10574/AB XXIV. GP

Eingelangt am 23.04.2012
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BM für Justiz

Anfragebeantwortung

 

BMJ-Pr7000/0049-Pr 1/2012


Republik Österreich
die bundesministerin für justiz

 

 

Museumstraße 7

1070 Wien

 

Tel.: +43 1 52152 0

E-Mail: team.pr@bmj.gv.at

 

 

Frau
Präsidentin des Nationalrates

 

 

Zur Zahl 10673/J-NR/2012

Der Abgeordnete zum Nationalrat Mag. Johann Maier und Genossinnen haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Verletzung geistigen Eigentums im Jahr 2011“ gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Zu 1:

Wie in meiner Beantwortung der Voranfrage zur Zahl 8695/J-NR/2011 dargelegt, obliegt die Rechtsdurchsetzung im Bereich des geistigen Eigentums primär den durch eine Rechtsverletzung beeinträchtigten Rechteinhabern, die sich hierbei nicht nur der Instrumentarien des zivilgerichtlichen Verfahrens bzw. des strafrechtlichen Privatanklageverfahrens bedienen können, sondern auch mit der Möglichkeit der zollbehördlichen Beschlagnahme rechtsverletzender Waren nach dem Produktpirateriegesetz wirksame Mittel zur Durchsetzung ihrer Rechte haben.


Zu 2 bis 3:

Betreffend die zivilgerichtlichen Verfahren weise ich wie in den vorangegangenen Antworten darauf hin, dass eine Auswertung in der Verfahrensautomation Justiz (VJ) nur in der Form möglich ist, dass alle unter dem Fallcode 41 („Gewerblicher Rechtsschutz“) gemeinsam erfassten Verfahren – das sind alle Zivilverfahren vor den Gerichtshöfen erster Instanz nach dem Urheberrechtsgesetz (UrhG), dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), dem Patentgesetz (PatG), dem Musterschutzgesetz (MuSchG) und dem Markenschutzgesetz (MarkSchG) – angegeben werden. Das Datenmaterial kann der angeschlossenen Beilage entnommen werden.

Zu 4:

Strafbestimmungen im Bereich der Verletzung der Rechte geistigen Eigentums umfassen etwa die §§ 60, 68h MarkenschutzG, § 35 MusterschutzG, § 42 Gebrauchs­musterG, § 159 PatentG, § 22 HalbleiterschutzG, § 25 SortenschutzG sowie § 91 UrheberrechtsG. Aus Anlass dieser parlamentarischen Anfrage habe ich eine Auswertung der VJ durch die Bundesrechenzentrum GmbH (BRZ GmbH) vornehmen lassen. Keine Verfahren wurden im Zusammenhang mit dem Gebrauchsmustergesetz, dem Halbleiterschutzgesetz und dem Sortenschutzgesetz registriert. Die Anfallszahlen (fallbezogen) und Erledigungsstatistiken (personenbezogen) können – aufgeschlüsselt nach Dienststellen – den angeschlossenen Tabellen entnommen werden.

Zu 5:

Mir stehen keine Daten zur Verfügung, anhand derer der durch Produkt- und Markenfälschungen entstandene Schaden abgeschätzt werden könnte.

Was die Zahlen auf europäischer Ebene betrifft, darf wie im Vorjahr erneut auf die Mitteilung der Kommission über den Binnenmarkt für Rechte des geistigen Eigentums (KOM[2011] 287) verwiesen werden.

Zu 6 und 7:

Auf die Beantwortung der Fragen in den Vorjahren wird verwiesen. Neuere Informationen liegen nicht vor.

Zu 8 und 9:

Mit „IPRED 2“ ist offenbar der Richtlinienvorschlag KOM(2006) 168 (Vorschlag einer Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über strafrechtliche Maßnahmen zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums) gemeint. Wie bereits in den Beantwortungen der Voranfragen ausgeführt, ist dieser nicht mehr aktuell. Einen neuen Vorschlag hat die Kommission bisher nicht vorgelegt; im Bundesministerium für Justiz ist nichts darüber bekannt, ob und wann ein solcher Vorschlag vorgelegt werden und welchen Inhalt er haben könnte.


In der Mitteilung KOM(2011) 287 vom 24. Mai 2011 „Ein Binnenmarkt für Rechte des geistigen Eigentums“ hat die Kommission angekündigt, im Frühjahr 2012 die Richtlinie 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums („IPRED“) einer Überprüfung zu unterziehen. Danach sollen „etwaige Änderungen der Richtlinie […] darauf abzielen, gegen entsprechende Rechtsverletzungen an der Quelle vorzugehen und zu diesem Zweck die Zusammenarbeit von Intermediären wie Internetdiensteanbietern zu fördern, wobei die Vereinbarkeit mit den Zielen der Breitbandpolitik gewährleistet sein muss und die Interessen der Endverbraucher nicht in Frage gestellt werden dürfen.“ Seither sind keine weiteren Absichtserklärungen bekannt, insbesondere nicht zum Inhalt der geplanten Änderungen.

Zu 10 bis 12:

ACTA ändert im Bereich der zivilrechtlichen Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums im Internet nichts am bestehenden EU-Recht (EU-Acquis). Dieses und das österreichische Recht erfüllen bereits alle Vorgaben des Übereinkommens und gehen zum Teil sogar darüber hinaus. Dementsprechend sind auch keine Umsetzungsmaßnahmen auf europäischer Ebene bekannt; auch für das österreichische Recht würden in diesem Bereich keine Umsetzungsmaßnahmen erforderlich werden.

Zu 13:

Die Kriminalisierungspflichten in Art. 23 ACTA gehen im Wesentlichen nicht über Art. 61 TRIPS (Abkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des Geistigen Eigentums) hinaus und sind durch die Straftatbestände in § 91 UrhG und § 60 MarkSchG sowie das Verbandsverantwortlichkeitsgesetz (VbVG) umgesetzt. Es besteht daher kein Anpassungsbedarf.

Zu 14:

Durch ACTA kommt es zu keiner Verschärfung von Straftatbeständen. Das Übereinkommen beschäftigt sich nicht mit der inhaltlichen Ausgestaltung der Reichweite von Urheberrechten, es können die geltenden Bestimmungen beibehalten werden. Strafverfahren sind überdies nur bei vorsätzlichen Handlungen im gewerblichen Ausmaß vorzusehen (Art. 23).

Zu 15:

Die betroffenen Straftatbestände des Immaterialgüterrechts sind derzeit Privatanklagedelikte und werden überwiegend von spezialisierten Anwaltskanzleien verfolgt. Art. 26 des Abkommens sieht vor, dass in geeigneten Fällen die zuständigen Behörden (Staatsanwaltschaft, Kriminalpolizei) von Amts wegen Ermittlungen einleiten oder Rechtshandlungen vornehmen dürfen. Durch die Formulierung „in geeigneten Fällen“ erhält Österreich einen großen Ermessenspielraum, für welche Teile das Amtswegigkeitsprinzip eingeführt werden soll. In welchen konkreten Fällen das Offizialprinzip eingeführt werden könnte, wird derzeit geprüft.


An der schon bisher bestehenden grundsätzlichen Strafbarkeit der Taten ändert sich durch das Abkommen jedoch nichts. Auch die gewerbsmäßige Begehung stellt bereits nach der derzeitigen Rechtslage einen Straftatbestand dar (§ 91 Abs. 2 UrhG bzw. § 60 2. Satz MarkSchG). In materieller Hinsicht ergibt sich im Strafrecht kein Umsetzungsbedarf durch ACTA.

Zu 16:

Dem Text von ACTA ist weder eine Ausweitung der Haftbarkeit Dritter noch eine Einschränkung des Haftungsprivilegs für Provider zu entnehmen.

Zu 17 bis 19:

Das Übereinkommen sieht nur vor, dass die Staaten „Kooperationsbemühungen im Wirtschaftsleben fördern“, die darauf gerichtet sind, Verstöße gegen Marken- und Urheberrechte wirksam zu bekämpfen. Diese Bestimmung verpflichtet weder die Mitgliedstaaten, entsprechende Rechtsvorschriften zu erlassen, noch die Provider, in einen solchen Dialog auch einzutreten. Wird eine Kooperation vereinbart, so muss sich diese auf dem Boden des geltenden Rechts bewegen. Bereits in der E-Commerce-RL 2000/31/EG ist vorgesehen, dass die Mitgliedstaaten und die Kommission zur „Ausarbeitung von Verhaltenskodizes“ unter den Stakeholdern zu ermutigen haben (Erwägungsgrund 49). Solche "Stakeholder-Dialoge" finden bereits auf europäischer Ebene statt. Sie sind eine Form der Zusammenarbeit, die einen repräsentativen Ausschnitt an Stakeholdern zusammenbringt, um spezifische Probleme im Bereich der Durchsetzung von Rechten am geistigen Eigentum zu diskutieren und mögliche Wege der freiwilligen Zusammenarbeit im Einklang mit den existierenden rechtlichen Rahmenbedingungen zu erforschen.

Die Problematik gefälschter Arzneimittel ist – immaterialgüterrechtlich gesehen – eine Frage des Markenrechts und fällt nicht in meinen Wirkungsbereich, sondern in jenen der Frau Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie bzw. der Patentämter. Im Übrigen ist für Maßnahmen der Arzneimittelsicherheit der Herr Bundesminister für Gesundheit zuständig (Arzneimittelgesetz, AMG), gemeinsam mit der AGES (Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH).

Zu 20:

Nach den in österreichisches Recht umgesetzten Bestimmungen des Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2001/29 (Urheberrechts-RL) und des Art. 11 Satz 3 der Richtlinie 2004/48 (IPRD) können die Inhaber von Rechten des geistigen Eigentums gerichtliche Anordnungen gegen Vermittler – wie die Provider – beantragen, deren Dienste von einem Dritten zur Verletzung ihrer Rechte genutzt werden. Aus der Rechtsprechung des EuGH ergibt sich, dass die nationalen Gerichte den Vermittlern auch Maßnahmen auftragen können, die auch neuen Verletzungen vorbeugen sollen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Juli 2011, L’Oréal unter anderem, C 324/09, RN 131). Die Modalitäten dieser Anordnung sind Gegenstand der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften. Diese Regelungen müssen u. a. die (in § 18 Abs. 1 ECG umgesetzte) Bestimmung des Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 (E-Commerce-RL) beachten, wonach es nationalen Stellen untersagt ist, Maßnahmen zu erlassen, die einen Diensteanbieter verpflichten würden, die von ihm in seinem Netz übermittelten Informationen allgemein zu überwachen.

In der Rechtssache Scarlet, RS C-70/10, hatte der EuGH ein Filtersystem zu beurteilen, das den Provider zu einer aktiven Überwachung sämtlicher Daten, die alle seine Kunden betreffen, verpflichten würde, um jeder künftigen Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums vorzubeugen, wobei diese Überwachung zudem zeitlich unbegrenzt ist, sich auch auf jede künftige Beeinträchtigung bezieht und nicht nur bestehende Werke, sondern auch künftige Werke schützen soll, die zum Zeitpunkt der Einrichtung dieses Systems noch nicht geschaffen waren. Die Einrichtung eines solchen Filtersystem steht mit der Rechtsordnung der EU nicht im Einklang und dürfte daher auch in Österreich einem Provider nicht auferlegt werden.

Der EuGH hat festgehalten, dass die nationalen Behörden und Gerichte ein angemessenes Gleichgewicht zwischen dem Schutz des Rechts am geistigen Eigentum einerseits und der unternehmerischen Freiheit der Provider andererseits, dem Recht auf den Schutz personenbezogener Daten und dem Recht auf freien Empfang oder freie Sendung der Informationen der Kunden der Provider zu gewährleisten haben. Diese Abwägung haben auch die österreichischen Gerichte zu treffen.

 

Wien,     . April 2012

 

 

 

Dr. Beatrix Karl

 

 

Anmerkung der Parlamentsdirektion:

 

Die vom Bundesministerium übermittelten Anlagen stehen nur als Image, siehe

Anfragebeantwortung (gescanntes Original)

zur Verfügung.