An das

Präsidium des Nationalrates

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Wien, 17. September 2007

 

 

 

 

Betrifft:       Entwurf eines Bundesverfassungsgesetzes, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz geändert und ein Erstes Bundesverfassungsrechts­bereinigungsgesetz erlassen wird

 

 

Über Einladung des Vorsitzenden der Expertengruppe Staats- und Verwaltungs­reform, Sektionsleiter Univ.Prof.Dr. Georg Lienbacher, vom 23. Juli 2007 erstatte ich folgende Stellungnahme zum Entwurf eines Bundesverfassungsgesetzes, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz geändert und ein Erstes Bundesverfassungsrechts­bereinigungsgesetz erlassen wird:

 

1.      Der Entwurf beinhaltet eine in weiten Teilbereichen ausgewogene Neukonzeption der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Der Arbeit der Expertengruppe Staats- und Verwaltungsreform sind jahrelange Vorarbeiten auf unterschiedlichen Ebenen vorausgegangen. Es ist anzunehmen, dass diese von der Expertengruppe gründlich geprüft wurden und Ergebnisse daraus nach einem reiflichen Diskussionsprozess aufgenommen oder verworfen wurden.  Es wird in der folgenden Stellungnahme daher bewusst verzichtet, Lösungen aus Vorentwürfen mit dem aktuellen Vorschlag zu konfrontieren und Bewertungen vorzunehmen. Stellung genommen werden soll nur in zwei Punkten, nämlich, dort, wo eine offene Alternative angeboten wird und explizit zur Stellungnahme aufgerfordert wird, und in einem Punkt, der nicht explizit Gegenstand der vom Unterfertigten mitverfassten Entwürfe war.

2.      Der Entwurf bietet in Artikel 133 zwei Varianten an, wobei Variante 1 für Beschwerden gegen „Entscheidungen der Verwaltungsgerichte“ das Ablehnungs­modell, Variante 2 das „Revisionszulassungsmodell“ enthält. Im Schreiben des BKA wird um explizite Bezugnahme auf die präferierte Variante ersucht.  Das Regierungs­programm für die XXIII. Gesetzgebungsperiode sieht auf Seite 27 vor, dass über die Zulässigkeit der Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes „nach dem Re­visionsmodell das Verwaltungsgericht erster Instanz zu entscheiden [hat], wobei über die Zulässigkeitsentscheidung ein Rechtsmittel zusteht.“ Dieser Vorgabe im Regierungsprogramm entspricht Variante 2. Dies ist auch das Ergebnis einer zunächst kontroversiellen, dann aber im Konsens abgeschlossenen tiefgründigen Diskussion im Ausschuss 9 des Österreichkonvents.
Nach meiner Auffassung sprechen nach wie vor die besseren Gründe für Variante 2, die Argumente wurden im Ausschuss 9 getauscht und brauchen hier nicht wiederholt zu werden. Zur Vermeidung von Missverständnissen sei darauf hingewiesen, dass das Revisionszulassungsmodell – anders als es die Erläuterungen zum Entwurf zu Z 36 (Art 133) glauben machen – im Österreichkonvent nicht bloß „angedacht“ wurden, sondern dass die Frage der Rechtsmittelbeschränkung an den Verwaltungsgerichtshof im Konsens zugunsten des Revisionszulassungsmodells entschieden wurde. Verwiesen sei auf Seite 44 des Berichts des Ausschusses 9 vom 17.11.2004 zum Ergänzungsmandat (19/AUB-K) sowie auf den Konsens im Präsidium des Konvents und auf Artikel 224 Abs 3 des Entwurfs des Vorsitzenden des Österreich-Konvents vom 31.5.2005.
Gleichwohl wirft das Revisionszulassungsmodell in der vorgeschlagenen Form zahlreiche Fragen und Probleme auf. Angeregt wird daher, dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der Zugang zum VwGH nun im Rechtszug von einem anderen Gericht besteht und dass Rechtszüge zwischen Gerichten in der Verfassung auch im Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit keine eingehende Regelung gefunden haben. Zu erwägen wäre, die Revisionsgründe stärker an die Tatbestände der ZPO anzulehnen und die entsprechende Regelung nicht in der Verfassung zu treffen, sondern in einer neuen „Verwaltungsgerichtsordnung“.

3.      Im Regierungsprogramm für die XXIII. Gesetzgebungsperiode heißt es auf Seite 27 im dritten Punkt: „Nach dem Verwaltungsgerichtshof ist wegen der behaupteten Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte oder Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm der Verfassungsgerichtshof anrufbar, der ein generelles Ablehnungsrecht erhält.“ Auch dieser Frage ist eine ausführliche Diskussion im Österreich-Konvent vorangegangen, die jedoch nicht im Konsens entschieden wurde. Es liegt also nur die politische Einigung der Regierungsparteien für eine Urteilsverfassungsbeschwerde gegen Entschei­dungen des Verwaltungsgerichtshofes vor.

      Der Entwurf der Expertengruppe setzt diese Vorgabe nicht um, sondern zieht eine Fortentwicklung des Gesetzesprüfungsverfahrens in Artikel 140 Abs 1 Z 2 des Entwurfs vor.
Damit bleibt für Bescheidbeschwerden im Wesentlichen alles beim Alten. Über die Hintergründe hiefür ist hier nicht zu spekulieren. Auch sollen an dieser Stelle nicht die hinlänglich getauschten Argumente wiederholt werden, sie sind der Expertengruppe wohlbekannt. Es sei jedoch auf zwei Gesichtspunkte verwiesen:

      a) An die Stelle der unabhängigen Verwaltungs­senate treten Verwaltungsgerichte, sodass der Verfassungsgerichtshof nunmehr nach dem Entwurf im Beschwerdeverfahren zwischen erster und zweiter Gerichtsinstanz zu entscheiden hätte, zwar zur Kontrolle der unteren, nicht aber der oberen Instanz berufen wäre. Diesen Umstand mag man mit einiger Berechtigung als ungewöhnlich ansehen.

      b) Von größerer Bedeutung ist, dass die im Regierungsprogramm vorgesehene Weiterentwicklung des Rechtschutzes völkerrechtlichen An­forderungen gerecht würde, die erst in jüngerer Zeit aktuell geworden sind und die vom Entwurf der Expertengruppe nicht erfüllt werden: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seinem Urteil vom 26.10.2000 im Fall Kudla gegen Polen festgestellt, dass auch bei behaupteten Verletzungen des Artikel 6 Abs 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention wegen überlanger Verfahrensdauer eine wirksame Beschwerde an eine unabhängige Instanz nach Artikel 13 EMRK gegeben sein muss. Dass das Gebot angemessener Verfahrensdauer im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ein ernsthaftes Problem ist, ist allgemein bekannt. Die Expertengruppe konnte bei der Ausarbetung des Entwurfs noch darauf setzen, dass die Bundesregierung in dieser Frage eine Wende in der Judikatur des EGMR herbeiführen würde. Sie hat in der ersten Jahreshälfte 2007 die Verweisung des Fall Hauser-Sporn an die große Kammer beantragt. Der EGMR hat eine Befassung der Großen Kammer jedoch zwischenzeitig abgelehnt, so dass sich jedenfalls insoweit die völkerrechtliche Notwendigkeit eines Rechtszuges an den VfGH oder einer anderen, gleichwertigen Beschwerdemöglichkeit ergibt.
Mit der im Regierungsprogramm vorgesehenen Neuregelung würde den Erfordernissen des Artikel 13 EMRK jedenfalls in dieser Hinsicht Rechnung getragen, die Entwurfsfassung tut das nicht.

     
Im Hinblick auf die eingangs erwähnte Einschränkung wird auf weitere Details des Entwurfs im Rahmen dieser Stellungnahme nicht eingegangen (z.B. Frage der Entscheidungsbefugnis der Verwaltungsgericht – Kassation/Reformation; Trennung von Beschwerdetatbeständen einerseits und Beschwerdelegitimation andererseits bei den Verwaltungsgerichten, aber keine Regelung der Beschwerdelegitimation hinsichtlich des Verwaltungsgerichtshofes, Ausbildung der Verwaltungsrichter etc.), weil davon auszugehen ist, dass in der Expertengruppe die entsprechenden Einwände ohnehin erörtert und verworfen wurden.

     


Univ.Prof.DDr. Christoph Grabenwarter