2018/A(E) XXIV. GP

Eingebracht am 27.06.2012
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ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

 

 

der Abgeordneten Dr.in Gabriela Moser, Freundinnen und Freunde

 

betreffend Eindämmung des Verkehrssicherheitsproblems "Handy am Steuer"

 

 

Telefonieren am Steuer beeinträchtigt die Verkehrssicherheit gravierend. Zugleich ist es auch ein tägliches Ärgernis für unzählige VerkehrsteilnehmerInnen und auch für viele Kfz-LenkerInnen selbst, wie die Forderung von 62% der FührerscheininhaberInnen (!) nach Aufnahme als Delikt ins Führerschein-Vormerksystem unterstreicht.

 

Telefonieren am Steuer ohne Freisprecheinrichtung ist zwar schon seit 1999 verboten. Von diesem Formalakt abgesehen wird jedoch mit der Eindämmung dieses Problems in Gesetzgebung, Vollziehung, Öffentlichkeits- und Bewusstseinsarbeit sehr zurückhaltend umgegangen, trotz offenkundig weit verbreiteter Missachtung des Verbots.

Einzige konkrete rechtliche Maßnahme der letzten Jahre war die Erhöhung des Strafsatzes für die Verwaltungsübertretung „Telefonieren am Steuer ohne Freisprecheinrichtung“ von 25 auf immer noch günstige 50 Euro (29. KFG-Novelle, BGBl. I Nr. 6/2008).

Im europäischen Ausland sind die Strafen vielfach höher, auch in nahezu allen Nachbarstaaten Österreichs, und/oder mit Zusatzsanktionen wie Punkteführerschein-Punkten kombiniert. In mehreren Ländern wurden die Strafen zudem zuletzt spürbar erhöht, etwa in Frankreich von 35 auf 135 Euro.

Die Verdopplung der Strafe auf 50 Euro bei uns blieb jedenfalls wirkungslos: „in flagranti“ im Zuge einer Anhaltung erwischt zu werden ist gemäß KFG immer noch Voraussetzung für eine Bestrafung, das Risiko einer solchen Anhaltung ist aber sehr gering, was zusammen mit dem zurückhaltenden Strafsatz keine Abschreckungswirkung ergibt.

 

Infolge dessen ist die Situation beim Verkehrssicherheitsproblem „Handy am Steuer“ seit Jahren unverändert brisant:

Das KfV berichtete bereits vor über zwei Jahren von Studienergebnissen, wonach 78% der KfZ-LenkerInnen zumindest gelegentlich am Steuer telefonierten, wobei nur 46% überhaupt eine Freisprecheinrichtung besaßen. Im Vergleich 2004->2009 habe das SMS-Lesen während der Fahrt von 11 auf 32%, das SMS-Schreiben von 2 auf 14% zugenommen. Die Nichtblinker-Rate unter den Handy-Telefonierenden am Kfz-Steuer betrug 75%, die Nichtbrems- und Nichtanhalterate bei querenden FußgängerInnen 70% - eine dramatische Situation für die schwachen Verkehrsteilnehmer, so das KfV.

Andere Studien zeigten weitere erschreckende Fakten auf: Telefonieren ohne Freisprechanlage bringt 40% mehr Fahrfehler, mit Freisprechanlage immer noch 28% mehr Fehler. Das Unfallrisiko wird beim Telefonieren am Steuer verfünffacht, beim SMS-Schreiben mindestens versechsfacht, was einer schweren Alkoholisierung entspricht, bei LKW-LenkerInnen bis zu verdreiundzwanzigfacht. In den 15 Minuten nach dem Beenden der Handy-Nutzung bleibt noch immer ein vierfach erhöhtes Unfallrisiko. Nach Studien aus Großbritannien und Australien entspricht die Ablenkungswirkung bei Telefonieren am Kfz-Steuer derjenigen mit 0,8 Promille, mit Freisprecheinrichtung nur wenig geringer. Eine Studie der US-Universität Harvard ergab Handy am Steuer als Ursache oder Mit-Ursache bei 15-20% aller Verkehrstoten. Ablenkung ist BMI-Angaben zufolge auch in Österreich mit ähnlich hohen Werten dritthäufigste Ursache tödlicher Verkehrsunfälle.

Es ist auch auf Studien zu verweisen, die für Kfz-LenkerInnen auch beim Telefonieren mit Freisprecheinrichtung einen maßgeblichen Ablenkungseffekt und eine nicht wesentlich geringere Beeinträchtigung ergaben.

 

Die spärlichen aktuelleren Zahlen aus Österreich deuten ebenso wie die alltagspraktische Erfahrung im Verkehrsgeschehen auf eine Verschärfung der Problematik Handy am Steuer hin. So hielt KfV-Chef Dr. Thann im Juni 2012 in Medien fest, dass nach wie vor jede/r zweite telefonierende und damit insgesamt jede/r dritte Kfz-LenkerIn trotz Verbot häufig oder fallweise mit dem Handy am Ohr lenkt, bei den Unter-Vierzig-Jährigen – die zB überproportional häufig mit Kindern im Fahrzeug unterwegs sind – gar über 90%.

Die Zahl der von der Bundespolizei im Auftrag der zuständigen Behörden „Ertappten“ steigt trotz der erwähnten Kontroll- und Ahndungs-Hindernisse laufend, von ca. 121.000 Kfz-LenkerInnen bundesweit im Jahr 2009 über ca 128.000 Kfz-LenkerInnen 2010 auf ca 149.000 Kfz-LenkerInnen 2011 (vgl. die Beantwortungen 8596/AB und 11150/AB XXIV.GP des BMI zu Anfragen von SPÖ-Abg. Mag. Maier), ohne dass Verhaltensänderungen bei der breiten Mehrheit der motorisierten VerkehrsteilnehmerInnen erkennbar würden. Die sehr unterschiedliche „Betretungs-Häufigkeit“ je Bundesland ist auffällig und dürfte damit zusammenhängen, wie leicht einigermaßen unerwartete Anhaltungen umzusetzen sind. Dass dies mit der realen Übertretungshäufigkeit wenig zu tun hat, dafür ist das Faktum, dass die Sanktionierungsrate ausgerechnet im Bundesland mit der höchsten PKW-Dichte (Bgld) am niedrigsten ist, ein deutliches Indiz.

 

Das Problem Handy am Steuer fand zwar Erwähnung in offiziellen Verkehrssicherheits-Programmen (VSP 2002-2010, Update 2009, VSP 2011-2020), allerdings stets in fachlich unverständlicher Zurückhaltung. Klare Ansagen und wirksame Schritte sind aus unbekannten Gründen – Rücksichtnahme auf die Mobilfunkbranche? – unterblieben:

·         Bereits Grundlagenarbeiten für das VSP 2002-2010 im Jahr 2001 forderten: „Im Bereich der Mobiltelefonie sind seitens des Gesetzgebers Vorkehrungen zu schaffen, die Kontrolle der Handy-Regelung (Verbot der Verwendung von Mobiltelefonen ohne Freisprecheinrichtung) für die Exekutive zu erleichtern.“ Über zehn Jahre später ist dies noch immer nicht umgesetzt, obwohl seit langem (vgl. 6040/AB XXIV GP) klar ist, dass der Vollzug am Teufelskreis aus schwieriger Nachweisbarkeit und Anhaltezwang krankt.

·         Im aufgrund drohender VSP-Zielverfehlung veranlassten Update 2008 zum VSP 2002-2010 für einen sog. „Endspurt 2008-2010“ wurde als Priorität (!) angekündigt: „Als Basis für eine sachorientierte weitere Vorgangsweise in Österreich werden zunächst die zahlreichen internationalen Forschungsergebnisse analysiert und die Unfallursachen-forschung in diesem Bereich verstärkt.“ Vier Jahre später ist von Ergebnissen, darauf aufbauenden Umsetzungsmaßnahmen, Gesetzesvorschlägen o.dgl. keine Spur.

·         Grundlagenarbeiten zum VSP 2011-2020 forderten klar die „generelle Einschränkung des Telefonierens am Steuer“ und die Ergänzung des Deliktekatalogs des Führerschein-Vormerksystems. Das VSP selbst beschränkt seine Forderungen zum Thema Handy am Steuer aber darauf, dass „neue Technologien zur Unterstützung der Beweissicherung für das Vorliegen von Telefonaten getestet werden (sollen)“, wobei selbst die Umsetzung dieser Maßnahmen nicht sofort, sondern erst ab 2012 beginnen soll(te).

·         Bis Ende 2011 wurde (vgl. 8596/AB und 11150/AB XXIV.GP) nicht einmal die seit Jahren angekündigte (vg. 1006/AB XXIII.GP von August 2007!) bessere Dokumentation für die offizielle Unfallstatistik umgesetzt. D.h. bessere Zahlen werden erst 2013, Detail-Aussagen zur Entwicklung erst 2014 vorliegen!

·         Es liegen (vgl. 8596/AB und 11150/AB XXIV.GP) nicht einmal Aufzeichnungen über die Höhe der konkret vereinnahmten Strafgelder vor.


·         Die Frage danach, ob Einfluss Dritter, zB die Mobilfunkbranche, als Ursache der fehlenden Informationen zu Handy am Steuer zB in der Unfallstatistik ausgeschlossen werden kann, blieb seitens des damaligen Verkehrsministers Faymann auffällig unbeantwortet (vgl. 1006/AB XXIII.GP).

·         Die im VSP 2011-2020 vorgesehene „Durchführung von bewusstseinsbildenden Kampagnen vor allem bei Zielgruppen und Schwerpunkten gemäß Unfallstatistik“ wird bei Handy am Steuer verabsäumt, es kann entgegen Regierungs-Aussagen keine Rede davon sein, dass „folgerichtig entsprechend der Notwendigkeit und Dringlichkeit zielgerichtete Maßnahmen“ bei diesem prioritären Handlungsfeld gesetzt und „die dafür erforderlichen Mittel in jenem Ausmaß, wie es zur Erfüllung der angestrebten Wirkung und unter den Prämissen der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit erforderlich sein wird, eingesetzt“ würden (zit. 8596/AB und 11150/AB XXIV.GP).

·         Die Forderung nach der – in einigen anderen Staaten mit vergleichbaren Systemen längst erfolgten – Aufnahme von Telefonieren am Steuer ins Vormerksystem war zwar in der Anfang 2009 präsentierten Evaluierung des Vormerksystems zentral enthalten, die Umsetzung der Evaluierungsergebnisse wurde zwar angekündigt (vgl 77/AB XXIV.GP), erfolgte dann aber nur „selektiv“ unter Aussparung von Handy am Steuer.

 

Von einem „Delikt mit einem relativ bescheidenen Unrechtsgehalt“, wie noch von Werner Faymann als Verkehrsminister artikuliert (1006/AB XXIII GP), kann keine Rede sein. Es handelt sich vielmehr um ein alltäglich massenhaft anzutreffendes Fehlverhalten im Straßenverkehr, das mit einer Beeinträchtigung vergleichbar einer Alkoholisierung mit 0,8 Promille verbunden ist, daher andere, insbesondere schwächere VerkehrsteilnehmerInnen gefährdet und mit Sicherheit einen relevanten Beitrag zum Unfallgeschehen liefert.

Eine generell deutlich restriktivere Positionierung zum Telefonieren am Steuer ist sachlich dringend geboten.

 

Im Nationalrat war Handy am Steuer bereits wiederholt Thema, dabei haben Vertreterinnen und Vertreter aller Fraktionen den weitergehenden Handlungsbedarf unterstrichen und sich gegen eine weitere Bagatellisierung gewandt.

 

 

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgenden

 

 

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

 

Die Bundesregierung und insbesondere die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie im Zusammenwirken mit der Bundesministerin für Inneres wird aufgefordert, das gravierende Verkehrssicherheitsproblem „Handy am Steuer“ durch entsprechende Maßnahmen zu entschärfen und in diesem Sinn jedenfalls folgende Schritte zu setzen:

·         Streichung des „Anhalte-Vorbehalts“ (Anhaltung als Voraussetzung für die Ahndung von Handy am Steuer) aus dem Kraftfahrgesetz,

·         Weitere spürbare Anhebung des Strafsatzes für Telefonieren am Steuer,

·         Aufnahme von Handy am Steuer als Delikt ins Führerschein-Vormerksystem,

·         Prüfen der Möglichkeit, zumindest für gewerblich tätige Fahrzeuge, etwa Lkws oder Taxis, die zwingende Ausrüstung mit Freisprecheinrichtungen vorzuschreiben,

·         Vorantreiben der Analyse internationaler Erfahrungen und Forschungsergebnisse zum Thema Handy am Steuer – Verkehrssicherheit – Unfallgeschehen,

·         Sicherstellen verstärkter Unfallursachendokumentation und -forschung zum Thema Handy am Steuer,

·         Bündelung der Informationen über Kontrollen, vereinnahmte Strafgelder etc beim BMVIT.

Dem Nationalrat möge bis spätestens 31.10.2012 ein Vorschlag für eine entsprechende Novellierung betroffener Gesetzesmaterien wie KFG, StVO, FSG samt gegebenenfalls betroffenen Verordnungen übermittelt werden.

 

 

In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Verkehrsausschuss vorgeschlagen.