GZ.:

VII/60727

Anschrift:

An das

Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit

 

Stubenring 1

1010 Wien

 

per e-mail: POSTII1@bmwa.gv.at

Adressblock ergänzen:

Singerstraße 17-19, 1011 Wien

 

Sachbearbeiter:
Tel.: +43-1-514 39/
Fax: +43-1-514 39/
martin.reiter@bmf.gv.at
www.finanzprokuratur.at

Datum:

Wien, am 19. Oktober 2007

Betreff:

Novelle zum ArbeitslosenversicherungsG – Stellungnahme

GZ.: BMWA-433001/0054-II/1/2007

Anrede

Sehr geehrte Damen und Herren!

Texteingabe:

Die Prokuratur nimmt zum Ministerialentwurf eines Bundesgesetzes, mit dem das Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977, das Arbeitsmarktpolitik-Finanzierungsgesetz, das Arbeitsmarktförderungsgesetz, das Arbeitsmarktservicegesetz, das Arbeitsvertragsrecht-Anpassungsgesetz, das Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetz und das Nachtschwerarbeitsgesetz geändert werden soll, wie folgt Stellung:

 

Mit Artikel 1, Ziffer 19, soll dem derzeitigen § 17 AlVG ein Abs 3 angefügt werden. Danach soll zukünftig „die zuständige Landesgeschäftsstelle das Recht haben, die regionale Geschäftsstelle amtswegig zu einer Zuerkennung des Arbeitslosengeldes ab einem früheren Zeitpunkt, ab dem die übrigen Voraussetzungen für die Gewährung der Leistungen vorliegen, zu ermächtigen, wenn die Unterlassung einer rechtzeitigen Antragstellung auf einen Fehler der Behörde, der Amtshaftungsfolgen auslösen kann, wie zum Beispiel mangelnde oder unrichtige Auskünfte, zurück zu führen ist.“

 

Den Erläuterungen für die in Rede stehende Bestimmung kann entnommen werden, dass durch diese zukünftig nicht nur rascher Leistungen nach dem AlVG an Personen erfolgen sollen, denen kein „Verschulden“ an der – dann nur mehr vorläufigen – Versagung eines Anspruches trifft, sondern auch eine wesentliche Verwaltungsvereinfachung für die Zentralstelle (Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit) sowie dem Vertrauensanwalt der Republik Österreich, der Finanzprokuratur, verbunden sein soll. Demgemäß wird auch in den Erläuterungen festgehalten, dass „aufwändige Amtshaftungsverfahren auf strittige Fälle beschränkt werden sollen“.

 

Im Sinne des Art 126b B-VG ist die ganz offensichtlich verfolgte Regelungsabsicht zu begrüßen, die im Entwurf enthaltene Bestimmung des § 17 Abs 3 AlVG wird jedoch nicht zu einer Verminderung des Verwaltungsaufwandes führen.

 

Zunächst ist davon auszugehen, dass die beabsichtige Bestimmung eines Abs 3 einen (neuen) Tatbestand für die Zuerkennung von Leistungen nach dem ArbeitslosenversicherungsG schaffen soll. Eine regionale Geschäftsstelle kann von einer Landesgeschäftsstelle ermächtigt werden, trotz des Fehlens einer allgemeinen Anspruchsvoraussetzung Leistungen nach dem AlVG zuzuerkennen. Die Zuerkennung erfolgt damit ebenso im Verwaltungsverfahren (argumentum: „… amtswegig zu einer Zuerkennung des Arbeitslosengeldes …“). Diese „nachträgliche“ Zuerkennung ist allerdings nicht nur vom Vorliegen der „übrigen Voraussetzungen für die Gewährung der Leistungen“ abhängig, sondern setzt auch das Vorliegen eines zusätzlichen Tatbestandselements voraus: Es muss ein Fehler einer Behörde vorliegen, der Amtshaftungsfolgen auslösen kann. Dazu wird bereits im Gesetzestext beispielhaft auf eine mangelhafte und unrichtige Auskunftserteilung hingewiesen.

 

Nach der vorgeschlagenen Bestimmung des Abs 3 wären daher zukünftig die Landesgeschäftsstellen, die die regionalen Geschäftsstellen zur nachträglichen bescheidmäßigen Zuerkennung von Leistungen nach dem AlVG, verpflichtet, das Vorliegen eines Amtshaftungsanspruches zu prüfen. Ein solcher Anspruch wäre jedenfalls nur dann gegeben, wenn einem nach dem AlVG Bezugsberechtigten durch ein dem Bund funktional zurechenbares Organ in Vollziehung der Gesetze schuldhaft und rechtswidrig ein Schaden zugefügt worden ist.

Vor Erteilung der individuellen Ermächtigung nach Abs 3 wären somit von der Landesgeschäftsstelle ohne Einschaltung der Zentralstelle und der Finanzprokuratur im Rahmen der Prüfung die Tatbestandsvoraussetzungen der Rechtswidrigkeit und des Verschuldens auch zu beurteilen, ob eine Rettungspflichtverletzung nach § 2 Abs 2 AHG vorliegt, welche die Rechtswidrigkeit des Organhandelns beseitigt, oder auch, ob durch ein Mitverschulden des Anspruchsberechtigten ein Amtshaftungsanspruch ganz oder teilweise ausgeschlossen ist. Die im derzeitigen Entwurfstext enthaltenen Formulierung „ …auf einen Fehler der Behörde, der Amtshaftungsfolgen auslösen kann…“, stellt die Ermächtigungsbefugnis in das gebundene Ermessen der Landesgeschäftsstellen, entbindet diese jedoch keineswegs ihrer – jedenfalls amtswegigen (!) – Prüfungspflicht für das Vorliegen der Voraussetzungen für einen Amtshaftungsanspruch.

Fraglich bleibt zudem, ob der Tatbestand nach § 17 Abs 3 AlVG (neu) ein aufrechtes Bestehen des konkreten Amtshaftungsanspruches voraussetzt oder auch ein verjährter Anspruch die Rechtsfolgen der nachträglichen Zuerkennung von Leistungen nach dem AlVG auslösen kann.

 

Dazu kommt noch, dass jener Fehler der Behörde, der zur Unterlassung einer rechtzeitigen Antragstellung geführt hat, wohl regelmäßig erst durch bzw. nach einem Einschreiten eines berufsmäßigen Parteienvertreters für einen Anspruchsberechtigten bekannt werden wird. Schreiten Rechtsanwälte für einen Anspruchberechtigten ein und fordern diese die Behörde auf, nach § 17 Abs 3 AlVG (Entwurf) nachträglich Leistungen nach dem AlVG ihrem Mandanten zuzuerkennen, dann sind auch die Kosten des Einschreitens des anwaltlichen Vertreters nach dem Amtshaftungsgesetz ersatzfähig, wenn und soweit das Einschreiten der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung gedient hat. Beispielsweise wären die Kosten für die Verfassung eines Aufforderungsschreibens des Rechtsvertreters eines Anspruchsberechtigten grundsätzlich nach dem AHG ersatzfähig.

 

Nun soll durch die Bestimmung des Abs 3 nicht in die Abwicklung weiterer Ansprüche nach dem AHG, die aus der fehlerhaften Zuerkennung von Leistungen nach dem AlVG resultieren können, eingegriffen werden. Solche weiteren Ansprüche nach dem AHG setzen gerade voraus, dass die ursprünglich unterbliebene Zuerkennung von Leistungen nach dem AlVG auf ein schuldhaftes und rechtswidriges Organverhalten (Handeln oder Unterlassen) zurück zu führen war.

 

Die beabsichtigte Sonderregelung für Ansprüche, die ohne Behördenfehler nach dem AlVG bestanden hätten, kann somit gerade zu einer Vermehrung des Verwaltungsaufwandes führen, weil nach einer nachträglichen Zuerkennung von Leistungen nach dem AlVG regelmäßig auch noch über weitere Ansprüche nach dem AHG im Rahmen eines Aufforderungsverfahrens nach § 8 AHG von der Zentralstelle im Zusammenwirken mit der Finanzprokuratur zu entscheiden wäre. Der in den Erläuterungen enthaltene Hinweis „Überdies fallen Kosten der Rechtsvertretung an“ wird durch die beabsichtigte gesetzliche Regelung nicht aufgelöst.

 

Eine Entlastung der Zentralstelle und eine unbürokratische Vorgangsweise zu Gunsten eines Anspruchsberechtigten nach dem AlVG könnte auch durch eine verwaltungsinterne Delegation der Entscheidungsbefugnis über Amtshaftungsansprüche erfolgen, wobei zweckmäßiger Weise, insbesondere auch im Hinblick auf die Bestimmungen des Haushaltsrechtes des Bundes (BHG) und der (Durchführungs-) Bestimmungen über den finanziellen Wirkungsbereich der Zentralstelle die Letztentscheidung in bedeutsamen Fällen vorbehalten bleiben sollte. Die beabsichtigte Verminderung des Verwaltungsaufwandes könnte daher dadurch erzielt werden, dass die Landesgeschäftsstellen von der Zentralstelle zukünftig ermächtigt werden, im direkten Wege mit der Finanzprokuratur das Bestehen eines Amtshaftungsanspruches für Leistungen nach dem AlVG und allenfalls für die Kosten des anwaltlichen Einschreitens abzuklären, um dann diese außergerichtlich und unbürokratisch dem Anspruchsberechtigten zuzuerkennen. Gleichzeitig könnte dann über die zusätzlichen Ansprüche (nach dem AHG) entschieden werden, wodurch umgehend und koordiniert eine Gesamtbereinigung für den Anspruchsberechtigten und die Republik Österreich erfolgen würde.

 

Mit vorzüglicher Hochachtung

Im Auftrag:

 

(Dr. Reiter)