REPUBLIK ÖSTERREICH

Staatsanwaltschaft

Graz

Graz, am 15.10.2007

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SB: StA Mag. Amschl

 

 

 

 

 

          Jv 1576-1/07

 

 

 

 

 

Betrifft: Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem das Strafgesetzbuch, die Strafprozessnovelle 1975, das Strafvollzugsgesetz, das Bewährungshilfegesetz und das Jugendgerichtsgesetz 1988 geändert werden; Begutachtung

 

 

An die

 

Oberstaatsanwaltschaft

 

                                                                                              G r a z

 

 

Zu: Jv 2587-1a/07

 

 

          Unter Bezugnahme auf den Erlass der Oberstaatsanwaltschaft Graz vom 26.9.2007 wird folgende

 

S T E L L U N G N A H M E

 

erstattet:

 

 

 

 

          Der eine Anhebung der Anzahl der bedingten Entlassungen (wie sich dies auch aus den Erläuterungen ergibt) anstrebende Entwurf zielt auf den Regelfall der bedingten Entlassung nach Verbüßung der Hälfte der Freiheitsstrafe im Gegensatz zur bisherigen Gesetzeslage ab, wonach die bedingte Entlassung nach Verbüßung von zwei Dritteln der Freiheitsstrafe den Regelfall darstellt. Dies zeigt sich auch in der vorgeschriebenen amtswegigen Prüfung einer bedingten Entlassung bereits nach Verbüßung der Strafhälfte (und nach zwei Dritteln - vgl. die vorgeschlagene Regelung des § 152 Abs 1 StVG) und in den in der vorgeschlagenen Bestimmung des § 46 Abs 1 StGB abweichend formulierten inhaltlichen Voraussetzungen für eine bedingte Entlassung.

          Zunächst ist anzuführen, dass an der vorgeschlagenen Mindeststrafzeit von 2 Monaten anstelle der bisherigen 3 Monate nichts auszusetzen ist.

          Anhand der vorliegenden Unterlagen (Textgegenüberstellung, Entwurf und Erläuterungen) ist unklar, ob hinsichtlich der Voraussetzungen nach § 46 Abs 1 StPO bei der Prognose die Abhaltung von der Begehung strafbarer Handlungen oder von der Begehung von strafbaren Handlungen mit schweren Folgen verlangt wird; in der Textgegenüberstellung und den Erläuterungen findet sich nämlich die Textpassage „mit schweren Folgen“, nicht jedoch in dem vorliegenden Entwurf. Nach Ansicht der Staatanwaltschaft Graz wäre die Erforderlichkeit der Abhaltung lediglich von der Begehung strafbarer Handlungen mit schweren Folgen zu weit gefasst; an spezialpräventiven Voraussetzungen für eine bedingte Entlassung sollte wohl das Abhalten von der Begehung von (weiteren) strafbaren Handlungen wie bisher verlangt werden.

          Insbesondere bezüglich der Prognose bei der Entscheidung über eine bedingte Entlassung eines zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe Verurteilten dürfte man sich keinesfalls mit der Annahme der Begehung keiner weiteren strafbaren Handlungen mit schweren Folgen, wie sich dies (entgegen dem Entwurf und den Erläuterungen) aus der Textgegenüberstellung ergibt, begnügen.

          Äußerst bedenklich erscheint der Wegfall der generalpräventiven Erwägungen bei der Prüfung der Voraussetzungen für eine bedingte Entlassung. Die in den Erläuterungen angeführten Beweggründe können aus Sicht der Staatsanwaltschaft Graz nicht geteilt werden; insbesondere im Bereich der Sexual- und Suchtgiftdelinquenz, aber auch im Bereich der Schwer(st)kriminalität wie beispielsweise bei schwerem Raub, Mord etc. kommt den generalpräventiven Erwägungen (auch in ihrer positiven Seite, nämlich der Integrationsprävention im Sinne der Erhaltung und Stärkung der allgemeinen Normentreue) eine große Bedeutung zu; in diesen Fällen wird nach der gängigen Spruchpraxis des Landesgerichtes für Strafsachen Graz bzw. des Oberlandesgerichtes Graz eine bedingte Entlassung teilweise ausschließlich, sehr oft aber zumindest auch aus generalpräventiven Gründen, selbst nach der Verbüßung von zwei Dritteln der verhängten Freiheitsstrafe abgelehnt. Vor allem bei der Entscheidung über eine bedingte Entlassung aus einer lebenslangen Freiheitsstrafe erscheint der Wegfall der generalpräventiven Erwägungen in der Entscheidungsfindung völlig unverständlich.

          In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass die (durch den vorliegenden  Entwurf nicht geänderte)  Bestimmung  des § 43 Abs 1 StGB für die bedingte Strafnachsicht sehr wohl auf generalpräventive Überlegungen Bedacht nimmt, sodass es hier zu einem nicht nachvollziehbaren Auseinanderklaffen der Voraussetzungen für eine (auch teil-) bedingte Strafnachsicht und für eine bedingten Entlassung käme.

          Der Sinn der in § 46 Abs 5 StGB der vorgeschlagenen Fassung enthaltenen verpflichtenden Entscheidung über eine bedingte Entlassung nach spätestens 15 Jahren (bei Zusammenrechnung von mehreren zeitlichen Freiheitsstrafen, Strafteilen oder Strafresten) ist unklar; für den Fall einer zwar unwahrscheinlichen, aber doch denkbaren Kollision mit der sonstigen zeitlichen Voraussetzung der Verbüßung der Hälfte der Strafen fehlt eine klare Regelung.

          Aus den vorgelegten Unterlagen ist unklar, ob tatsächlich - wie in der Textgegenüberstellung (im Gegensatz zum Entwurf) enthalten - die Probezeit mit höchstens 2 Jahren zu bemessen sein soll, zumal diesbezüglich den Erläuterungen nichts zu entnehmen ist. Die Herabsetzung der Probezeit von derzeit höchstens 3 auf höchstens 2 Jahre erscheint nicht sinnvoll, da nach der Spruchpraxis des Landesgerichtes für Strafsachen Graz und auch des Oberlandesgerichtes Graz die Probezeit nahezu ausschließlich mit 3 Jahren bemessen wird, was nicht zuletzt eine nicht zu unterschätzende spezialpräventive Wirkung für einen längeren Zeitraum hat und damit auch dem Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung dient.

          Die Möglichkeit der längeren Bemessung der Probezeit mit höchstens 5 Jahren  bei einer notwendigen  Behandlung im Sinne des § 51 Abs 3 StGB der vorgeschlagenen Fassung erscheint sinnvoll.

          Gegen eine bedingte Entlassung aus einem unbedingten Strafteil gemäß § 43a StGB entsprechend der vorgeschlagenen Fassung des § 49 letzter Satz StGB ist kein Einwand zu erheben.

          Die (teilweise) obligatorische Bewährungshilfe nach der vorgeschlagenen Regelung des § 50 StGB ist nicht zu beanstanden. In den meisten der in § 50 Abs 2 Z 1 bis 4 StGB angesprochenen Fälle wird nach der Spruchpraxis des Landesgerichtes für Strafsachen Graz und des Oberlandesgerichtes Graz regelmäßig Bewährungshilfe angeordnet, sofern sie notwendig oder zweckmäßig erscheint.

          Das Schließen der gesetzlichen Lücke hinsichtlich der zeitlichen Voraussetzungen für eine abermalige bedingte Entlassung im Falle des Widerrufs der bedingten Entlassung aus einer lebenslangen Freiheitsstrafe durch § 53 Abs 1 3. Satz StGB ist zu begrüßen, da es hier zu unterschiedlichen Meinungen verschiedener Vollzugsgerichte und des Bundesministeriums für Justiz kam. Die vorgeschlagene Regelung der Gleichstellung des Strafrestes mit einer Freiheitsstrafe von 10 Jahren widerspricht allerdings klar der in den Erläuterungen zitierten nachvollziehbar und ausführlich begründeten Entscheidung des Obersten Gerichtshofes 13 Os 132, 133/04, wonach bei lebenslangen Freiheitsstrafen nach Widerruf einer bedingten Entlassung aus einer solchen Strafe neuerlich 15 Jahre zu verbüßen sind, bevor wieder eine bedingte Entlassung in Betracht kommt; etwa in der Strafvollzugssache des Fritz Freitag, 27 Nst 87/07x der Staatsanwaltschaft Graz wurde mit dem Erlass der Oberstaatsanwaltschaft Graz vom 24.4.2007, OStA 600/07v, diese Rechtsansicht unter ausdrücklichem Hinweis auf die genannte Entscheidung vertreten.

          Die befristete Einführung des Tatbestandes nach § 91 Abs 2a StGB ist angesichts des zu beobachtenden Anstiegs von immer brutaleren Schlägereien etwa bei oder nach Fußballspielen zwischen den Fangruppen im Hinblick auf die Fußball-Europameisterschaft 2008 zu begrüßen, wenn auch die Praxis einer derartigen Anlassgesetzgebung zu hinterfragen ist. Es sollte erwogen werden diese Bestimmung nicht nur auf den Sicherheitsbereich bei einer Sportgroßveranstaltung einzuschränken, sondern auch Großdemonstrationen einzubeziehen.

          Gegen die gesetzliche Verankerung des Modellversuches gemeinnütziger Leistungen statt Ersatzfreiheitsstrafe im Sinne der vorgeschlagenen Regelungen der §§ 3 und 3a StVG ist nichts einzuwenden, wenn auch aus der Praxis seitens der Staatsanwaltschaft Graz dazu keine Erfahrungswerte vorliegen. Um Missverständnissen vorzubeugen sollte es auch im § 3a Abs 1 vorletzter Satz StVG „Ersatzfreiheitsstrafe“ anstelle von „Freiheitsstrafe“ lauten.

          Gegen die vorgeschlagene Regelung des § 4a StVG bestehen trotz der in den Erläuterungen zitierten Entscheidung des deutschen Bundesverfassungsgerichtes erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken wegen des hier evidenten Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz, da im Vergleich zu diesen Ausreisewilligen an eine bedingte Entlassung österreichischer Verurteilter oder Verurteilter, gegen die kein Aufenthaltsverbot verhängt wurde oder werden kann, strengere Voraussetzungen geknüpft sind.

          Für die Laienbeteilung bei Entscheidungen über die bedingte Entlassung nach den vorgeschlagenen Regelungen der §§ 16 ff StVG besteht kein Bedarf, da ohnehin in zahlreichen Fällen neben der Äußerung des Anstaltsleiters auch Stellungnahmen der Fachdienste, insbesondere auch des Sozialen Dienstes, der Justizanstalt, aber auch von Bewährungshelfern, eingeholt werden und somit der Erfahrungsschatz von in den Bereichen der Entlassungsvorbereitung oder der Betreuung von Entlassenen in die Entscheidungsfindung einfließen und dadurch psychosoziale Belange in ausreichender Weise Berücksichtigung finden. Laienbeteiligung wird schon mit Blick auf Schöffen und Geschworene von der Staatsanwaltschaft Graz generell skeptisch beurteilt.

          Anzumerken ist noch, dass es aufgrund der verpflichtend amtswegigen Entscheidung über eine bedingte Entlassung nach Verbüßung der Hälfte der Strafe und von zwei Dritteln der Strafe entgegen den im Vorblatt der Erläuterungen angeführten Erwägungen und Prognosen nach Ansicht der Staatsanwaltschaft Graz nicht zu einer Reduktion der Entscheidungen über bedingte Entlassungen kommen wird. Es ist vielmehr anzunehmen, dass einer bedingten Entlassung nach Verbüßung der Strafhälfte auch nach der vorgeschlagenen Regelung häufig spezialpräventive Gründe (insbesondere bei Rückfallstätern), in den Fällen einer mehr als 5-jährigen Freiheitsstrafe auch generalpräventive Erwägungen entgegenstehen werden und es daher in diesen Fällen doch sehr häufig zu der verpflichtenden Entscheidung nach Verbüßung von zwei Dritteln kommen wird. Die angebliche Einsparung einer richterlichen Arbeitskraft und der Ausgleich des finanziellen Mehraufwandes durch die Ausweitung der amtswegigen Prüfung und durch die Laienbeteiligung ist daher in höchstem Maße zu bezweifeln. Es scheint logischer, dass die Anreicherung des Verfahrens mit Laienrichtern zu Mehrkosten und  zu einem schwerfälligeren sowie langsameren Entscheidungsprozess führt, was im Widerspruch zur Zielsetzung „schlank, einfach, schnell“ steht.

          Die Möglichkeit der Festsetzung eines späteren Entlassungszeitpunktes innerhalb von 3 Monaten nach der Entscheidung ist zu begrüßen, da sich in der Praxis oft ergibt, dass noch gewisse Vorbereitungen, wie etwa bei der Notwendigkeit eines betreuten Wohnplatzes, zu treffen sind, die aber nur bei einer positiven Entscheidung des Vollzugsgerichtes über eine bedingte Entlassung sinnvoll sind.

          Die verpflichtende Äußerung der Begutachtungsstelle BEST im Sinne der vorgeschlagenen Regelung des § 152 Abs 2 StVG ist, ebenso wie die sonstigen vorgeschlagenen Erweiterungen deren Aufgaben, zu begrüßen, da deren Stellungnahmen eine gründliche Befundung und Begutachtung vorausgeht. Von der Staatsanwaltschaft Graz wird in der Mehrzahl der Fälle die Beischaffung des forensisch - sexologischen Gutachtens zur Stellungnahme regelmäßig und seit langem beantragt.

          Die Aufnahme der Pflegeeinrichtung für chronisch-psychisch Kranke in § 158 StVG ist nicht zu beanstanden; fraglich scheint jedoch, ob gerade bei privaten Vereinigungen tatsächlich die erforderlichen Sicherheitsstandards eingehalten werden können.

 

          Zusammenfassend ist die angestrebte Anhebung der Anzahl der bedingten Entlassungen angesichts der Überbelegung der Justizanstalten verständlich; die damit wohl verbundenen pekuniären Interessen dürfen aber keinesfalls auf Kosten der Sicherheit für die Bevölkerung gehen. Der Resozialisierungseffekt im Strafvollzug kann nicht allein durch die Entlastung der prekären Belagssituation in den Justizanstalten und durch die Verpflichtung zu früheren amtswegigen Entscheidungen über die bedingte Entlassung, wie dies im Vorblatt der Erläuterungen angeführt ist, im Zusammenhalt mit den Maßnahmen nach §§ 50 bis 52 StGB gefördert werden. Vielmehr setzt dies wohl eine vermehrte psychosoziale Behandlung und Betreuung der Strafgefangenen während der Haft voraus, was vor allem auch ausreichendes und entsprechend geschultes Personal in den Justizanstalten bedingt. Wenn auch das Hauptaugenmerk auf die Wiedereingliederung verurteilter Personen in die Gesellschaft bei gleichzeitiger Reduktion der Gefahr des Rückfalls gelegt werden soll, so dürfen doch nach Meinung der Staatsanwaltschaft Graz generalpräventive Versagungsgründe für eine bedingte Entlassung gerade im Bereich der Schwer- und Schwerstkriminalität nicht außer Acht gelassen werden, da es doch für die Bevölkerung unverständlich wäre, dass etwa ein zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilter Mörder bei an sich positiven spezialpräventiven Voraussetzungen bereits nach 15 Jahren jedenfalls bedingt zu entlassen wäre.

Der Leiter der Staatsanwaltschaft:

In Vertretung:

Dr. Kammerer

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