10078/AB XXIV. GP
Eingelangt am 22.02.2012
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BM für Justiz
Anfragebeantwortung
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BMJ-Pr7000/0358-Pr 1/2011 |
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Museumstraße 7 1070 Wien
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Tel.: +43 1 52152 0 E-Mail: team.pr@bmj.gv.at
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Frau
Präsidentin des Nationalrates
Zur Zahl 10219/J-NR/2011
Die Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Günther Kräuter und GenossInnen haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „unabhängiger Bundesstaatsanwalt in politisch brisanten Justizfällen“ gerichtet.
Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:
Zu 1 und 2:
Ich ersuche um Verständnis, dass mir eine Beantwortung dieser Fragen aufgrund meiner verfassungsrechtlichen Verpflichtung zur Wahrung der Amtsverschwiegenheit sowie im Hinblick auf die Bestimmung des § 12 StPO nicht möglich ist.
Zu 3:
Zur Tätigkeit des Bundesministeriums für Justiz in der „Causa BUWOG“ verweise ich auf die Beantwortung der Fragen 9 und 10 der schriftlichen Anfrage zur Zahl 9657/J-NR/2011 vom 20. Dezember 2011.
Zu 4:
Erfahrungen und Vorkommnisse aus Ländern mit der Einrichtung eines Bundesstaatsanwaltes sprechen nicht unbedingt für die Einsetzung eines solchen Organs – gerade was die politische Unabhängigkeit anlangt. So wurde dem schweizer Bundesanwalt im Juni 2011 von der Bundesversammlung nicht zuletzt aufgrund der seitens der SVP gegen ihn erhobenen Vorwürfe in laufenden Verfahren die Wiederwahl verweigert. Am 31. Dezember 2010 musste die Oberste Staatsanwältin Tschechiens aufgrund des Verdachts des Agierens auf politische Bestellung im Korruptionsverfahren gegen den ehemaligen Vizepremier Jiri Cunek zurücktreten, wodurch das Ansehen der tschechischen Anklagebehörde nachhaltig beeinträchtigt wurde. Diese und andere Beispiele zeigen, dass das Institut des Bundesstaatsanwaltes eine unabhängig von politischen Zwängen ausgeübte Entscheidungsfindung keineswegs zu garantieren vermag und auf längere Sicht sogar weniger Transparenz bei der Entscheidungsfindung der Weisungsspitze und deren Einfluss auf nachgeordnete Dienstsstellen bietet als die Ministerverantwortlichkeit.
Das Weisungsrecht – wie es in der staatsanwaltschaftlichen Organisationsstruktur in Österreich verankert ist – dient als transparentes Instrumentarium der Fachaufsicht zur Sicherstellung der sachlichen Richtigkeit von sämtlichen Erledigungsvorgängen im Strafverfahren. Das Weisungsrecht ist gesetzlich genau geregelt. In den einzelnen Staatsanwaltschaften haben die Mitarbeiter die Weisungen des Gruppen- bzw. Behördenleiters zu befolgen, sie können jedoch – wenn sie eine Weisung für rechtswidrig halten – eine schriftliche Weisungserteilung verlangen und sich sogar gegebenenfalls von der Behandlung der betreffenden Strafsache entbinden lassen. Die Staatsanwaltschaften sind also in einem System der Über- und Unterordnung organisiert.
Weisungen der Oberstaatsanwaltschaften zur Sachbehandlung in einem bestimmten Verfahren sind den Staatsanwaltschaften gemäß § 29 Abs. 1 StAG schriftlich unter Bezugnahme auf die Gesetzesstelle zu erteilen und zu begründen. Aufgrund von Gefahr im Verzug mündlich erteilte Weisungen sind so schnell als möglich schriftlich zu bestätigen. Gemäß Abs. 3 leg. cit. hat die Staatsanwaltschaft die Weisung dem Tagebuch und eine Ausfertigung derselben im Ermittlungsverfahren dem Ermittlungsakt, im Haupt- und Rechtsmittelverfahren dem auf die gerichtliche Entscheidung abzielenden Antrag anzuschließen.
Weisungen der Bundesministerin für Justiz zur Sachbehandlung in einem bestimmten Verfahren sind den Oberstaatsanwaltschaften gemäß § 29a Abs. 1 StAG schriftlich unter Bezugnahme auf die Gesetzesstelle zu erteilen und zu begründen. Gemäß Abs. 3 leg. cit. hat die Bundesministerin für Justiz dem Nationalrat und dem Bundesrat jährlich über die von ihr erteilten Weisungen zu berichten, nachdem das der Weisung zugrundeliegende Verfahren beendet wurde. Die Bundesministerin für Justiz steht unter Ministerverantwortlichkeit und ist dem Parlament zur Auskunft und Rechenschaft verpflichtet.
Weisungen der Bundesministerin für Justiz unterliegen im Lichte der vorangestellten Ausführungen auch der Kontrolle der Gerichtsbarkeit, indem sie im Fall der Einstellung des Ermittlungsverfahrens im Wege eines Antrags auf Fortführung bzw. im Fall der Anklage im Wege eines Einspruchs gegen die Anklageschrift zum Gegenstand gerichtlicher Überprüfung gemacht werden können.
Das bereits im StAG 1986 (§ 29 Abs. 1) verankerte Erfordernis der Schriftlichkeit von Weisungen und die durch das Strafprozessreformbegleitgesetz II, BGBl. I Nr. 112/2007, eingeführte Verpflichtung, Weisungen jedenfalls dem (Ermittlungs-)Akt anzuschließen, sichern eine umfassende Transparenz durch die Nachvollziehbarkeit staatsanwaltschaftlicher Erledigungen sowie erhöhte Rechtssicherheit. Durch die ebenfalls mit dem zitierten Gesetz eingeführte jährliche Berichtspflicht der Bundesministerin für Justiz wird die parlamentarische Kontrolle der Ausübung des Weisungsrechts massiv ausgeweitet.
Dass die Bundesministerin für Justiz an der Weisungsspitze steht, erklärt sich primär auch aus der Verantwortung gegenüber dem Nationalrat und der anzustrebenden Einheitlichkeit der Rechtsanwendung. Schließlich sieht auch die Empfehlung des Europarates über die Stellung der Staatsanwaltschaft in der Strafjustiz („The Role of Public Prosecution in the Criminal Justice System“ - Recommandation Rec (2000) 19) in ihrem Punkt 13d vor, dass das Weisungsrecht nicht schlechterdings unvereinbar mit der Rolle der Staatsanwaltschaften im Strafverfahren ist, jedoch in voller Transparenz und unter angemessener Kontrolle auszuüben ist (RV 299 BlgNR XXIII. GP).
Gerade bei politisch brisanten Fällen wäre die angesprochene „völlig weisungsfreie“ Arbeit schon alleine aus Gründen der ex post Nachvollziehbarkeit einzelner Ermittlungsschritte und des in solchen Causen immer von einzelnen Interessensgruppen erhobenen Vorwurfs der Einseitigkeit von Ermittlungen gegenüber der Weisungsspitze abzulehnen, weil in einem solchen System nämlich keine vollständige Transparenz herrschen und es keine vergleichbare Möglichkeit eines nachkontrollierenden Instituts geben würde, wie es eben die Ministerverantwortlichkeit darstellt. Im Übrigen muss gerade bei politisch brisanten Fällen die Fachaufsicht für eine einheitliche Rechtsanwendung sorgen.
Schließlich ist noch zu berücksichtigen, dass nach der gängigen Praxis im Bundesministerium für Justiz bei Prüfung der Berichte der Staatsanwaltschaften aufsichtsrechtliche Maßnahmen nur dann ergriffen werden, wenn die Vorgangsweise rechtlich nicht vertretbar oder die Entscheidungsgrundlage noch nicht hinreichend ist oder wesentliche Beweisergebnisse nicht berücksichtigt wurden. Dies bedeutet, dass das Bundesministerium für Justiz in Ansehung der Beweiswürdigung der Staatsanwaltschaften – im Gegensatz zur rechtlichen Beurteilung – nur prüft, ob die Staatsanwaltschaft den Rahmen pflichtgemäßen Ermessens überschritten habe.
In derartigen Fällen wird entweder um ergänzende Berichterstattung ersucht oder mittels Weisung die erforderliche Anordnung getroffen.
Wien, . Februar 2012
Dr. Beatrix Karl