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                                       Rp 732/07/YK/Va/             4014                  30.07.2007

                                       Dr. Yoko Kuroki

 

 

Zivilverfahrens-Novelle 2007, Stellungnahme

 

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

die Wirtschaftskammer Österreich bedankt sich für die Übermittlung des Entwurfes der Zivilverfahrens-Novelle 2007 und möchte dazu wie folgt Stellung nehmen:

 

Schon derzeit stehen im österreichischen Zivilprozessrecht Mittel zur Verfügung, mehrere Ansprüche zu bündeln (Sammelklagen österreichischer Prägung, Verbandsklagen). Die WKÖ sieht daher nach Akkordierung mit ihren Landeskammern und Sparten keinen Handlungsbedarf hinsichtlich der Einführung einer Gruppenklage und eines Musterverfahrens, wie sie durch die Zivilverfahrens-Novelle geschehen soll.

 

Einleitend ist darüber hinaus zu sagen, dass die Veröffentlichung von Gruppenklage und Musterverfahren im Edikt als äußerst problematisch im Hinblick auf den damit verbundenen Imageschaden des Beklagten zu beurteilen ist. Zu kritisieren ist im Speziellen auch, dass dem Beklagten gegen die Veröffentlichung nach beiden Verfahren kein Rechtsmittel zusteht sowie die Tatsache der Verjährungsunterbrechung durch das Musterverfahren.

 

Außerdem sind mit dem Entwurf schwerwiegende Eingriffe in das österreichische Prozesskostenersatzrecht und dessen Zweck und Wirkungen verbunden. Zur Verhinderung der missbräuchlichen Inanspruchnahme der durch die Novelle geplanten Instrumente schlägt die WKÖ die Einführung einer betraglichen Mindestgrenze sowie die Erhöhung der erforderlichen Personenzahl vor.

 

Weiters sollen sich potentielle Gruppenvertreter einem Zulassungsverfahren durch das BMJ unterziehen müssen. Die Beziehung zwischen Gruppenkläger und –vertreter bedarf zudem eingehender Regelung, das rechtliche Gehör des einzelnen Klägers ist nach dem derzeitigen Entwurf nicht gewahrt.

 

Anzumerken ist auch, dass die Initiierung der Gruppenklage durch eine Einzelperson nicht zweckdienlich erscheint und das Erfordernis der Bescheinigung in diesem Zusammenhang näherer Umschreibung bedarf. Arbeitsrechtssachen iSd § 50 iVm § 54 ASGG sollten aus dem Anwendungsbereich der Novelle herausgenommen werden.

 

Die Möglichkeit des Beitritts zur Gruppenklage bis zum Ende der mündlichen Streitverhandlung 1. Instanz ist zu weitgehend. Beim Beitritt sollte außerdem Rechtsanwaltszwang herrschen, da die Folgen eines Beitritts zum Gruppenverfahren unseres Erachtens eine eingehende rechtliche Beratung erforderlich machen.

 

Daher lehnt die WKÖ die vorliegende Zivilverfahrens-Novelle in ihrer Gesamtheit ab. Zum konkreten Entwurf selbst sind folgende Punkte zu bemerken:

 

 

1. Ad §§ 622, 623 sowie § 635

 

Sowohl Gruppenklage wie auch Musterverfahren sehen eine öffentliche Bekanntmachung mittels Edikt vor. Bei der Gruppenklage hat das Gericht nach Einlangen der Klagebeantwortung lediglich zu prüfen, ob bescheinigt ist, dass mehreren Personen insgesamt eine große Zahl von Ansprüchen im Sinne des § 619 Z 2 und 5 zusteht. Allein daraufhin wird die Klage öffentlich bekannt gemacht.

 

Im Musterverfahren sind die Voraussetzungen überhaupt noch weiter heruntergesetzt, hier wird nicht einmal eine gerichtliche Bescheinigungprüfung hinsichtlich der Bedeutsamkeit der Rechtsfrage für eine große Zahl von Ansprüchen durchgeführt. Bloß auf Bezeichnung von Merkmalen, die das Verfahren als Musterverfahren kennzeichnen, und den typischen Kriterien, die die Ansprüche aufweisen müssen, um vom Musterverfahren betroffen zu sein, hat das Gericht die Klage mittels Edikt zu veröffentlichen.

 

Das verursacht schon im Vorfeld eines Verfahrens eine erhebliche Ruf- und damit wirtschaftliche Schädigung des Beklagten noch vor gerichtlicher Abklärung der Rechtslage. In keinem Fall hat der Beklagte die Möglichkeit, ein Rechtsmittel gegen die Veröffentlichung der Klage im Edikt einzubringen.

 

Die WKÖ schlägt daher vor, bei Gruppenklage und Musterverfahren auch Informationen über die Klagebeantwortung ins Edikt zu stellen und hält es für zwingend erforderlich, dass dem Beklagten ein Rechtsmittel gegen die Veröffentlichung im Edikt eingeräumt wird. Für das Musterverfahren muss dazu freilich überhaupt erst das Erfordernis des Einlangens einer Klagebeantwortung vor Bekanntmachung im Edikt eingeführt werden.

 

 

2. Ad § 632

 

Prozesskosten haben u.a. die Funktion, den potentiellen Kläger genau überlegen zu lassen, ob es seine Ansprüche wert sind, das Prozesskostenrisiko einzugehen. Geringe Prozesskosten auf Klägerseite minimalisieren dieses Risiko und erhöhen die Missbrauchsgefahr. Der Entwurf sieht jedoch keine anderen Sicherheiten vor, nicht erfolgversprechende oder missbräuchliche Ansprüche herauszufiltern.

 

Die bloß anteilige Haftung der Gruppenkläger sowie die fehlende Möglichkeit, Prozesskostenvorschuss zu verlangen, führen bei Obsiegen des Beklagten zu folgender Situation:

 

Der Beklagte muss seine Prozesskosten in Einzelteilen einsammeln. Das können je nach Verfahren Tausende von Personen sein. Selbst wenn nur eine geringe Zahl der Kläger nicht freiwillig bezahlt, bedeutet dies eine Fülle von sich an den unmittelbaren Prozess anknüpfenden Exekutionsverfahren.

 

Das Argument der Prozessökonomie versagt in zweifacher Hinsicht. Erstens weil nicht erfolgversprechende und missbräuchliche Ansprüche nicht mehr wie bisher ausgesondert werden. Auf der zweiten Seite dadurch, dass zwar im primären Verfahren Ansprüche gebündelt werden, jedoch die darauffolgenden Exekutionsprozesse die Gerichte abermals belasten.

 

Die WKÖ schlägt daher (jeweils alternativ) vor, im Rahmen der Gesetzesnovelle

 

 

einzuführen.

 

 

3. Ad § 619 – Einführung einer betraglichen Mindestgrenze

 

Abgesehen davon, dass durch die Zivilverfahrens-Novelle 2007 der Filter mittels Prozesskostenersatz wegfallen würde, stellt sich die Frage, welche Missbrauchsfilter im Entwurf eingebaut sind.

 

In den letzten Jahren zeigt ja schon die steigende Popularität von Rechtsschutzversicherungen, die negativen Folgen der Belastung unserer Gerichte mit der Klärung von geringfügigen Ansprüchen. Aus diesem Grund schlägt die WKÖ eine betragliche Mindestgrenze hinsichtlich der geltend zu machenden Ansprüche vor.

 

Der Zugang zum Rechtssystem ist verfassungsrechtlich gesichert, Beschränkungen sind jedoch zulässig, wenn sie legitim und verhältnismäßig sind. Deshalb sind Fristen, Formgebote oder Kostenvorschriften schon im gegenwärtigen Verfahrensrecht bekannt. Der Rechtszugang bleibt auch bei darunterfallenden Ansprüchen über den Weg der Einzelklage offen. Es geht nur darum, ob ein Kläger diesen geringfügigen Anspruch auch im Einzelklageweg durchsetzen wollen würde. Will er das nicht, ist es wohl auch in Form der Gruppenklage nicht wünschenswert.

 

Die WKÖ erachtet daher eine Mindestgrenze von € 500,- für jeden einzelnen in der Gruppenklage zusammengefassten Anspruch für sinnvoll.

 

 

4. Ad § 619 Z 1

 

Derzeit wird im Entwurf vorgesehen, dass mindestens 3 Personen gemeinsam auftreten und zumindest 50 Ansprüche in einem Verfahren gebündelt werden müssen. Diese auf den ersten Blick schwer verständliche Trennung in Personenzahl und Ansprüche liegt wohl darin begründet, dass bestimmten Verbänden weiterhin ein Vorgehen mit abgetretenen Ansprüchen ermöglicht werden soll.

 

Da das wesentliche Anliegen des vorliegenden Entwurfes jedoch laut den Erläuterungen darin besteht, dass die Abtretung von Ansprüchen anders als nach der bisher schon zur Verfügung stehenden Sammelklage österreichischer Prägung nicht mehr erforderlich sein soll, sollte bei der Gruppenklage nicht mehr mit abgetretenen Ansprüchen vorgegangen werden können. Die Unterscheidung zwischen Ansprüchen und Personenzahl ist nicht nachvollziehbar und sollte daher fallen gelassen werden.

 

Allgemein bekannt ist, dass es Fälle wie der WEB-Skandal waren, die die Forderung nach Gruppenklagen entstehen ließen. Dort gab es mehr als 3.000 geschädigte Anleger. Man sollte daher mit der Gruppenklage nicht ein Instrument schaffen, das zu anderen als dem beabsichtigten Zweck der prozessökonomischen Handhabung von Massenansprüchen verwendet wird.

 

Zudem ist bei einer entsprechend großen Gruppe eher gewährleistet, dass das Instrument nicht missbräuchlich verwendet wird. Die WKÖ schlägt daher eine Mindestpersonenzahl von 300 vor. Die Forderung nach einer betraglichen und höheren personellen Mindestgrenze gilt übrigens für Gruppenklage und Musterverfahren.

 

 

5. Ad §§ 634 ff

 

Es wird darauf hingewiesen, dass das Musterverfahren keine Deckung im Regierungsübereinkommen findet, wonach lediglich durch Gruppenklagen gleichartige Ansprüche mehrerer Betroffener unter Wahrung der Klagsansprüche des Einzelnen leichter durchsetzbar werden sollen. Außerdem findet sich die Zeile im Kontext von Verkehrsunfällen und Schmerzensgeldansprüchen. Das Musterverfahren behandelt aber die Klärung von Rechtsfragen. Schmerzensgeldansprüche betreffen in der Regel Sachfragen.

 

Konkret ist zur Regelung des Musterverfahrens abzulehnen, dass die Überprüfung, ob die im Edikt eingetragenen Ansprüche den Lauf der Verjährungsfrist unterbrechen, der Anspruch also den vom Musterkläger festgelegten Kriterien entspricht, viel zu spät stattfindet. Der Zeitraum der Rechtsunsicherheit ist viel zu lange. Tatsächlich sollte noch vor Eintragung im Edikt geprüft werden, ob die Eintragung überhaupt gerechtfertigt ist.

 

Die Zeitspanne, bis der Beklagte weiß, welche der angemeldeten Ansprüche im Hinblick auf das Musterverfahren gegen ihn tatsächlich betrieben werden, ist zu lange. Nach dem Entwurf ist die Klage ja binnen drei Monaten nach rechtskräftiger Beendigung des Musterverfahrens einzubringen. Und erst dann wird es im konkreten Fall zur Prüfung der Übereinstimmung und damit zur Prüfung der Verjährungsunterbrechung selbst kommen.

 

Abgesehen von der Anmeldung potentieller Ansprüche im Edikt, ist für den Beklagten über einen untragbar langen Zeitraum nicht absehbar, in welchem Ausmaß diese Ansprüche geltend gemacht werden. Dies kann eine Bandbreite von Null bis Millionenhöhe haben. Insolvenzgefahr und missbräuchlicher Einsatz zur Erpressung von Vergleichen sind offensichtlich.

 

Darüber hinaus sollte überprüft werden, ob durch die vom Beklagten zu schaffenden Rückstellungen nicht in verfassungswidriger Weise in dessen Recht auf Eigentum eingegriffen wird. Der Beklagte kann diese Rückstellungen derzeit nicht steuerrechtlich geltend machen. Seine Verfügungsmacht über den in der Regel sehr hohen Betrag ist ausgeschlossen.

 

 

6. Ad § 624 Abs 2

 

Ein Beitritt zum Gruppenverfahren bis zum Ende der mündlichen Streitverhandlung ist sachlich nicht gerechtfertigt. Der potenzielle Kläger hätte hier die Möglichkeit, das Verfahren zu beobachten, um abzuschätzen, ob sich ein Beitritt „auszahlt“. Auf eventuell neue hinzukommende Sachverhalte müsste sich der Beklagte äußerst kurzfristig und ohne Vorbereitungszeit einstellen. Die Verteidigungsrechte wären dadurch stark beschränkt.

 

 

7. Ad § 626

 

Um missbräuchliche Klagstätigkeit durch beliebige Gruppenvertreter einzuschränken, schlägt die WKÖ vor, ein beim BMJ einzurichtendes Zulassungsverfahren vergleichbar jenem in § 19 UVP-G einzuführen. Verbände oder Vereine, die als Gruppenvertreter auftreten wollen, müssten in diesem Fall um eine Zulassung ansuchen.

 

Diese Zulassung könnte sich an Kriterien wie

 

 

orientieren.

 

Das BMJ würde über die Zulassung mittels Bescheid entscheiden. Die potentiellen Gruppenvertreter hätten die Erfüllung der Kriterien anhand geeigneter Unterlagen nachzuweisen und den Entfall eines Kriteriums unverzüglich zu melden. Die Rolle als Gruppenvertreter könnte nicht mehr wahrgenommen werden, wenn eines der Kriterien während eines laufenden Verfahrens entfällt.

 

Im Zusammenhang damit wäre auch eine Prozesskostenhaftung (alternativ: ein Prozesskostenvorschuss) des Gruppenvertreters denkbar, weshalb ein besonderes Augenmaß auf seine finanzielle Ausstattung gelegt werden sollte.

 

Da die Anwendungsfälle von Klage zu Klage variieren, sollte eine Zulassung für jedes Verfahren einzeln erforderlich sein. Die permanente Zulassung bestimmter Verbände oder Vereine ist zum Zwecke der Verhinderung missbräuchlicher Klagstätigkeit abzulehnen.

 

 

8. Ad §§ 626 ff

 

Das Verhältnis zwischen Gruppenklägern und Vertreter ist nicht ausreichend geregelt. Der Vorteil der Gruppenklage gegenüber der bereits bestehenden Sammelklage österreichischer Prägung soll gerade darin liegen, dass Ansprüche nicht mehr abgetreten werden müssen. Allerdings verliert der Kläger mit Beitritt zur Gruppe im Wesentlichen sein verfassungsmäßig geschütztes Recht auf Gehör.

 

 

9. Ad §§ 624 Abs 1

 

Erklärt eine Person ihren Beitritt zum Gruppenverfahren, sollte Anwaltspflicht herrschen. Eine Partei bedarf jedenfalls anwaltlicher Beratung über die Folgen eines Beitrittes. Ein potentieller Kläger sollte über die Konsequenzen eines Beitritts zum Gruppenverfahren ausreichend informiert werden.

 

 

10. Herausnahme von Arbeitsrechtssachen nach § 50 ASGG

 

Dem Anliegen des vorliegenden Gesetzesentwurfes ist im besonderen Feststellungsverfahren des § 54 ASGG bereits Rechnung getragen. In Arbeitsrechtssachen können die parteifähigen Organe der Arbeitnehmerschaft (z. B. Betriebsrat) oder der Arbeitgeber auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens von Rechten oder Rechtsverhältnissen, die mindestens drei Arbeitnehmer ihres Betriebes oder Unternehmens betreffen, klagen oder geklagt werden.

 

Auch die Bestimmungen über das Musterverfahren sind durch die Regelung des § 54 Abs. 2 ASGG dem Sinne nach bereits umgesetzt. Nach dieser Bestimmung können die kollektivvertragsfähigen Körperschaften der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer gegen die jeweils andere kollektivvertragsfähige Körperschaft beim Obersten Gerichtshof einen Antrag auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens von Rechten oder Rechtsverhältnissen einbringen, die einen vom namentlich bestimmten Personen unabhängigen Sachverhalt betreffen.

 

Da das Anliegen des vorliegenden Entwurfes im ASGG durch die zitierten Bestimmungen bereits verwirklicht ist, muss jedenfalls gefordert werden, Arbeitsrechtssachen nach § 50 ASGG von diesen Regelungen auszunehmen.

 

 

11. Ad § 620 Abs 1

 

Nach dem derzeitigen Entwurf kann eine Einzelperson das Verfahren initiieren. Die WKÖ hält es für sinnvoll, eine Mindestzahl von 3 Einzelpersonen schon bei der Initiierung und Einbringung der Gruppenklage vorzusehen bzw. das Kriterium der Bescheinigung genauer zu umschreiben. Bloßes Behaupten kann nicht genügen.

 

Die Stellungnahme wurde auch an die Adresse „begutachtungsverfahren@parlament.gv.at

elektronisch übermittelt.

 

 

Mit freundlichen Grüßen

 

 

 

Dr. Christoph Leitl                                                             Mag. Anna Maria Hochhauser

Präsident                                                                                         Generalsekretärin