Eingebracht am 24.03.2010
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ENTSCHLIESSUNGSANTRAG
des Abgeordneten Albert Steinhauser, Freundinnen und Freunde
betreffend Reform des Maßnahmenvollzugs
Seit 1980 steigt der Anteil der im Maßnahmenvollzug
auf unbestimmte Zeit oder unbestimmte Zeit über die Haftzeit hinaus
Angehaltenen kontinuierlich an.
Befanden sich im Jahr 1980 210 Personen im Maßnahmenvollzug, waren es im
Jahr 2008 739 Personen. In den Jahren 2001 bis 2005 steigt die Zahl der
Maßnahmenvollzug Untergebrachten etwa im gleichen Ausmaß an, wie
die Zahl der Strafgefangenen. Während es aber seit 2005 zu einer
Stagnation bzw. zu einem Rückgang der Strafgefangenen kommt, hält das
Wachstum der im Maßnahmenvollzug Untergebrachten unvermindert an.
Mittlerweile befindet sich jeder zehnte Gefangene im Maßnahmenvollzug.
Die durchschnittliche Haftdauer von allen Gefangenen bleibt
in den Jahren 2001 bis 2008 mit einer durchschnittlichen Haftzeit von 18 bis 20
Monate relativ konstant. Im Gegensatz dazu ist die Haftdauer der im
Maßnahmenvollzug Untergebrachten im Zeitraum 2001 bis 2008 um fast 50%
Prozent, von durchschnittlich 3,5 Jahre auf über fünf Jahre, angestiegen.
Entlassungen aus dem Maßnahmenvollzug bleiben hingegen
hinter der Zahl der Einweisungen zurück. Im Jahr 2008 wurden nur 93
Personen aus dem Maßnahmenvollzug bedingt entlassen (bei 739
Angehaltenen!).
Steigende Zugänge bei gleichzeitig restriktiver
Entlassungspraxis sind für einen „Rückstau“ im
Maßnahmenvollzug verantwortlich.
Nicht zu vernachlässigen sind die Kosten der Anhaltung
im Maßnahmenvollzug, die im Gegensatz zum normalen Strafvollzug enorm
sind.
Es stellt sich die Frage, wie die Zahl und die Dauer der
Anhaltungen im Maßnahmenvollzug gesenkt werden kann. Folgende Punkte sind
jedenfalls zu berücksichtigen:
- Zurechnungsunfähige geistig abnorme Rechtsbrecher (nach
§ 21 Abs 1 StGB Untergebrachte) sind psychisch krank, also
psychiatrisch behandlungsbedürftig und gehören nicht in den
Strafvollzug sondern in das Gesundheitssystem.
- Der Vollzug nach § 21 Abs 2 StGB wird seiner
ursprünglichen Idee nicht mehr gerecht. Oftmals erfolgt während
der Strafhaft noch keine Therapie, sondern erst danach, was die Dauer der
Anhaltung unnötig erhöht. Dabei wird bei Einweisungen in den
Maßnahmenvollzug nach § 21 Abs 2 StGB meistens die Diagnose
„Persönlichkeitsstörung“ gestellt, was eine
Krankheit darstellt und auch als solche zu behandeln ist. Die Behandlung
hat also mit der Einweisung zu beginnen und „state of the art“
zu erfolgen.
Am Ende der Behandlung bzw. nach
Vollzug der Freiheitsstrafe ist zu entscheiden, ob eine weitere ambulante
psychotherapeutische Behandlung oder eine stationäre Behandlung ein einem
Krankenhaus erfolgen soll. Keinesfalls ist nach Vollzug der Freiheitsstrafe
eine weitere Anhaltung in einer Justizanstalt gerechtfertigt.
Nach dem Vollzug der
Freiheitsstrafe entscheidet das Vollzugsgericht, ob von einem Fortbestehen der
besonderen Gefährlichkeit ausgegangen wird und ob dieser besonderen
Gefährlichkeit nur mit stationärer Unterbringung begegnet werden
kann. In diesem Fall hat die weitere Behandlung im Rahmen der Unterbringungsanhaltung
nach § 21 Abs 2 StGB in einem Psychiatrischen Krankenhaus zu erfolgen.
- Ein Hauptproblem im Hinblick auf die Qualität der
Gutachten ist die Bezahlung der Sachverständigen. Dazu kommt, dass eine
Qualifikation in forensischer Psychiatrie nicht notwendig ist und es keine
Mechanismen zur Qualitätssicherung psychiatrischer Begutachtung gibt.
- Entlassungen sind oft nicht möglich, da keine
Plätze in geeigneten Einrichtungen vorhanden sind. Die Justiz muss
daher selber die Nachbetreuung übernehmen.
- Genaue Definition der Kriterien für eine bedingte
Entlassung ist notwendig, da wenn der Ermessensspielraum enger ist, auch
die Richter vermehrt mitziehen.
- Derzeit gibt es für Untergebrachte in der
Maßnahme keine Ansprechperson, die ihre Rechte vertritt. Patientenanwälte
sind nicht zuständig, auch wenn sich die Untergebrachten in
psychiatrischen Krankenhäusern befinden. Ein Ausbau des individuellen
Rechtsschutzes sowie einer unabhängigen Kontrolle ist notwendig.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden
ENTSCHLIESSUNGSANTRAG:
Der Nationalrat wolle beschließen:
Die Justizministerin wird aufgefordert, dem Nationalrat eine
umfassende Novelle des Maßnahmenvollzugs vorzulegen, die folgende Punkte
jedenfalls berücksichtigt:
- Ersetzen des Begriffes „Geistig abnorm“ durch
„Rechtsbrecher mit Persönlichkeitsstörung“
- Überführung der nach § 21 Abs 1 StGB
Angehaltenen in das Gesundheitssystem, Anhaltung in geschlossenen
forensischen Abteilungen in Spitälern
- Schaffung einer eigenen Rechtsgrundlage in der Form eines
„Maßnahmeunterbringungsgesetzes“ für die nach
§ 21 Abs 1 StGB im Gesundheitssystem Angehaltenen
- Anlasstaten: Anhebung des Strafrahmens für
Einweisungen nach § 21 Abs 2 StGB auf 3 Jahre
- Unbedingter Beginn der Behandlung von nach § 21 Abs 2
Untergebrachten in Strafhaft => Kontrolle der Behandlung und des
Behandlungserfolgs durch Schaffung einer zentralen Zuständigkeit
- Nach Strafende hat hinsichtlich der nach § 21 Abs 2
StGB Untergebrachten das Vollzugsgericht zu entscheiden, ob von einem
Fortbestehen der besonderen Gefährlichkeit ausgegangen wird und ob
dieser besonderen Gefährlichkeit nur mit stationärer
Unterbringung begegnet werden kann. In diesem Fall hat die weitere Behandlung
im Rahmen der Unterbringungsanhaltung nach § 21 Abs 2 StGB in einem
Psychiatrischen Krankenhaus zu erfolgen.
- Schaffung einer funktionierenden Nachbetreuung
hinsichtlich der im Maßnahmenvollzug Angehaltenen durch den Bund
- Schaffung eines Lehrstuhles für forensische Psychiatrie
– Qualifikation in forensischer Psychiatrie als Voraussetzung
für Sachverständige.
- Neudefinition der Kriterien für eine bedingte
Entlassung.
- Schaffung eines Rechtsschutzbeauftragten für
Maßnahmenvollzug, der die Rechte von Maßnahmenpatienten
vertritt
- Einführung der Möglichkeit einer
Grundrechtsbeschwerde im Maßnahmenvollzug
In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Justizausschuss
vorgeschlagen.