An das

GZ ● BKA-600.066/0001-V/5/2007

Abteilungsmail v@bka.gv.at

bearbeiterin Frau Dr Angela JULCHER

Mag. Alexander Flendrovsky[1]

Pers. E-mail angela.julcher@bka.gv.at

Telefon 01/53115/2288

Ihr Zeichen BMWA-433.001/0054-II/1/2007

 

Bundesministerium für

Wirtschaft und Arbeit

 

Mit E-Mail: POST@II1.bmwa.gv.at

 

 

Antwort bitte unter Anführung der GZ an die Abteilungsmail

 

 

 

BetrifftEntwurf eines Bundesgesetzes, mit dem das Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977, das Arbeitsmarktpolitik-Finanzierungsgesetz, das Arbeitsmarktförderungsgesetz, das Arbeitsmarktservicegesetz, das Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz, das Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetz und das Nachtschwerarbeitsgesetz geändert werden;

Begutachtung; Stellungnahme

 

 

Zum mit der do. oz. Note übermittelten Gesetzesentwurf samt Beilagen nimmt das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst wie folgt Stellung:

I. Zum Gesetzesentwurf:

Es ist fraglich, ob die vorgeschlagene Regelung in allen Punkten dem verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz entspricht. Die Zusammenfassung von Pflichtversicherten und freiwillig Versicherten in einer Risikogemeinschaft ist zwar grundsätzlich zulässig (vgl. dazu VfSlg. 9809/1983). Problematisch erscheint allerdings, dass nach dem vorliegenden Entwurf die Selbständigen nach einer achtjährigen Versicherungsdauer wieder aus der Arbeitslosenversicherung austreten können, was dazu führen könnte, dass die Möglichkeit der Versicherung nur für vergleichsweise riskante Phasen der Berufstätigkeit – etwa in den ersten Jahren – in Anspruch genommen wird und es so zu einer ungleichen Risikoverteilung zulasten der pflichtversicherten Arbeitnehmer kommt. Andererseits könnte die achtjährige Sperre der Einbeziehung für den Fall der Nichtinanspruchnahme nach der ersten Verständigung durch den Sozialversicherungsträger eine Härte darstellen, die ihrerseits einer sachlichen Rechtfertigung bedürfte.

Zu Art. 1 Z 13 (§ 14 Abs. 1 AlVG):

Es fragt sich, ob der Begriff „arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt“ auch für die nach dem vorgeschlagenen § 3 versicherten Personen passend ist. Eine terminologische Klarstellung wäre wünschenswert.

Zu Art. 1 Z 17 (§ 15 Abs. 5 AlVG):

Nach der vorgeschlagenen Bestimmung sollen Zeiten einer der Pflichtversicherung oder Versicherungspflicht in der Pensionsversicherung unterliegenden Erwerbstätigkeit, wenn davor mindestens fünf Jahre arbeitslosenversicherungspflichtiger Beschäftigung liegen, die Rahmenfrist unbefristet verlängern; fehlt die Voraussetzung einer fünfjährigen arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigung, ist die Rahmenfristerstreckung mit fünf Jahren begrenzt.

Ob die – befristete oder unbefristete – Rahmenfristerstreckung für nach dem Inkrafttreten des vorgeschlagenen § 3 liegende Zeiten einer selbständigen Erwerbstätigkeit sachlich gerechtfertigt ist, obwohl dann auch für diese Zeiten die Möglichkeit einer Versicherung in der Arbeitslosenversicherung besteht, ist fraglich. Zusätzlich stellt sich die Frage, aus welchen sachlichen Gründen die unbefristete Rahmenfristerstreckung unter der Voraussetzung einer fünfjährigen arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigung nur für Zeiten einer selbständigen Erwerbstätigkeit (und für Zeiten einer Erwerbstätigkeit im Ausland nach dem vorgeschlagenen § 15 Abs. 8) gelten soll, nicht aber auch für die Tatbestände des § 15 Abs. 1 (beispielsweise Zeiten in einem arbeitslosenversicherungsfreien Dienstverhältnis nach Z 1).

Zu Art. 1 Z 19 (§ 17 Abs. 3 AlVG):

Auch wenn bloß eine Ermächtigung der Behörden ohne korrespondierenden Rechtsanspruch des Versicherten geschaffen werden soll, muss sie dem Determinierungsgebot des Art. 18 Abs. 1 B‑VG genügen. Es müssten also Kriterien normiert werden, an denen sich die jeweilige Behörde bei ihrer Entscheidung, ob das Arbeitslosengeld rückwirkend zuerkannt werden soll, zu orientieren hat (zB Zweckmäßigkeit, Erfolgsaussicht in einem Amtshaftungsverfahren o.ä.).

Außerdem ist es in Bezug auf Behörden unüblich, von „Rechten“ zu sprechen; statt „hat … das Recht“ sollte es besser „wird …. ermächtigt“ oder nur „kann“ heißen.

Zu Art. 2 Z 3 (§ 2 Abs. 7 AMPFG):

Dass die gemäß dem vorgeschlagenen § 3 Abs. 1 AlVG Versicherten in den Jahren 2009 bis 2011 geringere Beitragssätze zu entrichten haben als die Pflichtversicherten, bedürfte einer besonderen sachlichen Rechtfertigung.

Zu Art. 4 Z 1 (§ 25 AMSG):

1. Der in Abs. 2 angeführte Empfängerkreis für Übermittlungen der für Zwecke der Arbeitsvermittlung gespeicherten Daten scheint überschießend und damit im Lichte des § 1 Abs. 2 DSG 2000 bedenklich: Insbesondere ist – auch unter Zuhilfenahme der Erläuterungen – kein Grund erkennbar, warum gesetzlichen Interessenvertretungen diese Daten übermittelt werden sollten. Hinsichtlich der Arbeitgeberverbände scheint dies besonders problematisch.

2. Im Hinblick darauf, dass von der Übermittlungsermächtigung des Abs. 2 auch Gesundheitsdaten umfasst sind (s. Abs. 1 Z 4), die gemäß § 4 Z 2 DSG 2000 zu den sensiblen Daten zählen und damit als „besonders schutzwürdig“ (§ 1 Abs. 2 DSG 2000) anzusehen sind, scheint diese auch zu wenig determiniert: Je intensiver der vorgesehene Grundrechtseingriff, desto höher sind die Anforderungen an dessen gesetzliche Determinierung. Die vorgesehene Generalklausel („soweit die Daten für die Vollziehung der ihnen gesetzlich übertragenen Aufgaben eine wesentliche Voraussetzung bildet“) scheint insoweit nicht ausreichend. Im Übrigen sind auch die Anforderungen des Art. 8 der Richtlinie 95/46/EG zu beachten.

3. In Abs. 2 ist auch die Bundesrechenzentrum GmbH als Übermittlungsempfänger angeführt. Es wäre zu prüfen, ob diese nicht lediglich als Dienstleister auftritt und die Daten daher an sie bloß überlassen (§ 4 Z 11 DSG 2000) werden.

4. In Abs. 3 sollte die Rollenverteilung im Wortlaut klarer zum Ausdruck gebracht werden: Auftraggeber (§ 4 Z 4 DSG 2000) ist das AMS bzw. der BMWA, während die für das AMS tätigen Einrichtungen lediglich Dienstleister sind. Die derzeitige Formulierung könnte auch als Umkehrung dieses Verhältnisses angesehen werden.

5. In Abs. 4 scheint der Datenfluss zum AMS bzw. BMWA zunächst aus denselben Gründen wie bei Abs. 2 problematisch. Außerdem wird hier eine Übermittlung von Daten durch die Statistik Austria an AMS und BMWA vorgesehen und damit dem Wortlaut nach ein Rückfluss von für statistische Zwecke erhobenen Daten in die Verwaltung ermöglicht. Die Privilegierung von Datenverwendungen zu statistischen Zwecken (vgl. Bundesstatistikgesetz 2000, BGBl. I Nr. 163/1999 idF BGBl. I Nr. 71/2003 und § 46 DSG 2000, BGBl. I Nr. 165/1999 idF BGBl. I Nr. 13/2005) liegt in den besonderen Auflagen, die an die statistische Datenverwendung gestellt werden, begründet. Diese datenschutzrechtliche Privilegierung, die auf Grund des Umstandes, dass die Datenübermittlung an die Statistik eine Übermittlung in nur eine Richtung darstellt, gerechtfertigt ist, wäre allerdings durch die Verwendung für Verwaltungszwecke nicht mehr gerechtfertigt. Die unmittelbar anwendbaren Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 322/97 über die Gemeinschaftsstatistiken, ABl. Nr. L 52 vom 22.02.1997 S. 1, sehen beispielsweise für die Erstellung von Gemeinschaftsstatistiken entsprechende Garantien, etwa in Erwägungsgrund 13 vor:

„(13) Die vertraulichen Daten, die die einzelstaatlichen statistischen Stellen und die Gemeinschaftsdienststelle für die Erstellung der Gemeinschaftsstatistiken erheben, müssen geschützt werden, damit das Vertrauen der Auskunftgebenden gewonnen wird und erhalten bleibt. Die Geheimhaltung der statistischen Daten muß in allen Mitgliedstaaten den gleichen Grundsätzen entsprechen.“

Artikel 10 der Verordnung (EG) Nr. 322/97 lautet:

„[...]

"Statistische Geheimhaltung" bedeutet, daß direkt für statistische Zwecke oder indirekt aus administrativen oder sonstigen Quellen eingeholte Angaben über einzelne statistische Einheiten gegen jegliche Verletzung des Rechts auf Vertraulichkeit geschützt werden. Die Verwendung der erhaltenen Angaben für nichtstatistische Zwecke und die unrechtmäßige Offenlegung sind zu unterbinden.

[...]“

Auch die Empfehlung des Europarates Recommendation No. R (97) 18 concerning the protection of personal data collected and processed for statistical purposes vom 30. September 1997 (im Internet zu finden unter:

https://wcd.coe.int/com.instranet.InstraServlet?Command=com.instranet.CmdBlobGet&DocId=578854&SecMode=1&Admin=0&Usage=4&InstranetImage=41531) schließt in Artikel 4.1 einen Rückfluss statistischer Daten in die Verwaltung aus:

4.1. Personal data collected and processed for statistical purposes shall serve only those purposes. They shall not be used to take a decision or measure in respect of the data subject, nor to supplement or correct files containing personal data which are processed for non-statistical purposes.”

Es ist somit ersichtlich, dass bereits auf europäischer Ebene eine Zweckänderung für personenbezogene Statistikdaten nicht für zulässig erachtet wird.

6. Unbeschadet der grundsätzlich unter 1. und 2. geäußerten grundsätzlichen Bedenken zu den Empfängerkreisen sollte in Abs. 6 zweiter Satz die Weitergabe von Gesundheitsdaten zumindest auch an Interessenvertretungen, insbesondere der Arbeitgeber, untersagt werden.

II. Zu Vorblatt, Erläuterungen und Textgegenüberstellung:

Auf ein Schreibversehen in den Erläuterungen zu Art. I Z 4 wird hingewiesen: Im 8. und 9. Absatz müsste es jeweils „§ 48 GSVG“ statt „§ 48 ASVG“ heißen.


Diese Stellungnahme wird im Sinne der Entschließung des Nationalrates vom 6. Juli 1961 u.e. auch dem Präsidium des Nationalrats zur Kenntnis gebracht.

 

18. Oktober 2007

Für den Bundeskanzler:

Georg LIENBACHER

 

 

 

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