik an der vorzeitigen Haftentlassung seines Man­danten, des britischen Revisionisten und Holocaust-Leugners David Irving, ausein­ander. Er griff dabei sowohl jene Personen scharf an, die eine solche Kritik geäußert hatten, als auch jene, die nach geltendem österreichischen Recht – in diesem Fall nach dem Verbotsgesetz – geurteilt hatten. Wäre ein derartiger Beitrag in einer beliebigen österreichischen Zeitung erschienen, würden wir befremdet den Kopf schütteln. Dass aber das Amtsblatt der Republik rechtsextremen Positionen ein Forum bietet, ist schlicht untragbar.

 

Gerade in einem so sensiblen Zusammenhang wie dem Verbotsgesetz müssten die Verantwortlichen, in letzter Instanz der Chefredakteur der Wiener Zeitung Dr. And­reas Unterberger, bei der Auswahl ihrer Kolumnisten besondere Sorgfalt walten lassen. Damit soll nicht gesagt sein, dass es unzulässig sei, Überlegungen zu Bedeutung und Sinnhaftigkeit jedweder Rechtsmaterie öffentlich Raum zu geben. Diesen Raum aber ausgerechnet dem Personenkreis zur Verfügung zu stellen, gegen dessen Umtriebe sich das diskutierte Gesetz richtet, führt jede journalistische Sorgfaltspflicht ad absurdum, zumal in der republikseigenen Zeitung, die ohne Wenn und Aber den Grundprinzipien der Verfassung verpflichtet sein muss.

 

Denn wie Hannah Arendt schon richtig feststellte: „Der wohl hervorstechendste und auch erschreckendste Aspekt der deutschen Realitätsflucht liegt in der Haltung, mit Tatsachen so umzugehen, als handele es sich um bloße Meinungen.” Holocaust-Leugnung ist keine Meinung, sondern der Versuch, Tatsachen in Abrede zu stellen, um daraus extremistische Schlüsse zu ziehen und ebensolche Handlungen abzu­leiten.

 

In einer Aussendung, die sich speziell an Mitglieder des Mittelschülerkartellverban­des (MKV) richtete, mithin an „junge Menschen, die sowohl an sich wie auch an die eigene Lektüre hohe intellektuelle wie ethische Ansprüche stellen“, preist Dr. Unter­berger sein Blatt als „schwungvoll wie anständig, aktuell wie übersichtlich, mutig wie verlässlich“[1] an. Im Lauf der Jahre hat Dr. Unterberger sein Handwerk als Journalist zweifelsohne gelernt. Und weil wir keine Nähe zu faschistischem Gedankengut annehmen wollen, müssen wir davon ausgehen, dass Dr. Unterberger im gegen­ständlichen Fall des Kommentars von Dr. Schaller seine journalistische Sorgfalts­pflicht grob vernachlässigt hat. Wir gehen dabei weiters davon aus, dass der Wiener Zeitung der Kommentar von Dr. Schaller angeboten wurde und dieser ohne weitere Überprüfung abgedruckt wurde und dass die rechtsextreme „Arbeitsgemeinschaft für demokratische Politik“[2] Unwahrheiten verbreitet, wenn sie in ihrem aktuellen Mittei­lungsheft schreibt, die Wiener Zeitung habe Dr. Schaller um einen Kommentar gebeten.[3]

 

Hätte sich Dr. Unterberger, als ihm ein glaublich Unbekannter einen Kommentar antrug, die Mühe gemacht, den Hintergrund des betreffenden Autors zu überprüfen, er wäre unschwer auf die Biografie eines der prominentesten Neonazi-Anwälte Mittel­europas gestoßen. Herbert Schaller ließ seine rechtsanwaltliche Fürsorge neben einschlägig verdienten Kämpen wie etwa Otto Ernst Remer, der als führertreuer Militär den Offiziersaufstand vom 20. Juli 1944 in Berlin niederschlug, ebenso ange­deihen wie diversen Neonazis, so etwa Gerd Honsik, Walter Ochensberger oder Franz Radl. Doch nicht nur juristisch, auch ideell wirkt der 1922 geborene Rechtsan­walt Schaller im Dienste der völkischen Sache: So beehrte er als Referent die Jahreshauptversammlung der neonazistischen „Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e. V.“ (HNG), die sich jener Kameraden annimmt, die aus einschlägigen Gründen in Haft sind. Zu den Begüns­tigten ihrer kari­tativen Projekte zählten neben Nachwuchsnazi Gottfried Küssel der Massen­mörder Erich Priebke sowie die „Blutige Brigitte“ Lächert, eine Aufseherin im Vernichtungs­lager Majdanek.

Am 23. Jänner 2001 lud die Burschenschaft Olympia zu einem „burschenschaft­lichen Abend“. Unter dem Titel „Die Diktatur der Gutmenschen – das Ende der Meinungs­freiheit!?“ tauschte man sich über das NS-Verbotsgesetz aus. Als Referenten angekündigt waren Herbert Schaller, der NPD-Kader Jürgen Schwab (akademische Burschenschaft Thessalia zu Prag, Bayreuth und akademische Burschenschaft Germania, Graz) sowie Günter Rehak.

Schallers Ruhm in der Neonazi-Szene geht vor allem auf seinen Einsatz für Gerd Honsik zurück: Mit ihm kämpfte der Jurist jahrelang an der „Gaskammernfront“ und gegen die „Holocauster“ (HALT 57/1991). Schallers Kampf „wider die Gaskammer“ brachte ihm mehrere Disziplinarverfahren ein. Für Schlagzeilen sorgte Schaller in jüngerer Zeit mit seiner Teilnahme an der Teheraner Holocaustkonferenz im Dezem­ber 2006 und zuletzt eben mit der erfolgreichen Vertretung des britischen Revisio­nisten David Irving, dem er zu Weihnachten 2006 eine vorzeitige Haftentlassung bescherte.

 

All das und noch viel mehr hätte Dr. Unterberger ohne viel Aufwand herausfinden können, und, so könnte man von einer Zeitung mit „hohen intellektuellen und ethi­schen Ansprüchen“ erwarten, auch herausfinden sollen. Dass dem offenbar nicht so war und der Kommentar von Dr. Schaller in der eingangs erwähnten Ausgabe der Wiener Zeitung erscheinen konnte, ist aufklärungsbedürftig. Die Folgen sind evident: Rechtsextreme feiern den publizistischen Auftritt Schallers als Zeichen ihres wach­senden Einflusses[4] – ausgerechnet die Republik Österreich verhilft mittels ihres offiziellen Organs der Alt- und Neonaziszene zu einem gestärkten Selbstbewusst­sein.

 

Der Schriftsteller und Historiker Doron Rabinovici schreibt im Zusammenhang mit der Leugnung des Holocaust: „Sie haben Erfolg, sobald ihre Lügen gedruckt werden. Wer sich auf eine Diskussion mit ihnen einlässt, erkennt sie als gleichwertige Ge­sprächspartner an und hat bereits verloren. (...) Aber nicht nur bei Verleumdung, Beleidigung, Rufmord, Erpressung und Drohung akzeptieren wir die Grenzen der Meinungsfreiheit. Wir verstehen ebenso, dass niemand etwa auf Beipackzetteln behaupten darf, Arsen sei ein gutes Nahrungsmittel für Säuglinge. Zudem kennen wir Sanktionen gegen sexuelle Belästigung und gegen rassistische Diskriminierung. Die Freiheit der Meinung kann nämlich bloß gewährleistet werden, wenn die Regeln der Kommunikation aufrechterhalten bleiben.“[5]

 

Ebenso aufklärungsbedürftig ist jedoch der Vorgang, der sich als Folge dieser Causa entwickelte: Die israelitische Kultusgemeinde (IKG), die Aktion gegen Antisemi­tis­mus, das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (DÖW) und der Verein Gedenkdienst waren der Meinung, eine derartige Sorgfaltsverletzung könne nicht ohne Konsequenzen für den Verantwortlichen Chefredakteur bleiben, und verlangten von den politisch Verantwortlichen Unterbergers Ablöse.

Dr. Unterberger, der bei Kritik an der eigenen Person schnell sein Grundrecht auf Meinungsfreiheit eingeschränkt sieht, revanchierte sich bei der mutmaßlich schwächsten der genannten Organisationen: dem Verein Gedenkdienst.

Dieser ist eine parteipolitisch unabhängige, überkonfessionelle Organisation, die sich um eine selbstkritische Auseinandersetzung mit der Zeit des NS-Terrors bemüht und ihr Engagement auch als Zeichen an die Opfer der faschistischen Mordmaschinerie und deren Nachkommen verstanden wissen will. Zu diesem Zweck entsendet der Gedenkdienst im Rahmen eines freiwilligen Dienstes schon seit 15 Jahren junge Österreicherinnen und Österreicher an Holocaust-Gedenkstätten, Altersheime für Überlebende der Shoah und Archive in Europa, Israel, Nord- und Südamerika.

Diese Organisation erhielt nun von Dr. Unterbergers Rechtsbeistand die Aufforde­rung, ihre Kritik am Chefredakteur der Wiener Zeitung öffentlich zu widerrufen, und zwar in Form einer halbseitigen Anzeige in der Wiener Zeitung. Recherchen der Stadt­zeitung Falter ergaben einen Preis von angeblich 4500 Euro[6], zu denen aller­dings laut Dr. Unterbergers Vergleichsangebot noch die Kosten für den Rechtsanwalt gekommen wären. In Summe hätte sich eine für den Verein Gedenkdienst, der sich vor allem auf ehrenamtliche Strukturen stützt und seine Tätigkeit aus Spenden finan­ziert, eine existenzbedrohende Situation ergeben. Diesmal wusste Dr. Unterberger um die Folgen seines Tuns sehr genau Bescheid.[7]

 

Es bedarf der dringenden Aufklärung darüber, ob all diese Vorgänge die grundsätz­liche Billigung des Bundeskanzlers finden.

 

 

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

 

 

ANFRAGE:

 

 

 

1.      Wie stehen Sie zum Verbotsgesetz?

2.      Wie stehen Sie zu den von rechter und rechtsextremer Seite immer wieder lancierten Bemühungen, das Verbotsgesetz abzuschaffen, da es angeblich einen Verstoß gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung darstelle?

3.      Erfüllt jemand, der prominenten Neonazi-Anwälten ein offizielles Forum zur Verfügung stellt, Ihrer Meinung nach das Anforderungsprofil für den Chef­redakteur der republikseigenen Zeitung?

4.      Wird jemand, der mit Rechtsextremismus offenbar wenig Probleme hat, dem demokratischen Anspruch gerecht, den das publizistische Organ einer Repub­lik, die qua ihrer Verfassung eine antifaschistische ist, erheben muss?

5.      Wie beurteilen Sie die Optik für das Ausland, wenn ein Herbert Schaller im Amtsblatt der Republik publizieren kann? Wie kommunizieren Sie diesen Sachverhalt insbesondere den Überlebenden des Holocaust?

6.      Dr. Unterberger forderte den Verein Gedenkdienst auf, den Widerruf der Kritik in Form eines kostenpflichtigen halbseitigen Inserates in der Wiener Zeitung zu veröffentlichen. Wie stehen Sie zu dieser Art der Akquisitionspolitik von Anzeigen im Amtsblatt der Republik?

7.      Wie beurteilen Sie den Umstand, dass Dr. Unterberger einerseits Anwälte Rechtsextremer in der Wiener Zeitung Kommentare schreiben lässt, anderer­seits Organisationen wie den Verein Gedenkdienst – dessen antifaschistische Gesinnung ebenso unstrittig ist wie der Wert der Arbeit, die er im In- und Ausland leistet – durch die Androhung kostspieliger rechtlicher Schritte dazu bringen will, seine Kritik nicht mehr offen zu äußern? In welcher Form ist dies mit dem Grundsatz der freien Meinungsäußerung vereinbar?

8.      Angesichts der Tatsache, dass Dr. Unterberger keinerlei Bereitschaft erken­nen lässt, seinen Fehler einzugestehen und daraus entsprechende Konse­quenzen abzuleiten: Welche Schritte gedenken Sie zu unternehmen, um ähnlichen Vorfällen künftig vorzubeugen?

 



[1] Aussendung der Wiener Zeitung vom Mai 2007 mit dem Titel „Anspruchsvolle Junge Menschen“, gezeichnet von Chefredakteur Dr. Andreas Unterberger.

[2] Zur selbigen siehe u. a. das Gutachten von Univ. Prof. DDr. Heinz Mayer vom 3. Februar 2005.

[3] AFP-Information Folge 444, Juni 2007: Dr. Herbert Schaller: Die strafrechtliche Seite des Holocaust-Problems, Klagenfurt.

[4] Neben der AFP reagierten bereits Gerd Honsik, der sich seiner strafrechtlichen Verfolgung in Österreich durch Flucht nach Spanien entzog, und die Betreiber der kanadischen Zundelsite in diese Richtung.

[5] Doron Rabinovici, Das Recht der Erinnerung. In: Martin Wassermair/Katharina Wegan (Hg.): rebranding images. Ein streitbares Lesebuch zu Geschichtspolitik und Erinnerungskultur in Österreich. Wien 2006, S. 103 f.

[6] Falter 22/07, S. 13.

[7] Ebenda.