STELLUNGNAHME

der Kanzlei Lansky, Ganzger & Partner

zum Entwurf  eines Bundesgesetzes, mit dem die Strafprozessordnung 1975, das Strafgesetzbuch und das Jugendgerichtsgesetz 1988 geändert werden sollen

(Strafreformbegleitgesetz I)

Begutachtungsverfahren

 

Wien, am 12.10.2018

 

 


Lansky, Ganzger & Partner Rechtsanwälte GmbH (in der Folge kurz „LGP“) geben nachstehende

 

Stellungnahme

 

zu dem Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem die Strafprozessordnung 1975, das StGB und das JGG 1988 geändert werden soll, ab.

 

Diese Stellungnahme ergeht an das

Bundesministerium für Justiz

z.Hd. Herrn Mag. Christian Pilnacek

z.Hd. Frau Mag. Gertraud Luckerbauer

Postfach 63

1016 Wien

E-Mail: kzl.L@bmj.gv.at,

cc: Präsidium des Nationalrats:

begutachtungsverfahren@parlament.gv.at

 

 

Zu einzelnen Bestimmungen der StPO:

 

Ad § 124 StPO idF 1.1.2008 „Molekulargenetische Untersuchung“:

 

§ 124 Abs. 3 StPO idF ab 1.1.2008, derzufolge ein Sachverständiger aus dem Fachgebiet der gerichtlichen Medizin mit der molekulargenetischen Untersuchung zu beauftragen ist, soll in der nun vorgeschlagenen Fassung ein Sachverständiger aus dem Fachgebiet der forensischen Molekularbiologie zu beauftragen sein.

 

Aus rein praktischen Erwägungen wird vorab darauf hingewiesen, dass der Gerichtssachverständigenliste für das LGZ Wien und das LGZ Linz jeweils lediglich zwei Sachverständige, für die Sprengel der LG Wels, Salzburg und Graz jeweils gar nur ein Sachverständiger zu entnehmen sind. In ganz Österreich sind daher nur sieben allgemein beeidete und gerichtlich zertifizierte Sachverständige für die menschliche Erbbiologie (forensische Molekularbiologie) eingetragen; im Sprengel des LG Innsbruck überhaupt keiner.

 

Dem gegenüber wurde in § 124 Abs. 3 StPO (in der Fassung ab 1.1.2008; BGBl. I Nr. 19/2004) die Beauftragung eines Sachverständigen auf dem Fachgebiet der gerichtlichen Medizin normiert. Den Materialien ist keine Begründung dafür zu entnehmen, weshalb nunmehr ausschließlich Sachverständige auf dem Fachgebiet der forensischen Molekularbiologie zu beauftragen sein sollen.

 

 

Bereits die geringe Anzahl von in die Sachverständigenlisten bei der Landesgerichten eingetragenen Sachverständigen auf dem Gebiet der forensischen Molekularbiologie ist der geplanten Neuregelung entgegenzuhalten, weil bei Verhinderung eines Sachverständigen mitunter kein in die Sachverständigenliste im gleichen Sprengel eingetragener weiterer Sachverständiger existiert. Es ist zudem kein Grund dafür ersichtlich, Sachverständige aus dem Gebiet der gerichtlichen Medizin von der Bestellung als Sachverständige für die Durchführung molekulargenetischer Untersuchungen auszuschließen. 

 

Aus Sicht von LGP sollten daher auch Sachverständige auf dem Fachgebiet der gerichtlichen Medizin beauftragt werden können.

 

 

Ad § 128 StPO idF BGBl. I Nr. 19/2004 (ab 1.1.2008):

 

Zu Abs.1:

 

Nach § 128 Abs. 1 StPO idF ab 1.1.2008 ist vorgesehen: „Sofern nicht ein natürlicher Tod feststeht, hat die Kriminalpolizei erforderlichenfalls einen Arzt beizuziehen und grundsätzlich am Ort der Auffindung die äußere Beschaffenheit der Leiche zu besichtigen, der Staatsanwaltschaft über das Ergebnis der Leichenbeschau zu berichten (§ 100 Abs. 2 Ziffer 2) und dafür zu sorgen, dass die Leiche für den Fall der Obduktion zur Verfügung steht.

 

In der derzeit in Geltung befindlichen Bestimmung des § 127 Abs. 1 StPO „Verfahren bei Untersuchungen wegen Tötungen und Körperverletzungen“ ist demgegenüber geregelt, dass, „wenn bei einem Todesfalle zweifelhaft ist, ob der Tod durch ein Verbrechen oder Vergehen verursacht worden sei, so ist vor der Beerdigung die Leichenbeschau und Leichenöffnung vorzunehmen“.

 

Die Bestimmung in § 128 Abs. 1 StPO idF BGBl. I Nr. 19/2004 birgt eine Reihe von Unsicherheiten der juristischen Interpretation, verlagert Fachkompetenzen des medizinischen Bereichs in die Laiensphäre und scheint dem medizinischen Laien zudem einen Ermessensspielraum im Sinne eines Entscheidungsspielraums einzuräumen, der von dessen Kenntnissen überhaupt nicht gedeckt sein kann.

 

Aus Sicht von LGP ergibt sich aus der Regelung des § 128 StPO idF ab 1.1.2008, dass der Kriminalpolizei zugeordnete Organe im Regelfall die Leichenbeschau vornehmen sollen. Dies bedeutet, dass nach dem Gesetzeswortlaut die Kriminalpolizei, deren Organe grundsätzlich medizinische Laien sind, feststellen sollen, ob ein natürlicher oder ein nicht natürlicher Tod im Einzelfall vorliegt. Dies ist aus Sicht von LGP nicht möglich.

 

§ 128 idF ab 1.1.2008 muss zudem seinem Wortlaut nach so gelesen werden, dass auch dann, wenn der natürliche Tod eines Menschen nicht feststeht, es im Ermessen der Kriminalpolizei liegen soll, ob diese einen Arzt beiziehen will. Dies ergibt sich aus der Verwendung des Wortes „erforderlichenfalls“. Aus Sicht von LGP ist es jedoch zweifelhaft, dass einem medizinischen Laien ein Ermessensspielraum eingeräumt werden kann, zu beurteilen, ob es erforderlich ist, einen Arzt überhaupt beizuziehen.  

 

Es ist aus praktischer Sicht zweifelhaft und auch geradezu unmöglich, dass ein medizinischer Laie in jenen Fällen, in denen eine Tötung auch nicht evident sein muss, beurteilen kann, ob es erforderlich ist, einen Arzt beizuziehen. Dies könnte bei Tötungsdelikten zu schwerwiegenden Fehlentscheidungen der Kriminalpolizei führen.

 

Diesbezüglich ist auch darauf hinzuweisen, dass die Leichenbeschau Ärzten vorbehalten ist.    § 2 ÄrzteG ist zu entnehmen, dass die Ausübung des ärztlichen Berufs jede auf medizinisch wissenschaftlichen Erkenntnissen begründete Tätigkeit umfasst, die unmittelbar an Menschen oder mittelbar für den Menschen ausgeführt wird, worunter insbesondere auch die Vornahme von Leichenöffnungen zählt. Daraus ist abzuleiten, dass grundsätzlich Untersuchungen am menschlichen Leichnam ausnahmslos zur ärztlichen Tätigkeit zu zählen sind. Zudem wird auf die Verordnung zur Vornahme der gerichtlichen Leichenbeschau aus dem Jahr 1855 (RGBl Nr. 26/1855) hingewiesen, aus welcher ebenfalls hervorgeht, dass die Totenbeschau von einem Arzt durchzuführen ist.

 

Zudem wird auch auf die jeweils in Geltung befindlichen Landesgesetze insb. Leichen – und Bestattungsgesetze hingewiesen. Das Verhältnis zwischen § 128 idF ab 1.1.2008 und den geltenden Landesgesetzen, etwa dem Wiener Leichen- und Bestattungsgesetz (kurz „WLBG“ in der Fassung LGBl Nr. 12/2007) ist fraglich.

 

So ist dem WLBG zu entnehmen, dass die Totenbeschau dem Magistrat obliegt, der sich der von ihm dazu bestellten Ärzte (Totenbeschauärzte) bedient. Aus dieser Bestimmung ergibt sich daher, dass die Totenbeschau den hierzu bestellten Totenbeschauärzten obliegt. Das WLBG enthält im II. Abschnitt zu Obduktionen auch die Vorschrift, dass, wenn „jedoch aufgrund der äußeren Totenbeschau die Todesursache nicht zweifelsfrei geklärt werden kann, der Totenbeschauarzt die Totenbeschau zu unterbrechen hat und dem Magistrat die Obduktion vorzuschlagen hat.“

 

Nach § 12 Abs. 1 und 2 WBLG entscheidet der Magistrat über die Vornahme der Obduktion unter Berücksichtigung der Wahrnehmungen des Totenbeschauarztes nach § 11 Abs. 2. Letzterer normiert, dass in allen Fällen, in denen die Obduktion zur zweifelsfreien Klarstellung der Todesursache erforderlich ist, der Magistrat die Obduktion anzuordnen und durchzuführen hat.

 

Aus Sicht von LGP erscheint es in diesem Zusammenhang nicht nachvollziehbar, weshalb gerade im Bereich des Strafrechts die Kriminalpolizei von sich aus entscheiden sollte, ob ein Arzt beizuziehen ist und die Beiziehung eines Arztes daher „erforderlich“ ist.

§ 128 StPO idF ab 1.1.2008 sollte daher dahingehend geändert werden, dass die Kriminalpolizei einen Arzt beizuziehen hat und dass dieser grundsätzlich am Ort der Auffindung die äußere Beschaffenheit der Leiche zu besichtigen hat. In der Folge soll die Kriminalpolizei der Staatsanwaltschaft über das Ergebnis der Leichenbeschau berichten und dafür sorgen, dass die Leiche für den Fall der Obduktion zur Verfügung steht.

 

Zu Abs. 2 (Zu 11a):

 

Die derzeit vorgeschlagene Fassung des § 128 Abs. 2 StPO sieht vor: „Eine Obduktion ist zulässig, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Tod einer Person durch eine Straftat verursacht worden ist. Sie ist von der Staatsanwaltschaft anzuordnen, die mit der Durchführung eine Universitätseinheit für Gerichtliche Medizin oder einen Sachverständigen aus dem Fachgebiet der gerichtlichen Medizin, der kein Angehöriger einer solchen Einheit ist, zu beauftragen hat.“

 

Demgegenüber ist § 128 Abs. 2 idF ab 1.1.2008 zu entnehmen, dass mit der Durchführung „der Leiter eines Instituts für gerichtliche Medizin einer Universität zu beauftragen ist.“

 

Die Materialien zum Ministerialentwurf 87/ME XXIII.GP ist zu § 128 Abs. 2 StPO idF BGBl. I Nr. 19/2004 zu entnehmen: „ [...], sollte die Regelung des § 128 Abs. 2 die Gutachtenserstattung im Fall von Obduktionen auf den Bereich von Universitätsinstituten beschränkt werden. Eine nähere Analyse der Konsequenzen dieser Regelung im Zuge der Begutachtung zur Strafprozessnovelle 2005 hat jedoch die Mängel einer solchen Konzentration dargetan. Insbesondere würden durch sie nicht nur Grundsätze des Sachverständigenrechts (freie Auswahl unter den ständig beeideten und zertifizierten Sachverständigen, die für ein bestimmtes Fachgebiet in die Sachverständigenliste eingetragen sind; persönliche und unmittelbare Verantwortung) sondern auch die Erwerbsausübungsfreiheit freiberuflich tätiger Fachärzte auf dem Fachgebiet der Gerichtlichen Medizin gefährdet. Aus diesem Grund hat sich der Gesetzgeber zu einer Mittellösung entschlossen, die jedenfalls sicherstellen sollte, dass die Leiter der Universitätsinstitute ihre Dienstaufsicht ausüben konnten, wenn ein Angehöriger ihrer Einheit vom Gericht zum Sachverständigen bestellt wird[...].[...] Als Mittellösung soll vorgeschlagen werden, dass – unter Beachtung der Erwerbsausübungsfreiheit und des Grundsatzes der freien Arztwahl des zu bestellenden Sachverständigen – entweder eine Organisationseinheit für gerichtliche Medizin oder aber ein Facharzt, der nicht Angehöriger einer solchen Einheit ist, mit der Obduktion beauftragt werden kann.“

 

Die Gesamtregelung entspricht nicht den Grundsätzen des Sachverständigenrechts wie sie insb. auch in den Materialien angeführt werden.

 

Sachverständige können grundsätzlich nur physische Personen sein (Fabrizy, StPO9, § 118 Rz 4). Aus Sicht von LGP ist eine „Universitätseinheit für gerichtliche Medizin“ daher kein geeigneter Sachverständiger.

Auch insofern von der Praxis häufig Universitätsinstitute für gerichtliche Medizin oder Kriminologie zu Sachverständigen bestellt werden, ist in Wahrheit von der Bestellung des Leiters des Universitätsinstituts oder eines von ihm im Verhinderungsfall namhaft zu machenden Mitarbeiters zum Sachverständigen auszugehen (vgl. Fabrizy, Kommentar zu StPO9, § 118, RZ 5).

 

Um die Unabhängigkeit der Sachverständigen zu wahren, wäre daher die Beauftragung einer physischen Person notwendig. Wie die Materialien selbst ausführen, ist die unmittelbare und persönliche Verantwortung des Sachverständigen von besonderer Bedeutung. Aus Sicht von LGP erfordert dies die Bestellung einer physischen Person zum Sachverständigen. Die Verbindung der Sachverständigentätigkeit mit dienstrechtlichen Erwägungen insb. inhaltlicher Art laufen zudem der Unabhängigkeit der Sachverständigentätigkeit entgegen. Zudem löst die Frage der Bestellung einer Universitätseinheit auch schwerwiegende Fragen in bezug auf eine Amtshaftung sowie die Haftung der Universität, der Universitätseinheit, des Leiters der Universitätseinheit und des tatsächlich die Sachverständigentätigkeit ausführenden Facharztes für gerichtliche Medizin aus.

 

Letztlich ist auch nicht nachvollziehbar, weshalb ein Sachverständiger aus dem Fachgebiet der gerichtlichen Medizin nur ad personam bestellt werden kann, wenn er keiner Universitätseinheit angehört. Aus Sicht von LGP widerspricht aus verfassungsrechtlicher Sicht eine derartige Regelung dem Gleichheitssatz sowie dem Grundrecht auf Erwerbsfreiheit. Durch die Unterscheidung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Universitätseinheit ist von einer sachlich nicht gerechtfertigten Gleichheitswidrigkeit auszugehen.

 

Dem Argument, dass eine derartige Regelung aus Gründen der Dienstaufsicht erforderlich wäre, ist entgegenzuhalten, dass jedenfalls gelindere Mitteln bestehen. Gelindere Mittel können etwa in einer universitätsrechtlichen Regelung bestehen oder in der Ausübung der Dienstaufsicht. Eine dienstrechtliche Regelung, wie sie anscheinend beabsichtigt war, hat in der StPO bereits aus systematischen Erwägungen keinen Raum.

 

 

Gabriel Lansky / Gerald Ganzger