1963/A(E) XXIV. GP

Eingebracht am 16.05.2012
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

 

der Abgeordneten Scheibner, Bucher

Kolleginnen und Kollegen

betreffend Österreich neu bauen - umfassende Staats- und Parlamentsreform

 

 

Die immer deutlicher spürbar werdenden Mängel der österreichischen Staats- und Verwaltungsstrukturen sind seit Jahrzehnten bekannt. Österreich ist auf allen Ebenen in Bund, Ländern und Gemeinden viel zu kompliziert, teuer und ineffizient organisiert und verwaltet. Doch der ernsthafte politische Wille zu Reformen fehlt: Bisher scheiterten alle Versuche einer dringend notwendigen Staatsreform an der beharrlich betriebenen Besitzstandswahrung und dem eigennützigen Machterhalt einer Vielzahl von Funktionsträgern und Interessengruppen – zulasten der zentralen Lebensinteressen und der demokratischen Grundrechte der Bürger.

Haupthindernis einer erfolgreichen Staatsreform war und ist die fortgesetzte Fehlentwicklung in der Umsetzung des föderalistischen Grundprinzips. Ohne Reformen in diesem Bereich kann ein modernes, zukunftsfähiges Staatswesen nicht funktionsgerecht, d. h. kostengünstig, sinnvoll, bürgernah und demokratisch, organisiert werden. Sparmaßnahmen sind nur linear, d. h. zum weiteren Nachteil der Österreicher, möglich. Die gefühlsmäßige Verbundenheit der Bürger mit ihrer Heimatgemeinde und ihrem Heimatbundesland muss erhalten bleiben. Sie darf aber nicht länger dazu missbraucht werden, um überholte, organisatorisch unsinnige, rein macht- und einflusspolitische Strukturen von Politik und Verwaltung aufrechtzuerhalten.

Die Österreicher haben ein Anrecht darauf, dass sich Staat und Politik der Aufgabe einer Erneuerung ihrer Strukturen stellen, um endlich eine wirksame und demokratische Vertretung der Bürgerinteressen auf allen Ebenen zu ermöglichen sowie eine schlanke, funktionsgerechte, kostengünstige und zeitgemäße Verwaltung sicherzustellen. Nicht alle Materien sind beim Staat am besten aufgehoben: Staatliche Kompetenz- und Verantwortungsbereiche sind zu hinterfragen und abzubauen. Und: Es braucht weniger, aber bessere Gesetze. Gesetzesmaterien sind auf ihre Qualität, Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit zu prüfen.

Gewachsene demokratiepolitische Defizite müssen dringend beseitigt werden. Die steigende Zahl von alternativen Protest- und Bürgerorganisationen belegt, dass die bestehenden politischen Strukturen trotz der teuren Heerscharen von Funktions- und Mandatsträgern (wie zehntausende Gemeinde- bzw. Bezirksräten, 448 Landtagsabgeordneten, 62 Bundesräten, 183 Nationalratsabgeordneten, 76 Landesregierungsmitgliedern sowie 18 Bundesministern und Staatssekretären) von den Bürgern als unbefriedigend empfunden werden. Wenn etwa Landtage nur zweimal im Halbjahr tagen oder Gesetze nicht einmal selbstständig im Nationalrat entwickelt werden können, weil dieser gar nicht über die nötige personelle Ausstattung an legistisch geschultem Personal verfügt und die Bundesregierung oder oft sogar sozialpartnerschaftliche Neben­regierungen wie Kammern und Gewerkschaften oder sonstige Interessenvertretungen und Lobbyisten die im Parlament zu beschließenden Gesetzesvorlagen liefern, dann ist dies einer ernst zu nehmenden und qualitätsvollen Demokratie schlichtweg unangemessen.

Es muss die gemeinsame Verpflichtung aller sein, jetzt damit zu beginnen, rechtzeitig einen funktions­gerechten Staat zu schaffen, um den Druck der stetig wachsenden und uns in allen Themenbereichen immer massiver begegnenden Herausforderungen erfolgreich bewältigen zu können.

Besser, billiger und demokratischer: „Österreich neu bauen“ bedeutet nach dem Modell des BZÖ für eine umfassende Staats- und Parlamentsreform die Schaffung eines modernen, schlanken und funktionsgerechten Staatswesens, welches die politische Partizipation der Bürger dort sicherstellt, wo er sie benötigt. Schaffen wir effiziente und kostengünstige staatliche Strukturen, welche nicht nur den politischen Machtmissbrauch eindämmen, sondern Verwaltungsapparate und politische Gremien entscheidend reduzieren.

Die unterzeichneten Abgeordneten stellen daher nachfolgenden

 

Entschliessungsantrag

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

“Der Bundeskanzler wird aufgefordert, dem Nationalrat eine Novelle zum Bundes-Verfassungsgesetz über eine umfassende Staats- und Parlamentsreform vorzulegen, die folgende Mindestanforderungen erfüllt:

1. Parlament aufwerten.

Österreich braucht ein starkes Parlament. Die Gesetzgebung erfolgt grundsätzlich durch den nach dem Verhältniswahlrecht in den bestehenden Wahlkreisen von der Bevölkerung bundesweit gewählten Nationalrat. Dieser wird als Gesetzgebungsorgan vollwertig mit einem Legistik-, Verfassungs- und Budgetdienst ausgestattet und damit in seiner Unabhängigkeit von der Vollziehung gestärkt. Der Nationalrat bildet zusammen mit dem Bundessenat, der anstelle des Bundesrates eingerichtet wird, das Parlament.

2. Bundespräsident abschaffen.

Der vom Nationalrat gewählte Nationalratspräsident vertritt Österreich gleichermaßen als Präsident nach außen, dient als „Staatsnotar“, erhält ein Notverordnungsrecht und wahrt die Staatsräson. Sein Sitz im National­rat wird nach seiner Wahl nachbesetzt, er besitzt lediglich ein Rede-, aber kein Stimmrecht im National­rat.

3. Nationalrat wählt Regierung.

Der Nationalrat wählt den Bundeskanzler. Dieser hat ein Vorschlagsrecht für die Bundesminister, die ebenfalls vom Nationalrat gewählt werden. Anzahl und ressortmäßige Aufgaben- und Verantwortungsbereiche der Bundes­ministerien sind neu zu diskutieren und zu hinterfragen, Ziel muss eine nachhaltige Straffung bundes­staatlicher Verantwortlichkeiten und Aufgaben sein.

4. Landtage und Landesregierungen abschaffen.

In den Ländern, die als administrative Einheiten mit eigenem Wirkungsbereich erhalten bleiben, werden in einer Persönlichkeitswahl jeweils zwei Senatoren pro Regionalwahlkreis (43) direkt gewählt. Sie treten für die politischen Entscheidungen auf Landesebene als Landessenat zusammen. Als Bundessenat bildet die Hälfte der Senatoren der neun Landessenate die zweite Kammer des Parlaments. Der Landessenat besitzt Ver­ordnungskompetenz und übt die Kontrolle im eigenen Wirkungsbereich aus. Landesgesetzliche Kompetenzen bestehen nicht, Senatoren und Landessenate sind jedoch über den Bundessenat in die Bundes­gesetzgebung eingebunden.

5. Landeshauptmann direkt wählen.

Die direkt von der Bevölkerung persönlich gewählten Landeshauptleute führen jeweils den Vorsitz im Landes­senat und besitzen Entscheidungskompetenz im Wirkungsbereich des Landes. Sie vertreten ihr Bundesland nach innen und außen.

 

6. Gemeinden stärken, Bürgermeister direkt wählen.

Die politische Willensbildung in den Gemeinden erfolgt durch eine gewählte Gemeindevertretung. Der Bürgermeister wird direkt gewählt. Verwaltungstechnisch sind die Gemeinden erste Anlaufstellen für die Bürger. Ihre Aufgaben sind nur im eigenen Wirkungsbereich hoheitliche. Gemeinden (und Bezirke) sollen (innerhalb einer Bandbreite für unvermeidbare räumliche und historische Abweichungen) nach skandinavischem Muster eine bestimmte Mindestgröße aufweisen.

 

7. Mehr direkte Demokratie.

Das Recht geht vom Volk aus. Die direkte Demokratie ist daher vor allem dort zu stärken, wo Bundes­ver­fassung und Lebensinteressen (EU, Gentechnik etc.) berührt werden, und dort, wo der Bürger unmittelbar auch die Verantwortung für seine Partizipation trägt (Anlagenverfahren, Verkehrswege, Investitionsent­scheidungen etc.). Grundsätzlich müssen politische Entscheidungen transparenter gestaltet, die Mitbestim­mungs­rechte der Bürger insbesondere durch „Internet-Volksbegehren“ gestärkt werden. Volksbegehren mit mehr als 400.000 Unterstützern sollen automatisch eine Volksbefragung bzw. Volksabstimmung erzwingen.

8. Wahltermine zusammenlegen.

Die Wahltermine werden zu je einem Wahltag für den Nationalrat und einem für Landessenat, Landes­haupt­mann, Bürgermeister und Gemeinderat zusammengelegt. Die aus partei- und machtpolitischen Gründen betriebene Unsitte der vorzeitigen Auflösung des Nationalrats wird deutlich erschwert. Dafür ist eine Zwei­drittelmehrheit erforderlich.

9. Straffe Verwaltung, klare Kompetenzen.

Der Bund ist mit den dafür erforderlichen Behörden allein für die Vollziehung zuständig. Damit ist eine gleichmäßige und einheitliche Rechtsanwendung in ganz Österreich sichergestellt. So wird eine bürgernahe, schlanke Behördenstruktur mit höherer Entscheidungsqualität und -geschwindigkeit und niedrigeren Kosten geschaffen. Die Verwaltung wird nach dem Grundsatz „So nah am Bürger wie möglich, aber so zentral wie nötig“ organisiert. Die Gemeinde ist für alle Verfahren Anlaufstelle der Bürger, sie berät und nimmt Anträge entgegen. Die Bezirksverwaltungsbehörden bzw. Bezirkshauptmannschaften sind grundsätzlich die Bundes­behörden erster Instanz, wobei nach Maßgabe von Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit „Kompetenzzentren“ geschaffen werden können. Der Rechtszug geht an die entsprechend übergeordnete Behörde bzw. an das Bundesministerium und an Verwaltungsgerichte. Grundsätzlich bestehen daneben keine eigenständigen Sonderbehörden. Es besteht nur ein Dienstrecht für den öffentlichen Dienst. Gemeindebedienstete sind privatwirtschaftlich beschäftigte Arbeitnehmer.

10. Optimierte Finanzen.

Der Bund ist für die Finanzierung der ihm obliegenden Aufgaben der Gesetzgebung und Vollziehung zuständig. Länder und Gemeinden finanzieren ihre darüber hinausgehenden Agenden eigenverantwortlich (Gebühren und Abgaben). Innerhalb der gestrafften Verwaltungsebenen und Kompetenzstrukturen können Kosteneinsparungen lukriert und die Bürger nachhaltig entlastet werden. Dies gilt besonders für Stabilitätspakt und Finanzausgleich.“

In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Verfassungsausschuss beantragt.

 

Wien, am 16. Mai 2012