Zl. 12-REP-43.00/08 Ht/Er

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HAUPTVERBAND DER ÖSTERREICHISCHEN SOZIALVERSICHERUNGSTRÄGER

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                                                                                                          Wien, 15. Mai 2008

An das

Präsidium des Nationalrates                                                                              Per E-Mail


Bundesministerium für                                                                                         Per E-Mail
Soziales und Konsumentenschutz
Stubenring 1
1010 Wien

Betr.:     Entwurf einer Vereinbarung gemäß Art. 15a B‑VG zwischen dem Bund und den Ländern über eine bundesweite Bedarfsorientierte Mindestsicherung

Bezug:  E-Mail des BMSK vom 17. April 2008
GZ: BMSK-40101/0013-IV/9/2008

Sehr geehrte Damen und Herren!

Der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger nimmt wie folgt Stellung:

Zur Grundlage der finanziellen Erläuterungen

Die Auswirkungen durch die Erhöhung der Ausgleichszulagenrichtsätze sollten nochmals durchgerechnet werden, insbesondere aufgrund der in absehbarer Zeit besser einschätzbaren voraussichtlichen Entwicklung für 2009. Nach unseren Schätzungen könnte der Aufwand für den Bund deutlich höher liegen. Siehe dazu auch gleich bei Art. 5.

Zu Art. 5

Es ist dringend notwendig, das Recht der Mindestsicherung mit dem Ausgleichszulagenrecht abzustimmen.

Die Verpflichtung, die Ausgleichszulage unter Berücksichtigung der Mindeststandards nach Art. 10 zu gewähren, macht Änderungen im System der Ausgleichszulagenrichtsätze erforderlich. Der Änderungsbedarf ergibt sich daraus, dass die Ausgleichszulagenrichtsätze an detailliertere Voraussetzungen gebunden sind als die Mindestsicherung.

Der Familienrichtsatz gilt nur für Pensionsberechtigte aus eigener Pensionsversicherung, wenn sie mit dem Ehegatten/der Ehegattin im gemeinsamen Haushalt leben (§ 293 Abs. 1 lit. a sublit. aa ASVG). Die Mindestsicherung nach Art. 10 Abs. 2 gilt hingegen „für Alleinstehende und AlleinerzieherInnen“, der Standard laut Abs. 3 Z 1 lit a gilt für „erwachsene Personen, die mit anderen Erwachsenen im gemeinsamen Haushalt leben“.

Voraussetzung für die Mindestsicherung ist demnach lediglich der gemeinsame Haushalt zweier erwachsener Personen. Die Art des Pensionsanspruchs (Eigen/Hinterbliebenenpension), der Familienstand und das Geschlecht der anspruchsberechtigten Personen sind nicht relevant.

Das hat folgende Konsequenzen:

Für Lebensgemeinschaften unverheirateter Personen (inkl. Lebensgemeinschaften gleichgeschlechtlicher Personen) gilt der AZ-Familienrichtsatz. Der Familienrichtsatz gilt auch für Personen, die ohne Bestehen einer Ehe oder Lebensgemeinschaft einen gemeinsamen Haushalt führen, z. B. Geschwister im gemeinsamen Haushalt, Wohngemeinschaften mit gemeinsamer Haushaltsführung. Das wird in den  Erläuterungen zu Art. 10 auch ausdrücklich bestätigt.

Der Familienrichtsatz gilt auch für BezieherInnen einer Hinterbliebenenpension (Waisenpensionen) die in einer Ehe, Lebensgemeinschaft oder sonst in einer Haushaltsgemeinschaft leben. Da Abs. 3 Z 1 lit. b für die Verpflichtung des Bundes nicht anzuwenden ist, gilt der Prozentsatz von 75 % für jede Person in der Haushaltsgemeinschaft; die Reduktion auf 50 % ab der dritten erwachsenen Person ist nicht anzuwenden (also z. B. bei Familien mit mehreren erwachsenen, studierenden Kindern im gemeinsamen Haushalt). Für volljährige alleinstehende BezieherInnen einer Waisenpension gilt der AZ-Einzelrichtsatz, und zwar ab Volljährigkeit. Die Waisenpensionsrichtsätze die derzeit für volljährige Personen erheblich niedrigere Richtsätze vorsehen, bleiben unberücksichtigt und entsprechen nicht der Verpflichtung aus der Vereinbarung.

Die Richtsätze für minderjährige BezieherInnen einer Waisenpension entsprechen der Höhe nach den Mindeststandards. Allerdings ist auch für minderjährige Personen der Einzelrichtsatz anzuwenden, wenn sie nicht mit zumindest einem Erwachsenen im gemeinsamen Haushalt leben.

Die Verpflichtung ist spätestens bis 1. Juli 2009 umzusetzen. Aus administrativen Gründen ist für Pensionsversicherungsträger ein Inkrafttreten zum Pensionsanpassungstermin wünschenswert. Eine unterjährige Erhöhung der AZ-Richtsätze zum 1. Juli 2009 ist administrativ aufwendig, noch dazu weil mit den geänderten Anspruchsvoraussetzungen ein erheblicher Erhebungsaufwand verbunden ist. Zu berücksichtigen ist auch, dass der Termin für die Pensionsanpassung auf November vorgezogen werden soll.

Im Ergebnis wären daher, falls die Termine nicht koordiniert werden, Anpassungen zum November 2008, zum Jänner 2009 und zum Juli 2009 erforderlich.

In den finanziellen Erläuterungen ist lediglich der Aufwand für die Erhöhung für Kinder (Art. 5 Z 2) budgetiert, nicht aber der Aufwand infolge der Anpassung der Ausgleichszulagenrichtsätze.

In den Erläuterungen wird die Verpflichtung des Bundes deutlich eingeschränkt, nämlich darauf „diese Leistungen (= Ausgleichszulage) beizubehalten und die Ausgleichszulagenrichtsätze nach den Vorgaben des Pensionsrechts und unter Berücksichtigung der Äquivalenzrelationen nach Art. 10 Abs. 2 und Abs. 3 Z 1 lit a jährlich zu erhöhen“.

Diese Einschränkung auf die Beibehaltung des bestehenden Systems findet aber im Wortlaut der Vereinbarung keine Deckung. Sollte daher beabsichtigt sein, dass der Bund nur die bestehenden Ausgleichszulagen weiterführt, und die  Differenz auf die Mindestsicherung von den Länder zu tragen ist, dann wäre eine eindeutige Klarstellung in der Vereinbarung selbst vorzuziehen, um Streitigkeiten über die Auslegung von vornherein auszuschließen und um zu verhindern, dass sich im Endeffekt weder Bund noch Länder für die Mindestsicherung der betroffenen Personen zuständig fühlen. Aufgrund des derzeitigen Wortlautes könnte im Landesgesetz die Zuständigkeit für BezieherInnen einer Pension aus der gesetzlichen Pensionsversicherung generell ausgeschlossen werden.

Dazu ein Beispiel: Eine verheiratete, 20-jährige Bezieherin einer Einfach-Waisenpension hätte in Bedarfsgemeinschaft mit ihrem Ehemann Anspruch auf eine Mindestsicherung in Höhe von 150 % des Ausgangswertes (in etwa der AZ-Familienrichtsatz). Der Ausgleichszulagenrichtsatz für diese Personengruppe beträgt  € 274,76 (§ 293 Abs. 1 lit. c sublit. aa ASVG). Die Differenz zur Mindestsicherung sind ca. € 845,--. Wer ist für die Differenzzahlung zuständig?

Sollte eine Landesleistung bis zum Ausgleichszulagenrichtsatz für Alleinstehende zustehen, könnte man diesen in Anbetracht der doch geringen Zahl gleich im Pensionsversicherungsrecht vorsehen, um Doppelleistungen (organisatorisch) zu vermeiden, wenn sichergestellt werden kann, dass eine Finanzierungslösung gefunden wird.

Hinsichtlich der Regelung des Abs. 2 ist anzumerken, dass der Zusammenhang zwischen der Erhöhung des Richtsatzes für ein Kind (§ 293 Abs. 1 ASVG) und dem Bezug eines Kinderzuschusses (§ 262 i.V.m. § 252 ASVG) nicht zwingend ist. So kann etwa der eine Elternteil den Kinderzuschuss, der andere die Ausgleichszulage (samt der Erhöhung) beziehen. Bei getrennt lebenden Eltern beziehen unter Umständen beide eine Ausgleichszulage (mit Erhöhung), aber immer nur einer den Kinderzuschuss.

Im Entwurf fehlen weiters Bestimmungen zum Leistungsbeginn, ab dem die Bedarfsorientierte Mindestsicherung gebühren soll - ab Antrag, ab nächstfolgendem Monatsersten, rückwirkend ab Notlage, etc. Dies erscheint insofern von Belang, als im Falle des Hinzutretens einer Leistung aus der gesetzlichen Pensionsversicherung auch ein kongruenter Zeitraum für eine allfällige Rückverrechnung von Bedeutung ist.

Ebenso fehlen Anhaltspunkte über einen allfälligen Kompetenzübergang während des Bezuges einer Bedarfsorientierten Mindestsicherung infolge eines später hinzutretenden Leistungsbezuges aus der gesetzlichen Pensionsversicherung. Somit sollte jedenfalls schon im Grundsatz festgelegt werden, ob eine Legalzession Platz greifen soll bzw. ob im Sinne von § 324 Abs. 1 ASVG ein bloßer Ersatzanspruch gegenüber einer eventuellen Nachzahlung aus der Pensionsversicherung eingeräumt wird.

Auf Grund der offensichtlich angespannten finanziellen Lage der Betroffenen sollte jedenfalls eine direkte Rückforderung gegenüber den Betroffenen hintan gehalten werden.

Zu Art. 6

Sowohl die Abbildung des Systems der Nettoersatzrate für Alleinstehende in der Notstandshilfe als auch die Änderungen in Bezug auf die Anrechnung des Partnereinkommens in diesem Bereich werden über einen höheren Krankengeldbezug zu Aufwandssteigerungen in der Krankenversicherung führen.

Zu Art. 8

Wer den Krankenversicherungs-(in der Folge: KV-)Beitrag zu tragen hat, ist unklar:

Es sollte nicht dazu kommen, dass der Mindeststandard nach Art. 10 Abs. 2 bereits der Ausgleichszulagenbetrag nach Abzug der Krankenversicherungsbeiträge ist und dann nochmals von diesem Betrag ein KV-Beitrag abgezogen werden soll.

Im Ergebnis könnte auch von der Mindestsicherung an Personen, die nicht KV-pflichtversichert sind, ein KV-Beitrag einzubehalten sein, von der Mindestsicherung, die an Personen ausbezahlt wird, die bereits pflichtversichert sind, hingegen nicht (z. B. „working poor“ mit Erwerbseinkünften unter dem Richtwert, KBG-Be­zie­her­In­nen usw.).

Diese Situation wäre spätestens in den Durchführungsgesetzen zu bereinigen, sie sollte bereits in der Vereinbarung als solcher klar geregelt sein.

Weiters ist noch auszuführen, dass die durch den Verweis auf Art. 4 Abs. 2 in Art. 8 Abs. 1 verwendeten Begriffe „Personen, die mit ihnen im gemeinsamen Haushalt leben, ihnen gegenüber unterhaltsberechtigt sind oder mit ihnen in Lebensgemeinschaft leben" sich teilweise decken bzw. unnötige Interpretationsspielräume schaffen (Lebensgemeinschaft ohne gemeinsamen Haushalt denkbar?). Wir schlagen daher vor, den Verweis auf Art. 4 Abs. 2 zu streichen. Wir gehen davon aus, dass auch dieser Personenkreis nur in den Genuss dieser Krankenversicherung kommt, wenn er nicht bereits krankenversichert ist.

Ein Verweis auf § 123 ASVG wäre sinnvoll, verwaltungsökonomisch administrierbar und auch vom verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz geboten.

In Abs. 2 müsste es richtig lauten „... zu entrichtende Krankenversicherungsbeitrag orientiert sich an der Höhe, wie er von und für AusgleichszulagenbezieherInnen ...

Nach Abs. 2 müsste für Personen nach Abs. 1, somit auch für die Angehörigen, ein Beitrag wie für AZ-Bezieher entrichtet werden.

Es wird ersucht zu prüfen, ob § 9 ASVG anzupassen wäre, weil sein geltender Wortlaut für die beabsichtigte Einbeziehung zu eng sein könnte.

Nach Art. 8 Abs. 3 des Entwurfs soll der Bund den Gebietskrankenkassen den entstehenden Mehraufwand ersetzen, soweit die Ersatzleistung der Länder nicht ausreichend ist (Ausfallhaftung des Bundes). Da nachgewiesenermaßen die bisherigen Sozialhilfeempfänger überdurchschnittlich krank sind und daher öfters Leistungen benötigen, ist auch der Verwaltungsaufwand für diese Personen wesentlich höher. Diese Bestimmung sollte wie der seit Jahrzehnten geltende § 75 ASVG angewendet werden, daher auch Verwaltungskosten umfassen, um keine parallelen Verrechungsabläufe und unnötigen Administrationskosten entstehen zu lassen.

Falls das nicht geschieht, wäre zumindest in § 625 Abs. 12 ASVG eine Z 3 anzufügen, die die zusätzlichen Verwaltungsaufwände von der Kostendeckelung ausnimmt.

Zu Art. 10

In Abs. 3 Z 1 lit b fehlt vor dem Satz(glied)anfang das Wort „ab“ (im Vorentwurf noch enthalten).

Wie schon oben angedeutet, könnte die in Art. 10 Abs. 3 vorgesehene Erhöhung je nach Auslegung deutlich andere Ergebnisse als im Ausgleichszulagenrecht bewirken.

Ein alleinstehender Elternteil mit zwei volljährigen Kindern könnte nach Art. 10 Abs. 3 Z 1 (a bzw. b) deutlich mehr erhalten als nach dem Ausgleichszulagenrecht gebühren würde. Ist das Absicht? Nach dem geltenden Ausgleichszulagenrecht (und der Finanzverfassung bzw. dem Finanzausgleichsgesetz) ginge dies vollständig zu Lasten des Bundes.

Die erheblich niedrigeren Richtsätze für Waisen bleiben unberücksichtigt. Sollte ihnen eine Landesleistung bis zum Ausgleichszulagenrichtsatz für Alleinstehende zustehen, könnte man diesen in Anbetracht der doch geringen Zahl gleich im Pensionsversicherungsrecht vorsehen, um Doppelleistungen (organisatorisch) zu vermeiden, wenn eine Finanzierungsregelung möglich wird.

Auch bei Ehepartnern können Unterschiede entstehen: Der Ausgangswert beträgt (Stand 2008) 708,90 € (747 € minus 5,1 % KV-Beitrag). Der Mindeststandard laut Art. 10 Abs. 3 Z 1 lit a beträgt 75 % dieses Wertes pro Person, d. h. für ein Ehepaar 1.063,35 €. Dieser Wert liegt unter dem derzeitigen AZ-Familienrichtsatz (Stand 2008: 1.120 €). Netto nach Abzug des auf die beziehende Person entfallenden KV-Beitragsteils beträgt die Mindestsicherung 1.009,12 €, der AZ-Famili­en­richt­satz 1.062,88 €.

Zu Art. 13

Der Katalog in Art. 13 Abs. 3 (nicht zu berücksichtigende Einkünfte) ist kürzer als jener in § 292 Abs. 4 ASVG - neben vielem anderem fehlt auch die für die Landwirtschaft wichtige Sonderbestimmung des § 292 Abs. 4 lit. l ASVG (es gibt allerdings auch kein fiktives Ausgedinge, d. h. es wäre stets „real“ zu erheben und anzurechnen).

Die Bestimmung sollte nochmals überarbeitet werden und so gestaltet sein, dass (im Vergleich zum Pensionsversicherungsrecht) keine neuen Verwaltungsabläufe notwendig sind. Beträchtliche Aufwände würden dadurch vermeidbar.

Zu Art. 18

Es muss bewusst sein, dass die dort vorgesehenen Datenübermittlungsverpflichtungen nur dann möglich sind, wenn einerseits die Leistungserbringer, andererseits die bisherigen Sozialhilfeträger die Datengrundlagen vollständig und richtig zur Verfügung stellen. In den Durchführungsgesetzen wären entsprechende Bestimmungen vorzusehen.

Zu Art. 20 Abs. 2

Die Verpflichtung der Länder zur Leistung des Versicherungsbeitrags an die Gebietskrankenkassen ist sehr vage formuliert. Der Bund wird im Beitragsrecht des ASVG die notwendigen Bestimmungen erst vorsehen müssen.

* * *

Um sicherzugehen, dass die Leistungen der bundesweiten Bedarfsorientierten Mindestsicherung nicht ins EU-Ausland exportiert werden müssen, wird es zweckmäßig sein, die Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung ausdrücklich als „soziale und medizinische Fürsorge“ nach Art. 3 Abs. 5 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zu deklarieren (vgl. dazu auch Art. 70 Abs. 2 dieser Verordnung).

Mit freundlichen Grüßen
Für den Hauptverband: