10604/AB XXIV. GP

Eingelangt am 24.04.2012
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BM für Justiz

Anfragebeantwortung

 

BMJ-Pr7000/0059-Pr 1/2012


Republik Österreich
die bundesministerin für justiz

 

 

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Frau
Präsidentin des Nationalrates

 

 

Zur Zahl 10742/J-NR/2012

Die Abgeordneten zum Nationalrat Gerald Grosz, Kolleginnen und Kollegen haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „nicht ordnungsgemäße Beantwortung von Parlamentarischen Anfragen in der Causa „Kampusch““ gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Zu 1 bis 5:

§ 12 StPO erklärt das strafrechtliche Ermittlungsverfahren ausdrücklich zu einem nichtöffentlichen Verfahren. In dieser Phase des Strafverfahrens werden (bloße) Verdachtsmomente untersucht, die in aller Regel in die Privat-, bisweilen sogar Intimsphäre der Verfahrensbeteiligten reichen, ohne dass sie sich letztlich zu einem Schuldvorwurf verdichten müssen. Das Herausnehmen der strafrechtlichen Ermittlungen aus dem Öffentlichkeitsgrundsatz dient (neben anderen Schutzzwecken) dem Schutz der Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten. Diese jedem Rechtsunterworfenen verfassungsgesetzlich eingeräumten (Grund-)Rechte (§ 1 DSG 2000, Art. 8 MRK, Art. 20 Abs. 3 B-VG) sind von Amts wegen zu berücksichtigen und schränken nach heute herrschender Lehre die Auskunftspflicht und das parlamentarische Interpellationsrecht ein (vgl. Moritz, „Datenschutz und parlamentarische Interpellation“ ÖJZ 1994, 763; grundlegend in Kahl, Art. 52 B-VG, in: Korinek/Holoubek (Hrsg) Bundesverfassungsrecht, Rz 39 mwN). Die Verwaltung ist bei der Behandlung parlamentarischer Interpellation – als Ausfluss des Legalitätsprinzips – an die Grundrechte gebunden und hat deren Einhaltung von Amts wegen zu wahren. Diese Verpflichtung kann auch nicht an Dritte – wie etwa an das Parlament – delegiert werden. Die Weitergabe von Daten, die (im Einzelfall) die verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte von Verfahrensparteien beeinträchtigen können, wäre somit unzulässig (Moritz, aaO). Die Antwortpflicht im Rahmen der Interpellation erstreckt sich daher auf Fragen, deren Beantwortung dem Persönlichkeits- und Datenschutz des Einzelnen nicht zuwiderläuft und – ganz allgemein – vom Gegenstand der Interpellation gedeckt ist. Dies werden im gegebenen Zusammenhang nicht personenbezogene Fragen abstrakter Natur sein, etwa zu Stand und Dauer eines Ermittlungsverfahrens, allenfalls zu abstrakten Ermittlungsschritten, zur Anzahl von Beschuldigten und zu tatbestandsmäßig typisierten Verdachtsmomenten. Gegenstand der Interpellation (und im Lichte des Persönlichkeitsschutzes unproblematisch) sind jedenfalls Fragen zur – der Justizverwaltung zuzurechnenden – Dienst- und Fachaufsicht der Staatsanwaltschaften (siehe etwa Lienbacher, Jahrbuch Öffentliches Recht 2010, 74).

Zu 6 bis 8:

Auch das Gebot zur Amtsverschwiegenheit (Art. 20 Abs. 3 B-VG) verpflichtet die Verwaltung – neben dem Datenschutzgesetz 2000 und der Europäischen Menschenrechtskonvention – zum Schutz der Persönlichkeitsrechte von Parteien und erfordert vor Auskunftserteilung eine Abwägung im Einzelfall, ob nicht überwiegende Interessen der Parteien eine Verweigerung der Auskunft gebieten. Weiters muss berücksichtigt werden, dass – wie erwähnt – das strafrechtliche Vorverfahren erst Verdachtsmomente prüft und jene Faktenbasis schaffen soll, aufgrund derer die Entscheidung zu treffen ist, ob das Ermittlungsverfahren eingestellt, in ein Hauptverfahren münden oder durch Diversion beendet werden soll. Tatsachen, die zur Vorbereitung von Entscheidungen dienen, unterliegen aber ausdrücklich – und ohne weitere Abwägung – dem Gebot der Amtsverschwiegenheit.

Schließlich ist zu beachten, dass die parlamentarische Interpellation die Kontrolle der Regierung und ihrer Mitglieder zum Gegenstand hat nicht aber die Kontrolle des Verhaltens einzelner Menschen, auf die sich die staatliche Tätigkeit erstreckt, wie etwa Beteiligte eines Strafverfahrens (Morscher, Die parlamentarische Interpellation 334 und 424).


Zu 9 und 10:

Die in der Anfragebeantwortung 9576/AB zu den Fragepunkten 1 bis 4 genannten Gesetzesstellen dienen der Effektuierung und Absicherung der hier skizzierten verfassungsgesetzlich eingeräumten Rechte von Beteiligten eines Strafverfahrens, primär aber nicht ausschließlich von Beschuldigtem und Opfer, und sind daher – als Durchführungsbestimmungen – in gleicher Weise zu beachten, wie die korrespondierenden verfassungsgesetzlichen Grundsatzbestimmungen.

 

Zu 11 bis 16:

Die Beantwortung der hier relevierten Fragen aus der Anfrage Zl. 9693/J-NR/2011 setzt eine detaillierte inhaltliche und personenbezogene Auseinandersetzung mit den Ergebnissen eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens voraus, die Angelegenheiten des Privat- und Intimbereichs von in der Öffentlichkeit bekannten Verfahrensbeteiligten betreffen. Sie würde damit den hier dargelegten Verpflichtungen zur Wahrung des Persönlichkeits- und des Datenschutzes zuwiderlaufen.

Das Justizressort ist aber stets bemüht, die Ermittlungsarbeit in rechtsstaatlich einwandfreier Weise und innerhalb des verfassungsgesetzlich vorgegebenen Rahmens transparent darzustellen. So hat die Staatsanwaltschaft Innsbruck am 9. März 2012 – unter Wahrung der hier dargestelllten verfassungsrechtlichen Grundrechte der Betroffenen – eine ausführliche Einstellungsbegründung gemäß § 35a StAG veröffentlicht.

 

Wien,     . April 2012

 

 

 

Dr. Beatrix Karl