1374/A(E) XXIV. GP

Eingebracht am 21.12.2010
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ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

 

der Abgeordneten Grünewald, Windbüchler-Souschill, Freundinnen und Freunde

 

betreffend Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit notwendigen Therapien

 

 

Das angeblich „weltbeste Gesundheitssystem"[1] zeigt beträchtliche Versorgungsdefizite, etwa, wenn es um die Therapie von Kindern geht. Lange Wartezeiten auf Therapieplätze, wenig kassenfinanzierte Angebote, hohe Selbstbehalte: Erst kürzlich wurde in einer Pressekonferenz[2] auf die gravierenden Versorgungsmängel bei Therapien für Kinder und Jugendliche aufmerksam gemacht. Ob Psycho-, Ergo-, Physiotherapie oder Logopädie: Es gibt in Österreich eine Zwei-Klassen-Medizin "von der Wiege an", zehn bis 15 Prozent der österreichischen Kinder und Jugendlichen würden im Laufe ihrer Entwicklung eine derartige Behandlung benötigen. Sie und Ihre Eltern müssen aber bis zu 24 Monate auf einen kassenfinanzierten Therapieplatz warten, was vor allem wegen der sehr engen Zeitfenster in der kindlichen Entwicklung fatal ist. Nach einer parlamentarischen Anfrage[3] an den zuständigen Gesundheitsminister Alois Stöger zu der Causa zeigt sich hier eine Situation, die „im internationalen Vergleich als beschämend bezeichnet werden muß"[4].

 

In den „Budgetberatungen“ im Parlament, wo am 14. Dezember 2010 die Untergliederung (UG) 24 (Gesundheit) des Bundesvoranschlags (BVA) 2011 am Arbeitsplan stand, wurde auch von Gesundheitsminister Stöger wieder Verständnis signalisiert. So sei auch seiner Ansicht nach die zunehmend häufiger werdende Verschreibung von Psychopharmaka an Jugendliche auf eine Mangelversorgung mit psychotherapeutischen Angeboten in einigen Gebieten Österreichs zurückzuführen. Ihm zufolge gelte es auch, die Rahmenbedingungen, die zu solchen Erkrankungen führten, zu verändern. Den Hauptverband der Sozialversicherungsträger sah BM Stöger gefordert, Gesamtverträge für den Bereich Psychotherapie abzuschließen. Er verfolge mit Nachdruck auch im kommenden Jahr die Nationalen Gesundheitsziele und -aktionspläne, hielt er fest, ein besonderer Schwerpunkt liege dabei auf dem Bereich Kindergesundheit[5].

 

Doch Österreich vernachlässigt seine Kinder und riskiert damit hohe Folgekosten.

 

Die Primaria des Ambulatoriums Sonnenschein, Dr.in Sonja Gobara, schilderte die Zustände bei der oben genannten Pressekonferenz in der Praxis: Die Nachfrage nach Therapien übersteige das Angebot bei weitem. Im Oktober 2010 warteten 779 Kinder auf einen kostenfreien Therapieplatz im sozialpädiatrischen Zentrum Sonnenschein in St. Pölten, vorübergehend mussten sogar Aufnahmestopps verhängt werden.

 

In Vorarlberg ist die Lage bundesweit zwar vorbildlich, im Vergleich mit anderen Ländern wie etwa Deutschland gibt es aber auch hier durchaus Optimierungsbedarf. So geben etwa die Pflichtversicherungen in Deutschland für die Psychotherapie von „Unter-18-Jährigen“ etwa dreimal so viel aus wie die heimischen Versicherungen (Daten auf unterschiedliche EinwohnerInnenzahlen abgeglichen). Die Gesamtkosten für eine flächendeckende Versorgung in Österreich würden sich auf rund 50 bis 70 Mio. Euro jährlich belaufen, schätzte Kinderarzt Dr. Rudolf Püspök.

 

Tatsache ist: Einzelne Entwicklungsdefizite wie beispielsweise das Sprachverständnis sind, gerade bei den Jüngsten, ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr nachzuholen. Darüber hinaus benötigen viele PatientInnen Mehrfachtherapien, die kaum noch angeboten würden. Die durch Unter- oder Fehlversorgung entstehenden Folgekosten (Chronifizierung von Erkrankungen, Schwierigkeiten in Schule und Arbeitsmärkten, Krankheitsprogression,  etc.) sind um ein Vielfaches höher als die Kosten, die durch den Ausbau der Angebote entstehen würden. Um diese nicht absehbaren Folgekosten zu verhindern, muss die flächendeckende Therapie auf Krankenschein, verbindliche Stufenpläne für die rasche Beseitigung der Versorgungsdefizite, eine Stärkung des ambulanten Bereichs und – zuallererst - eine umfassende Erhebung des Status quo umgehend erfolgen.

 

Diejenigen, die möglicherweise bereits in der Kindheit oder Jugend einer Unterstützung bedurft hätten, müssen nun endlich durch die bundesweite Umsetzung von Psychotherapie auf Krankenschein entlastet werden. Nur so wird gewährleistet, dass alle, die die Hilfe brauchen, sie auch bekommen. Das Kostenargument greift auch hier zu kurz, da die durch einen kontinuierlichen Anstieg von Krankenstandstagen, Arztbesuchen, stationären Aufenthalten und dem steigenden Konsum von Psychopharmaka verursachten Kosten liegen weit über jenen einer Psychotherapie auf Krankenschein liegen. Zudem kritisiert auch der Rechnungshof die zögerliche Umsetzung der seit Jahren dahindämmernden Psychiatriereform.

 

BM Stöger zeigt hier zwar Anteilnahme und Interesse an der Thematik, wolle "aber zuerst mit dem anfangen, was nichts kostet"[6]. Bevor diese verifizierte Unterversorgung nicht behoben wird, scheint es nicht legitim, von sanierten Kassen zu sprechen. Das ist Sparen am falschen Platz.

 

Ein weiterer Aufschub von substanziellen Verbesserungen in der Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit den laut ASVG der ärztlichen Behandlung gleichgestellten Therapien ist fahrlässig. Die Folgen tragen nicht nur die Betroffenen im Sinne verminderter Lebenschancen, sondern wir alle durch die daraus resultierenden hohen Folgekosten. Sinnvolle Investitionen in das Gesundheitssystem rechnen sich und ersparen schon mittelfristig Zusatzkosten.

 

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

 

 

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG:

 

 

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

 

 

Der   Bundesminister   für   Gesundheit   wird   aufgefordert,   dem   Nationalrat   eine

Regierungsvorlage    zuzuleiten,    welche    ein    flächendeckendes    Angebot  zur Versorgung von Kindern und Jugendlichen in Ergänzung und Erweiterung des bestehenden Angebotes sicherstellt. Diese soll folgendes beinhalten:

 

 

 

 

 

·        Anerkennung und Bezahlung von Elternbegleitung und Coaching des psychosozialen Umfelds ( Kindergarten, Schule).

 

·        Finanzierung der Schnittstellenarbeit (verbesserte Kooperation und Interdisziplinarität).

 

 

 

 

In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Gesundheitsausschuss vorgeschlagen.



[1] "Wiener Zeitung" Nr. 19 vom 29.01.2009 Von Walter Hämmerle; "Neue Kärntner Tageszeitung" vom 20.09.2009 "Alle reden von Reform, keiner will was zahlen" Von Claudia Grabner; "Wiener Zeitung" Nr. 228 vom 24.11.2010 „Wow! Sie bewegt sich doch“ Von Ernest G. Pichlbauer

 

[2] OTS0249 5 II 0094 FMB0005  Fr, 22.Okt 2010 AVISO: Donnerstag, 10.30 Uhr - PK Grünewald, Kinderarzt Püspök, Prim. Gobara zu Versorgungsdefiziten in der Kindergesundheit 

 

[3] Anfrage 5078/J, Anfragebeantwortung 4949/AB GPXXIV

[4] Tiroler Tageszeitung, Michael Sprenger, 29.10.2010: Hilferuf, weil sonst die Kinder „vergammeln"

[5] Aus der Parlamentskorrespondenz:

http://www.parlinkom.gv.at/PAKT/PR/JAHR_2010/PK1020/index.shtml

[6] APA: Grüne kritisieren "Zwei-Klassen-Medizin" bei Kindertherapien, APA0376 5 CI 0408 II; Do, 28.Okt 2010