10448/AB XXIV. GP

Eingelangt am 13.04.2012
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Bundeskanzler

Anfragebeantwortung

 

An die

Präsidentin des Nationalrats

MagBarbara PRAMMER

Parlament

1017     W i e n                                                   

GZ: BKA-353.110/0060-I/4/2012                                                             Wien, am 13. April 2012

 

 

 

 

 

Sehr geehrte Frau Präsidentin!

 

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Lichtenecker, Freundinnen und Freunde ha­ben am 13. Februar 2012 unter der Nr. 10559/J an mich eine schriftliche parlamen­tarische Anfrage betreffend „Unterversicherung von europäischen Atomkraftwerken und deren Auswirkungen in Österreich“ gerichtet.

 

Diese Anfrage beantworte ich wie folgt:

 

Zu den Fragen 1 bis 4:

Ø  In einem Schreiben an den oberösterreichischen Landesrat Rudi Anschober vom 22.11.2011 stellt Staatssekretär Dr. Josef Ostermayer fest, „dass nach der gel­tenden Rechtslage die Binnenmarkt- und Wettbewerbsregelung des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union nicht für den Euratom-Vertrag gel­ten“. Auf welche Rechtsentscheidungen bzw. -auslegungen berufen Sie sich hier­bei?

Ø  Sind Sie – unabhängig von der derzeitigen rechtlichen Lage bzw. juristischen Auslegung – der Meinung, dass die EU-Wettbewerbsregeln auch auf den Eura­tom-Vertrag anwendbar sein sollten?

Ø  Welche konkreten Schritte haben Sie seit der Regierungskonferenz 2004 getä­tigt, um die Forderungen nach einer Revision des Euratom-Vertrags voranzutrei­ben um eine Ausweitung der EU-Wettbewerbsregeln auf den Bau und den Be­trieb von Atomkraftwerken auszuweiten?

Ø  Sind Sie als Bundeskanzler darüber informiert, welche Staaten zum jetzigen Zeit­punkt einer Euratom-Vertragsrevision zustimmen würden? Welche Informationen liegen Ihnen diesbezüglich vor?

 

Es ist zutreffend, dass die Binnenmarkt- und Wettbewerbsvorschriften des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) für den Euratom-Vertrag (EAGV) nicht gelten. Art. 106a Abs. 1 EAGV listet jene Vorschriften des EUV und des AEUV auf, die auch für den EAGV gelten. Der gesamte Dritte Teil des AEUV (Art. 26 bis Art. 197), der die Binnenmarkt-, Beihilfen- und Wettbewerbsvorschriften der Union enthält, ist von der Auflistung des Art. 106a Abs. 1 EAGV nicht erfasst. Im Übrigen beeinträchtigen die Vorschriften des EUV und des AEUV nicht die Vorschriften des EAGV (Art. 106a Abs. 3 EAGV). Ob die Regelungen des AEUV subsidiär, soweit ihnen also die Bestimmungen des EAGV nicht entgegenstehen, auf die Erzeugung und den Vertrieb von Energie in kerntechnischen Anlagen anwendbar sind, ist in der Lehre umstritten.

 

Aufgrund österreichischer Bemühungen im Rahmen der Regierungskonferenz 2004 haben fünf der damals 25 Mitgliedstaaten der EU (Österreich, Deutschland, Schwe­den, Ungarn und Irland) festgestellt, dass die zentralen Bestimmungen des EAGV aktualisiert werden müssen und die ehest mögliche Einberufung einer Revisionskon­ferenz zum Euratom-Vertrag gefordert. Diese Erklärung wurde 2009 in den Vertrag von Lissabon übernommen. Österreich ist also mit seinem Anliegen, die europäische Atompolitik grundlegend neu auszurichten, nicht völlig alleine. Obwohl sich aus heu­tiger Sicht die für die Einberufung einer Regierungskonferenz zur Änderung des Euratom-Vertrages erforderliche Mehrheit unter den Mitgliedstaaten nach wie vor nicht abzeichnet, wird die österreichische Forderung nach einer Revision des EAGV weiter verfolgt werden.

 

Zu Frage 5:

Ø  Welche Informationen liegen Ihnen als Bundeskanzler im Zusammenhang mit der Errichtung eines tschechischen Endlagers für radioaktiven Abfall nahe der öster­reichischen Grenze vor?

 

Die Bemühungen, einen Standort für ein Endlager für hochaktive radioaktive Abfälle in Tschechien zu finden, sind seit Jahren bekannt und sind Gegenstand des laufen­den bilateralen Informationsaustausches. Der Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten sowie der Bundesminister für Land- und Forstwirt­schaft, Umwelt und Wasserwirtschaft informieren mich laufend über die diesbezüg­lichen Entwicklungen.

 

Zu den Fragen 6 und 7:

Ø  Welche Schritte haben Sie als Bundeskanzler bislang umgesetzt um sich für europaweit einheitliche, hohe Standards und Haftungsregeln für Atomkraftwerke einzusetzen?

Ø  Welche Schritte werden Sie tätigen, um das Thema der Haftungsregelung von Atomkraftwerken auf die europäische Agenda zu setzen?

 

Aus österreichischer Sicht wäre eine EU-weite Harmonisierung der Nuklearhaftungs­regeln zur Offenlegung der wahren Kosten und Risken der Nuklearenergie prinzipiell zu begrüßen. Zielführend ist dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass die im österreichischen Atomhaftungsgesetz vorgesehenen (im Verhältnis zu den internatio­nalen Nuklearhaftungsregimes) für potentiell Geschädigte vorteilhafteren Grundsätze vollinhaltlich Berücksichtigung finden und in keiner Weise durchbrochen werden.

 

Ende März 2011 hat der Europäische Rat in seinen Schlussfolgerungen zu den um­fassenden Risiko- und Sicherheitsbewertungen von KKW in der EU ("Stresstests") die Europäische Kommission dazu aufgerufen, den bestehenden Rahmen der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Sicherheit kerntechnischer Anlagen zu überprüfen und alle erforderlichen Verbesserungen vorschlagen. In diesem Sinne hat die Kommission in ihrem Zwischenbericht über die Stresstests vom 24. 11. 2011 an den Europäischen Rat die Haftung bei Nuklearunfällen als eine zentrale Frage einge­stuft und die derzeitige Situation in der EU als „rechtlichen Flickenteppich“ bezeich­net. Bereits in ihrer Mitteilung „Energie 2020 – Eine Strategie für wettbewerbsfähige, nachhaltige und sichere Energie“ führt die Kommission aus, dass der Rechtsrahmen für die kerntechnische Sicherheit und Sicherungsmaßnahmen durch einen Vorschlag für eine europäische Herangehensweise an nukleare Haftungsregeln weiter verbes­sert werden wird.

 

Zu den Fragen 8 und 9:

Ø  Werden Sie als Bundeskanzler bei ihren nächsten Gesprächen mit dem bayri­schen Ministerpräsidenten bzw. mit Bundeskanzlerin Merkel die tschechischen Atomenergieausbaupläne ansprechen?

Ø  Gedenken Sie gemeinsam mit dem bayrischen Ministerpräsidenten bzw. mit Bundeskanzlerin Merkel eine Allianz zu bilden, um gemeinsam gegen die tsche­chischen Atomenergieausbaupläne vorzugehen?

 

Ich stimme mich mit Bundeskanzlerin Dr. Merkel laufend zu Fragen gemeinsamen In­teresses ab. Hiezu gehören auch Fragen der Nuklearpolitik.

 

Zu Frage 10:

Ø  Welche konkreten Schritte haben Sie gesetzt, um den in der Sondersitzung des NR am 22.03.2011 geforderten, nationalen Schulterschluss in der Antiatom-Frage zu realisieren?

 

Österreich hat sich vor vielen Jahren für einen strikten Anti-Atom-Kurs entschieden und verfolgt diesen – über Parteigrenzen hinweg – mit großer Entschiedenheit. Die Mitglieder der Bundesregierung vertreten im Hinblick auf die Kernenergie eine klare und einheitliche Position, die sie in ihrem gemeinsamen – vom Nationalrat unterstütz­ten – Aktionsplan „Internationales Umdenken von der Kernenergie hin zu erneuerba­rer Energie und Energieeffizienz“ festgelegt haben. Auch die Bundesländer stehen hinter dem österreichischen Anti-Atom-Kurs und sehen in der Kernenergie keine si­chere und nachhaltige Form der Energiegewinnung, da deren Risiken letztlich nicht beherrschbar sind.

 

Zu Frage 11:

Ø  Warum sind von Seiten der österreichischen Regierung keine entsprechenden Rechtsschritte, wie die Einbringung von Klagen bei der Europäischen Kommis­sion im Hinblick auf das tschechische UVP-Gesetz bzw. den aktuellen Atomener­gieausbauplänen erfolgt?

 

Die korrekte Umsetzung der UVP-Richtlinie ist Österreich ein besonderes Anliegen. Die zuständigen Mitglieder der Bundesregierung achten in Kontakt mit der Europäi­schen Kommission laufend auf die Klärung der diesbezüglichen offenen EU- Rechts­fragen.

 

Ungeachtet der Souveränität eines Nationalstaates bezüglich seines Energiemix und der von Österreich konsequent und bei jeder Gelegenheit vertretenen Ablehnung der Nuklearenergie bestätige ich erneut, dass die Bundesregierung in Bezug auf beste­hende und zukünftige grenznahe KKW weiterhin alle ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nutzen wird, um die berechtigten Sicherheitsinteressen der österrei­chischen Bevölkerung zu wahren. Dies gilt insbesondere für die Einhaltung der völ­ker- und europarechtlichen Vorgaben für grenzüberschreitende Umweltverträglich­keitsprüfungen.

 

Mit freundlichen Grüßen