Stellungnahme des ÖAMTC
zum Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem das Verkehrsopfer-Entschädigungsgesetz (VOEG) erlassen wird sowie das KHVG 1994, das EKHG, das Gaswirtschaftsgesetz, das KFG 1967, das Reichshaftpflichtgesetz, das Rohrleitungsgesetz, das VAG und das Bundesgesetz über internationales Versicherungsvertragsrecht für den Europäischen Wirtschaftsraum geändert werden.
zur Umsetzung der 5. Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungs-Richtlinie
(GZ. BMF-400201/0001-III/6/2007)
Der ÖAMTC begrüßt die termingerechte Umsetzung der Richtlinie 2005/14/EG (ABl L 149, 11.6.2005, in weiterer Folge kurz: 5. KH-RL).
Durch die gute Zusammenarbeit zwischen dem ÖAMTC und den zuständigen EU-Parlamentariern konnten schon im Gesetzgebungsverfahren in der EU wesentliche Vereinfachungen in der europaweiten Schadenregulierung sowie Verbesserungen für die Unfallopfer erreicht werden. Vor allem die nunmehrige Justizministerin Dr. Maria Berger setzte sich als Mitglied des Rechtsausschusses im EU-Parlament – im Zusammenwirken mit dem ÖAMTC – massiv für die Verbesserung der Rechtsstellung von Unfallopfern ein.
Der ÖAMTC ist mit der vorgeschlagenen Erhöhung der Versicherungssummen, die sich (nur) an der 5. KH-RL orientiert, nicht einverstanden. Die Interessen von schwerstverletzten Unfallopfern, die oft lebenslanger Dauerpflege bedürfen (mit monatlichen Kosten von bis zu € 50.000,-), bleiben unberücksichtigt. Vor allem eine Sachschadensdeckung von (nur) 1 Million Euro ist angesichts der immer wieder auftretenden Massenkarambolagen auf Autobahnen völlig unzureichend!
Im folgenden Besonderen Teil B dieser Stellungnahme beschäftigen wir uns ausführlich mit den Hintergründen der Beschlussfassung im EU-Parlament und zeigen schlüssig auf, weshalb die verschiedentlich geäußerte Sorge, eine Anhebung der Versicherungsdeckung auf die vom ÖAMTC seit Jahren massiv geforderte Summe von 10 Millionen Euro könnte zu unangemessen hohen Prämienerhöhungen führen, unbegründet ist.
Außerdem weisen wir in unseren Anmerkungen zu § 6 Abs 2 VOEG auf eine nach unserer Ansicht lückenhafte Umsetzung der 5.KH-RL hin: Die Beschränkung der Leistungen des Garantiefonds auf Schäden durch Unfälle auf Straßen mit öffentlichem Verkehr widerspricht den Intentionen der Richtlinie.
Der ÖAMTC fordert außerdem die richtlinienkonforme Umsetzung im Hinblick auf die automatische Übermittlung von sämtlichen notwendigen grundlegenden Unfalldaten (inklusive der Polizeiprotokolle). Die Einrichtung einer zentralen Auskunftsstelle, der alle relevanten Daten zugeleitet werden müssen wurde - unterstützt durch Anträge österr. MEPs - in die RL aufgenommen. Die Forderung nach besserem Zugang der Geschädigten zu Unfallprotokollen wird ausführlich in Teil C Z 1 der vorliegenden Stellungnahme begründet.
Es soll an dieser Stelle den beiden federführenden Ministerien (BMJ und BMF) für die konstruktive Erörterung der umzusetzenden Materie im Rahmen mehrerer Sitzungen des „Ausschusses für die Kfz-Haftpflichtversicherung“ Dank ausgesprochen werden. Der ÖAMTC verbindet damit die Erwartung, dass die Ergebnisse des Begutachtungsverfahrens vor Erstellung einer Ministerratsvorlage im gleichen Gremium eingehend erörtert werden.
Zu Artikel I - VOEG
Der ÖAMTC erachtet die Neustrukturierung des schon unübersichtlich gewordenen VOEG im Sinne der leichteren Handhabung des Gesetzes für sehr sinnvoll.
Zu § 5 Abs 1, Entschädigung der Sachschäden bei Fahrerflucht
Bisher war der Ersatz von Sachschäden nach Fahrerflucht-Fällen ausgeschlossen. Nunmehr hat der Garantiefonds Sachschäden jedenfalls dann zu ersetzen, wenn beim selben Unfall eine Person schwer verletzt oder getötet wurde. Erfreulich ist zwar, dass der nach der RL mögliche Selbstbehalt von 500 Euro nicht ausgeschöpft wurde, sondern man sich mit 220 Euro begnügt. Bekanntlich fordert der ÖAMTC jedoch einen Ersatz in diesen Fällen ohne jeglichen Selbstbehalt (das gilt auch für die anderen angeführten Selbstbehaltsfälle), weil dieser jeder sachlichen Grundlage entbehrt. Ein Versicherungsbetrug ist durch das zusätzliche Erfordernis des Vorliegens einer schweren Körperverletzung iSd § 84 Abs 1 StGB ohnehin nicht zu befürchten.
Erfreulich ist außerdem, dass im Falle eines Unfalls mit einem trotz Versicherungspflicht nicht versicherten Fahrzeuges unter Berücksichtigung des neuen § 6 VOEG kein Selbstbehalt mehr vorgesehen ist.
Abs 1: Die Gleichstellung von bestimmten Arten von Fahrzeugen oder Fahrzeugen mit besonderen Kennzeichen, die iSd § 1 Abs 2 und 2a KFG 1967 von der Versicherungspflicht ausgenommen sind, mit solchen Fahrzeugen, die trotz grundsätzlicher Versicherungspflicht nicht versichert sind, ist im Interesse der Verkehrsopfer uneingeschränkt zu begrüßen, insbesondere, da diese EU-weite Änderung auf eine langjährige Forderung des ÖAMTC zurückgeht.
Nicht geklärt ist jedoch der Versicherungsschutz für Fahrzeuge der ausländischen (insbesondere der US-) Streitkräfte, die z.B. im Rahmen von Fahrten für KFOR, SFOR etc. in Österreich Verkehrsunfälle verursachen. Auch dem österreichischen Versicherungsverband liegen keine Informationen darüber vor, ob (wie vor Jahren ins Auge gefasst wurde) durch Verträge zwischen den ausländischen Militärbehörden und der Republik Österreich eine zivilrechtliche Haftung für derartige Schäden gegeben ist. Falls solche Verträge (beim BMAA oder BMLV) existieren sollten, wäre die Republik Österreich per Gesetz zu verpflichten, eine diesbezügliche Information sowie Auskünfte im Einzelfall an die Auskunftsstelle iSd §§ 31a und 31b KHVG weiterzuleiten.
Abs 2: Nach den Erläuternden Bemerkungen soll die Leistungspflicht auf solche Schäden beschränkt werden, die auf Straßen mit öffentlichem Verkehr eintreten. Der ÖAMTC lehnt diese Einschränkung kategorisch ab, da damit der Intention der RL (Schutz der durch solche Fahrzeuge zu Schaden gekommenen Personen) widersprochen wird. Die RL verlangt in Art 1 Z 3 lit b iVm Erwägungsgrund 8 eine ebensolche Absicherung der Geschädigten, wie wenn der Schaden durch ein trotz Versicherungspflicht nicht versichertes Fahrzeug entstanden wäre. Auf die möglichen haftungsrechtlichen Folgen für die Republik Österreich bei einer unvollständigen Umsetzung der RL soll bereits jetzt hingewiesen werden.
Zu § 12, Hinweispflicht
Die vorgeschlagene Verpflichtung der Sicherheitsorgane, Geschädigte auf ihre Ansprüche gem VOEG hinzuweisen wird vollinhaltlich im Sinne der Verbesserung der Rechtsstellung der Unfallopfer begrüßt.
Zu Artikel II - KHVG-Novelle
Zu Z 2, Entfall des § 1 Abs 3:
Die durch den Entfall dieser Bestimmung erreichte Gleichstellung der Fahrzeuge gem § 59 Abs 2 KFG hinsichtlich der gem § 9 KHVG geltenden Mindestdeckungssummen ist zu begrüßen.
Zu Z 3, Änderung des § 9: Erhöhung der gesetzlichen Mindestdeckungssummen
Der vorliegende Gesetzesentwurf folgt hinsichtlich der vorzuschreibenden Mindestversicherungssummen den Mindestvorgaben der 5. KH-RL und sieht (für PKW) pauschal 5 Mio Euro für Personenschäden und 1 Mio Euro für Sachschäden vor. Bereits bei den in den letzten Jahren im Ausschuss für die Kfz-Haftpflichtversicherung (vulgo „Weisenrat“) geführten Gesprächen hat der Vertreter des ÖAMTC stets auf die Notwendigkeit wesentlich höherer Mindestdeckungssummen hingewiesen und dies mit zahlreichen Beispielen für Großschäden im In- und Ausland belegt (wir verweisen nur auf den Brand im Tauerntunnel!).
Durch gemeinsam mit den Vertretern anderer europäischer Automobilclubs mit den Abgeordneten des EU-Parlaments geführte Gespräche gelang es, diese von der Erforderlichkeit ausreichend hohen Versicherungsschutzes zu überzeugen und der Rechtsausschuss (mit MEP Dr. Maria Berger) schlug für Personenschäden 10 Mio Euro und für Sachschäden 5 Mio Euro vor. Leider bewiesen verschiedene Staatenvertreter im Rat wesentlich weniger Weitblick, sodass in der Richtlinie – als Kompromiss – die obigen Beträge (als EU-Minimum) vorgeschrieben wurden.
Österreich hat sich in punkto Schutz von Unfallopfern seit Jahren über dem EU-Mindeststandard befunden. Für den ÖAMTC ist daher die Festlegung von 10 Mio Euro (pauschal für Personen- und Sachschäden) das gerade noch akzeptierbare Minimum. Zahlreiche österreichische Versicherer bieten seit Jahren (aufpreisfrei) 10 Mio Euro als Standardschutz an, manche bereits 15 Mio Euro.
Als Gegenargument wird immer angeführt, die Versicherungen könnten eine solche Deckungssumme für – unangemessen hohe – Prämienerhöhungen nützen und dadurch die Kraftfahrer verärgern. Wer die Risikobeurteilung von Rückversicherungen kennt und weiß, wie gering das Risiko ist, dass die – derzeitigen – Summen von 3 Mio Euro durch einen Schaden überstiegen werden (max 10 Fälle pro Jahr), kann die minimale Mehrprämie abschätzen (und dabei ist noch die Aufteilung auf die Gesamtzahl der versicherten Risken von 5,5 Mio Kfz zu berücksichtigen).
Vor allem macht uns aber die derzeitige Situation am österreichischen Versicherungsmarkt sehr optimistisch, dass es nur zu kaum spürbaren Prämienerhöhungen kommen kann: „Angesichts sinkender Wachstumsraten ist mit heftigen Preisschlachten zu rechnen....“, „die Schadenshäufigkeit geht zurück“, „durch massiven Preiswettbewerb sind Preissenkungen von durchschnittlich 5 Prozent zu erwarten“....., heißt es aus der Versicherungsbranche.
Angesichts dieser Marktsituation kann es sich wohl kein Versicherer leisten, eine unangemessen hohe Prämienerhöhung vorzunehmen, weil er durch Kündigungen sofort Marktanteile verlieren würde.
Die vom ÖAMTC präferierte Pauschalsumme von – zumindest – 10 Mio Euro würde uns endlich an den schon seit Jahren bestehenden nord- und westeuropäischen Standard heranbringen. So betragen die Mindestdeckungssummen z.B. in Dänemark rund 15 Millionen Euro, in Schweden 32 Millionen Euro und Finnland, Frankreich, Großbritannien, Irland und Norwegen haben hinsichtlich der Personenschäden unlimitierte Summen vorgesehen. In Belgien und Luxemburg ist generell für Personen- und Sachschäden ein unbegrenzter Versicherungsschutz garantiert. Trotzdem bewegen sich die Versicherungsprämien in den genannten Staaten auf einem durchaus vergleichbaren Niveau.
Sowohl für Verkehrsunfallopfer als auch für den Schädiger bedeuten höhere Deckungssummen die Möglichkeit, trotz eines tragischen Unfalls nicht in eine gesellschaftliche, soziale und wirtschaftliche Misere zu geraten.
Es ist zu begrüßen, dass von einer Anpassung der Versicherungssummen an die Entwicklungen des EVPI abgesehen wird. Vielmehr sollte auf EU-Ebene die Höhe der Mindestdeckungssummen in etwa 5-jährigen Abständen überprüft und gegebenenfalls angepasst werden.
Der ÖAMTC begrüßt, dass bei der Umsetzung der 5.KH-RL in Österreich die Übergangszeit für die Anpassung der Mindestdeckungssummen nicht ausgenützt wird. Im Sinne der barrierenfreien Mobilität innerhalb von Europa ist zu hoffen, dass möglichst rasche jene Mitgliedstaaten mit noch niedrigerem Deckungsschutz ihre Summen auf diesen Mindeststandard anheben.
Zu Z 4, Änderung des § 14b Abs 2, Prämienerhöhungen frühestens ein Jahr nach Versicherungsbeginn
Die vorgeschlagene Änderung des § 14b Abs 2 KHVG, wonach nunmehr Prämienerhöhungen frühestens ein Jahr nach Vertragsabschluss zulässig sind, ist aus der Sicht der Verbraucher uneingeschränkt zu begrüßen.
Zu Z 5, Änderung des § 16, Schadensverlaufsbestätigung
Diese Änderung, wonach Versicherungsnehmer, die mit einem anderen Versicherungsunternehmen eine neue Kfz-Haftpflichtversicherung abschließen möchten, nunmehr jederzeit eine Bestätigung über bisherige Schadensfreiheit oder eine Bescheinigung über den Schadensverlauf während des alten Vertrages beantragen können, wird begrüßt. Die verkürzte Frist gegenüber der Vorgaben in der Richtlinie ist erfreulich. Leider besteht auf einem freien Markt keine rechtliche Verpflichtung, eine im Ausland erworbene Prämienstufe bei einem Versicherungsvertrag in Österreich anzuerkennen.
Gegen die Änderung, wonach Versicherungsbedingungen nun nicht mehr in mindestens zehnfacher Ausfertigung an die FMA geschickt werden müssen, besteht kein Einwand, sofern gewährleistet ist, dass die Mitglieder des Ausschusses für die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung bei Bedarf Kopien (z.B. in elektronischer Form) erhalten.
Zu Artikel III - EKHG-Novelle
Verdoppelung der Haftungshöchstbeträge des EKHG
Der ÖAMTC erlaubt sich, auf die Entscheidung des EuGH C-348/98 vom 14.9.2000 hinzuweisen, wonach es den Mitgliedstaaten nicht gestattet ist, im Fall der Gefährdungshaftung Mindestsummen vorzusehen, die unter den Mindestdeckungssummen der KH-RL liegen.
Die derzeit im Entwurf vorgesehenen Haftungshöchstbeträge des EKHG sind daher auf die in Z 3 zur Novelle des § 9 KHVG genannten Summen anzuheben.
Zu Artikel V - KFG-Novelle
Zu Z 3, § 62 Abs 1 u 2
Der ÖAMTC erlaubt sich den Hinweis, dass der Passus, wonach „...beim Eintritt in das Bundesgebiet eine Grenzversicherung...“ abgeschlossen werden könne, überholt ist. Es besteht keine faktische Möglichkeit mehr, eine solche Grenzversicherung abzuschließen. Zwar bietet der ÖAMTC in Zusammenarbeit mit dem Versicherungsverband an einigen seiner Dienststellen die Möglichkeit zum Abschluss von Grenzversicherungen an, insbesondere wenn bei Einreise die Versicherungsdeckung abgelaufen ist. Aber aufgrund der gegebenen Faktenlage (keine EWR-Außengrenze) sollte eine klarstellende Formulierung gefunden werden.
Entschieden entgegen getreten werden muss der verschiedentlich geäußerten Ansicht, dass es entbehrlich sei, Art 6a der RL in nationales Recht umzusetzen. Diese Bestimmung sieht vor, dass die Mitgliedstaaten alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um die rechtzeitige Bereitstellung der für die Schadensregulierung notwendigen grundlegenden Daten an die Opfer, ihre Versicherer oder ihre gesetzlichen Vertreter zu erleichtern. Zwar verspricht ein Erlass des BMI und des BMJ künftig einen verbesserten Zugang zu wichtigen Unfalldaten. Der Erlass berücksichtigt aber fast ausschließlich die Bedürfnisse der Sozialversicherungsträger und lässt die Anliegen des „normalen Unfallopfers“ weitgehend unberücksichtigt. Ohne gesetzliche Verankerung wird der Zugang der Opfer zu wesentlichen Unfalldaten (insbesondere den Unfallprotokollen) daher unverändert mühsam sein.
Im Detail: Häufig stehen die Unfallakten der Polizei, der Staatsanwaltschaft oder anderer Behörden den Unfallopfern und den Versicherern in manchen EU-Mitgliedstaaten erst spät – wenn überhaupt – zur Verfügung. Dadurch verzögert sich die Regulierung von Unfallschäden. Die Kommission hat deshalb schon 1981 (!) eine Empfehlung an die Mitgliedstaaten gerichtet, um diesen misslichen Zustand zu beseitigen.
Diese Empfehlung
lautete: „Die Mitgliedstaaten veranlassen die Einleitung aller geeigneten
Schritte, um bei Kraftfahrzeugunfällen die Übermittlung von
Unfallprotokollen und sonstigen Unterlagen, die zur Regelung der
Schadensfälle durch die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungen erforderlich
sind, an die Beteiligten zu erleichtern.“
Die Empfehlung fand in den Mitgliedstaaten kaum Beachtung. Es war deshalb
erforderlich, den Gedanken wieder aufzugreifen und ihn in ähnlicher Form
in die 5. Richtlinie zu übernehmen.
Der EU-Gesetzgeber wollte mit der Einführung des Art 6a in die 5.KH-RL genau dieser Intention entsprechen. Im Text wird von der Bereitstellung von „für die Schadensregulierung notwendigen grundlegenden Daten“ gesprochen. Damit sind sicher nicht nur Basisdaten wie Name und Adresse der an dem Unfall beteiligten Personen sondern auch die zur Schadensabwicklung relevanten Protokolle gemeint. Sobald eine Versicherung erfährt, dass ein Unfall polizeilich aufgenommen wurde, lehnt sie - selbst bei Unfällen mit geringfügigen Sachschäden - die Liquidierung ohne Einsicht in die Unfallprotokolle ab.
Die Polizeiprotokolle werden in der Regel nur auf Aufforderung des Geschädigten kopiert, was oft mehrere Wochen dauert und die Abwicklung auch von Unfällen mit bloßem Sachschaden unnötig verzögert. Bei persönlicher Vorsprache der Geschädigten zwecks Akteneinsicht kommt es fallweise zur Verweigerung der Anfertigung von Kopien mit dubiosen Argumenten wie etwa: „Sie haben keinen Rechtsanspruch, weil sie nicht Partei sind.“ (was nach dem AVG leider stimmt). Oder: „Schicken Sie Ihren Anwalt, der erhält die Kopien“ und: „Wenden Sie sich an Ihre Versicherung, die erhält das Protokoll“. Wenden sich geschädigte ÖAMTC-Mitglieder an die ÖAMTC-Rechtsberatung, gelingt es meistens, die auskunftsunwilligen Behörden-Mitarbeiter zu einer Aushändigung des Protokolls zu „überreden“.
Der Zugang zu Unfallprotokollen ist besonders problematisch bei Verkehrsunfällen mit Personenschaden. Oft wird der Geschädigte gleich mit der Rettung mitgenommen und verfügt daher über gar keine Daten vom Unfallgegner. Es ist leider nicht selbstverständlich, dass der Geschädigte auf Anfrage (meist telefonisch) zumindest den Namen des gegnerischen Fahrzeughalters und das Kennzeichen bzw dessen Haftpflichtversicherung erhält. Das ist aber unumgänglich, um wenigstens eine Besichtigung des Kfz in die Wege leiten zu können. Oft hilft auch hier nur ein Anruf der ÖAMTC-Rechtsberater im Kommissariat. In der Regel verweigert die Polizei die Aktenkopien mit dem Hinweis, dass es sich bei Personenschäden um einen Gerichtsfall handle. Die Konsequenz ist, dass der Geschädigte oft zwei bis drei Monate wartet, bis der Akt schließlich bei Gericht ist. Dann bekommt der Geschädigte meist nur über seinen Rechtsanwalt Akteneinsicht und Aktenkopien. Wenn jedoch der Akt gerade beim medizinischen oder technischen Sachverständigen ist, kann das unter Umständen weitere zwei bis drei Monate Ungewissheit bedeuten.
Nach Ansicht des ÖAMTC ist das ein unhaltbarer Zustand, der dringend einer bürger- und opferfreundlichen Regelung bedarf.
Aufgrund dieser langjährigen negativen Erfahrung des ÖAMTC in der Schadensabwicklung wurde diese Problematik an den österr. MdEP Karas im Zuge der Lesungen zur 5.KH-RL herangetragen. Nach den Diskussionen im Parlament hat sich gezeigt, dass es in den meisten Mitgliedstaaten ähnliche Probleme bei der Protokollbeschaffung gibt. Selbst wenn es in (wenigen) Staaten keine Probleme mit dem Zugang zu Unfallprotokollen gibt, bleibt für den ausländischen Geschädigten die Schwierigkeit, jene Behörde (Gericht) ausfindig zu machen, bei der in den Akt Einsicht genommen werden kann. Deshalb wurde der Einführung einer Zentralstelle für die unkomplizierte Beschaffung sämtlicher relevanter Informationen (inkl. der Protokolle) im Plenum des EU-Parlaments vorbehaltlos zugestimmt.
Die Einrichtung von Zentralstellen neben den Auskunftsstellen gem Art 5 der RL ist der ausdrückliche Wunsch des EU-Gesetzgebers. Aus diesem Grunde müssen die innerstaatlichen Voraussetzungen zur automatischen Übermittlung von sämtlichen notwendigen grundlegenden Daten (inklusive der Polizeiprotokolle) geschaffen werden.
Zusammenfassend zu diesem wichtigen und unverzichtbaren Forderungspaket stellt der ÖAMTC fest, dass es schon sehr eigenartig anmutet, wenn zwar österreichische Abgeordnete im EU-Parlament mit ihren Vorschlägen zur Verbesserung der Rechtsstellung von Unfallopfern breites Gehör finden - der ÖAMTC (als Initiator dieses Beschlusses in Brüssel) aber „daheim“ auf taube Ohren stößt. Wir wollen die Bemühungen im Hinblick auf die bereits erwähnten Erlässe des BMJ und des BMF keineswegs in Abrede stellen, aber die Erfahrungen mit zahlreichen österreichischen Behördenvertretern in den letzten Jahrzehnten haben dem ÖAMTC eines Besseren belehrt – trotz diverser bestehender Erlässe. Nur die Einräumung eines gesetzlich fundierten Rechtsanspruchs auf raschen Zugang zu den Unfallprotokollen sowie die Einrichtung einer zentralen Auskunftsstelle bieten die Gewähr für eine dauerhafte Verbesserung und - last but not least - für eine richtlinienkonforme Umsetzung.
Des Weiteren erleichtern folgende Ergänzungen die Schadensabwicklung sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene:
2.) Entfall des § 333 Abs 3 ASVG
Der ÖAMTC
weist neuerlich darauf hin, dass das heftig kritisierte Arbeitgeber-Privileg
gem
§ 333 Abs 3 ASVG, das einen Schmerzengeldanspruch des verletzten
Dienstnehmers gegenüber dem Dienstgeber oder dem Aufseher eines Betriebes
ausschließt, endlich ersatzlos – jedenfalls für
Verkehrsunfälle - gestrichen werden sollte. Die Novellierung des EKHG
würde dafür einen guten Anlass bieten.
3.) Quotenvorrecht des Geschädigten
Ebenfalls von enormer Bedeutung für mehr Opfergerechtigkeit wäre es, den Ansprüchen des Geschädigten ein Quotenvorrecht gegenüber denen der Sozialversicherungsträger einzuräumen.
4.) Reform des EKHG
Die gesetzlichen Regelung der Gefährdungshaftung durch Kfz war viele Jahre lang – z.B. im Vergleich mit dem deutschen Straßenverkehrsgesetz – als vorbildlich zu bezeichnen. Allerdings ließ sich Österreich im Bezug auf Opferschutz in den letzten Jahren leider von Deutschland überholen. Wir halten es daher angesichts der Vielzahl von Anwendungsfällen nach Kfz-Unfällen nicht für akzeptierbar, auf die „große Reform“ des österreichischen Schadenersatzrechts zu warten (von der wir nach wie vor hoffen, dass sie im nächsten Jahrzehnt kommen wird). Zumindest die „Zwischenstufe“ z.B. die Regelung verschärfter Gefährdungshaftung (Details bei Christian Huber, Künftige Änderungen im deutschen und europäischen Schadenersatzrecht, ZVR 2002,38; sowie Huber, Die Reform des österreichischen Schadenersatzrechts, ZVR 2006/188) sollte bereits im Herbst 2007 zügig in Angriff genommen werden.
5.) Rasche, faire Schadensabwicklung
Leider hat sich während der vergangenen Jahre hinsichtlich der Verfahrensdauer bzw. der schnelleren Schadensabwicklung nichts zum Besseren verändert. Aus den Erfahrungen des ÖAMTC zeigt sich, wie wichtig eine rasche, faire Kompensation sowie eine Transparenz der Abwicklung durch verstärkte Kommunikation aller Beteiligten ist. In diesem Zusammenhang erscheint dem ÖAMTC ein Handbuch, das in den Niederlanden für alle bei der Schadensabwicklung Beteiligten Maximen aufstellt (der so genannte „Code of Conduct“) durchaus auch für die österreichische Schadensabwicklung nachahmenswert zu sein. Im Regierungsprogramm der SPÖ und ÖVP für die XXIII. Gesetzgebungsperiode wurde die raschere Liquidierung von Verkehrsunfällen als Ziel genannt. Nach Ansicht des ÖAMTC sollte dieses Ziel sofort in Angriff genommen werden. Gerne ist der ÖAMTC bereit, sein praktisches Know-How durch Mitarbeit bei den Verbesserungen anzubieten.
Mag. Verena Hirtler
ÖAMTC-Rechtsdienste