Textfeld: Bundesministerium für Justiz
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1070 Wien

Eisenstadt, am 30.7.2007

E-Mail: post.vd@bgld.gv.at

Tel.: 02682/600 DW 2221

Mag.a Sandra Steiner

 

 

 

 

 

Zahl:  LAD-VD-B747-10003-6-2007

Betr: Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem die Zivilprozessordnung, das Gerichtsgebührenrecht und das Rechtsanwaltstarifgesetz geändert werden (Zivilverfahrens-Novelle 2007); Stellungnahme

 

Bezug:   BMJ-B11.104/0002-I8/2007

 

 

 

Zu dem mit obbez. Schreiben übermittelten Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem die Zivilprozessordnung, das Gerichtsgebührenrecht und das Rechtsanwalts-tarifgesetz geändert werden (Zivilverfahrens-Novelle 2007); erlaubt sich das Amt der Burgenländischen Landesregierung folgende Stellungnahme abzugeben:

 

1. Zu Artikel I – Änderung der  Zivilprozessordnung (ZPO)

 

 

Gruppenverfahren

 

 

·      Zu § 619:

 

Ein Gruppenverfahren kann bereits nach § 619 Z 1 ZPO eingeleitet werden, wenn lediglich drei Personen Ansprüche geltend machen.

 

Nach den Zielsetzungen des Entwurfes (vgl Erläuterungen Punkt A. I.) soll das Instrumentarium des Gruppenverfahrens insbesondere dann zur Anwendung kommen, wenn eine Vielzahl von Einzelpersonen betroffen ist.

Drei Personen sind wohl keine Vielzahl, so dass angeregt wird, diese Zahl deutlich zu erhöhen. Für die in den erläuternden Bemerkungen genannte Motivation, nämlich das so genannte Konzept der Sammelklagen österreichischer Prägung damit grundsätzlich aufrecht zu halten, besteht kein Bedarf, da für diesen Fall ohnehin das Musterverfahren nach §§ 634ff leg. cit. greift.

 

·      zu § 621:

 

Für Gruppenverfahren ist in 1. Instanz der sachlich zuständige Gerichtshof ausschließlich zuständig. Da in Gruppenverfahren Ansprüche einer Vielzahl von Einzelpersonen geklärt werden sollen, sollte dieses Verfahren zwingend vor einem Senat (§§ 7ff JN) geführt werden, um die Rechtssicherheit zu erhöhen.

 

·      zu § 622:

 

a) Die österreichische ZPO ist vom Grundsatz der Mündlichkeit geprägt (siehe nur Fucik in Rechberger, ZPO3, Rz 5 vor § 171 mwN). Die weit reichende Entscheidung nach § 622 soll auch ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden können.

 

Dies scheint mit den tragenden Grundsätzen der ZPO nicht vereinbar. So ist etwa für einen Unterbrechungsbeschluss iS des § 190 ZPO die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung notwendig, andernfalls die Judikatur Nichtigkeit annimmt (siehe Fucik, aaO, Rz 1 zu § 190).

 

Es wird daher angeregt vorzusehen, dass jedenfalls eine mündliche Streit-verhandlung stattzufinden hat.

 

b) Der Ausschluss der Rechtsmittelbefugnis der beklagten Partei widerspricht dem Grundsatz der Waffengleichheit der Parteien im Verfahren. Eine Verzögerung durch einen Rekurs der beklagten Partei ist entgegen den erläuternden Bemerkungen nicht zu erwarten, da Rekursen grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung zukommt (vgl § 524 ZPO) und die Entscheidung im Sinne des § 625 leg. cit. ohnehin erst nach Ablauf von 90 Tagen ab Veröffentlichung in der Ediktsdatei samt Gelegenheit zur Äußerung fallen kann.

Im Hinblick auf die Judikatur zu Art 6 EMRK des EGMR (siehe ÖJZ 2001, 516) gebietet es der Grundsatz der Waffengleichheit, in einem Verfahren über zivilrechtliche Ansprüche beiden Parteien angemessene Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, so dass der Rekurs zweiseitig zu gestalten wäre.

 

·      zu § 625:

 

Auch hier gilt wieder, dass der Mündlichkeitsgrundsatz gebietet, dass nach Einholung einer schriftlichen Stellungnahme der beklagten Partei eine mündliche Verhandlung anzuberaumen ist, in der das Vorliegen der Voraussetzungen über die Durchführung eines Gruppenverfahrens und wie das Gruppenverfahren iS des § 625 Abs. 2 gestaltet werden soll, erörtert wird.

 

Die Beschränkungen des Revisionsrekurses gemäß § 528 Abs 2 ZPO sollten im Hinblick auf die große Bedeutung einer Gruppenklage nicht Platz greifen (siehe auch § 630 Abs 2 leg. cit. für die Entscheidung in der Sache selbst).

 

·      zu § 626:

 

Das Innenverhältnis zwischen Gruppenvertreter und Gruppenkläger wird in § 626 Abs. 2 leg. cit. nur rudimentär geregelt, in dem normiert wird, dass der Gruppen-vertreter die gemeinsamen Interessen der Gruppenkläger zu wahren hat.

 

Die erläuternden Bemerkungen sehen vor, dass es der Selbstorganisation der Gruppe überlassen bleibt, in welcher Weise der Gruppenvertreter seine gesetzliche Verpflichtung und allenfalls weitere Pflichten zu erfüllen hat. Das Gesetz gibt keinen Hinweis darauf, wie diese Selbstorganisation zu regeln ist (etwa durch die Vorgabe von Regeln in der Gruppenklage im Sinne des § 620, wobei die Beitretenden mit der Beitrittserklärung iS des § 624 diese innere Ordnung akzeptieren).

 

Es wird daher angeregt, entsprechende Bestimmungen in den Entwurf aufzunehmen.

 

Weiters wird angeregt, aus Gründen der Rechtssicherheit klar zu stellen, dass subsidiär, sofern nicht in der ZPO oder der Selbstorganisation der Gruppe besondere Regelungen gelten, die Bestimmungen des Bevollmächtigungsvertrages (§§ 1002ff ABGB) über das Verhältnis zwischen Gruppenvertreter und Gruppenkläger anzuwenden sind.

 

·      zu § 629:

 

Nach § 75 ZPO hat jeder Schriftsatz neben dem im Entwurf genannten Angaben auch die Beschäftigung der jeweiligen Partei zu enthalten. Es wird angeregt, § 629 ZPO dahingehend zu ergänzen, dass auch hier die Beschäftigung anzugeben ist.

 

Musterverfahren

 

·      zu § 634:

 

Eine rechtspolitische Notwendigkeit für die Einführung des Musterverfahrens besteht nicht, da das so genannte „Testverfahren“ auch im Rahmen des Gruppenverfahrens abgewickelt werden kann.

 

·      zu § 635:

 

Das Register, mit dem nicht unerhebliche materiellrechtliche Wirkungen verbunden sind, sollte nicht bei einer der beiden Verfahrensparteien geführt werden. Schon um den Anschein einer Befangenheit zu vermeiden, sollte dieses Register beim Prozessgericht 1. Instanz eingerichtet und geführt werden.

 

 

2. Zu Artikel III - Änderungen des Rechtsanwaltstarifgesetzes (RATG)

 

Der Entwurf sieht eine Höchstbemessungsgrundlage für die Rechtsanwaltskosten in der Höhe von € 2 Millionen sowie den Entfall des Streitgenossenzuschlages vor. Im Regelfall würde der Streitgenossenzuschlag auf Grund der großen Anzahl der Kläger 50% betragen. Im Ergebnis bedeutet dies, dass defakto eine Bemessungsgrundlage von € 800.000,-- eingeführt wird (Streitwert € 2 Millionen TP 3A € 2.693,85, Streitwert € 800.000,-- mit 50%-igem Streitgenossenzuschlag TP 3A € 2.690,78).

 

Es erscheint nicht sachgerecht, dass bei einem Einzelverfahren mit einem entsprechend hohen Streitwert ein Maximalansatz bei der TP 3A von € 13.860,20 erreichbar ist, während demgegenüber bei Gruppenverfahren der Maximalansatz
€ 1.795,90, also etwa 13 % der Maximalsumme beträgt.

 

Weiters ist zu berücksichtigen, dass das Haftungsrisiko für den einschreitenden Anwalt, unabhängig davon, ob er auf Kläger- oder Beklagtenseite tätig ist, bei einem Gruppenverfahren überproportional höher ist als bei einem Einzelverfahren.

 

Die Argumentation, dass der Entfall der Kostenregelung des Entwurfes einen Beitritt erschweren würde, ist nicht nachvollziehbar, da das RATG ab einem Streitwert von € 363.360,-- eine nur sehr flache Kurve der Erhöhung des Honoraransatzes vorsieht.

 

·      zu Z 1 (§ 7a RATG):

 

Ausdrücklich begrüßt wird die Möglichkeit, sich im Verfahren selbst auf eine niedrigere Bemessungsgrundlage zu einigen.

 

 

3. Zu Artikel IV – Inkrafttreten:

 

Nach dem Entwurf soll das Bundesgesetz mit 1.1.2008 in Kraft treten.

 

Das Gesetz ist damit auch auf bereits anhängige Verfahren anwendbar. Es ist nach dem Entwurf jederzeit möglich, eine Gruppenklage einzubringen, in bereits anhängigen Verfahren kann nach § 624 ein Beitrittsantrag gestellt werden, so dass dieses bereits anhängige Verfahren unterbrochen werden. Der Gesetzgeber würde damit neuerlich (siehe Erläuterungen allgemeiner Teil zum WEB-Verfahren) in laufende Verfahren eingreifen.

 

Ein Gruppenverfahren bzw. ein Musterverfahren sollte daher nur dann eingeleitet werden können, wenn der den klagsgegenständlichen Anspruch begründende Sachverhalt zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes bereits abgeschlossen ist. Jedenfalls aber wäre eine Anwendung dieses Gesetzes auf Verfahren, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens bereits anhängig waren, auszuschließen.

 

Eine Ausfertigung dieser Stellungnahme ergeht an die e-mail Adresse „begutachtungsverfahren@parlinkom.gv.at“.

 

Mit freundlichen Grüßen!

 

Für die Landesregierung:

Im Auftrag des Landesamtsdirektors:

Dr.in Handl-Thaller


Zl.u.Betr.w.v.                                                                        Eisenstadt, am 30.7.2007

 

 

1.    Präsidium des Nationalrates, Dr. Karl Renner-Ring 3, 1017 Wien

2.    Präsidium des Bundesrates, Dr. Karl Renner-Ring 3, 1017 Wien

3.    Allen Ämtern der Landesregierungen (z.H. der Herren Landesamtsdirektoren)

4.    Der Verbindungsstelle der Bundesländer beim Amt der NÖ Landesregierung, Schenkenstraße 4, 1014 Wien

 

zur gefälligen Kenntnis.

 

Für die Landesregierung:

Im Auftrag des Landesamtsdirektors:

Dr.in Handl-Thaller