An das Bundesministerium

für Gesundheit, Familie und Jugend

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Wien, am 20. November 2008

 

 

Betrifft: Bundes-Kinder und Jugendhilfegesetz 2009 – B-KJHG 2009

Bezug: BMGFJ-421600/0037-II/2/2008

 

 

Zum Entwurf eines Bundesgesetzes über die Grundsätze für soziale Arbeit mit Familien und Erziehungshilfen für Kinder und Jugendliche (Bundes-Kinder und Jugendhilfegesetz – B-KJHG 2009) erlaubt sich die Kriminalitätsopferhilfe Weisser Ring folgende

 

 

S t e l l u n g n a h m e

abzugeben:

 

Die Neugestaltung des Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetzes stellt ein ambitioniertes Projekt dar, das in der vorliegenden Fassung weitgehend gelungen ist. Die UN-Konvention über die Rechte des Kindes (KRK) ist die geeignete und tragfähige Grundlage für dieses Gesetz. Viele Verweise auf die KRK und die meisten innovativen Ansätze finden sich leider nur in der Erläuterungen zum B-KJHG 2009. Um ihnen das notwendige Gewicht zu verleihen, sollten diese Überlegungen unmittel­bar in den Gesetzestext aufgenommen werden. Das geplante Gesetz schlägt sozusagen den richtigen Weg ein, geht jedoch meist nicht weit genug.

Der Weisse Ring nimmt im Folgenden lediglich zu einigen wenigen Aspekten des Gesetzes Stel­lung, die den Bereich des Opferschutzes und der Opferhilfe zumindest tangieren. Ansonsten schließt sich der Weisse Ring der Stellungnahme der Kinder- und Jugendanwaltschaften Österreichs an.  

 

1. Hauptstück

Recht auf Partizipation

Der Anspruch, der KRK zu entsprechen stellt hohe Anforderungen an den vorliegenden Gesetzes­entwurf. Wünschenswert erscheint in dieser Hinsicht, die Partizipation der Kinder und Jugendlichen stärker zu betonen. Die Beteiligung der Betroffenen ist ein wesentlicher Stützpfeiler der KRK. In Anbetracht dessen sollte dieses Prinzip auch dem Bundes Kinder- und Jugendhilfegesetz voran ge­stellt werden: Im 1. Hauptstück sollte neben dem Recht auf Erziehung auch das Recht auf Berück­sichtigung des Willens der betroffenen Kinder und Jugendlichen und auf deren Gehör verankert werden. Weiters sollte das Recht der Kinder und Jugendlichen aufgenommen werden, dass ihnen Entscheidungen verständlich erklärt werden.

Im Rahmen der Dokumentation sollten die Äußerungen der betroffenen Kinder und Jugendlichen verpflichtend festgehalten werden (§ 8 Abs. 1 B-KJHG 2009).

 

 

 

Recht auf Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe

Kinder und Jugendliche sollten einen durchsetzbaren Anspruch auf die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe zugestanden werden. Wird Kindern und Jugendlichen wie in § 1 B-KJHG 2009 ein „Recht auf Erziehung“ zugestanden, sollte dies nicht dadurch geschmälert werden, dass die Erläute­rungen gleichzeitig erklären, es gebe auf Grund dieser Bestimmung „keinen durchsetzbaren Rechts­anspruch“.

 

2. Hauptstück

Standards

Im Rahmen der fachlichen Ausrichtung sollte die Entwicklung und Festlegung fachlicher Standards stärker betont werden. Nach Möglichkeit sollten in die (Weiter-)Entwicklung ExpertInnen der Kin­der- und Jugendanwaltschaft eingebunden werden, aber auch ExpertInnen außerhalb der Kinder- und Jugendhilfeträger wie etwa Kinderschutzeinrichtungen, Frauenhäuser, Gewaltschutzzentren/In­terventionsstellen oder ExpertInnen aus Forschung und Lehre.

Vorgesehen sollte sein eine regelmäßige Überarbeitung und Anpassung der Standards, um neuen Entwicklungen und Erkenntnissen Rechenschaft zu tragen oder ganz einfach den Erfahrungen aus der Praxis.  Nach Möglichkeit sollte auch hier der KRK und ihrem Anspruch auf Partizipation ent­sprochen werden: Auch Jugendliche sollten in die Entwicklung von Standards in der einen oder an­deren Form eingebunden werden. Im Interesse der Rechtssicherheit sollten entsprechende Stan­dards österreichweit entwickelt werden.

In geeigneter Form sollten fachliche Standards auch kommuniziert werden, sei dies im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit (§ 3 Z 9 B-KJHG 2009) oder im Sinne einer Rückmeldung nach einer Gefähr­dungsmeldung durch Mitteilung Dritter.

 

Erziehungshilfen

In § 22 Abs. 3  B-KJHG 2009 ist das Gespräch mit betroffenen Kindern und Jugendlichen nur als eine mögliche Erkenntnisquelle zur Gefährdungsabklärung genannt. Ein solches muss jedoch in je­dem Fall zwingend vorgeschrieben sein (Art 12 KRK)!

Der Sprung zwischen der „Unterstützung der Erziehung“ durch ambulante Dienste (§ 25 B-KJHG 2009) und der „Vollen Erziehung“ (§ 26 B-KJHG 2009) scheint keine Zwischenschritte zu erlau­ben. Die Regelung spiegelt die derzeitige Praxis der Jugendwohlfahrt wider. Zur Erinnerung und Verdeutlichung sollte zwischen diesen beiden Paragraphen ein deutliches Signal gesetzt werden, dass die Jugendwohlfahrtsträger seit 1997 berechtigt sind, entsprechend § 215 Abs. 2 ABGB eine einstweilige („Gewaltschutz-“)Verfügung nach § 382b EO und deren Vollzug nach § 382d EO zu beantragen.

Gefährdungen des Kindeswohles gehen nicht zwingend von beiden Elternteilen aus. Bei der Abklä­rung und bei der Erstellung des Hilfeplans sollte obligatorisch berücksichtigt werden, ob ein Eltern­teil das Kind schützen kann und welche Unterstützung sie/er dafür braucht. 

 

3.     Hauptstück – Strafbestimmungen

 

Das Vorsehen einer Verwaltungsstrafe bei Nichteinhaltung der Mitteilungspflicht bei Verdacht der Kindeswohlgefährdung (§ 36 Abs. 1 Z 1 B-KJHG 2009) scheint der gewünschten Kooperation eher abträglich. Wie aus den Erläuterungen hervorgeht, steht es mit der Bereitschaft zur Kooperation ohnehin nicht zum Besten. Die Bestimmung sollte ersatzlos gestrichen werden. 

 


 

2.     Teil - Unmittelbar anzuwendendes Bundsrecht

 

Mitteilungen bei Verdacht der Kindeswohlgefährdung

In den Katalog des Absatz 1, der demonstrativ mögliche Gefährdungen aufzeigt, sollte auch das Miterleben von Gewalt an einem Elternteil aufgenommen werden. Studien zeigen, dass in 70% der Fälle, in denen Frauen Gewalt durch männliche Beziehungspartner erleben, auch die Kinder unmit­telbar von Gewalt betroffen sind. Darüber hinaus gefährdet bereits das „bloße“ Miterleben von Ge­walt Kinder und Jugendliche.

Die Erläuterungen zu § 37 B-KJHG 2009 beschwichtigen, es handle sich bei den Mitteilungspflich­ten lediglich um eine Neuformulierung und der Kreis der Meldepflichtigen werde nicht ausgeweitet. Grundsätzlich ist die Meldepflicht einer (im Zusammenhang mit dem 2. Gewaltschutzgesetz ange­dachten) Anzeigepflicht vorzuziehen. Dennoch sollte die Diskussion zu einer konkreten Gestaltung der Meldepflicht in den Fachkreisen weiter geführt werden und die Entscheidung darüber sollte nur unter Einbeziehung der Ergebnisse und der Expertise betroffener Institutionen getroffen werden.  Die derzeitige Ausgestaltung erscheint eher unglücklich, da zu weit (etwa im Bereich der außer­schulischen Jugendarbeit) und zu vage („Einrichtungen zur Beratung“). Unbedingt erforderlich ist überdies eine Angleichung an und Abstimmung mit anderen Regelungen der Anzeigepflicht. 

 

Überlegt werden sollte eine verpflichtende Rückmeldung auf Gefährdungsmeldungen. Eine solche könnte zumindest die namentliche Bekanntgabe der verantwortlichen Person beim Kinder- und Ju­gendhilfeträger umfassen sowie einen generellen Überblick über die standardisierte Vorgehensweise bei Gefährdungsmeldungen.     

Gegenüber Institutionen, mit denen im Interesse der Minderjährigen kooperiert wird, sollte der Hil­feplan – soweit sie bei dessen Erstellung nicht eingebunden waren – offen gelegt werden. Generell sollten multidisziplinäre Reaktionen auf Verdachtsfälle gefördert werden. Dazu erforderlich er­scheint ein Selbstverständnis der Jugendwohlfahrt als Drehscheibe. Die Vernetzung und strukturier­te Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsbereich, der Schule und anderen Institutionen sollte eine gesetzlich verankerte Schwerpunktaufgabe der Jugendwohlfahrt sein und nicht nur eine Randbe­merkung in der Erläuterungen zum Gesetz.    

 

Die Möglichkeit der Gefährdungsmeldung sollte auch dahingehend geprüft werden, ob sie in einer Form gestaltet ist, die auch Kindern und Minderjährigen selbst als Betroffenen zugänglich ist (dazu auch der KRK-Ausschuss 2001 und 2006).

 

Unabhängig davon sollte anlässlich der Novellierung überlegt werden, ob und wie eine bundesweite Lösung für die Probleme der Minderjährigen gefunden werden kann, die nach Österreich gehandelt werden oder die hier als unbegleitete Fremde als Opfer von Kinderhandel identifiziert werden könn­ten und sollten.

Darüber hinaus kann nicht oft genug betont und gefordert werden, dass die UN-Kinderrechtskon­vention in Österreich Verfassungsrang erreichen muss.  

 

 

 

 

 

HonProf. Dr. Udo Jesionek                                                               

Präsident