Ao. Univ.-Prof. Dr. Alexander Tipold

Institut für Strafrecht und Kriminologie

Universität Wien

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1010 Wien

An das

Bundesministerium für Justiz

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Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem die Strafprozessordnung 1975, das Strafgesetzbuch und das Jugendgerichtsgesetz geändert werden (Strafprozessreformbegleitgesetz I)

Begutachtungsverfahren

BMJ-L590.004/0001-II 3/2007

Punktuelle Stellungnahme

Wien, am 19. August 2007

Anmerkungen zu § 30 Abs 1 StPO in der Fassung des Entwurfes

1.   Die Zuständigkeit des Einzelrichters für die §§ 105 und 107 StGB wurde seinerzeit mit den Besonderheiten der Haftgründe im bezirksgerichtlichen Verfahren begründet. Da mit diesem Entwurf diese Grundlage durch den Wegfall des § 452 entfällt, gibt es keine sachliche Rechtfertigung, die Nötigung und die gefährliche Drohung in der Zuständigkeit des Landesgerichts zu behalten. Die Ziffern 1-3 (für § 107a StGB gilt dasselbe) sollten daher entfallen und die Ziffern entsprechend angepasst werden. Da mit der höheren Zuständigkeit höhere Kosten verbunden sind, wäre es denkbar, dass der VfGH mit dieser nunmehr grundlosen Ausnahmeregelung befasst wird. Dies sollte vermieden werden. Mögen Zuständigkeitsänderungen immer gewichtig sein, so ist diese sachlich geboten.

Anmerkungen zu § 128 Abs 2 StPO in der Fassung des Entwurfes

2.   Es verwundert nicht, dass diese Bestimmung Probleme bereitet hat und nicht ihren Sinn erfüllt hat. Es erscheint auch nicht sinnvoll, Probleme der Gebarung eines Universitätsinstitutes und des Dienstrechts der Universität in der StPO einer Lösung zuzuführen.


Anmerkungen zu § 455 StPO in der Fassung des Entwurfes

3.   Es wäre überlegenswert, auch die Fristeinhaltung mit sonstiger Nichtigkeit zu schützen. Diesfalls wäre auch § 468 Abs 1 Z 3 entsprechend anzupassen.

Anmerkungen zu § 489 StPO in der Fassung des Entwurfes

4.   Die Unzuständigkeit sollte weiterhin mit Nichtigkeitsberufung anfechtbar sein. Angesichts der knappen Erläuterungen dürfte wohl ein Redaktionsversehen unterlaufen sein.

Anmerkungen zum Entfall des § 42 StGB

5.   Da die Einstellung nach § 191 StPO nur durch die Staatsanwaltschaft, nicht aber durch das Gericht erfolgen kann, bleibt § 42 StGB ein (theoretischer) Anwendungsbereich, den zu kappen, der Entwurf keine Gründe nennt. § 42 StGB sollte daher erhalten bleiben, ebenso der Bezug im JGG.

Anmerkungen zu § 288 Abs 4 StGB

6.   Mit dem Vorschlag erfolgt eine ganz wesentliche Erweiterung der Strafbarkeit. Es ist fraglich, ob eine derartige Gleichbehandlung von Gericht, Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei sachlich gerechtfertigt ist. Eine derartige Gleichstellung von Gericht und Verwaltung wurde zwar bei der Gesetzwerdung des StGB diskutiert, aber letztlich bewusst abgelehnt. Die Strafprozessreform bietet eigentlich keinen Anlass diese Unterscheidung aufzuheben. Dieser Absatz sollte daher ersatzlos gestrichen werden.

7.   Zumindest ist der Begriff der Kriminalpolizei auszunehmen. Der Begriff ist in § 18 Abs 2 StPO neu recht umfassend definiert und erfasst nicht nur Verwaltungsbehörden, sondern einzelne Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes. Daher ist er als Ansatz für die Strafbestimmung des § 288 StGB zu weit. Im Übrigen gibt es keinen Grund, Aussagen vor Sicherheitsbehörden strenger zu bestrafen, wenn sie in gerichtlichen Strafverfahren erfolgen, als etwa in Verwaltungsstrafverfahren oder Verwaltungsverfahren. Es sollte daher weiterhin nur eine Strafbarkeit nach § 289 StGB in Betracht kommen. Darüber hinaus ist zu beachten, dass die Judikatur hinsichtlich der einzuhaltenden Förmlichkeiten sehr „locker“ umgeht und daher recht leicht eine Strafbarkeit bejaht.

8.   Die Staatsanwaltschaft ist kein Gericht, sondern verfassungsrechtlich als Verwaltungsbehörde zu qualifizieren. Die Unterscheidung sollte beibehalten werden. Eine Strafbarkeit nach § 289 StGB erscheint auch als ausreichend.

Anmerkungen zu § 301 StGB

9.   § 54 StPRG ist sehr weit gefasst und erfordert darüber hinaus noch eine Abwägung. Das Verbot des § 54 StPRG ist demnach recht unbestimmt. Eine Anknüpfung an diese Bestimmung für die Frage der Strafbarkeit zieht diese Unbestimmtheit in den Tatbestand hinein, was dem Grundprinzip der lex certa widerspricht. Es steht nämlich nicht fest, ob die Strafverfolgungsbehörden dasselbe Abwägungsergebnis erzielen wie der Beschuldigte oder der Verteidiger. Sicherheitshalber würde auf jede Veröffentlichung verzichtet werden, um sich nicht der Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung auszusetzen. Das ist aber nicht Inhalt des § 54 StRPG, weshalb der Entwurf einen Verstoß gerade nicht „adäquat“ sanktioniert. Überlegenswert wäre statt dessen § 54 StPRG derart zu ändern, dass das Gericht im Einzelfall eine Geheimhaltungspflicht auferlegen kann. Dann kann direkt über § 301 Abs 2 2. Fall StGB eine Strafbarkeit geknüpft werden. Dies erscheint vor dem Bestimmtheitsgebot die zwingende und darüber hinaus auch die elegantere (und ehrliche) Lösung zu sein.

Mit vorzüglicher Hochachtung

Alexander Tipold