10021/AB XXIV. GP

Eingelangt am 14.02.2012
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BM für Wissenschaft und Forschung

Anfragebeantwortung

 

BM

 

BMWF-10.000/0350-III/4a/2011

 

 

 

               

 

Frau                                                                                                                              

Präsidentin des Nationalrates

Mag. Barbara Prammer

Parlament

1017 Wien

Wien,   14. Februar 2012

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die schriftliche parlamentarische Anfrage Nr. 10175/J-NR/2011 betreffend Rechtsmeinung des BMWF zur autonomen Regelung von Studiengebühren durch die Universitäten, die die
Abgeordneten Mag. Andrea Kuntzl, Kolleginnen und Kollegen am 14. Dezember 2011 an mich richteten, wird wie folgt beantwortet:

 

 

Zu Frage 1:

Im Bundesgesetz über die Organisation der Universitäten (UOG 1993), BGBl. Nr. 805/1993 wurde im § 2 Abs. 2 die Verfassungsbestimmung ausgenommen, wonach die Universitäten im Rahmen der Gesetze und Verordnungen sowie nach Maßgabe der Budgetzuweisungen gemäß § 17 Abs. 4 zur weisungsfreien (autonomen) Besorgung ihrer Angelegenheiten befugt sind. Durch BGBl. I Nr. 2/2008 wurde diese Bestimmung in die Bundes-Verfassung (B-VG) als Art. 81c Abs. 1 aufgenommen und lautet nunmehr: „Die öffentlichen Universitäten sind Stätten freier wissenschaftlicher Forschung, Lehre und Erschließung der Künste. Sie handeln im
Rahmen der Gesetze autonom und können Satzungen erlassen. Die Mitglieder universitärer Kollegialorgane sind weisungsfrei.“
Durch das Universitätsgesetz 2002 (UG), BGBl. I Nr. 120/2002 ist die Stellung der Universität im Vergleich zum UOG 1993 weiter gestärkt
worden, da die Universitäten durch dieses Gesetz nicht mehr Einrichtungen des Bundes
(§ 2 Abs. 1 UOG 1993) sondern als juristische Personen des öffentlichen Rechts anzusehen sind (§ 4 UG).


Die gesamte wissenschaftliche Lehre, die sich mit dieser Verfassungsbestimmung befasst hat, (Funk, Mayer, Stolzlechner, Thienel, Schrammel, Bast, Berka, Kucsko-Stadlmayer, etc.) geht einhellig davon aus, dass die Verfassungsbestimmung in § 2 Abs. 2 UOG 1993 bzw. nunmehr Art. 81c Abs. 1 B-VG als lex specialis zu Art. 18 Abs. 1 und 2 B-VG konzipiert ist und eine
Lockerung des allgemeinen Legalitätsprinzips herbeiführt. Den Universitäten soll bei der
Besorgung ihrer Aufgaben ein im Vergleich zur sonstigen Hoheitsverwaltung größerer Spielraum für eigenständiges Handeln verschafft und die Beschränkung des Gesetzes auf bloße Rahmenvorgabe verfassungsrechtlich abgesichert werden (siehe dazu Funk in Plenum, Zeitschrift der Österreichischen Rektorenkonferenz, 1/1994, Legalitätsprinzip und Rechtsquellensystem im neuen Universitätsrecht, Seite 10, sowie die erläuternden Bemerkungen zu § 2 Abs. 2 UOG 1993).

 

Die wissenschaftliche Lehre geht einhellig vom klaren Wortlaut der Verfassungsbestimmung aus, wonach der Verfassungsgesetzgeber genau gewusst hat, dass der Formulierung „im
Rahmen der Gesetze“ eine andere Bedeutung, nämlich eine Rahmenregelung zugemessen wird, als dem Wortlaut des Art. 18 Abs. 1 B-VG, wonach die gesamte staatliche Verwaltung
„auf Grund der Gesetze“ zu erfolgen hat.

 

Unbestritten ist somit, dass sowohl das UOG 1993 und nunmehr das Universitätsgesetz 2002 Rahmengesetze darstellen und durch Art. 81c Abs. 1 B-VG ein neues Legalitätsverständnis, welches den Universitäten eine über den traditionellen Rahmen hinausgehende autonome Rechtsgestaltung ermöglicht, begründet (Stolzlechner, Untersuchungen zu UOG 1993, Band 16, Manz-Verlag). Für das Verhältnis von Satzung und Gesetz gilt, dass die Satzung nicht gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen darf. Sie darf aber das Gesetz dort ergänzen, wo dieses keine Regelung trifft. Mit anderen Worten: das Gesetz ist nicht Bedingung, sondern nur
Schranke. Im Zweifel ist anzunehmen, dass eine bestehende gesetzliche Bestimmung des
Universitätsgesetzes 2002 ihren Gegenstand nicht abschließend regelt, sondern nur einen Rahmen und damit einen Freiraum für Ergänzungen durch Satzungen schafft (Funk in Plenum, Seite 14).

 

Daher gilt insbesondere, dass eine Satzungsregelung nicht auf die Existenz einer
ausdrücklichen Gesetzesgrundlage angewiesen ist. Alle gesetzlichen Freiräume sind durch
Satzungsrecht ausfüllbar. Somit ist durch die vormalige Verfassungsbestimmung des § 2 Abs. 2 UOG 1993 bzw. des nunmehrigen Art. 81c Abs. 1 B-VG ein neues Legalitätsverständnis
entstanden, das den Universitäten eine über den traditionellen Rahmen hinausgehende
autonome Rechtsgestaltung eröffnet. Satzungen der Universitäten sind daher verfassungs-unmittelbare Verordnungen, teils gesetzesdurchführende, teils gesetzesergänzende Verord-nungen (siehe dazu Stolzlechner, Strasser, Untersuchungen zum UOG 1993, Band 16).

 

Zu Frage 2:

Da in der wissenschaftlichen Lehre unbestritten ist, dass die Wortfolge „im Rahmen der
Gesetze“ eine Lockerung des Legalitätsprinzips des Art. 18 Abs. 1 B-VG darstellt und die
Universitäten somit im eigenen Wirkungsbereich Satzungen erlassen können, die ihrer Rechtsnatur nach als Verordnungen (auch als gesetzesergänzende Verordnungen) anzusehen sind, müssen diese Verordnungen ausreichend determiniert sein, damit die vollziehenden Organe der Universitäten eine ausreichend genaue Handlungsanweisung vorfinden. Die Satzungen dürfen, wie bereits oben ausgeführt, weder der Bundesverfassung noch einfachen Gesetzen bzw.
Verordnungen widersprechen (z.B. Willkürverbot etc.). Aus dem bisher Ausgeführten ist klar
erkennbar, dass der Verfassungsgesetzgeber den Universitäten einen legistischen Freiraum
zubilligt, in dem sie, sofern der Gesetzgeber keine Regelungen erlässt, eigene Normen erlassen können. Ein Widerspruch ist somit nicht erkennbar.


Zu Frage 3:

Mit der systematischen Platzierung des Art. 81c B-VG unter einem eigenen Titel im dritten Hauptstück des B-VG (Vollziehung des Bundes „A. Verwaltung“) wird auch die Sonderstellung der Universitäten im Gefüge der staatlichen Institutionen betont. Sie sind zwar vom Bund
einzurichten und besorgen öffentliche Aufgaben, die der Staatsfunktion Bundesverwaltung
zuzurechnen sind; dennoch ist ihre organisatorische und funktionelle Unabhängigkeit gegenüber dem staatlichen Einfluss zu sichern. Dass der Inhalt des Art. 81c B-VG nicht in das neue
5. Hauptstück des B-VG („Selbstverwaltung“) eingefügt wurde, ist insofern konsequent, als die verfassungsrechtliche Definition der Selbstverwaltung auf Universitäten mehrfach nicht passt.

So sind Selbstverwaltungskörper korporative Zusammenschlüsse von Personen zur Wahr-nehmung von Aufgaben „in ihrem ausschließlichen oder überwiegenden gemeinsamen
Interesse“ (Art. 20a Abs. 1 B-VG). Sie unterstehen nicht nur einer Rechts-, sondern auch einer Zweckmäßigkeitsaufsicht (Art. 120b Abs. 1 B-VG); weiters können ihnen Aufgaben staatlicher Verwaltung übertragen werden (Art. 120b Abs. 2 und 3 B-VG). All das trifft auf Universitäten nicht zu. Letztlich können Selbstverwaltungskörper ihre Organe nur aus dem Kreis ihrer
Mitglieder wählen (Art. 120c Abs. 1 B-VG). Universitäten hingegen dürfen, wenn auch sehr
beschränkt, auch externe Personen in Leitungsfunktionen berufen (insbesondere Rektorat,
Universitätsrat); siehe dazu Kucsko-Stadlmayer in Mayer, Universitätsgesetz 2002, 2. Auflage, zu Art. 81c B-VG Punkt I.4. Somit ist ein Vergleich mit Gemeinden und anderen
Selbstverwaltungskörpern unzulässig und dogmatisch verfehlt.

 

Zu Frage 4:

Wie bereits Thienel (Das Berufungsverfahren nach dem UOG 1993, Beiträge des Universitätsrechts, Band 18) ausführt, gehen die erläuternden Bemerkungen freilich von einer rechts-dogmatisch unzutreffenden Einschätzung aus, wenn sie sich hinsichtlich der Formulierung
„im Rahmen der Gesetze“ auf Art. 118 Abs. 4 B-VG berufen. Die darin getroffene Anordnung, dass die Gemeinden die Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches „im Rahmen der
Gesetze“ zu besorgen haben, wurde von der herrschenden Lehre zutreffend nicht als
Einschränkung des in Art. 18 B-VG normierten Legalitätsprinzips angesehen (vgl. z.B. Walter, Mayer, Grundriss des Österreichischen Bundesverfassungsrechtes 8, 1996, RZ 569, 878).
Die unzutreffende Vorstellung über den Gehalt des Art. 118 Abs. 4 B-VG ändert aber nichts an der Intention, das allgemeine Legalitätsprinzip für die Universitäten zu lockern (siehe die unter Frage 1 genannten Autoren).

 

Zu Frage 5:

Siehe Ausführungen zu Fragen 1 bis 4.

 

Zu Frage 6:

Art. 81c B-VG mit Art. 118 B-VG vergleichen zu wollen und insbesondere eine historische
Interpretation vorzunehmen, ist unzutreffend, da die Universitäten die genannten Freiräume erst durch die Verfassungsbestimmung des § 2 Abs. 2 UOG 1993 erhalten haben. Im Übrigen siehe Ausführungen zu Fragen 1 bis 4.

 

Zu Frage 7:

Dieser Vergleich ist verfehlt und entspricht nicht dem UG. Es sei auf die §§ 21 bis 25 UG
verwiesen, wo eindeutig geregelt ist, dass die obersten Organe der Universitäten auf demo-kratischer Basis bestellt bzw. gewählt werden.

 

Die weitgehende Entbindung von Regelungen hinsichtlich der Studienbeiträge lässt sich
dadurch erklären, dass keine entsprechenden Rechtsvorschriften erlassen wurden und damit die Universitäten den verfassungsmäßig gewährleisteten freien Regelungsraum haben, den diese durch autonom zu treffende Regelungen entsprechend ausfüllen können.

 

Zu Frage 8:

Wie den §§ 1 und 2 des Finanz-Verfassungsgesetzes zu entnehmen ist, werden von diesem Verfassungsgesetz nur die Gebietskörperschaften erfasst. Daraus irgendwelche Folgerungen für die Universitäten bzw. Art. 81c B-VG ableiten zu wollen, ist deshalb nicht zielführend. Darüber hinaus handelt es sich bei den Studienbeiträgen nicht um Abgaben, sondern um Beiträge in
einem moderaten Ausmaß, die nur einen geringen Teil des Universitätsbudgets bzw. der
tatsächlichen Kosten eines Studiums abdecken.

 

Zu Frage 9:

Die Zulassung zu ordentlichen Studien an Universitäten ist derzeit in den §§ 63 ff UG geregelt. Würde dieser Regelungsinhalt aufgehoben, so müssten ebenfalls die Universitäten im Rahmen des Art. 81c B-VG, sofern der Gesetzgeber keine neue Regelung erlässt, eigene Zugangs-regelungen treffen. Selbstverständlich sind alle verfassungsmäßig gewährleisteten Rechte von den Universitäten entsprechend einzuhalten (Sachlichkeitsgebot, Willkürverbot, etc.). Die
Universitäten müssten durch ihre demokratisch gewählten Einrichtungen entsprechende
Satzungen erlassen. Ob es unterschiedliche Satzungsregelungen zwischen einzelnen
Universitäten geben darf, ist, sofern dies sachlich gerechtfertigt erscheint, denkbar, ebenso wie es unterschiedliche Regelungen in einzelnen Gemeinden oder einzelnen Bundesländern in der Republik Österreich gibt. Bei einer rechtswidrigen Vorgangsweise der Universitäten ist der
Bundesminister für Wissenschaft und Forschung selbstverständlich angehalten, aufsichts-behördliche Maßnahmen zu treffen.

 

Zu Frage 10:

Richtig ist, dass der Bundesminister für Wissenschaft und Forschung, sofern erforderlich,
verhalten ist, eine entsprechende Verordnung auf Grund der Verordnungsermächtigung gemäß § 91 Abs. 6 UG zu erlassen. Festgehalten wird, dass, wie in der Anfrage richtig ausgeführt, die Bestimmung des § 91 Abs. 6 UG, in der derzeit geltenden Fassung, nach wie vor dem
Rechtsbestand angehört und vom Verfassungsgerichtshof nicht aufgehoben wurde. Nach dieser Verordnungsermächtigung sind „nähere Bestimmungen zur Einhebung des Studienbeitrages durch Verordnung der Bundesministerin oder des Bundesministers festzulegen“. Eine derartige Verordnung liegt bereits vor – StubeiV 2004. In dieser Verordnung ist insbesondere festzuhalten und zu normieren, in welcher (technischen) Form die Einhebung (nicht die Höhe, diese wird
autonom von den Universitäten im Sinne des Artikels 81c B-VG festgelegt) durchzuführen ist. Die „Einhebungsmodalitäten“ sind in dieser Verordnung eben so zu gestalten, dass sie mit den auf Satzungsebene festgelegten Höhen der Studienbeiträge der einzelnen Universitäten nicht in Widerspruch stehen.

 

Zu Frage 11:

Der Verfassungsgerichtshof hat gegen Studienbeiträge an sich keine verfassungsrechtlichen Bedenken geäußert. Die Aufhebung des § 91 Abs. 1 und der mit dieser Bestimmung im
untrennbaren Zusammenhang stehenden Absätze 2, 3 und 8 UG erfolgte, weil die aufge-hobenen Bestimmungen den Anforderungen des Art. 18 B-VG nicht entsprachen. In weiteren Bereichen wie z.B. § 61 Abs. 1 und 2, § 62 Abs. 2 Z 1 sowie § 91 Abs. 5, 6, und 7 sowie § 92 UG 2002 bleiben einschlägige Regelungen bestehen. Sollten Universitäten eine Satzung
hinsichtlich Studienbeiträge erlassen, dann sind die oben genannten Gesetzesbestimmungen im Zusammenhang mit dieser Satzung umzusetzen.


Zu Frage 12:

Das Aufgabengebiet des Rektorates umfasst operative Kompetenzen und die subsidiäre
Allzuständigkeit gemäß § 22 Abs. 1 UG. Eine entsprechende Satzung wäre somit gemäß § 19 Abs. 1 UG 2002 auf Vorschlag des Rektorates vom Senat mit einfacher Mehrheit zu beschließen oder entsprechend abzuändern. Die Einhebung eines Studienbeitrages durch das Rektorat in der in der Satzung der betreffenden Universität festgelegten Höhe wäre somit verfassungs-konform.

 

Zu Frage 13:

Sind Satzungsbestimmungen gesetzwidrig, so sind sie vom Bundesminister für Wissenschaft und Forschung gemäß § 45 Abs. 3 UG aufzuheben.

 

Zu Frage 14:

Gemäß § 4 UG sind Universitäten juristische Personen des öffentlichen Rechts. Ihre
Grundsätze, Aufgaben und Ziele sind in den §§ 1 bis 3 UG aufgezählt. Wären derartige Grundsätze, Aufgaben und Ziele nicht gesetzlich definiert oder würden sie aufgehoben werden, so
obläge es den Universitäten im Rahmen des Art. 81c B-VG derartige Grundsätze, Aufgaben und Ziele in ihren Satzungen zu definieren. Gemäß § 13 UG werden die näheren strategischen Ziele, Forschung, Entwicklung und Erschließung der Künste, gesellschaftliche Zielsetzungen sowie viele anderen Bereiche durch Leistungsvereinbarung näher definiert. Im § 12 Abs. 1 UG ist
festgelegt, dass die Universitäten vom Bund zu finanzieren sind. Niemand wird jedoch ernstlich behaupten, dass diese Regelung ausschließlich gemeint ist und Universitäten, z.B. nicht selbstständig Drittmittel lukrieren dürfen. Da Studierende gemäß § 94 Abs. 1 Z 1 UG 2002 Angehörige der jeweiligen Universität sind, stellt deren Beitragsregelung auch eine Angelegenheit der
Universitäten dar.

 

Zu Frage 15:

Es ist nicht beabsichtigt, den Universitäten aus dem Titel der Einhebung von Studienbeiträgen Mittel zu entziehen.

 

Zu Frage 16:

Dass das rechtsstaatliche Prinzip durch Art. 81c B-VG verletzt wird, ist nicht erkennbar.

 

Zu Frage 17:

Die Gutachten von Hauser, Öhlinger und BKA/Verfassungsdienst sind bekannt, sind aber nicht geeignet, die Rechtsansicht des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung zu
widerlegen.

 

 

Der Bundesminister:

o. Univ.-Prof. Dr. Karlheinz Töchterle e.h.