COURAGE - PartnerInnen-, Familien- und Sexualberatungsstelle &

ÖGS – Österreichische Gesellschaft für Sexualforschung

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Wien, am 13. Juni 2008

 

 

 

 

Betrifft:           Entwurf zur zivil- und strafrechtlichen Regelung von Lebenspartnerschaften; Begutachtungsverfahren; Stellungnahme.

 

 

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

Zum Entwurf zur zivil- und strafrechtlichen Regelung von Lebenspartnerschaften geben die Beratungsstelle COURAGE und die ÖGS-Österreichische Gesellschaft für Sexualforschung folgende Stellungnahme ab:

 

 

Die heutigen Humanwissenschaften lassen eindeutig erkennen, dass Hetero-Sexualität und Homosexualität verschiedene Ausprägungen der einen vielgestaltigen menschlichen Sexualität sind. Homosexualität ist also nicht krankhaft, abnorm oder gar pervers, sondern eine Entwicklungsvariante und so auch eine Ausdrucksform menschlichen Lebens.

 

Den humanwissenschaftlichen Kenntnissen Rechnung tragend hat die WHO 1991 in der internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD-10) Homosexualität als Diagnose einer psychischen Störung ersatzlos gestrichen.

 

Homosexuell empfindende Menschen sind in unserer Gesellschaft nach wie vor Vorurteilen und Zerrbildern ausgesetzt, die nichts mit ihrer Lebensrealität zu tun haben und vielfach noch zu Diskriminierungen bis hin zu antihomosexueller Gewalt führen. Es gilt, die nach wie vor bestehenden Vorurteile  und vielfachen Formen anti-homosexueller Gewalt gegenüber Lesben und Schwule abzubauen und damit die psychischen und sozialen Belastungen, denen sie ausgesetzt sind, zu reduzieren. Da die über gleichgeschlechtlich Empfindende bestehenden Fremdbilder einen we-sentlichen Einfluss auf ihr Selbstbild und ihr Selbstwertgefühl ausüben, ist der Abbau von Vorurteilen wichtig für die psychische Gesundheit und ihre Lebensqualität.

 

Es ist ein Fakt, dass in Österreich die Selbstmordversuchsrate bei Homosexuellen siebenmal so hoch ist als bei Heterosexuellen. Hauptursache ist die mangelnde soziale Unterstützung! Über 90% aller Selbstmordversuche von gleichgeschlechtlich empfindenden Menschen geschehen im Alter zwischen 15 und 27 Jahren, also wäh-rend des oft sehr schmerzhaft erlebten Coming-out-Prozesses.

 

Veränderung ist nur möglich durch die rechtliche Gleichstellung und die Garantie sozialer Gleichwertigkeit, die sich in gleichen Rechten aber auch gleichen Pflichten für Lebenspartnerschaften zeigt – seien sie gleich- oder verschiedengeschlechtlich. Voraussetzung dafür ist, dass sich die österreichische Bundesregierung den heu-tigen Humanwissenschaften und somit den Grund- und Menschenrechten verpflichtet weiß.

 

Der österreichische Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick sagt, das Spra-che Wirklichkeit schafft. Gesetze sind niedergeschriebene Sprache. Das neue Le-benspartnerschaftsgesetz muss für gleichgeschlechtlich empfindende Menschen zu einer Wirklichkeit der Entpathologisierung und Normalisierung und somit zu einer Wirklichkeit der Würde und Gleichwertigkeit führen. Ansonsten ist es sinnlos, weil es nicht nur Vorurteile nicht abbaut, sondern erneut benachteiligt und diskriminiert und somit die vielfach schmerzvoll erlebten Lebensgeschichten von Homosexuellen in Österreich weiter schreibt. In diesem Sinn ist der Gesetzesentwurf zu überarbeiten und eine Generalklausel einzuarbeiten, die gleichgeschlechtliche Lebenspartner-schaften der staatlichen Ehe rechtlich gleichstellen.

 

Conclusio:

 

Will man den heutigen humanwissenschaftlichen Kenntnissen in der österreichischen Rechtssprechung Rechnung tragen und will man tatsächlich bestehende Vorurteile, Zerrbilder  und die vielfachen Formen antihomosexueller Gewalt gegenüber Lesben und Schwule abbauen, dann braucht es in Österreich dringend eine rechtliche Gleichstellung und die Garantie sozialer Gleichwertigkeit für gleichgeschlechtliche Partnerinnen und Partner. Dies ist letztlich nur durch die Öffnung der Zivilehe möglich. Entschließt sich die Politik jedoch für die Einführung eines eigenen Rechts-instituts für gleichgeschlechtliche Paare, so sind diesen „verpartnerten Paaren“ dieselben Rechte und Pflichten einzuräumen wie Ehepaaren.

 

Ein Punkt, den die Beratungsstelle COURAGE und die ÖGS im vorliegenden Le-benspartnerschaftsgesetz klar vermisst, ist die Adoption – sowohl die Stiefkindadop-tion als auch die Fremdkindadoption. Bleibt dies so, würde ein neues Vorurteil und Zerrbild gesellschaftlich geschürt werden, nämlich dass gleichgeschlechtliche Eltern-paare nicht befähigt sind, Kinder zu erziehen. Das widerspricht allen weltweit zur Verfügung stehenden Langzeitstudien, die klar aufweisen, dass Kinder lesbischer oder schwuler Eltern sich in intellektueller, emotionaler und sozialer Hinsicht vielmehr genauso entwickeln wie vergleichbare Kinder aus heterosexuellen Familien. In Bezug auf Empathie gegenüber anderen Menschen und Gleichberechtigung in der Partner-schaft lassen sie sogar eine größere Sensibilität erkennen. Die Studien zeigen auch übereinstimmend, dass die Geschlechtspartner-Orientierung der Kinder aus lesbi-schen und schwulen Partnerschaften sich nicht von Kindern aus heterosexuellen Partner-schaften unterschiedet, dass sie also nicht mehr oder weniger lesbisch oder schwul werden, sondern im Rahmen der Erwartungswerte der Gesamtbevölkerung liegen.

 

Kinder in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften sind bereits eine Realität. Nimmt man die zur Verfügung stehende statistischen Daten aus der Bundesrepublik Deutschland her und rechnet diese auf die Bevölkerungszahl Österreichs um, so muss es in Österreich ca. fünf- bis siebentausend Kinder geben, die in der ein oder anderen Form in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften permanent oder partiell leben. Für diese Kinder wäre es notwendig, mit dem neuen Lebenspartnerschafts-gesetz auch ein kinderfreundliches Gesetz zu schaffen.

 

 

 

Univ.-Lekt. Mag. Johannes Wahala

Psychotherapeut und Theologe

Leiter der Beratungsstelle COURAGE

Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Sexualforschung